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Beichtgeheimnis

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18.04.2013
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Beichtgeheimnis

Ich bin ein Versager. Ich hasse die Gesellschaft in der ich lebe, obgleich es mir gut geht, obgleich sich die Leute seit dem, was geschehen ist, ein wenig mehr achten. Ich muß nicht hungern in dieser Gesellschaft, obwohl ich meist zu faul zum Arbeiten bin. Nur dann und wann mache ich mich nützlich; nicht wie die Frauen und die Alten, die die Felder bestellen, die Unterkünfte ausbessern und Kleider nähen oder einander helfen; nicht wie die Wachmänner, die für Ordnung sorgen und uns vor den Angriffen umherziehender Banden schützen. Dennoch gehe ich nie mit knurrendem Magen zu Bett.
Die Menschen nennen mich Roy, wenn sie überhaupt mit mir reden. Wahrscheinlich wegen eines halb abgerissenen Aufnähers an meiner Lederjacke. Und sie behandeln mich mit Respekt. Ich bezweifle, daß dies mein richtiger Name ist, aber ich weiß es auch nicht besser. Seit dem, was geschehen ist, ist zu viel Zeit vergangen, in der mich niemand bei meinem Namen gerufen hat.
Ich trete nach Katzen und nach Tauben, wenn sie mir vor die Füße kommen, aber das passiert ohnehin nur noch selten. Ich bin kein Trunkenbold, kein Schläger, kein Dieb und trotzdem irgendwie der Paria dieser Stadt zwischen den Autos. Freunde habe ich nicht, ich bin nicht einmal mein eigener Freund. Ich bin permanent damit beschäftigt mich abzugrenzen, weil ich die Menschen verabscheue.
Ich glaube auch an keinen Gott, das tun mittlerweile die Wenigsten. Ich bin getauft und konfirmiert, aber irgendwann habe ich meinen Glauben verloren, ob all der Ungerechtigkeit, die ich auf dieser Welt erlebt habe.
Nur an eines erinnere ich mich noch gut: Als wir im Konfirmandenunterricht über die Offenbarung des Johannes redeten. Ich hatte sie gelesen, einfach so. Und aufgrund der vielen und gewaltigen Bilder war ich überwältigt, von dem was da kommen sollte und schockiert, von der Vorstellung, daß es in meiner Welt geschähe. Mir war unbegreiflich, daß das, was Antichrist heißen würde, ein Mensch sein sollte, vielmehr erwartete ich ein dämonisches Tier. Ein Ding, das in der Lage sein mußte, Menschen zu töten ohne zu zögern. Mich gruselte die Vorstellung, daß der, welcher der Antichrist sein würde, vielleicht schon auf dieser Welt lebte, unerkannt, vielleicht in diesem Moment, in dem wir über ihn sprachen, ein unschuldiges Kleinkind. Natürlich interessierte mich, ob es Vorzeichen geben würde, noch bevor das erste Siegel aufgebrochen würde. Wir alberten rum, um uns von der bedrohlichen Stimmung ein wenig zu abzulenken. Alle stellten die verschiedensten Mutmaßungen an und in diesem Zusammenhang sagte unser Pfarrer, nur so nebenbei und vielleicht ohne es allzu ernst zu meinen und durch seinen Bart lächelnd diesen einen Satz: „Dann müßte es aber schon im August schneien.“
Und als ich einige Jahre älter war und im Großen und Ganzen mit allem Religösen gebrochen hatte, da fing es bereits im August mit dem Schneien an.
Ich kann nicht beschreiben, was dann geschehen ist, weil es mich, ehrlich gesagt, nicht interessierte. Aber irgendwie ging alles den Bach runter. Ein Großteil der Menschheit starb, ausgerechnet ich überlebte.
Jetzt bin ich schon über ein Jahr in dieser Stadt, die alle die Eisenstadt nennen, und ich finde das Leben mit all diesen Menschen unerträglich. Aber wenn ich die Stadt verlassen würde, würde ich mit Sicherheit sterben. Ich bin kein Held, wie die Wanderer, die immer wieder hierher kommen, und nach Sterben ist mir nicht zu Mute. Also bleibe ich und schäme mich manchmal vor mir selbst, so wie in diesem Moment, in dem mir klar ist, daß mein Tod eigentlich eine vernünftige Lösung wäre.
Aber ich werde nicht weichen, für Niemanden, ich bleibe und ich bleibe stur. Und wenn ich irgendwann abtrete, dann werde ich diesen gütigen Menschen nichts als meinen bitteren, toten Körper hinterlassen.

 

Hallo Gilead Kinski,

Die Idee zu deiner Geschichte mag ich - dass jemand, der seinen Glauben verloren hat, trotzdem auf religiöse Bilder zurückgreift, um seine Situation zu beschreiben. Für postapokalypstische Sachen bin ich sowieso zu haben. Und die Art, wie es geschrieben ist, gefällt mir eigentlich auch. Dein Erzähler benutzt viele kurze Sätze, als hätte er keine große Lust, etwas zu sagen, aber an der Wortwahl merkt man trotzdem, dass das ein relativ gebildeter Typ ist. Das ist gut gemacht, finde ich.
Das war jetzt einiges an Lob, aber mein Gesamturteil fällt dann leider doch nicht 100% positiv aus. Ich erkenne einen guten Ansatz, aber das stellt mich noch nicht zufrieden.

Da findet keine richtige Geschichte statt. Alles spielt sich nur im Kopf des Erzählers ab. Der ist mies drauf und hat auch nicht die Energie, etwas dagegen zu unternehmen. Das ist zwar in Anbetracht seiner Situation sicher nicht unrealistisch, aber so eine Figur kann halt eine Handlung nur schlecht vorantreiben, und gibt deshalb keinen besonders guten Protagonisten ab. Wenn ich eine Geschichte lese, dann will ich Action sehen. Das meine ich nicht im Sinne von "jede Geschichte braucht mindestens eine Schießerei und/oder Verfolgungsjagd", aber es sollte sich etwas bewegen. Am Ende sollte etwas anders sein als am Anfang. Das hier ist statisch, da schreibt jemand sehr ausführlich über seine momentane Stimmung. Wenn ich sowas lesen will, gibt es genügend Blogs im Internet ;).

Deshalb wäre ich sehr dafür, dass du der Geschichte noch ein Element hinzufügst, was dafür sorgt, dass eine Handlung in die Gänge kommt. Das könnten verschiedene Dinge sein. Vielleicht passiert etwas, was den Erzähler doch aus seiner Lethargie reißt und etwas unternehmen lässt. Oder vielleicht gehst du genauer darauf ein, wie er eigentlich an den Punkt gekommen ist, an dem er jetzt ist. Die Apokalypse ist ja hier nur sehr vage angedeutet, dass könnte ruhig ein bisschen ausgemalt werden.

Irgendwo hast du zwei, drei Stellen wo "dass" mit ß geschrieben ist statt ss, aber ich habe diese Woche ein deutliches Schlafdefizit angesammelt und nehme das jetzt als Ausrede für meine Faulheit, die nicht noch mal rauszusuchen :).
Ansonsten gab es auch eigentlich nichts im Text, woran ich herumgemeckert hätte, bis auf den Mangel an Handlung eben. :)

Grüße von Perdita

 

Lieber Gilead,

im Wesentlichen kann ich mich Perdita nur anschließen. Wobei ich vorweg sagen muss: Die suggestive und Bilder aktivierende Sprache hat mich gleich am Anfang in ihren Sog genommen. In einen Blog würde ich Deinen Text nicht stellen, zumindest nicht in dem Verständnis von "Da schreibt sich jeder alles Mögliche von der Seele" - es ist auf jeden Fall mehr, auf jeden Fall literarischer! Nur: Das Potenzial, das Du in Deinem Text aufbaust, bleibt dann leider zum größten Teil ungenutzt.

Hier meine auch nicht, wie Perdita es so schön formuliert, "jede Geschichte braucht mindestens eine Schießerei...", und es muss auch sonst kein episches Riesengebäude errichtet werden. Trotzdem ist die Selbstreflexion Deines Protagonisten meines Erachtens eher der Auftakt zu einem komplexeren Geschehen. Dabei kann die Haupthandlung durchaus auf der inneren Reflexionsebene bleiben, bräuchte aber Bewegung im Sinn eines Gegenspielers oder einer Situation, die in der Vergangenheit angesiedelt sein kann, aber in die Gegenwart hineinspielen muss. Die fehlende Dynamik hat letztendes auch mir dann das Interesse an der Situation entzogen. Dass der Sprecher in seiner trotzigen Verachtung und Verbitterung bleibt, ist nichts Neues mehr, wenn es keine Entwicklung gibt. Und auch eine Entwicklung muss kein Vorher oder Nachher beinhalten, so etwa, am Schluss ist doch noch ein Menschenfreund aus ihm geworden und aus seinem Hader mit Gott ein kindliches Vertrauen, aber sie kann dem Leser beispielsweise aufzeigen, wie sich alles für den Protagonisten entwickelt hat. Und wenn der Leser nur mitverfolgt, wie sich ein schon vorhandenes schwermütiges Wesen nur verfestigt und verhärtet, kann das für eine KG schon spannend genug sein. Der hauptsächliche Träger der Spannung ist dann die Sprache, ihre vielfältigen spielerischen Einsatzmöglichkeiten, ihre Musikalität udn Dramaturgie, und die ist bei Dir vorhanden. Schreiben kannst Du.

Ob die Apokalypse breit oder schmal geschildert wird, ist eine technische Frage. Um die man allerdings nicht herum kommt: Was hat denn die Apokalypse ausgelöst? Was bedeutet der August_Schnee - wenn es überhaupt eiN Schnee war? Warum lauert außerhalb der Eisernen Stadt (ein gutes Bild für die psotapokalyptische Trostlosigkeit wie auch die innere Verhärtung des Protagonisten) der Tod? ist es radioaktive Strahlung oder laufen mutierte Monster herum, deren Vorfahren Ratten (oder Menschen) waren? Nichts davon muss mir wissenschaflticher Ausführlichkeit behandelt werden, es reichen Andeutungen, die die Fantasie des Lesers selbstständig auf Reisen schicken. In der dargebotenen Kürze fühle ich mich aber fast auf ganzer Länge unbefriedigt, und letztendes bricht die Geschichte dort ab, wo sie gerade richtig in Fahrt kommen könnte. Eine Gefahr, die ich allerdings selbst kenne und die mich von manchem Entwurf dann auch wieder abbringt... aber das nur am Rande.

Wie geht es denn weiter? Oder was ist alles passiert? Vielleicht erfahre ich es ja noch - ich wäre gespannt...

Nun hoffe ich, dass meine Worte nicht an manchen Stellen zu harsch waren, das sollen sie auf keinen Fall sein. Sondern anregen, Möglichkeiten zur Verbesserung bzw. in Deinem Fall zum Ausbau des Geschehens aufzeigen. Selbst möchte auch ich nur das ehrliche und gerne ausführliche feedback, denn auf diese Weise können wir alle am meisten voneinander lernen. Ich freue mich, wenn ich künftig wieder etwas von Dir lesen kann!

Herzliche Grüße
Roger

 

Hallo Perdita,
Hallo Roger,

vielen Dank für eure Stimmen zur Geschichte. Die Kritik war keineswegs harsch, da braucht ihr euch keine Sorgen zu machen.
Das ß ist ein "Fetisch" von mir (mit dem ich die Rechtschreibreform verweigere), manchmal verwende ich es auch falsch.

Diese Geschichte ist eine von mehreren, die sich inhaltlich um ein halbgares Romanmanuskript, in dem es um genau die Apokalypse geht, scharen. Im Prinzip "Appetizer". Manche der Kurzgeschichts-Gestalten finden sich auch in dem Manuskript wieder.

Die Geschichte in der Geschichte soll eigentlich die Geschichte vom Schnee im August sein. Und da ist richtiger Schnee gemeint, kein atomarer Ascheregen (sorry). Roy ist-war also einer, der die Zeichen erkannt hat. Und dem es trotzdem relativ egal war-ist.


Grüße
Gilead

 

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