Beim Friseur
Vorgestern war ich beim Friseur. Es ist immer das gleiche Drama. Ich setze mich in den Frisierstuhl, bekomme ein schwarzes Leichentuch umgehängt und dann geht der Ärger los. „Wie soll es denn werden?“ Die nette junge Dame sieht mich durch mein Spiegelbild freundlich an. „Na ja“, sage ich, „kurz!“ „Gut“, sagt sie, „und wie kurz?“
Damit nimmt das Unglück seinen Lauf. Woher soll ich wissen, wie kurz? Messe ich vielleicht jedes Mal die länge meiner Haare, wenn ich vom Friseur komme? Lass ich vielleicht jedes Mal ein Passbild machen, (was wahrscheinlich das beste wäre)?
„Na, die Ohren frei, an den Seiten kurz und oben angepasst“, sage ich. „Okay..“, sagt sie, „und wie kurz an den Seiten?“
„Sehr kurz.“
„Maschinenkurz?“
„Von mir aus.“
Das war’s. Das nennt man dann individuelle Kundenberatung. Verdrossen sitze ich in meinem Frisierstuhl, während die nette und meistens durchaus gutaussehende Friseuse, mich fröhlich in Homer Simpson verwandelt.
Und dabei redet sie unaufhörlich. Sie redet vom Wetter, sie spricht über ihre Wochenenderlebnisse, sie redet und redet und redet. Wenn sie doch nur so gut Haare schneiden könnte. Ich betrachte währenddessen mein Spiegelbild und überlege wo ich auf die schnelle einen Hut, oder eine Maske für den Heimweg her bekomme.
„Sollen die Koteletten dranbleiben, oder soll ich sie gerade abschneiden?“
Meint sie das ernst? Als ob das noch etwas ändern würde. Dieses Monstrum da im Spiegel kann nichts mehr retten. Ich betrachte mein Gesicht genauer, jetzt, da die Haare ab sind, kann ich diesen brutalen und kriminellen Gesichtsausdruck nicht mehr leugnen. Man wird mich verhaften, sobald ich dieses Geschäft verlasse. Was werden die Nachbarn sagen, was wird meine Frau sagen, (vorausgesetzt, sie erkennt mich)? Diese faltige Stirn und die listigen kleinen Augen, die wild umherblicken. Oh Gott, wie sehe ich nur aus? Keinen Cent werde ich dafür bezahlen. Die soll mich kennen lernen.
Ich kann nicht mehr hinsehen und schließe die Augen.
Ich fühle die Hände dieser Hexe auf meinem Kopf herumwuseln.
Dann höre ich die Stimme meiner Peinigerin: „Soll ich etwas Gel ins Haar tun?“
Na klar, denke ich, mein Leben – so wie ich es kannte - ist eh vorbei.
Wieder wuseln.
„So, fertig“, höre ich sie sagen.
Vorsichtig öffne ich die Augen. Ich blicke in den Spiegel und sehe etwas wunderbares. Ein junger gutaussehender Mann mit modernem Kurzhaarschnitt. Glatte hohe Denkerstirn und große intelligente Augen. Das kurze Haar verwegen mit Gel behandelt. Ja, das bin ich. So wie ich immer aussehen wollte.
„21 Euro“, lächelt sie mich an. Diese wunderbare Frau mit den Künstlerhänden.
„Aber gern“, erwidere ich, „bis zum nächsten Mal.“
Ich gebe ihr noch 10 Euro Trinkgeld, denn so ein Talent muss gefördert werden.
Mann, bin ich hübsch!