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Begegnungen
Das Rasiermesser lag auf ihrer Kehle, dort wo ihr sich beschleunigender Puls über die Klinge auf die Hand, die den Griff des Rasiermessers mit fest umklammert hielt, dann bis über das Handgelenk, hoch zu seiner Schulter und schließlich zu seinem eigenen Herzen geleitet wurde, wie kurze, regelmäßige Stromstösse, die sein Herz am Leben erhielten; eine Verbindung zwischen ihnen herstellte, die es zuvor nicht gegeben hatte. So als wären ihre Nervenstränge miteinander verflochten, als atmen sie dieselbe Luft in dieselben Lunge, dächten die gleichen Gedanken, fühlten die gleichen Gefühle. Als wären ihre Körper für diesen Moment miteinander verschmolzen. Ihr Blick war starr geradeaus auf die kühlen weißen Kacheln des Badezimmers gerichtet, ihr Haar noch feucht von der Dusche. Winzige Wassertropfen perlten sich auf ihrer gebräunten, makellosen Haut. Sie hatte nicht die Zeit gehabt, sich ganz abzutrocknen. Er hatte sie ihr nicht gewährt, hatte sie aus dem tranceartigen Wohlgefühl der belebenden und gleichzeitig entspannenden Dusche gezerrt, so als risse man ihr das Herz mit der bloßen Hand aus dem Brustkorb.
Eine sehr schmerzhafte Prozedur, mitleidlos, brutal. Sie wagte es nicht, sich zu rühren, Widerstand zu leisten, er konnte nichts dergleichen spüren. Eine Hand drückte er ihr auf den flachen Bauch, so dass sie den Bauchnabel zudeckte, und das auf eine so liebevolle, zutrauliche Art, als sei er schon seit Jahren ihr Partner und dürfe es, ohne sie um Erlaubnis zu bitten.
Sie wartete, kämpfte wahrscheinlich mit ihrem Atem, wartete auf das, was gleich geschehen würde, auf die rasche Bewegung, die ihr mit einem Schlag das Leben nehmen konnnte. Er bewegte die Hand langsam über ihre noch immer feuchte Haut nach oben zu ihren Brüsten hoch, doch bevor er sie erreichte, hielt er plötzlich inne. Er spürte, wie ihr Brustkorb sich mit aller Kraft gegen seine Hand stemmte, so als versuche er sie dadurch loszuwerden. Vermutlich spürte sie, wie sich nun etwas anderes gegen sie drückte, unter den groben Stoff seiner Jeans. Vielleicht nahm sie sogar seinen leicht nach Minze riechenden Atem wahr. Spürte, dass er sich erhöht hatte, stoßweise und leicht gepresst war. Als stünde er unter Spannung.
Bis auf die wenigen Male, an denen sie sich fast zufällig begegnet waren, waren die vielen anderen keine Zufälle gewesen. Zum Beispiel wenn er plötzlich hinter ihr in der Schlange im Supermarkt aufgetaucht war, nur einen Schritt von ihr entfernt, den Duft ihres Haares einsog, sich jeden Zentimeter ihrer nackten Haut einprägte. Auch nicht, wenn er sich in der Tram an sie vorbeizwängte und sich für einen kurzen Moment ihre beiden Körper wie die von zwei Verliebten berührten. Sein Handrücken den ihren berührte, kurz, flüchtig und dennoch intensiv. Ihre erste Begegnung war in einem Supermarkt gewesen, fast gleichzeitig hatten sie nach ein und demselben letzten Produkt im Supermarktregal gegriffen und dabei hatten sich ihre Finger das erste Mal berührt und verlegen hatten sie im nächsten Moment die Finger wieder zurückgezogen, als hätte sie beide zur selben Zeit ein elektrischer Schlag getroffen. Sie hatte gelächelt und wollte ihm das gewünschte Produkt überlassen, doch er hatte sich geweigert.
Sie hatte sich bedankt und sich von ihm verabschiedet, ohne sich ein weiteres Mal zu ihm umzudrehen. Er hatte sie an dem Tag bis zu ihrer Haustür verfolgt, obwohl seine Zweizimmerwohnung in entgegengesetzter Richtung lag. Sie hatte ihn nicht bemerkt, war zu sehr mit ihren Einkauftüten beschäftigt, die schwer aussahen. Und seit dem verbrachte er viel Zeit damit, ihr zufällig zu begegnen, er hatte herausgefunden, wo sie arbeitete, wannn und wo sie joggen ging, dass sie fast regelmäßig wöchentlich für sich einkaufte und auch viel Zeit in einem nahegelegenen Park verbrachte, während sie auf einer Bank ein Taschenbuch las. Er hatte ebenfalls herausgefunden, dass sie keinen Freund oder Partner hatte. Ihre Einkäufe bestanden hauptsächlich aus Hygieneartikel für Frauen und dem, das man so zum Leben brauchte.
Da er sehr unauffällig in seinem Äußeren war, nahm sie ihn scheinbar nicht wahr. Vermutlich hatte sie ihre erste Begegnung längst wieder vergessen. Diese Erkenntnis hatte ihn sauer gemacht und so hatte er damit angefangen, sie beide in Situationen zu bringen, wo sie einander berühren mussten, so wie in der Tram oder in einem engen Gang im Supermarkt, oder während sie an der Kasse anstanden. Doch all seine Bemühungen wurden von ihrer Seite immer als zufällig abgetan und deswegen waren sie für sie scheinbar vollkommen bedeutungslos, vermutete er, was ihn wiederum noch wütender machte. So dass er die Berührungen häufiger geschehen und sich auch nicht davor zurückschrecken ließ, ihr seinen Handrücken an den Arsch zu drücken, während er sich an ihr vorbeizwängte, doch er wagte es nicht, sie nach dieser Berührung anzusehen, sondern ging einfach weiter. Aber er konnte spüren, wie sie ihm noch eine Zeit lang hinterherstarrte. Doch all seine Bemühungen hatten nicht den gewünschten Effekt, waren fruchtlose Anstregungen, ihre Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen. Er schien keinen Eindruck auf sie zu hinterlassen. Wenn er dann nachts alleine in seinem Bett lag und an sie dachte, war gleichzeitig von ihr erregt sowie verärgert.
Wie konnte sie ihn nur so ignorieren?
Spürte sie denn nicht, wie wichtig sie ihm war?
Vor Wut schäumend, war er dann ziellos durch seine zwei Zimmer getigert. Hätte am liebsten alles kurz und klein geschlagen. Oft fand er dann kleinen Schlaf, wälzte sich im Bett hin und her, wie ein an einem Krankenbett fixierter Wahsinniger in einer geschlossenen Anstalt.
Doch jetzt war er ihr so nah wie noch nie zuvor und dazu war sie noch nackt und feucht von der Dusche, so wie er es sich immer in seiner Fantasie ausgemalt hatte. Wie er es sich gewünscht hatte. Sie konnte seine Erregung spüren, das wusste er und er spürte ihre Angst, ihre Verzweiflung. Er hatte sich darüber gewundert, dass sie die Haustür nicht geschlossen hatte, so als erwartete sie ihn. Er hätte sonst nicht in das Haus eindringen können.
Wollte sie, dass er ihr folgte?
Er konnte es sich nicht vorstellen, vermutlich war sie einfach nur nachlässig gewesen.
Seine Erregung steigerte sich. Er wollte sie jetzt gleich hier.
Er war durch ihr kleines Haus geschlichen, sie war direkt ins Badezimmer gegangen, hatte ihre Kleidung abgelegt und war dann unter die Dusche gegangen. Er war auf Zehenspitzen durch ihr Haus geschlichen, hatte gewartet, bis er das Geräusch der Brause hörte. Auf einem Regal hatte er dann das Rasiermesser vorgefunden, was ihn sehr gewundert hatte, da sie mit keinem Mann zusammenlebte. Vermutlich hatte ein Exfreund es zurückgelassen, nachdem sie sich voneinander getrennt hatten. Er hatte das Rasiermesser ansich genommen und war dann wieder aus dem Badezimmer geschlüpft. Als die Brause verstummte und er hörte, wie sie sich abtrocknete, war er hinter sie getreten und hatte ihr die Klinge des Rasiermessers an die Halsschlagader gelegt.
Sie hatte große feste Brüste mit kleinen rosafarbenen Brustwarzen. Ihr blondes Haar war dunkel durch die Nässe. Er hatte nichts gesagt. Sie hatte ebenfalls nichts gesagt oder geschrien, sie war in dem Moment, wo sie die Klinge auf ihrer Haut spürte, erstarrt. Sie hatte nicht gebetttelt, zitterte nicht einmal. Das kam ihn allmählich seltsam vor, jede andere würde um ihr Leben betteln. Doch sie tat nichts dergleichen, sie gab sich ihm fast widerstandlos hin. Aber vermutlich wurde sie einfach durch ihre Angst gelähmt. Seine Hand ruhte noch immer knapp unter ihren schweren Brüsten und sein Daumen berührte ihre linke Brust leicht, wenn er ihn ein wenig bewegte.
Er hatte die Schritte nicht kommen hören, auch die Anwesenheit einer weiteren Person bemerkte er erst, als sich etwas Metallisch-kühles in seinen Nacken bohrte.
»So, und nun nimmst du ganz langsam das Messer von ihrer Kehle. Aber keine falsche Bewegung, Junge«, sagte eine kratzige Männerstimme. Er spürte die Präsenz eines großen Mannes, wagte es aber nicht, sich um zudrehen, sondern nahm mit einer langsamen Bewegung das Messer von ihrem Hals, im nächsten Moment wurde es ihm aus der Hand gerissen.