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Beichte
„Er sieht aus wie eine Kirche in einer Kirche.“ Die breite Straße führte sie über einen Berg nach Hause. Da nur selten Autos vorbeifuhren, kickten die Jungen beim Gehen den Fußball von einer Straßenseite zur anderen. „Weißt du schon, was du sagst?“, fragte er seinen Freund und spielte ihm den Ball zu. Seit Tagen schwirrte ihm das Thema im Kopf herum. Seit dem letzten Kommunionsunterricht, als der Pfarrer eine Probebeichte für das nächste Mal angekündigt hat. Im Beichtstuhl.
„Ist doch egal.“ Sein Freund passte den Ball zu ihm, ohne hochzuschauen. Sie kannten sich seit der ersten Klasse. Für ihn war es die zweite erste Klasse. Das nahmen immer wieder Kinder zum Anlass, ihn zu hänseln und auszulachen. Sein Freund hielt meistens zu ihm. „Mache ich mir Gedanken drüber, wenn ich in der Schlange stehe“, sagte der Freund, blieb kurz stehen und lächelte ihn an. Er verzog daraufhin sein Gesicht zu einem Lächeln.
Er war sich nicht sicher, ob es einen Gott gab, aber jedes Mal, wenn er in der Kirche saß, fühlte er diese Ehrfurcht. Die feuchte Kälte, die langgezogenen, gesanghaften Worte des Pfarrers, der Weihrauch, all das schärfte seine Sinne. In der Kirche fühlte er sich mehr bei sich als woanders. Außerdem – die erwachsenen Männer, die diese wundersamen Rituale, ernsthaft und feierlich betrieben, konnten doch nicht alle irren, dachte er. Und wenn es einen Gott gab, sollte man nach seinen zehn Regeln spielen, bevor man in der Hölle endete wie Onkel Ignaz. Der hatte sich zu Tode gesoffen und war eines Tages am helllichten Tag auf der Straße gestolpert, während andere Menschen ihre Einkäufe erledigten oder ihre Kinder vom Kindergarten abholten. Er war mit dem Kopf auf den Bürgersteigrand geknallt und hatte sich dabei das Genick gebrochen. Der Teufel hatte ihn geholt, hatte ihm seine Großmutter später erzählt.
„Gehen wir noch auf den Bolzplatz?“, fragte ihn der Freund. Mit dem Fuß hatte er den Ball gestoppt und nahm ihn in die Hände.
„Nee, keine Lust. Ich gehe nach Hause.“
„Echt jetzt? Was ist denn los?“ Er drehte den Ball in seinen Händen.
„Ach, nichts, bin müde. Hab schlecht geschlafen.“
„Du klingst ja wie meine Mutter. Bis morgen.“ Dribbelnd lief der Freund den Berg runter. Er schaute ihm nach, bis er am winzigen Bolzplatz ankam und von den Anderen, klein wie Ameisen, begrüßt wurde.
Zu Hause schloss er die Tür auf, betrat die Wohnung. Still war es. Still wie selten. Er legte seinen Ranzen im Flur ab. „Hallo“, grüßte er, ohne Antwort zu erhalten, „Haaallo.“ Keiner da? Er schaute schnell die Räume durch. Die Eltern waren noch in der Arbeit, das war klar. Aber wo war die Großmutter? Die war um diese Uhrzeit eigentlich immer da. Seine kleine Schwester spielte bestimmt bei den Nachbarn und wo sich der große Bruder rumtrieb, wusste nur der liebe …
Aufregung durchfuhr ihn. Er lief schnell aufs Bad und holte Klopapier. Jetzt da keiner zu Hause war, konnte er die Gelegenheit ergreifen und seiner Geilheit nachgehen. Sie verfolgte ihn seit einiger Zeit überallhin. Sie nervte ihn. Nicht nur, dass er sich schlecht fühlte, weil es verboten war. Nein, in der Enge der Wohnung musste er immer zusehen, wo er seinem Trieb ein Ende setzen konnte.
Er legte sich in sein Bett und machte den Reisverschluss seiner Hose auf. Sein Blick fiel auf die Madonnenfigur, mit dem Baby im Arm, im blauen Gewand stand sie auf dem Schrank. Egal, dachte er und schloss die Augen. Wenn jetzt jemand reinkäme, würde er so tun, als hätte er sich zum Ausruhen hingelegt. Er schob die Hose unterhalb seines Pos und die Unterhose hinterher. Das Laken fühlte sich kalt an. Schon der Gang ins Kinderzimmer mit dieser Absicht im Kopf hatte sein Glied steif werden lassen. Meistens hatte er nicht viel Zeit und rieb sich den Penis bis zum Samenerguss schnell und heftig. Wie ein Pflichtprogramm, damit er weitermachen konnte im Alltag. Jetzt aber brauchte er sich nicht zu beeilen, es war keiner da.
Die Madonna starrte ihn wieder an. Er hatte die Augen versehentlich geöffnet. Er drückte sie wieder zu. Ihr Bild sah er trotzdem. So konnte er nicht entspannen. Er sprang auf, lief mit heruntergezogener Hose zum Schrank und drehte die Figur um 180°. Besser, dachte er und legte sich wieder ins Bett. Mit der Hand streichelte er seinen Penis. Das Glied zuckte vor Erregung. Es sah aus, als würde es den Kopf heben, um guten Tag zu sagen. Mit den Fingerspitzen massierte er die Eier. Sacht, aber nicht so, dass es kitzeln würde. Mit mehr Druck nahm er die Eier in seine Hand und knetete sie, schob sie hin und her im Sack. Seine Aufmerksamkeit galt jetzt nur seinem Sack, den Eiern und seinem Penis. Und den wollte er gleich wieder anfassen und packte ihn fest. Hoch und runter rieb er den Schaft, steigerte das Tempo und den Druck der Bewegung. Die Hand machte ihre Arbeit jetzt von alleine, seine Aufgabe war die Lust im Penis zu spüren. Und seine Aufgabe machte er gut, seeehr gut, er war ein guter Lustschüler, dachte er. Da konnte er schon keine regelmäßigen Atemzüge mehr nehmen, nur noch flache Hechelzüge. Alle Muskeln im Po waren angespannt. Der Druck der Hand wurde immer stärker, bis er merkte, dass es kein Zurück mehr gab. Wenn er jetzt die Augen öffnen würde und seine Eltern vor dem Bett stehen würden – er müsste genau so weitermachen, wie er es jetzt tat.
Er versuchte noch Luft einzuatmen, als die Flüssigkeit aus seinem Penis schoss. Seine Arschbacken zuckten ins Laken. Er hatte keine Geräusche gemacht. In einer Drei-Zimmer-Wohnung mit sechs Personen, lernte man schnell, es leise hinter sich zu bringen.
Er ließ keine Zeit verstreichen, wischte sich das Sperma gleich vom Bauch. Unwohlsein überkam ihn. Es saß im Bauch. Er fühlte sich eklig. Warum konnte er das nicht lassen? Er hatte es sich mehrfach vorgenommen, damit aufzuhören. Er musste sich mehr im Griff haben. Ab morgen ist Schluss damit, dachte er, endgültig. Die Madonna hatte nichts gesehen. Zum Glück. Auf dem Weg ins Bad drehte er sie wieder um. Sie schaute eigentlich freundlich.
Im Badezimmer sah er in den Spiegel. „Na, biste stolz auf dich?“ fragte er sich selbst, „Willst du wie Onkel Ignaz enden? Willst du, dass dich der Teufel holt?“
Nach der Schule spielte er mit den Jungs Fußball auf dem Bolzplatz. Vom Bolzplatz gab es zwei Wege nach Hause. Einen kurzen und einen an einem Abrisshaus vorbei. Er bevorzugte den am Haus. Dort konnte er unbemerkt den Penis umfassen, hoch- und runter bewegt, bis er kam. Damit war ja jetzt Schluss. Ohne darüber nachzudenken hatte er trotzdem den Weg am Abrisshaus eingeschlagen. Vermutlich hatte er es nicht gemerkt. Drei Tage hatte er durchgehalten. Wo ich aber schon hier bin, dachte er, kann ich vielleicht kurz meinen Penis befühlen, ganz ruhig und vor allem ohne Höhepunkt. Ohne diesen Orgasmus, der einem die Gesichtszüge so furchtbar entgleiten ließ.
Im Haus hatte er einen Platz, den er immer aufsuchte. Der geschützt war. Er setzte seinen Ranzen ab und ließ die Hose runter. Heute war sein Penis besonders prall. Die erste Berührung war intensiv und löste gleich das Verlangen nach mehr aus. Ein bisschen hin- und herreiben, dachte er sich, kann nicht so schlimm sein. Ich muss einfach im richtigen Moment zum Schluss kommen. Er hielt ihn in der rechten Hand wie immer und bewegte die Haut hoch und runter, nur nicht so stark und nicht so fest. Nur ein bisschen. Nur, dass es sich gut anfühlte. Ein bisschen mehr, dass es sich ein bisschen besser anfühlte. Das klappt doch gut, dachte er. Bevor es auf den Orgasmus zugehen würde, würde er einfach an den Bolzplatz denken. Genau, aber jetzt noch etwas mehr Druck und noch ein bisschen schneller.
Als er an den Bolzplatz dachte, hatte er schon abgespritzt. Scheiße, dachte er. Klopapier hatte er nicht dabei. Aber es war alles trocken. Das konnte nicht sein. Er schaute sich um. Die Wichse war auf seinem Ranzen gelandet. Scheiße, scheiße, dachte er. Er hatte den Teufel herausgefordert. Schnell zog er die Hose hoch und wischte mit Blättern und Stöckern das Sperma vom Ranzen. Es wurde zu einer dunklen, dreckigen Brühe. Scheiße, scheiße, scheiße, dachte er. Je mehr er versuchte, es wegzuwischen, desto mehr rieb er es in den Stoff. Heute Abend würde es dafür vom Vater Prügel geben, dachte er und wischte sich mit dem Pulliärmel die Tränen aus den Augen.
Als er die Wohnung betrat, stieß er auf seinen Bruder, der im Begriff war zu gehen.
„Was ist mit dir los?“, fragte der Bruder. Die Angst vor den Gürtelschlägen des Vaters hatte ihm auf dem Rückweg immer wieder die Tränen in die Augen getrieben. Es hatte sich selber leidgetan. Vielleicht waren aber auch die Schläge vom Vater eine gerechte Strafe, dachte er. Zumindest besser als der Genickbruch von Onkel Ignaz.
„Aufm Bolzplatz hat mir jemand meinen Ranzen eingesaut. Vater verpasst mir ´ne Tracht Prügel dafür. Das weiß ich.“ Er konnte seinem Bruder nicht in die Augen schauen. Das Lügen lag ihm nicht. Grundsätzlich nicht und bei dem Bruder schon gar nicht.
„Lass mal sehen“, er nahm den Ranzen in die Hand, „Iiiiiiii…sieht ja eklig aus und stinkt. Wollen wir es im Bad schnell wegmachen? Dann merkt er es nicht.“
Er nickte.
„Man, das war ja ein Drecksschwein, das das hier veranstaltet hat“, schmunzelte der große Bruder und schrubbte mit einem schaumigen Schwamm am Fleck herum. Heißes Wasser im Waschbecken vernebelte das innenliegende Badezimmer. Ließ den Spiegel beschlagen. Er schmunzelte auch. Ohne es zu wollen, sah er die Bilder vor sich, wie er mit den Blättern das Sperma wegzureiben versuchte. Er war das Drecksschwein, dachte er und begann zu lachen. Das Lachen war wie aus dem Nichts gekommen und hatte sich sogleich verselbstständigt. Nicht, dass der Bruder noch Verdacht schöpft, dachte er, du muss damit aufhören. Doch immer, wenn er es versuchte, sah er wieder die Bilder. Wie er mit den Blättern die Schmiere in den Stoff rieb und prustete wieder los. Sein Bruder stieg mit ein und beide standen im Bad, lachten und wieherten, dass die Wände bebten und die Nachbarn von unten an die Decke klopften. Vielleicht war es auch die Schwester, die ins Bad wollte.
Abends im Bett las er ein Micky Maus Comic. Eigentlich guckte er sich nur die Bilder an. Sein Bruder lag über ihm im Hochbett. Gegen neun kam die Mutter ins Zimmer, gab beiden Söhnen einen Kuss und zeichnete ihnen ein Kreuz auf die Stirn.
„Um halb zehn macht ihr das Licht aus. Gute Nacht und schlaft ruhig.“
„Gute Nacht“, antworteten sie und lasen weiter, jeder für sich.
„Sag mal, was hast du damals bei der Beichte gesagt?“, fragte er, nachdem er seinen Mut zusammengesammelt hatte.
„Na, ich hatte mir immer was überlegt. Ich sagte sowas wie ich habe gelogen, ich habe mein Zimmer nicht aufgeräumt, ich habe nicht auf meine Eltern gehört … Je mehr man sagt, desto besser.“
„Und wenn das, was ist, da nicht so reinpasst?“ Er machte eine Pause und fügte hinzu:
„Ich sage dir aber nicht, was es ist. Schmink´s dir ab!“ Angriff war manchmal die beste Form der Verteidigung.
„Dann vielleicht noch allgemeiner … Was hältst du von ich war unartig?“ Er hörte seinen Bruder oben umblättern und blätterte auch um, obwohl er die letzten Seiten gar nicht richtig angesehen hatte.
Nachts wachte er auf und hatte sofort den Beichtstuhl vor Augen. Sein Puls war hoch. Wozu überhaupt diese Trennwand im Beichtstuhl, fragte er sich. Der Pfarrer würde ihn doch an seiner Stimme erkennen. Er konnte nicht wieder einschlafen. Der Pfarrer war streng und duldete keine Schwäche. Vielleicht konnte er im Beichtstuhl sogar in seinen Gedanken lesen oder an seiner Stimme hören, dass es noch mehr Sünden gab. Erst kurz bevor der Wecker klingelte, schlief er ein.
Noch im Schlafanzug führte ihn sein erster Gang am Morgen zu seinem Ranzen. Der Fleck war viel heller, fiel kaum mehr auf. Die Madonna auf dem Schrank lächelte. Freundlich und gütig wie immer. Sein Bruder war gerade im Bad, er würde gleich zurück sein. Eilig nahm er die Madonna vom Schrank und verstaute sie in der Schublade zwischen seinen Socken. Danach schüttelte er das Kissen seines Bettes auf und die Decke. Wenn er sich heute Abend in sein Bett legen würde, dachte er, würde er es überlebt haben. Dann würde er die Madonna wieder auf den Schrank stellen. Dann würde er es auch nie wieder tun.