Begleitung der besonderen Art
Die großen Sommerferien sind und damit auch die teure und massenhafte Familienreisezeit, zu Ende. Jetzt endlich beginnt meine Saison und deshalb laufe ich auf der Suche nach einem Schnäppchenflug, in den noch sonnigeren Süden, am Flughafen durch die Reihen der „Last Minute“ Anbieter. Hier sehe ich in großer Menge die gewöhnlichen Angebote zu beliebten Inselzielen innerhalb Europas. Aber auch dieses mal, wie so oft, ist das nichts für mich. Ich will weit, wie fast immer, richtig weit weg. Auch die Türkei ist mir bei weitem zu nah, selbst wenn die Verlockung zu einem Billigpreis, im fünf Sterne Hotel mit all dem Luxus Ambiente zu wohnen, für manch anderen groß sein mag. Nein, exotisch, gerne etwas weniger komfortabel, aber vor allem individuell soll es sein. Am liebsten „Nur Flug“, ohne Hotel und sonstiges überflüssige Animationszubehör.
Ich beschließe spontan die junge Frau am Reisebüroschalter ganz hinten links nach aktuell angebotenen Zielen zu befragen.
Mit erwartungsvollen Schritten gehe ich auf sie zu.
„Hallo.... ich suche einen Flug.... vielleicht Richtung Asien.... Abflug heute....morgen oder übermorgen.“
„Asien..... mal sehen......, ja klar“ sagt sie nach kurzem Überlegen und deutet während sie sich leicht auf ihrem Stuhl dreht mit der Hand auf ein Angebot das an der Wand heftet. „Haben wir..... Colombo.... Sri Lanka….. heute Abend für vierzehn Tage.... nur Flug.... mit Condor.....398 Euro“.
Sofort sagt mein Gefühl dazu ok.
„Heute noch.....? Super.....buchen!“ sage ich halblaut vor mich hin.
„Moment“ ergänze ich „wann fliegt die Maschine?“
Immerhin ist es ja schon drei Uhr nachmittags, denke ich.
„Die Condor nach Colombo..... ich glaube….immer 20:30....Moment bitte.... ich schaue im Computer nach.“
Graziös und schnell gleiten ihre flinken Finger über die Tastatur. Mein Blick wandert von den Händen über ihren Oberkörper auf ihr Gesicht und ich erkenne eine anmutige Sanftheit in ihrer anziehend weiblichen Ausstrahlung, während sie mit blauen Augen den Monitor fixiert.
„Ja, 20:30...... Sie sollten allerdings spätestens 19:30 einchecken!“
Schnell blicke ich auf meine Uhr.... 15:10 zeigt sie.
Die Zeiten rasen durch meinen Kopf. Eine Stunde von hier nach Hause, packen, duschen etc., wieder eine Stunde, eine Stunde zurück, macht zusammen drei Stunden.
„Ja, kann ich schaffen, kein Problem“.
„Ok,... wenn Sie buchen möchten..... dann brauche ich Ihren Namen, Geburtsdatum und anschließend Ihre Kreditkarte oder wenn Sie cash zahlen möchten, den Reisepreis in bar“.
Unsere Blicke treffen sich, dabei lächelt sie unverschämt bezaubernd. Ob es ein Verkaufsroutinelächeln ist, oder etwa eines für mich, kann ich leider nicht unterscheiden. Vielleicht ist es auch besser so, wer weiß.
Ich nenne Ihr meinen Namen, ebenso alles andere gewünschte und zahle bar.
„Das Ticket erhalten Sie dann direkt vor Abflug am Condor-Schalter auf Terminal B. Ich wünsche Ihnen einen guten Flug und eine angenehme Reise“.
„Ja danke.... Terminal B..... Condor.... vielen Dank.... und auf Wiedersehen!“
Mit eiligen Schritten und großer innerlicher Vorfreude auf die Reise gehe ich in Richtung Parkplatz.
Beschwingt mache ich unterwegs einen kleinen Luftsprung und schon stehe ich vor meinem alten Mercedes Diesel. Ich schließe auf und setze mich hinein, ein Blick zurück, während ich zünde und den Rückwärtsgang zum Ausparken einlege.
Jetzt nur schnell nach Hause, den Rucksack packen, Pass nicht vergessen.
Auf der Autobahn erscheint vor meinem geistigen Auge schon die indische Welt mit Gerüchen, Menschen, Chaos und ich fahre wie berauscht, automatisch.
Zu Hause angekommen nehme ich zwei Stufen auf einmal über die Treppen zu meinem geliebten Mansardenappartement, nachts mit freiem Blick auf die Sterne der Milchstraße.
Angekommen im obersten Stock öffne ich die Tür.
Also, Pass ist das wichtigste denke ich und krame ihn aus der Schublade meines Schreibtisches. Dann das übliche. Ein paar Shirts etc. sind schnell gepackt. Ich mag kein großes Gepäck, auch keine Koffer. Alles muss in den kleinen Rucksack passen, wie immer.
Fertig. Während ich mich im stehen ausziehe um schnell noch zu duschen, greife ich zum Telefonhörer und rufe einen meiner besten Freunde auf seinem Handy an um ihm zu sagen das ich eine Weile nicht da bin, in der Hoffnung, dass sich danach automatisch mein plötzliches Verschwinden durch Mundpropaganda herumspricht.
Denn einmal ist es mir schon passiert..... Eine ebenfalls spontane Reise vor zwei Jahren. Ich hatte mich nirgends abgemeldet. Dadurch kamen liebe Menschen auf die Idee mir sei etwas zugestoßen und ließen in Begleitung der Polizei meine Wohnung aufbrechen, nur um anschließend zu sehen das sie leer war und ich nicht tot darin. Na ja, war ja gut gemeint. Ich lasse das Wasser der Dusche laufen denn es dauert immer eine Weile bis es warm genug ist und hab Alex erreicht. Er freut sich mit mir und gibt mir gut gemeinte Ratschläge, er wollte gern spontan mit.... aber leider....die Arbeit. Das Wasser tut gut und erfrischt.
So, jetzt noch schnell das Handgepäck. Wie immer dazu meine Leica Kamera mit zwei Optiken und etwa zehn Filmen. Filme habe ich immer genügend zu Hause, denn ich bin begeisterter Fotograf. Alles schnell verstaut in die alte stabile Ledertasche der niemand ansieht wozu sie dient.
Ein suchender Blick rundum im Raum, dann öffne ich die Tür.
Die Treppen hinunter gehe ich langsamer, denn ich prüfe in Gedanken eventuell vergessenes.
Nichts. Na dann los. Unten auf der Straße schließe ich meinen Wagen wieder auf und fahre, heute zum zweiten mal, zum Flughafen.
Es ist heiß, ich öffne das Fenster und steuere vergnügt, in Erwartung meines kleinen Abenteuers, den Daimler aus der Stadt.
Feierabendverkehr, verbunden mit Stau. Die Uhr neben dem Tacho zeigt 17:30. Zeit genug denke ich, auch unter diesen Umständen. Nach den ersten Kilometern auf der Autobahn verflüchtigt sich mit einem mal das Gedränge und es geht in schneller Fahrt dahin. Ich schließe das Fenster und gebe Gas. Es wird wärmer im Auto, ich habe keine Klimaanlage. Mir wird heiß und ich schwitze leicht. Vielleicht war das der Grund warum eine gewöhnliche Stubenfliege plötzlich von irgendwoher auf mich zugeflogen kommt, meinen Kopf ein paar mal umkreist und ständig auf meinem Gesicht landen will.
Ich wedle ein wenig mit einer Hand um sie zu verjagen. Es nützt nichts.
Immer wieder umsurrt sich mich und wird dabei langsam lästig.
Nun, ich bin ein Tierfreund, im kleinen wie im großen. Ich öffne nicht einfach das Fenster, in der Hoffnung der einströmende Fahrtwind möge sie durch seine ebenfalls entstehende Sogwirkung hinausschleudern und bei Tempo 140 die verzweifelt schlagendenden Flügel aus dem Leib reißen um sie anschließend meinem Hintermann auf die Scheibe knallen zu lassen, auf das sie ausgesurrt hat.
Im Gegenteil. Ich mache mir um das kleine Tier Sorgen! Wir leben alle auf dieser schönen Welt und haben alle das gleiche Lebensrecht. Bewusst oder unbewusst! Egal. Die Spezies Fliege lebt seid immerhin 200 Millionen Jahren auf dieser Erde, das muss man sich mal vorstellen. Wer bitte hat denn hier das ältere Hausrecht? Wir alle sind Gast in ihrer Welt!
Ich könnte nie, zumindest nicht absichtlich eine Fliege erschlagen. Ein Mensch der dies kann, tut mir regelmäßig mehr leid als die erschlagene Fliege. Er hat vom Leben noch immer nichts verstanden.
Ich kann sie noch nicht mal einfach so im Wagen lassen, denn wenn ich nun vierzehn Tage nicht da bin und das Auto steht in der prallen Sonne, sind die Innentemperaturen die entstehen, auch einer Fliege wohl nicht besonders zuträglich. Ich habe keine Lust sie dann bei meiner Rückkehr tot auf dem Armaturenbrett liegen zu sehen, nur um dann ein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich nicht versucht habe, sie mit hohler Hand zu fangen und sie aus dem Wageninneren in den schönen Spätsommertag zu entlassen. Ich beobachte also gleichzeitig den Verkehr draußen und die Fliege drinnen. Ich bemerke, dass sie sich um Auszuruhen, entweder auf das obere Teil des Lenkrades setzt, oder auf den Schalthebel rechts unten neben mir.
Ich konzentriere mich auf Ihren Flug. Einen Landeversuch auf meine Nase vereitle ich durch Blasen mit der gewölbten Unterlippe nach oben. Fast möchte ich ihr zu Willen sein, sicher hat sie nur Durst und will eine Schweißperle als Getränk. Aber die Gewohnheit in uns lässt dies nicht zu. In diesem Moment fliegt sie zum Schalthebel, setzt sich oben auf den Knauf und fängt an, sich die Hinterbeine zu putzen, indem sie sie gegeneinander reibt. Günstige Gelegenheit denke ich. Ein rundum Sicherheitsblick nach draußen sagt mir, dass der Verkehr ohne besondere Vorkommnisse ruhig fließt. Schnell wölbe ich meine rechte Hand setzte sie ein wenig versetzt hinten rechts an und verringere langsam den Abstand zur Fliege, um mich möglichst nah an sie heran zu pirschen und sofort schnell zugreifen zu können. Sie merkt nichts von meiner Absicht. Schlaue Fliegen starten immer, wenn sie flüchten, nach hinten los, das ist ihr Trick. Aber wenn man den durchschaut hat, ist es eigentlich ein leichtes sie zu fangen, denn dann fliegen sie dem Fänger entgegen. Meine Position ist günstig. Mit einem schnellen Zug durch die Luft fange ich das Tier in der holen Hand und im Moment ihrer Flucht. Es kitzelt und krabbelt ein wenig in meiner Faust und ich bin froh das sie scheinbar nicht gequetscht worden ist. Ich sehe nach draußen auf den Verkehr. Alles normal. Ich schwimme gleichmäßig mit meinem Vorder- und Hintermann dahin.
Aber was jetzt, was soll jetzt aus meinem Gast in der Hand werden? Hinaus aus dem Fenster kommt nicht in Frage, jedenfalls nicht bei der Geschwindigkeit. Gleichzeitig will ich meinen Erfolg feiern und eine Zigarette rauchen, dazu brauche ich aber beide Hände, denn ich drehe mir sie selbst. Wohin denn nur mit meinem kleinen Freund? Da fällt mein Blick auf meine Ledertasche auf dem Beifahrersitz mit meinen Fotosachen. Eine Filmdose, vielleicht habe ich eine leere Filmdose. Und mir fällt ein das die leere Dose des Films der in der Kamera ist, noch unter dem Aschenbecher in der Ablage liegen muss. Ich schließe also mit der geschlossenen Faust den Aschenbecher und tatsächlich, unterhalb liegt eine leere milchig weiße, fast durchsichtige Filmdose.
Jetzt lenke ich mit den Knien das Auto und greife mit der linken Hand nach der runden Dose und öffne sie, in dem ich mit dem Daumennagel den Deckel aufploppe. Erster Teil geschafft. Jetzt nehme ich die Dose und stülpe sie mit der entstandenen Öffnung auf meine Faust mit der Fliege, genau auf den noch verschlossenen Weg in die vermeintliche Freiheit zwischen Daumen und Zeigefinger. Wohl wissend das alles dem Licht zustrebt öffne ich ein ganz klein wenig meine Faust, so dass oben eine kleine Rundung entsteht und wie vorrausgedacht, beginnt im inneren ein hektisches grabbeln, hin zum Licht. Das dass Licht wiederum Gefängnis bedeutet, wenn auch vielleicht von kurzer Dauer merkt die Fliege nicht und ich sehe sie sogleich etwas undeutlich hinter dem milchigen Plastik. Ich drücke nun die Dose mit der Rückseite leicht gegen meine Brust, damit sie nicht herunterfällt und alles umsonst war. Während ich immer noch mit den Knien lenke schiebe ich mit der linken Hand den Deckel der Dose eng zwischen Hand und Dosenkörper bis beides wieder passt und verschließe sie. Gefangen, zum zweiten mal.
Zwischen Daumen und Zeigefinger halte ich nun die Dose und sehe meinen Gefangenen hin und her grabbeln, zum fliegen reicht wohl leider der Platz nicht so recht. Ich will sie nachher auf dem Parkplatz in die Freiheit entlassen und damit ich sie nicht vergesse stecke ich sie mit der Dose in meine Jackentasche. Zufrieden mit dem bisherigen Verlauf ein Fliegenleben zu retten lenke ich weiter mit den Knien und beginne mir eine Zigarette zu drehen. Als ich sie anzünde kommt auch schon die Ausfahrt zum Flughafen in Sicht und vergnügt lenke ich in diese Richtung. Ich steuere den billigen, etwas weiter von den Terminals entfernten Parkplatz, speziell für Urlauber an, ziehe an der Schranke mein Ticket, fahre hinein und suche einen freien Platz. Bald werde ich fündig und nehme den, neben einem älteren Golf, der gerade von einer heimkehrenden Familie beladen wird. Ich steige aus, nehme meine Fototasche und den Rucksack aus dem Auto und will es gerade verschließen als ich ein grausames georgel aus dem Auto meines Nebenparkers höre. Die Frau auf dem Rücksitz mit den beiden Kindern schimpft mit ihm. Ich höre nur ein undeutliches „Ich hab Dir doch gleich gesagt“ und „Aber Du meinst ja er ist noch gut genug“ oder so ähnlich.
Freundlich wie ich bin, stelle ich meine Sachen auf die Erde und gehe um den Wagen herum und frage meinen Parknachbarn ob vielleicht die Batterie leer sei und ich Starthilfe geben könnte.
„Oh ja, das wäre sehr nett“ sagt er.
Die Frau auf der Rückbank beäugt mich misstrauisch.
„Ja gern“, sage ich. „Das haben wir gleich“.
Ich gehe zum Kofferraum, schließe auf, hole die Starterkabel, sie liegen offen da, denn ich brauche sie selbst im Winter oft genug. Setzte das Auto ein Stück zurück, bringe es in geeignete Position, lasse den Motor weiter laufen und öffne den Verschluss der Haube. Ich steige aus und sage dem Golffahrer er könne ruhig sitzen bleiben. Ich öffne die Haube ganz, bringe die Zangen an der Batterie an und tue das gleiche beim Golf.
„So, bitte, alles klar, starten Sie mal“.
Und siehe da, zwei Umdrehungen macht der Anlasser und schon läuft und läuft und läuft der Enkel des Klassikers.
„Vielen Dank, das war sehr nett von Ihnen“, bezeugt mein Patient aus dem geöffneten Fenster. „Was kann ich Ihnen dafür....?“
„Gar nichts, schon gut“ sage ich. „Gute Heimreise und kaufen sie bei Gelegenheit ein neue Batterie“.
„Ja, werde ich wohl machen müssen, nochmals vielen Dank.....auf Wiedersehen“.
„Wiedersehen“.
Ich parke erneut und verschließe den Wagen. Im linken Auge sehe ich den Bus kommen der die Menschen von diesem Parkplatz kostenlos zu den Terminals bringt und werde deshalb hektisch. Ich greife schnell den Rucksack und die Fototasche und laufe quer über den Platz, dem Bus entgegen, zur Haltestelle. Ich springe an der Fahrertür hinein und denke daran was die Frau vom Reisebüro gesagt hat.
Terminal B glaube ich.
„Halten Sie Terminal B“? frage ich den Fahrer.
„Ja“ sagt er trocken.
Kurze Zeit später ertönt es aus dem Lautsprecher.
„Terminal A und B bitte hier aussteigen“.
Mit einem Zischen öffnet sich die Tür und ich steige aus. Kurz orientiere ich mich und gehe zielstrebig in die Halle B. Dort angekommen steuere ich den Condor-Schalter an und trage mein Anliegen vor.
„Guten Abend mein Name ist Beck, für mich sollte ein Ticket für die Maschine um 20:30 nach Colombo hinterlegt sein“.
„Einen Augenblick Herr Beck, ich sehe nach“.
Die freundliche Dame tippt fleißig etwas in Ihren Computer ein, und stellt fest das ich gebucht bin.
„Möchten Sie Raucher oder Nichtraucher“?
„Raucher, bitte“.
„Fenster oder Gangplatz?“
„Fenster wenn es geht“
Das typische Geräusch eines Nadeldruckers lässt mich den Druckvorgang meines Tickets erahnen. Und tatsächlich, jetzt sehe ich wie die
Maschine grünfarbenen bedruckten Karton ausgibt.
Rasch nimmt die freundliche Dame die Streifen auf und klammert sie umhüllt von einem Umschlag zusammen.
„Bitte sehr Herr Beck, Ihre Tickets“. „Der Ausgang B3 bitte“.
„Danke“.
Ich wende mich um und mache mich auf in Richtung B3
„Condor wünscht ihnen einen guten Flug“, höre ich hinter mir.
Als Bestätigung winke ich, ohne mich nochmals umzudrehen, mit dem Flugschein, der Dame zu.
Schon sehe ich die Schalter der Gepäckaufgabe und eine ziemlich lange Schlange davor. Ich lächle etwas mitleidig denn ich muss ja meinen Rucksack wegen der vielen Schlaufen und Bänder am leeren Sperrgepäckschalter aufgeben. Schon allein deshalb würde ich nie mit Koffern verreisen.
Schon bin ich fertig, aber die Schlange ist immer noch nicht erheblich weiter.
Ich spüre das ich eine sehr trockene Kehle habe und wüsche mir nichts mehr als zum Abschied ein kühles bayerisches Bier, am besten in Ruhe, wenn alle Formalitäten erledigt sind. Es ist ja niemand da der sich von mir großartig verabschieden müsste, deshalb gehe ich direkt weiter zur Passkontrolle.
„Guten Abend.... ihren Pass und ihr Flugticket bitte“, sagt der Grenzer.
„Guten Abend“ sage ich und gebe ihm beides.
Er scannt den Pass, reine Routine denke ich und gibt mir gleich darauf beide Dokumente zurück.
„Danke, guten Flug“ sagt er.
„Danke auch, Wiedersehen“ sage ich.
So, einmal links um die Ecke. Nächste Station Taschenkontrolle, denke ich.
Schon stehe ich vor der Barriere des U-förmigen Metalldetektors. Die Fototasche stelle ich schon mal auf das Band und sie fährt allein in die schwarze Öffnung der Durchleuchtungsmaschine. Den Inhalt meiner Taschen leere ich pauschal in einen bereitgestellten Korb. Münzen, Schlüssel, Tabakbeutel und eben alles was sich in meinen Hosen- und Jackentaschen befindet wandert heraus und hinein in den Korb. Zu verbergen habe ich nichts. In der rechten Jackentasche fühle ich ein Feuerzeug und ach ja, die Filmdose mit meinem kleinen Freund. O je, dich habe ich ja ganz vergessen denke ich und will schnell die Dose öffnen. Doch angesichts dieser kühlen und kahlen Flughafenhalle, so ganz ohne Natur, entschied ich mich sie doch noch geschlossen zu lassen um auf eine bessere Gelegenheit zu warten. Vielleicht fahren wir ja mit dem Bus auf das Vorfeld zum Flugzeug und da kann er oder sie dann in der freien Natur fliegen wohin sie will. Also, die Dose bleibt geschlossen und landet im Korb. Ich schmunzelte ein wenig bei dem Gedanken wie sie wohl auf dem Kontrollmonitor aussehen musste. Allerdings glaube ich nicht ernsthaft das sie sie entdecken. Der Korb macht sich mit meinem kleinen Freund auf die Reise durch die dunkle Kammer und ich durch das U. Auf der anderen Seite begrüßt mich jemand des Sicherheitspersonals und leuchtet mit einem Handdetektor nochmals meinen Körper von oben bis unten ab.
Kein Pieps zu hören, also alles klar mit mir.
Gleichzeitig kommen auf dem Förderband links von mir meine Tasche und das Körbchen angefahren.
„Sind das Ihre Sachen“? fragt mich ein Beamter.
„Ja“.
„Öffnen Sie bitte mal die Tasche“.
„Gerne“.
„Aha, Kamera, Kleinbild, bisschen altmodisch heutzutage, oder“?
„Lösen sie doch mal aus und öffnen die Filmklappe“.
„Ich habe einen Film in der Kamera, muss ich trotzdem öffnen“?
„Ja bitte, wir haben strenge Vorschriften, seit neuesten“.
Also spule ich schnell den Film zurück und öffne das Gehäuse. Alles zur besten Zufriedenheit des Beamten.
Gerade öffnet er meinen Tabakbeutel aus dem Korb um den Inhalt zu prüfen und verschließt ihn wieder, als ihm die leere Filmdose auffällt. Nicht weil sie leer ist, ist sie ihm scheinbar verdächtig, sondern weil es in ihr schwarz krabbelt.
„Was ist das“? fragt er erstaunt und hält die Dose prüfend gegen das Licht.
Mist, denke ich.
„Das ist mein Freund, eine gewöhnliche Stubenfliege, sie ist mir zugeflogen und ich will Sie mit in den Urlaub nehmen“.
„Wie bitte“? sagt er erstaunt.
„Du Sepp, komm doch mal her“, sagt er zu seinem Kollegen der als Ersatzmann wenn es irgendwo einmal länger dauert in der Nähe steht.
„Schau Dir das an“, und hält die Dose noch immer gegen das Licht.
„Ja was ist jetzt das“ sagt der andere.
„Eine Fliege eine ganz normale Fliege, man sieht es genau“, antwortet er.
„Schau da ist der Kopf und die Füße, sechs Stück, passt alles“.
„Ja wo kommt denn die her“? fragt der andere belustigt.
„Die ist dem Herrn da zugeflogen, so sagt er zumindest, ist ein Freund von ihm oder so und soll wohl zur Erholung mit in den Urlaub fliegen, behauptet er.“ Ich sah genau wie beide sich ein Lachen verkniffen aber sofort wieder bierernst wurden.
Vielleicht holen die jetzt gleich den Doktor dachte ich.
„Nein, das geht ja nicht so einfach“, sagt Sepp der herbeigeeilte Kollege.
„Wo fliegen Sie denn hin, mein Herr?“
„Nach Colombo, Sri Lanka“ antworte ich.
„Ja um Gottes Willen, da brauchen Sie ja für Haustiere ein tierärztliches Gesundheitszeugnis und dann haben Sie immer noch vier Wochen Quarantäne zur Beobachtung vor Ort“ sagt Sepp der Beamte.
„Habens denn so was?“ fragt er.
„Nein, natürlich nicht, es ist ja nur eine Fliege die ich irgendwo wieder fliegen lassen wollte“.
„Ja was jetzt, ich habe gedacht Sie nehmen sie mit in den Urlaub“.
„Na ja, schon, ich will sie ja nicht hier in der sterilen Halle fliegen lassen mit so wenig Natur drum herum“.
„Ja das wäre ja noch schöner wenn Sie uns jetzt die Fliege da fliegen lassen damit wir das Ungeziefer ins Haus bekommen“.
Inzwischen hat sich eine kleine Schlange Wartender hinter mir gebildet, wobei ich einige Leute schmunzeln sah.
„Kommen Sie einmal ein wenig auf die Seite da, Sie halten ja den ganzen Verkehr auf“.
Ich tat zwei Schritte um das Band herum und nahm meinen Korb mit.
„Hören Sie mal“, sagt er, „das ganze ist doch ein Scherz, oder“?
„Eigentlich nicht“ sage ich und erkläre ihm lang und breit meine Beweggründe und ebenso wie ich zu der Fliege kam.
„Wenn man ein Fenster öffnen könnte, so dass sie nach draußen fliegen kann“, sagte ich zum Schluss.
„Hier in der Halle gibt es keine Fenster, allein wegen der Sicherheit“ sagt er.
„Ja dann“ sage ich „muss sie wohl mit“.
„Aber mein Herr, selbst wenn man ein Haustier und ein Haustier ist ein Tier das zu einem Menschen gehört und diese Fliege gehört ja wohl zu Ihnen, zum Insekt herabstuft, Zolltechnisch, so ist es immer noch verboten Insekten mit an Bord eines Flugzeuges zu nehmen wegen der Seuchengefahr und anderer Vorschriften“.
„Wo kommen wir denn hin wenn jeder, z.B. von Colombo eine Kakerlake hierher mitbringen wollte, nur weil sie ihm zugelaufen ist“ fügt er hinzu.
„Ich verstehe ja was Sie meinen“, sage ich und nach kurzer Pause.
„Aber was soll ich denn nun tun“?
„Sie lassen sie hier und fliegen allein, ohne Fliege“.
„Würden sie die Dose in Verwahrung nehmen und die Fliege nach Dienstschluss draußen in die Freiheit lassen“? frage ich ihn.
„Ja um Gottes Willen, wo denken Sie hin. Ich kann doch privat keine Gegenstände von Flugpassagieren an mich nehmen. Das wäre Dienstvergehen ersten Ranges. Wenn, dann muss das alles seine Richtigkeit haben“ sagt er und kratzt sich am Kopf.
„Aber ich kann doch unmöglich in das Formblatt schreiben: Fluggast sowieso lässt leere Filmdose, aber mit lebender Fliege, als Inhalt zurück“ höre ich Ihn murmeln. „Hernach stirbt sie womöglich bis zur Rückkehr des Besitzers in der Asservatenkammer und dann könnten wir ja, falls es als Haustier eingestuft wird, das Insekt, womöglich Schwierigkeiten bekommen....Tierschutz etc.“ glaube ich zu hören.
„Nein so geht das alles nicht“ sagt er laut.
„Wissen Sie was“, sagt er, „Nehmen sie die Dose samt Fliege und machen sie das sie in den Urlaub kommen, aber kein Wort zu irgend jemand. Ich habe nichts gesehen“.
„Oh, danke das ist sehr nett von Ihnen“ sage ich und bin froh um den guten Willen des Mannes. Immerhin hätte er auch verlangen können das ich meinen Fliegenfreund hier auf der Stelle und unter seinen Augen töte, um das Problem aus der Welt zu schaffen und um dem Gesetz genüge zu tun.
„Jetzt machen`s das Sie zu Ihrem Flugzeug kommen“, sagt er und wedelt mit seinen Händen in Richtung Flugsteig.
Ich wende mich dankbar zum gehen, doch da fällt mir ein weiteres Problem ein und ich drehe noch einmal um.
Der Beamte hatte sich noch nicht anderer Dinge gewidmet und sah mich wieder auf sich zukommen. Ich nehme also vorsichtshalber eine etwas demütige, gebückte Haltung ein und frage:
„Ich hätte da noch eine kleine Bitte“.
„Wissen Sie, der Flug ist lang und die Dose ist ja luft- und wasserdicht verschlossen..... ich denke mein kleiner Freund, die Fliege, erstickt auf der langen Reise.....hätten Sie vielleicht etwas, womit man ein Luftloch hineinstechen könnte.....eine Nadel vielleicht ...oder so“?
„Mann, Ihre Probleme möchte ich mal haben“!
„Kommen sie her“ flüstert er zischend und schielt verstohlen zu seinem Kollegen und es erleichtert Ihn scheinbar das dieser mit vielen anderen Passagieren vollauf beschäftigt ist. Er holt aus seiner Hosentasche ein kleines Taschenmesser und klappt eine Klinge heraus.
„Wo ist die Dose“? fragt er.
Ich fummle in der Jackentasche nach ihr und halte sie ihm hin.
„Kommen Sie zu mir“ zischt er leise durch die Zähne aber im strengen Befehlston.
„Halten Sie die Dose fest und stellen Sie sich mit dem Rücken zu meinem Kollegen“.
Einig im tun schirmen wir gemeinsam unser Vorhaben von der Außenwelt ab. Mit kleinen Kreisbewegungen nach links und rechts bohrt er im nu mit der Spitze der kleinen Klinge ein Loch in die Dose und noch eines zur Sicherheit auf der Seite gegenüber.
„Vielen vielen Dank, im Namen der Fliege“ sage ich.
„Ist ja gut, aber jetzt machen Sie das sie weg kommen“ sagt er „und kein Wort....“!
Ich gehe an die Bar und bestelle eilig aber froh ein kühles Bier. Als es kommt hole ich die Dose aus der Jackentasche, stelle sie mit meinem kleinen Freund auf den Tresen und flüstere ihm ins Ohr das er sich gleich ganz still verhalten solle wenn wir einsteigen, denn er ist ja ohne Papiere und somit blinder Passagier der schlimmsten Sorte und wenn er eine bayerische Kolonie auf einer Insel im indischen Ozean gründen wolle, so dürften Sie uns nicht noch einmal erwischen! Wer kann schon wissen wie Stewardessen mit Ihren Insektengiftsprühdosen im Hygienschrank auf meinen Freund reagieren würden.
Eben wird der Flug aufgerufen und ist zum Einsteigen bereit und ich mache mich auf den Weg. Ich stehe als letzter in der Reihe der Späturlauber und werfe einen Blick zurück, sehe Sepp den Beamten immer noch im Rücken seines Kollegen stehen. Auch er sieht mich und winkt mir aus dem Handgelenk zu, ohne dabei den Arm zu heben, verbunden mit seinem vielleicht besten Beamtenlächeln um die Mundwinkel.