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Bemannter Flug
"What the hell is this. Looks like a giant ..." - Mit diesen Worten war die Übertragung vor zwei Wochen weltweit unterbrochen worden.
Gregor zupfte nervös an seiner Krawatte während er wartete. Fenster gab es in dem kleinen Raum keine. Eine handvoll Neonröhren mussten als Lichtquelle ausreichen.
Vier Stühle waren um einen Tisch herum positioniert, auf dem einige Wissenschaftsmagazine ausgebreitet lagen. Gregor hatte zwei von ihnen unaufmerksam durchgeblättert, zwischendurch immer wieder auf seine Uhr gesehen. Sie ließen ihn verdammt lange warten.
Gelegentlich konnte er gedämpfte Stimmen durch die Tür hören. Manchmal kamen sie näher, so dass er dachte, man würde ihn endlich dazu holen. Doch jedesmal entfernten sie sich wieder, ohne, dass die Tür geöffnet wurde.
Es war ihm vollkommen klar, weswegen er hier war, auch, wenn man es ihm noch nicht gesagt hatte. In den vergangenen vierzehn Tagen gab es schlichtweg kein anderes Thema mehr als dieses.
Er räusperte sich und griff unruhig nach einem weiteren Magazin, als unvermittelt eine Stimme aus einer Sprechanlage ertönte, die ihm bislang nicht aufgefallen war.
"Herr Janitzky, Sie können jetzt zu uns herein kommen."
Der Konferenzraum, den Gregor betrat, war fast völlig verwaist. Lediglich drei Menschen hatten sich auf den breiten Ledersesseln eingefunden, die neben dem langen Tisch verteilt standen.
Die Person am Kopfende erkannte er sofort.
Scott Gilhan, seit drei Jahren NASA Administrator, hatte die Hände vor seinem Bauch verschrenkt und bemühte sich um ein authentisch wirkendes Lächeln.
"Es tut mir Leid, dass Sie solange warten mussten."
Mit seinem Kopf wies Gilhan in Richtung des Mannes zu seiner Linken. - "General Manson vom Lyndon B. Johnson Space Center."
Eine kurze Ausdehnung des Doppelkinnes deutete ein Nicken an. Gregor konnte den General auf Anhieb nicht ausstehen.
Anschließend wandte Gilhan seinen Blick der dritten Person zu, die mit gesenktem Kopf auf die Tischplatte starrte, als würde sie sich schämen.
"Und das ist Professor Doktor Heinrichs, unabhängiger Berater der ESA. Sie werden seinen Namen noch nicht gehört haben."
Die hagere Gestalt gab ein heiseres "Sehr angenehm" von sich, ohne dabei den Blick von der Holzmaserung abzuwenden.
Unaufgefordert suchte Gregor sich einen Sessel aus, der ihm etwas Abstand zu den anderen gewährte, und nahm Platz.
Man brauchte kein besonders empfindsamer Mensch zu sein, um die aggressive Stimmung, die hier noch vor wenigen Sekunden geherrscht haben musste, förmlich spüren zu können.
"Sie werden sich vermutlich denken können, weshalb Sie heute hier sind", fuhr Gilhan fort.
Gregor kramte nach seinen Pfefferminzbonbons, während er antwortete. - "Es würde mich doch sehr verwundern, wenn es nichts mit der Free Pioneer Mission zu tun hätte."
Einen Moment lang war es ruhig.
Zögernd schob Gilhan dann eine Mappe in Richtung Gregor, zog sie aber unvermittelt wieder zurück.
"Wissen Sie", begann er, "das Problem, das wir haben, ist weitaus größer, als Sie vermuten werden."
Gregor steckte sich ein Bonbon in den Mund und wagte es nicht, laut aufzulachen.
"Nun ja, die Medien bilden derzeit wohl jeden Menschen dieses Planetens zu einem Verschwörungstheoretiker aus. Wenn man da nicht ..."
"Die Medien", unterbrach General Manson in überraschend besonnenem Tonfall, "die sind derzeit unsere geringste Sorge. Wir müssen uns den Kopf über ganz andere Dinge zerbrechen."
Kurz hielten Manson und Gilhan Augenkontakt. Gregor konnte nicht ausmachen, ob das gut oder schlecht war.
Schließlich landete die dünne Mappe dann aber doch in seinen Händen.
"Nur die erste Seite ist für Sie bestimmt."
Gregor zögerte kurz, ehe er den Ledereinband aufschlug. Er sah sich mit einem verschwommenen Photo konfrontiert.
"Was ist das?"
"Das letzte, was wir haben", antwortete Gilhan.
"Wie meinen Sie das? Nachdem Sie die Live Übertragung unterbrochen haben, müssen Sie doch weiterhin ..."
"Wir haben die Übertragung nicht unterbrochen. Ich meine, wir hätten, einige Sekunden später. Etwas ist uns zuvor gekommen. Sie sehen da das letzte Bild der Sendung. Somit sind wir leider kein bisschen schlauer als der Rest der Welt. Wir vermeiden unsere Statements der Presse gegenüber nicht, weil wir verheimlichen wollen. Es ist einfach so ... ich will es auf den Punkt bringen: Wir haben nicht die geringste Ahnung, was da draußen passiert ist."
Gregor betrachtete die Aufnahme genauer. Verwischte Schemen, dunkle Konturen. Schatten, nicht mehr.
"Haben Sie das Bild schon auf Vordermann zu bringen versucht?"
"Für was halten Sie uns, für Stümper? Da ist nichts zu machen. Keine Schärfe, absolut null Details. Dieses Bild ist ein Geist. Es dürfte so überhaupt nicht existieren."
"Und jeglicher Kontakt ist seitdem ausgeblieben?"
Gilhan nickte.
"Weder zur Landungsfähre, noch zur Besatzung."
Zum ersten Mal mischte sich Heinrichs in die Unterhaltung ein. - "Als wenn das eine Überraschung wäre. Aber mir hat man ja gerade eben den Mund verboten."
"Und daran halten Sie sich gefälligst." - Damit schien das Thema für Gilhan erledigt. Gregor wusste, dass es damit auch automatisch für ihn erledigt war.
Dennoch versuchte er es: "Wenn mir Informationen vorgehalten werden, dann werde ich wohl kaum in der Lage sein, vernünftige Arbeit abzuliefern."
Manson stand auf und griff nach einem Aktenkoffer, der in der Ecke des Raumes stand.
"Nun machen Sie sich mal nicht verrückt. Wir haben bereits einen Plan."
Ein einzelnes, eng bedrucktes Zettelchen flatterte auf den Tisch.
"Sie werden es dechiffrieren und umsetzen. Der übliche Schwachsinn halt. Bald wird es so viel Desinformation geben, dass wir die offizielle Version der durch einen Kurzschluss explodierten Landungsfähre rausgeben können. Es liegt jetzt an Ihnen, die Menschen zu verwirren."
Als Gregor den Raum verlassen hatte, schlug Manson mit seiner Faust auf den Tisch und brüllte in Richtung Heinrichs: "Wenn Sie noch einmal Ihre Klappe aufreißen, dann wars das, haben wir uns da verstanden?"
Heinrichs grinste.
"Mir machen Sie keine Angst mehr. Ihre Jahrzehnte lange Planung, alles umsonst."
Manson zog eine Waffe aus seinem Halfter und zielte auf den Professor. Gilhan stieß seinen Arm beiseite.
"Das führt doch zu nichts. Wir müssen irgendwann dort industrialisieren. Es muss einen Weg geben. Scheinbar hat die Substanz den gegenteiligen Effekt bewirkt."
Er nahm die Mappe und blätterte auf die nächste Seite, auf der das Photo in voller Schärfe zu erkennen war; gefilmt, bevor man die Aufnahmen bei der zeitlich verzögerten Ausstrahlung unkenntlich gemacht hatte.
Ein riesiger, mutierter Hühne, der nach dem Besatzungsmitglied schlug.
"Seit Jahren fehlen uns die Gelder für Weltraumflüge. Die Wirtschaft ist durch den Klimawandel am Ende. Das Afrikaproblem muss endlich gelöst werden."