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Ben, Herr Patzke und die längste Spaghetti der Stadt

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12.05.2004
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Ben, Herr Patzke und die längste Spaghetti der Stadt

Ben war sauer. Eigentlich war er nicht einfach nur sauer. Er war stinkwütend. Dieser blöde Herr Patzke. Immer musste er sich bei Bens Mutter beschweren, wenn Ben auch nur ein klitzekleines bisschen zu laut gewesen war, beim Spielen. Man konnte nun mal einen Fußball nicht leise gegen ein Garagentor schießen. Und überhaupt, wer hielt denn heutzutage noch Mittagsruhe?

Jetzt stand Ben auf dem Garagenhof. Den Fußball hatte seine Mutter ihm abgenommen und gesagt, dass er ihn frühestens um drei Uhr wiederbekommen würde. Das waren noch anderthalb Stunden bis dahin. Was sollte er denn so lange machen, wenn er nicht Fußball üben durfte? Ben überlegte. Er könnte schauen, ob Gino schon zu Hause war.

Gino Favaro und er waren früher zusammen in den Kindergarten gegangen. Seitdem waren sie beste Freunde. Nur dummerweise wohnte Gino auf der anderen Straßenseite. Das wäre nicht schlimm gewesen, wenn nicht die andere Straßenseite schon zum Stadtteil Kleinwittichsburg gehört hätte. Bens Straßenseite gehörte nämlich offiziell noch zur Innenstadt. Und weil Kleinwittichsburg und die Innenstadt jeweils eine eigene Grundschule hatten, gingen Ben und Gino jetzt in verschiedene Schulen. Deshalb hatten sie oft zu unterschiedlichen Zeiten Schulschluss.

Ginos Vater hatte eine Pizzeria. Ben fand das ziemlich cool. Bei ihm zu Hause gab es nur ganz selten Pizza. Seine Mutter meinte, das sei kein richtiges Essen. Richtiges Essen waren für sie eigentlich nur langweilige Dinge. Vor allem Kartoffeln. Ben mochte keine Kartoffeln. Schon mal gar nicht jeden Tag.

Ben lief über die Straße und zur Pizzeria Bella Mare. Giorgio, Ginos Vater, lachte ihn an, als er hereinkam.
„Ciao, Ben! Wie geht’s? Gino ist noch in Schule. Kommt aber bald. Willst Du warten?“
Ben nickte. „Ja, gerne. Draußen ist nichts los. Ich darf nicht Fußball spielen, weil der blöde Patzke sich mal wieder beschwert hat.“
„Ah! Patzke! Ja, den kenn ich. Der kommt immer und ist das billigste Gericht von der Karte. Spaghetti Napoli! Jeden Mittwoch Abend. Sitzt stundenlang hier, liest alle Zeitungen und gibt keinen Cent Trinkgeld.“
„Dem müsste man mal so richtig eins auswischen“, sagte Ben. „Essen versalzen oder so.“
„Ja, aber kann ich nicht machen. Ist Gast! Gast ist König. Und salziges Essen macht den Ruf von meiner Pizzeria kaputt.“
Das verstand Ben. Trotzdem, der Gedanke ließ ihn nicht los. Vielleicht könnte man Herrn Patzke ja wirklich mal einen Streich spielen.

Gino kam zur Tür herein. „Ciao Pappa!“ rief er. „Was gibt es zu Essen? Ich hab Riesenhunger!“
Dann sah er Ben. „Hi Ben! Bist Du schon lange hier?“
„Nö, zehn Minuten oder so. Dein Vater und ich haben gerade überlegt, dass man dem Patzke mal ordentlich eins auswischen müsste. Der hat sich schon wieder bei meiner Mutter über mich beschwert.“

Bei den Favaros gab es zum Mittagessen Spaghetti. Ben wurde eingeladen, mitzuessen und nahm gerne an. Er hatte zwar eigentlich schon zu Hause gegessen, aber hier schmeckte es immer so gut, dass er gerne noch mal zulangte. Giorgio hatte extra lange Spaghetti gemacht. Ben musste sich ganz schön anstrengen, um sie ordentlich um die Gabel zu wickeln. Gino lachte.
„Ihr Deutschen könnt irgendwie keine Spaghetti essen. Deshalb macht Pappa die für das Restaurant auch immer ganz kurz. Dabei müssen Spaghetti lang sein. Je länger die sind, desto besser schmecken die.“
„Ja!“ sagte Giorgio. „Aber wenn wir im Restaurant lange Spaghetti servieren, dann muss ich die Tischtücher doppelt so oft waschen und die Gäste bekleckern ihre Klamotten.“

Das brachte Ben auf eine Idee.
„Sag mal, Giorgio“, fragte er, „wie lang kann man eigentlich Spaghetti so machen?“
„Wenn man ein guter Koch ist ... so lang wie man will, bis der Teig zuende ist eben.“
„Und?“ Ben wurde ganz aufgeregt. „Du bist doch ein guter Koch, oder?“
„Das will ich wohl meinen“, sagte Ginos Vater mit stolzgeschwellter Brust. „Ich bin der beste Pizza- und Pastakoch von ganz Kleinwittichsburg. Wahrscheinlich sogar der ganzen Stadt.“
„Und lange Spaghetti sind eigentlich gut, oder? Ich meine, lange Spaghetti verderben nicht den Ruf, wie z.B. versalzenes Essen?“ fragte Ben weiter.
„No! Hab ich doch gesagt. Lange Spaghetti sind das beste, was es gibt“, mischte sich jetzt auch Gino ein.
„Dann habe ich einen Plan!“ grinste Ben. Und dann erzählte er Gino und Giorgio, was er vorhatte.

Am kommenden Mittwoch trafen sich Ben und Gino gleich nach der Schule in der Küche des Bella Mare, um Giorgio zu helfen. Es war keine leichte Aufgabe, den Nudelteig so durch die Spaghettimaschine zu drehen, dass eine einzige wirklich lange Spaghetti entstand. Gino stopfte den Teig in die Maschine und drehte die Kurbel. Ben stützte die lange Teigschlange, die so entstand mit beiden Händen ab und Giorgio legte sie vorsichtig auf der Arbeitsplatte der Küche aus. Drei Kurven musste er machen. Am Ende maß er vorsichtig mit einem Maßband nach.
„Drei Meter achtundsiebzig“, verkündete er stolz. „Das ist bestimmt die längste Spaghetti, die die Stadt je gesehen hat.“
Gino wiegte nachdenklich den Kopf. „Ja, schon“, sagte er, „nur, wie kriegen wir die gleich noch in den Topf?“
„Mamma mia, Du hast recht“, sagte Giorgio erschrocken. Aber dann hatte er die rettende Idee. Er wickelte sie Spaghettischlange ganz vorsichtig zu einer Spirale auf, wie eine Lakritzschnecke. Die Spirale wurde immer noch ziemlich groß, aber so passte die Spaghetti in den größten Topf, den Giorgio in seiner Küche hatte, hinein.

Dann, endlich, war es soweit. Herr Patzke betrat die Pizzeria. Er bestellt Spaghetti Napoli. Ben war erleichtert. Was wäre gewesen, wenn Herr Patzke heute ausnahmsweise mal etwas anderes bestellt hätte? Eine Pizza Calzone zum Beispiel? Dann wäre die ganze schöne Arbeit umsonst gewesen. Gino und Ben saßen an einem Tisch in der Ecke, von dem aus sie Herrn Patzke gut beobachten konnten und tranken Limonade.

Giorgio brachte einen Teller mit Spaghetti und viel dampfender Tomatensoße und stellte ihn vor Herrn Patzke ab.
„Parmesan?“ fragte er freundlich, und Ben und Gino konnten sehen, wie viel Mühe es ihn kostete, nicht zu lachen.
„Nein danke“, sagte Herr Patzke und griff nach Gabel und Löffel. Er begann, ein Stück Spaghetti um die Gabel zu wickeln. Aber was war das? Diese Spaghetti nahm ja gar kein Ende! Als Herr Patzke die Hälfte seiner Portion um die Gabel gewickelt hatte, wurde das entstandende Knäuel zu schwer und plumpste zurück auf den Teller. Die Tomatensoße spritzte. Rund um den Teller bekam das Tischtuch lauter rote kleine Flecken. Herr Patzkes Hemd hatte auch ein paar abbekommen.

Einige Gäste vom Nebentisch, die gerade herübergesehen hatten, als der Nudelklumpen von Herrn Patzkes Gabel rutschte, lachten. Herr Patzke wurde etwas rot im Gesicht und schaute verlegen auf seinen Teller. Dann begann er noch einmal, diesmal vorsichtiger, die Spaghetti auf die Gabel zu drehen. Wieder wurde das Knäuel größer und größer. Herr Patzke hörte auf zu wickeln und hob statt dessen die Gabel ein Stück höher. Irgendwann musste diese Nudel doch mal ein Ende nehmen!

Aber nein. Selbst als Herr Patzke die Gabel am ausgestreckten Arm nach oben hielt, war kein Ende der Spaghetti in Sicht. Er entschied sich für eine verzweifelte Maßnahme. Schnell schaute er nach rechts und links, um sich zu vergewissern, dass niemand hersah, dann beugte er sich vor, um die Spaghetti abzubeißen.

Auf diesen Moment hatte Ben nur gewartet. Er gab einem leeren Stuhl neben sich einen leichten Schubs und dieser fiel mit Gepolter zu Boden. Herr Patzke zuckte zusammen. Das Spaghettiknäuel löste sich von der Gabel und platschte ihm genau ins Gesicht. Tomatensoße lief an Herrn Patzkes Nasenrücken entlang. Einige Spaghettischlingen hingen über seinem Brillengestell fest. Der Rest der Mammutnudel rutschte an seinem Kinn entlang und zurück auf den Teller. Ein Teil landete in seinem Wasserglas. Es war eine wunderbare Riesensauerei.

Herr Patzke sprang auf und rannte aus dem Restaurant. Die Gäste der Pizzeria lachten. Am lautesten lachten Giorgio, Gino und Ben.

 

Hallo MissyLaMotte,

ich habe lange überlegt, was ich dir zu deiner Geschichte schreiben soll :hmm: . Zunächst mal das Positive: sie ist flüssig und kindgerecht geschrieben. Du hast dabei einen interessanten Schreibstil: eigentlich verwendest du relativ kurze Sätze ohne Nebensätze. Das wäre, glaube ich, auf Dauer etwas eintönig. Aber du "mischst" sie mit Sätzen, die mehrere Kommata (heißen die wirklich so?) haben, so dass der Text lebendig wird.

Was mich gestört hat: ich fand, Herr Patzke hat es nicht verdient, dass er in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht wird. Wenn jemand Mittagsschlaf halten will und dauernd ein Fußball gegen das Garagentor donnert, kann er sich meiner Meinung nach mit Recht beschweren. Und dass er immer nur das billigste Gericht isst und kein Trinkgeld gibt, kann vielleicht auch daran liegen, dass er nicht viel Geld hat....

Versteh mich nicht falsch, ich meine nicht, dass jede Geschichte für Kinder immer auch "den moralischen Zeigefinger" enthalten muss, aber die "Botschaft", die du in deiner Geschichte vermittelst, halte ich für falsch.

Trotzdem: liebe Grüße

Andrea

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo MissyLaMotte,

mir hat diese Geschichte gefallen. Okay, Kinder können ganz schön laut und nervig sein (vor allem, wenn man wie ich seit zweieinhalb Jahren vom Balkon auf einen großen Spielplatz blickt), aber damit muß man als Erwachsener eben leben. Womit nicht gesagt sein soll, daß es für Kinder keine Grenzen geben sollte. Aber Stillsein widerspricht nun einmal der Natur von Kindern. Und die starre Mittagsruhe halte ich ebenfalls für unzeitgemäß, die gilt ja sowieso nur im privaten Bereich - wenn Du neben einer Baustelle wohnst, nützt sie Dir gar nichts. Ein typisches Beispiel dafür, daß Geldverdienen bei uns immer noch wichtiger genommen wird als Kinder.

Wie dem auch sei, es ist eine Kindergeschichte, und den Wunsch nach einem Streich wird hier wohl jeder kleine Leser nachvollziehen können. Außerdem passiert Herrn Patzke ja nichts Schlimmes, es handelt sich hier doch um eine recht harmlose Art der Rache.

Gut finde ich auch die Darstellung von Gino und seinem Vater - während der Mann sich mit unserer Sprache noch etwas schwer tut, merkt man, daß der Junge damit aufgewachsen ist. Gut beobachtet, das macht es für die Kinder realistisch, weil die meisten es so aus ihrem Alltag kennen.

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo MissyLaMotte!

Der kommt immer und ist das billigste Gericht
isst

harmolser, lustiger Streich, oder gemein?
Genau das, war Wossibär und Roy diskutiert haben, hatte ich auch in Gedanken.
Zwar hätte die "Rache" schlimmer sein können, aber öffentlich jemanden lächerlich zu machen ist eigentlich echt nicht nett. Du beschreibst Herrn Platzke nicht nah genug, dass man als Leser entscheiden kann. Er könnte ja auch ein älterer, kranker Mann sein, dem die Rente kaum langt.
Ich denke, eine mögliche Lösung für das Porblem Fussballspieln-Mittagsruhe sollte eher im Dialog mit allen gefunden werden.
Dass man als Kind den Drang der Erwachsenen nach Ruhe nciht versteht, weiß ich selbst nur zu gut.
Wir haben genau das fürher acuh gemacht - Abwerfen an den Garagentoren. Und naätürlcih gabs auch hier eine empfindlcihe Nachbarin.
Wir haben allerdings dann doch Kompromisse gefunden, mit dennen beide Parteien leben konnten.


Der Streich, wie Du ihn Dir ausgedacht hast, ist gut beschrieben und lustig - ich hätte mir allerdings einen wirklcih unfreundlichen, gemeinen Herrn Platzke gewünscht, dem ich den Streich auch ohne Bedenken gönnen könnte.
So habe ich damit, wie Andrea, ein kleines Problem. Schadenfreude gehört halt nciht zu den Dingen, die vermittelt werden sollten.... meine Meinung.

schöne Grüße
Anne

 

Hallo MissyLaMotte!
Habe eigentlich nicht viel neues zu sagen.
Ich kann mich nicht wirklich mit deiner Geschichte anfreunden. Klar, es ist nervig, wenn man als Kind gesagt bekommt, man muss stundenlang wegen Mittagsruhe still sein (habe da auch meine Erfahrungen gemacht, besonders im Sommer). Von daher kann ich Bens Verhalten ja verstehen, dass er Herrn Patzke eins auswischen will.
Und den Streich an sich finde ich lustig und originell. Die Idee ist witzig, und mMn auch gut umschrieben.
Aber mMn bleibt Herr Patzke etwas zu blass. Man weiß nichts über ihn, nur, dass er Ben wegen dem Fußball spielen in der Mittagszeit angemeckert hat. Ich denke, du solltest ihn genauer beschreiben. Vielleicht noch mehr seine "böse Ader" herausarbeiten, seine Gemeinheit. Oder aber Ben lernt auf irgendeine Weise Herrn Patzke etwas besser kennen und versteht dann, warum er immer meckert, warum er so gemein erscheint. Vielleicht ist er es ja gar nicht?


Man konnte nun mal einen Fußball nicht leise gegen ein Garagentor schießen.
hehe, süß

Bei ihm zu Hause gab es nur ganz selten Pizza. Seine Mutter meinte, das sei kein richtiges Essen. Richtiges Essen waren für sie eigentlich nur langweilige Dinge. Vor allem Kartoffeln. Ben mochte keine Kartoffeln. Schon mal gar nicht jeden Tag.
oho.. diese Kartoffel-geschichte kenn ich doch ... :D ich mag immer noch nicht so gerne kartoffeln. Aber bei mir hieß es auch immer, dass Pizza kein richtiges Essen wäre, dass Kartoffeln gesund wären blabla :D *erinner*

tschüß

 

Ja, die humorlosen Deutschen. Sie gönnen Kindern nicht einmal in einer Geschichte einen kleinen Streich. Ich frage mich, wieso nicht längst Ludwig Thomas Lausbubengeschichten auf dem Index stehen...
Meine Güte, er ist ein alter Nörgler, ein Geizkragen und heißt außerdem "Patzke". Das ist völlig ausreichend als Klischee. Muß etwa noch erwähnt werden, daß er fünf Kinderleichen in seinem Garten vergraben hält?
Ich finde die Geschichte witzig und gelungen.

Selber schreibe ich übrigens zumeist Gruselgeschichten, die oft auf totenstillen Friedhöfen spielen. Nur so zur Empfehlung für lärmgeplagte Erwachsene...

 

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