Bella Italia
Der Himmel war dunkel. Wie gemalt in einem preußischen Blau. Es regnete und die Tropfen hinterließen staubige Spuren auf der Straße, bevor sie in sich zusammenfielen. Das Wasser versank gluckernd in den Gullys und in den Lichtern vorüber fahrender Autos sah ich, wie der Regen lange Fäden zog.
In meinen Gedanken ging ich noch einmal durch, was ich zu tun hatte. Der Regen perlte von meinem schwarzen Herrenhut ab und glitt über meinen Trenchcoat.
Morgen um Zehn Uhr werden mich Rovellis Männer abholen und wir werden zu seinem Anwesen fahren. Die Übergabe findet dort statt.
Mit ruhigen Schritten ging ich hinüber zum nächsten Münztelefon, um Grigorij anzurufen. Ich stellte meinen Koffer ab. Etwas beunruhigt, schaute ich mich mehrmals um, bevor ich die Nummer aus meiner Tasche kramte. Die Schrift war etwas verblasst. Mit meinen nassen Fingern wurde es nur noch schlimmer. Ich konnte die Zahlen nicht mehr genau erkennen. Verdammt. Und so etwas passiert mir!
Gerade wollte ich mich umdrehen, da klingelte das Telefon.
Verdutzt schaute ich in Richtung des Geräusches. Da ruft jemand mich an!
Es war nicht etwa Rovelli, wie ich zuerst vermutet hatte. Und selbst das hätte mich gewundert.
Nein, eine kratzige Stimme, die ich nicht erkannte warnte mich.
“Jarek Girivenko?“, krächzte es aus dem Fernsprecher.
“Was wollen sie?“, antwortete ich.
“Nehmen sie sich vor ihnen in Acht.“
“Vor wem?“
“Vor den Deutschen. Sie werden wissen, wen ich meine…“
… Aufgelegt…
Es war ein französischer Akzent gewesen, den ich aber nicht genau einordnen konnte.
Deutsche? Irgendeine Organisation vielleicht. Und wenn, was wollten die den hier in Italien? Was soll's, dachte ich.
Ruhig hängte ich den Höher ein und trat einen Schritt zurück. Wenn ich mich beeile erwische ich den nächsten Zug nach Palermo. Ich beschleunigte meine Schritte und stapfte voran durch die Wasserpfützen auf dem Gehsteig.
Der lang ersehnte Regen war über die Italiener gekommen. Petrus sei gepriesen, dachte ich. Mir war wohl dabei. Italien war eine heiße Gegend, die Abkühlung sehr willkommen.
Ich ging in die Haupthalle zurück. Italien musste ein wahres Medienparadies sein. Kaum ein Vergleich zu Russland, vermutete ich, als ich in der Bahnhofshalle ein Plasmaschirm entdeckte, auf dem gerade Nachrichten liefen. Mexikanischer Drogenboss in Gewahrsam.
Hier in Italien tickten die Uhren wohl etwas langsamer. Die Amerikaner reagieren. Die Italiener hingegen... ich schmunzelte.
Rovelli sollte mich in Palermo vom Bahnhof abholen. Morgen um zehn Uhr. Noch genug Zeit. Das Ticket in der Einen und den Koffer in der anderen Hand betrat ich den Zug und ging in mein Abteil. Ich sah auf die Uhr. 23:51. Abfahrt in Zehn Minuten.
Am nächsten Morgen.
Der Himmel war bedeckt. Der Regen war vergangen aber es war noch lange nicht so heiß. Das würde sich wohl bis zum Abend wieder drastisch ändern.
Auf der Straße warteten Rovellis Männer beim Wagen. Paolo Ventresca und Luigi Cartiera. Zwei Leibwachen. Schlanke, kahlköpfige Männer mit wachen Augen, die mich unentwegt anstarrten. Ich gab das vereinbarte Zeichen und sie öffneten mir die Tür.
Wir fuhren im noch Wagen fünf Kilometer bis zum Rovelli-Anwesen.
“Genau so hab ich mir das vorgestellt.“ Rovelli saß an einem kleinen Tisch außerhalb seines Anwesens. Er hatte seinen Kopf über den silbernen Koffer gebeugt. Über den Inhalt war er sichtlich erfreut. Klappte er ihn jedoch sofort wieder zu, als Emilia, seine Freundin herankam. Meine Waffe ruhte im Schulterhalfter, unter dem Jackett. Aber ich bewegte mich nicht. Ich lächelte nur auf ihn herab.
Emilia Ragazzi war eine wunderschöne junge Frau. Sie trug ein hochgeschnittenes Abendkleid in Indigo. Und ich musste mich zurückhalten, nicht zu Starren, das würde mir wohl nicht sehr gut bekommen. Denn Rovelli war Italiener mit Leib und Seele. Und vor allem Mafioso mit Leib und Seele.
“Ausgezeichnete Arbeit, Signore …?“, begann Rovelli.
“Keine Namen.“ Ich hatte mich immer daran gehalten. Und das sollte jetzt nicht anders sein.
“Luigi. Bring dem Mann sein Geld.“ Rovelli schnippte mit den Fingern und einer der beiden Männer ging ins Anwesen zurück. Ich mochte die Beiden nicht. Das heißt, Rovelli mochte ich ebenso wenig,
doch vor ihm hatte ich Respekt.
In Mailand hatte er mir den Auftrag gegeben einen weiteren Koffer nach Frankfurt zu bringen. Dort traf ich auch wieder auf Roger Barell, meinen Kontaktmann. Von da aus ging es nach Paris und wieder nach Frankfurt.
Rovelli hatte alles genau geplant. Er vergab nicht wahllos Aufträge. Sondern immer nur ausgewählten Personen. Der Drogenring zog sich durch ganz Europa. Wie gesagt, Rovelli hatte Freunde. Aber er hatte auch viele Feinde.
Luigi kam nicht wieder.
“Paolo. Sieh nach Luigi. Er trödelt wieder!“, sagte Rovelli mit starkem Akzent. Er war schon leicht angesäuselt, von dem Rotwein, der vor ihm stand. Ich schmunzelte, wurde aber trotzdem langsam unruhig.
Es verging allerdings keine Minute, bevor Paolo zurückkam. Und war er nicht allein. Ich sah es sofort, rührte mich allerdings nicht, auch als drei dunkelblaue BMWs vorfuhren. BMW. Ein deutsches Fabrikat. Emilia lächelte.
Keine Nummernschilder, erkannte ich sofort.
“Luigi hat es erwischt.“, jammerte Paolo.
“Was soll das heißen, Luigi hat es- “ Ragazzi dreht sich herum und blickte in den
Schalldämpfer einer Pistole.
Der Mann war groß, schlank und muskulös gebaut. Er zielte Rovelli zwischen die Augen. Eine Hand hatte er Paolo um den Hals geschwungen. Was geht hier vor, dachte ich.
Aus den BMWs stiegen zwei weitere Männer. Sie trugen dunkle Anzüge, genauso wie ihr muskulöser Freund, und genau wie er waren sie mit Pistolen bewaffnet.
“Inspektor Jaroslaw Girivenko, Nehme ich an.“, sagte einer an mich gerichtet. Der andere verschwand im Haus.
“Inspektor?“, röchelte Paolo.
“Inspektor…“, wiederholte Rovelli. „…verdammt.“
“Woher wissen sie das? Das ist mein Auftrag. Halten sie sich raus.““, sagte ich langsam und deutlich. Ich zog meinen Colt aus dem Halfter und richtete ihn auf den Mann, der Rovelli in Schach hielt.
Meine Bewegung war so schnell, dass sie niemand richtig registriert hatte. Für einen Moment sagte niemand etwas. Dann platzte es aus Emilia heraus.
“Jarek, du Trottel“, sagte Emilia keck. „Du warst die ganze Zeit, hinter dem falschen her.“
Sie lachte. „Du dachtest allen Ernstes, Rovelli hier wäre der größte Drogenboss Europas?
Er kann nicht mal bis drei Zählen, ohne meine Hilfe.“
Ihre blauen Augen funkelten dabei.
Ich war aufgebracht. Mehr als das. Ich war wütend.
Emilia hatte mir einen Schlag versetzt. In die Ecke gedrängt, im wahrsten Sinne des Wortes: Schach! Leider konnte ich nichts tun.
Aus meiner Situation sah ich keinerlei Ausweg, es gab keine Alternativen. Emilia war vor mir, greifbar. Und dennoch nicht zu erreichen. Rovelli, ein kleiner Fisch, das hätte ich nicht vermutet. Ich war allein. Keine Verstärkung, dieses Mal. Kein FSB-Agent der mir helfen konnte.
“Signora Ragazzi, ich bitte sie, sich zurückzuhalten.“, sagte der Eine mit ernster Miene.
“Seien sie ruhig, Schmidt. Ich befehle hier.“, erwiderte sie.
“Emilia!“, keuchte Rovelli. „Du weißt nicht was du tust, du – “
Die Schüsse waren durch den Schalldämpfer kaum zu hören. Cartiera und Rovelli sanken tot
zusammen. Emilia Ragazzi verzog keine Miene und auch Schmidt blieb gelassen.
Ich zitterte. Etwas Blut war auf meinen Anzug gespritzt. Mein Auftrag schien vorbei zu sein.
“Wer sind sie?“, fragte ich, an Schmidt gewandt.
“Das dürfte sie gar nicht interessieren.“
Ich sah wieder auf Rovelli. Der Anblick war schrecklich: Paolo war über ihn gebeugt, sein
Kopf war wie im Schlaf auf sein Hemd gesunken. Ein großer Roter fleck zierte seine Brust und ich musste wieder wegsehen. Natürlich hatte ich schon zuvor Leichen gesehen, aber von dieser Kaltblütigkeit wurde mir übel.
“Was soll das heißen, verdammt noch mal!“ Beinahe hätte ich geschrieen.
“Das soll heißen, dass für sie hier Endstation ist, Herr Girivenko.“, sagte Schmidt mit
derselben Härte. “Ihr Geheimdienst hat versagt. SIE haben versagt.“
Der dritte kam wieder aus dem Anwesen. Er brachte eine schwarze Ledertasche und warf sie mir direkt vor die Füße. Das Geld!
“Sie haben zwei Möglichkeiten.“, sagte Schmidt kalt. „Nehmen sie die Tasche und fahren sie
zurück nach St. Petersburg.“
“Was ist die zweite Möglichkeit?“, fragte ich, beinahe belustigt, während mein Finger sich um den Abzug krümmte.