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Belanglos

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21.03.2003
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Belanglos

Ein belangloser Tag im März 2003

Ich drücke meine fünfte Zigarette in den Aschenbecher und starre aus dem Fenster. Von dem Klingeln der Türglocke begleitet betritt Jan das Cafe. "Saukalt draußen", sagt er, als er sich auf die enge Bank quetscht. "Ich warte schon seit einer halben Stunde", sage ich.
"Ich war noch zu Hause."
Wir schweigen. Ich rühre mit dem Strohhalm in meiner Cola-light und überlege ob ich noch eine rauchen soll.
"Und?", frage ich.
"Was und?"
"Was hast Du da solange gemacht?"
"Ich hab gegessen. Meine Eltern haben mir 20 Euro gegeben."
Ich schweige wieder und denke an Sex mit Torsten. Aus dem Radio ertönt der Nachrichtensprecher, mit den neuesten Informationen zum Irak-Krieg.
"Was hältst Du davon?", fragt Jan.
"Wovon?"
"Vom Krieg."
"Keine Ahnung. Ist doch immer dasselbe. Ich habe Hunger."
„Dann bestell was.“
Ich blättere gelangweilt die Karte durch und lege sie wieder weg. „Gehst Du zur Demo?“
„Es ist kalt draußen“, antwortet Jan.
Ich höre wieder dem Nachrichtensprecher zu, der gerade von der möglichen Anzahl verletzter Menschen im Irak berichtet. Jan gähnt. Er sieht hässlich aus, wenn er gähnt. Ich frage mich, ob ich auch so aussehe, wenn ich gähne.
„Was denkst Du?“, fragt Jan.
„Nichts. Ich weiß nicht, was ich bestellen soll.“ Ich kaue auf meinem Strohhalm und schaue wieder aus dem Fenster. Ich überlege, ob ich Jan erzählen soll, dass ich mit Torsten geschlafen habe. Er sagt irgendwas und schaut mich fragend an. Ich habe nicht zugehört. „Ja“, sage ich. Er scheint beruhigt. Ich schaue auf die Strasse und beobachte einen Betrunkenen, der versucht mit seiner Bierbüchse zu telefonieren.
„Ich geh jetzt.“
„Wohin?“, fragt Jan.
„Nach Hause.“
„Okay, bis heut Abend.“
„Hm?“
„Na ja, wir wollen doch Video schauen. Du sagtest doch gerade ’Ja’“
Das war es also, denke ich. „Okay, bis heut Abend.“
Dann gehe ich zu Torsten und schlafe mit ihm. Wieder zu Hause bade ich und warte auf Jan. Später sitzen wir gemeinsam vor dem Fernseher, trinken Bier aus Flaschen und schauen uns einen Kriegsfilm an.

 

Hallo Schriftbild,

ich wünschte, es wäre keine Geschichte über den Zustand unserer Zeit, in der Krieg genauso gelangweilt wahrgenommen wird wie Sex.

ZUm Glück ist es nicht überall so, sonst würde es nicht so viele literarische Auseinandersetzungen mit dem Irak Krieg hier geben. Sonst würden nciht so viele hier (heimlich und ausgeloggt) die Erotikgeschichten lesen oder welche schreiben.

Trotzdem kenne ich genügend Menschen jeder Generation, auf die deine Beschreibung passt.

Diese Dialoggeschichte ist sehr stimmig, sehr lesenswert und stimmt äußerst nachdenklich.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Schriftbild,

als ich das Wort "Irak-Krieg" las, dachte ich zuerst; oh nein, nicht schon wieder eine literarische Verarbeitung zum aktuellen Thema! Aber ich bin positiv von Deiner Geschichte überrascht; die Teilnahmslosigkeit hast Du wirklich sehr gut rübergebracht. Diese Gleichgültigkeit. Ich kenne Menschen, auf die trifft sie durchaus zu.
Gefällt mir, die Story.

Grüßle,
stephy

 

hi schriftbild,

ja, belanglos, in der tat.
eine schöne darstellung der gleichgültigkeit.
das aussehen beim gähnen hat so viel bedeutung, wie der irakkrieg.

schön!

bye

barde

 

hallo Schriftbild!

ich finde Deine Geshichte sehr gelungen. Der Sitl, die Dialoge, erscheinen stimmung und flüssig, die Gleichgültigkeit kommt wirklich gut beim Leser an, kann mich da dem Lob nur anschließen. Schlimm, aber doch realistisch. Gut gemacht!

schöne Grüße
Anne

 

Hi Schriftbild,

einerseits eine eindrucksvolle geschichte, wie auch die anderen sagen. Es gibt das, denke ich, wirklich.
anderseits - die gleichgültigkeit, die du darstellst, wirkt bei mir etwas verallgemeinert, als wären alle so. und deswegen regte sich bei mir gleich ein innerer protest: "das ist doch nur eine ausnahme..." und auch bei einigem nachdenken, bleibe ich dabei: du schilderst eine ausnahme, aber das tust du sehr gut.

cu bigmica

 

Hallo Schriftbild,

Eine Geschichte, die nachdenklich stimmt und einen mit einem Gefühl zurück lässt, dass man irgendwie nicht mag.
Gerade weil wohl jeder es kennt wenn eine Beziehung schon längst abgestorben ist und nur noch aus Gewohnheit aufrecht erhalten wird.
Das allein ist schon traurig, doch dann baust du den Irak-Krieg mit ein und er interessiert Jan nur am Rande.

Alles zusammen eine bewegende Kostellation, die zum nachdenken anregt und lesenswert ist.

Schöner Stil übrigens! Liest sich flüssig.

Das Sternchen

 

Du hast es geschafft, das zunächst im Hintergrund Stehende mittels deiner Textintention spielerisch in den Vordergrund zu rücken und ihm somit eine hintergründige Wirkung zukommen zu lassen.

Das Motiv der Gleichgültigkeit bleibt im kompletten Textverlauf aufrecht bestehen und erzeugt nach einem oberflächlichen Lesen schließlich eine nachdenkliche Stimmung.

Eine nachdenklich stimmende Belanglosigkeit.

 

Du baust diese Atmosphäre zweier Menschen die sich eigentlich nichts mehr zu sagen haben aber trotzdem noch zusammen sind wunderbar auf und das grade der Irakkrieg losgebrochen ist und selbst das die beide nicht aus ihrer "mir alles egal" Haltung reissen kann verstärkt das nochmal :)

Gute Story.

*wink*

jaddi

 

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