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Begegnung
Sie muss mal sehr hübsch gewesen sein, irgendwann. Die junge Frau, der ich gegenübersitze, seit etwa fünf Minuten. Ich starre sie an, und sie starrt zurück. Sie ist nicht mehr hübsch. Sie hat tiefe Ringe unter den großen dunklen Augen, die seltsam stumpf und alt geworden sind. Sie hat Narben im Gesicht. Über die geplatzte Lippe hat sie Makeup geschmiert, es sieht lächerlich aus.
"Hat dir schonmal jemand gesagt, dass du beschissen aussiehst?", frage ich sie. Sie grinst ein hässliches Grinsen, idiotisch breit und gleichzeitig freudlos.
"Weiß ich auch so."
"Warum tust du das?"
Sie sieht jetzt aus wie eine dieser miserablen Vorabendserienschauspieler, die mühsam ihre beiden zur Verfügung stehenden Gesichtsausdrücke in jeder passenden und nicht passenden Situation aufsetzen müssen. Sie kann auch nur zwei - wütend und traurig, und hinter beiden lacht mir die Angst geradezu ins Gesicht. Sie weiß gar nicht, wie durchschaubar sie ist. Ich durchschaue sie schon lange.
"Ich weiß es nicht.", flüstert sie.
Sie schafft zwei Tränchen. In diesem Moment hasse ich sie so sehr. Dafür, dass sie so schwach geworden ist. Dabei habe ich sie mal für stark gehalten.
"Du bist jämmerlich."
Noch ein Tränchen. Sie tut mir nicht leid. Ich hasse sie.
Sie starrt mich an, schüttelt langsam den Kopf.
"Ich kann nichts dafür."
Doch, kannst du. Ich sehe sie nur an, sie weiß auch so, was ich denke.
Sie schüttelt wieder den Kopf.
Du musst nur die Tür hinter dir zuschmeißen, du Flasche, warum kannst du es nicht?, denke ich. Warum kriechst du hier herum wie ein Insekt, das immer noch nicht kapiert hat, dass es gleich zertreten wird? Wie ein halbtoter Hund, der noch immer angewinselt kommt in der Hoffnung, geliebt zu werden? Ich sage es ihr.
"Er liebt mich.", sagt dieses hässliche Gesicht tonlos zu mir, und ich schlage mitten hinein, mit aller Kraft, sodass die Splitter durchs Bad fliegen.