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- 28.03.2015
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Beim Friseur
Du lieber Spiegel an der Wand, was versuchst du mir zu sagen? Die Frisur, du hast recht, es ist schon wieder 6 Wochen her. Der Besuch der Haarschneiderin ist unumgänglich. Termin geplant. Auto fährt. Geld abgehoben. Betreten des Salons. Grüßen der Friseurin. Platz nehmen. Der Mann im Spiegel schaut mich an, ohne Ausdruck.
"Wie hätten sie es gerne?"
"Kürzer, aber nicht zu kurz."
"Soll ich so viel abschneiden?"
"So viel passt."
Oh du Spiegel, du Grässlicher, wie quälst du mich schon wieder? Die nächsten 20 Minuten werden zum Schaudern, sehe ich doch meinen Kopf sich verändern, in der Angst ich könnte doch hässlich werden. In einer Welt wo alles möglich ist und ich jeder sein könnte, will ich doch nur der sein der ich vor 6 Wochen war. Bitte verändere nichts, sehnt man sich doch nur nach Sicherheit. Aber auf der anderen Seite, die liebe Friseurin. Wie viel Verantwortung kann man euch bieten? Legen wir doch unser ganzes Selbstvertrauen in eure Hände, Finger und Scheren. Würdet ihr nicht arbeiten, wären wir doch hilflos. Wer würde uns hübsch machen, wodurch würden wir den Mut finden uns der Welt zu präsentieren? Doch nicht nur das ihr unser Aussehen ansehnlich macht, nein, ihr haltet auch noch Stille, wichtiger als das Arztgeheimnis ist doch euer Geheimnis. Verschweigt doch bitte die Schuppen die durch eure Hände wandern, die kahlen Stellen die ihr zu verdecken versucht, die fettigen Haare die ihr auf Vordermann bringt und die Nackenhaare die ihr entsorgt. Wer wäre ich ohne Haareschneider? Derselbe, nur ohne Selbstbewusstsein, also niemand. Doch nicht nur das tut ihr für uns. Nein ihr hört uns sogar zu. Seid ihr den nicht die Psychiater, für Menschen die glauben sie brauchen keinen Psychiater. Bitte liebe Friseurin, nimm mein ganzes Geld, verdient hast du es doch. Aber wie war das, 12,50 € reichen dir? Na gut, dann sagen wir 13 € und sei glücklich. Ich lege sogar ein "Danke" drauf. Die nächsten Wochen hast du mir verschönt, dafür vernachlässige ich dich bis zum nächsten Schnitt. Mein ganzes Geld verdienst nur du, würde ich ohne dich doch zu Hause verelenden. Doch die Gier verhindert es. Sie verhindert sogar, dass du mir Gel verleihen darfst, weil dies nur zusätzliche Kosten verursachen würde. Jeden Tag siehst du, wie du Menschen verschönst, doch das Alles für geringen Lohn und schlechten Ruf. Warum tust du das, liebe Friseurin? Streike doch und sieh dir die verzweifelten Menschen an. Wie ihre Haare wachsen und verwachsen. Aber du bist zu gutherzig und weißt nicht was du leistest. Schon betritt der Nächste den Operationssaal. Skalpell und los. Es fliegen die Haare und jemand kann wieder erleichtert in den Spiegel und in weiterer Folge in die Welt schauen. Nur die Friseurin kommt zu kurz, anders als die Haare.