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Begegnung in der Wüste
Begegnung in der Wüste
Die Lederkluft des schwarzen Reiters funkelte in der Wüstensonne. Er wusste genau, es war zu warm für so ein Outfit, aber er musste seinem Ruf gerecht werden, denn ein Nackter verbreitet nun mal nicht soviel Angst und Schrecken. Nun war er schon seit Stunden geritten und hatte noch keine Menschenseele getroffen. Das Pferd war tapfer und liess sich die Anstrengung nicht anmerken, aber die Wasservorräte gingen langsam zur neige und es wurde Zeit, ans Nachfüllen zu denken.
An einer Düne vorbeireitend bäumte sich das Pferd plötzlich auf. Ashimuka hielt sich die Hand schützend über die Augen und sah in der Ferne ein etwa fußballgroßes, rundes Ding auf der Erde liegen. Er gab dem Roß die Sporen und trottete langsam in die Richtung von dem Objekt. Als er nahe genug gekommen war, stieg er vom Pferd um es zu begutachten.
Sein erster Eindruck: Es war dreckig und verlaust. Die Oberfläche war von einer art Pelz überspannt, in dem Insekten rumwuselten und Ashimuka schüttelte sich angewidert. Wenn es etwas trinkbares oder essbares war, dann würde er sich bei dem Ding garantiert eine Vergiftung holen, soviel war klar.
Er ging ein paar mal um das ovalrunde, kopfgrosse Teil herum, konnte aber nirgends ein "vorn" oder "hinten" erkennen, es schien aus der Erde herauszuwachsen wie ein Kohlkopf. Und es stank. Er wollte den Lausknäuel um alles in der Welt nicht anfassen, seine angeborene Neugier hinderte ihn aber daran, einfach weiterzureiten.
"Na schön", meinte er ein einem herausfordernden Tonfall.
"Was immer du bist, du scheinst zu leben, und wo Leben ist, ist meistens
auch Wasser."
"Kannst du mich hören? Hallo!"
Ashimuka schrie dem Ding in die Region, wo er ungefähr das Ohr vermutet hätte. Der Haarige Ball zeigte keine Reaktion.
"Ist ja auch Blödsinn. Was mach' ich hier bloss?", dachte er. Er nahm das Zaumzeug in die Hand und führte das Pferd zehn Meter weiter, an eine Stelle , wo der Sand ebener war. Er wollte hier seinen Zelt aufschlagen und erstmal Rast machen. Da blieb ihm noch etwas Zeit, über das Ding da in der Erde nachzudenken.
Er nahm einen kurzen Spaten aus der Satteltasche und stieß ihn in die Erde.
"Aua!", kam aus der Richtung der Haarkugel. Ashimuka schaute auf und schüttelte den Kopf. Er musste es sich eingebildet haben. Ein weiterer Spatenstich folgte.
"Aua!"
Diesmal war er sich sicher. Das Ding hatte laut und deutlich gesprochen.Vorsichtig stach er nochmal mit dem Spaten in die Erde, diesmal wesentlich weicher.
"Du tust mir weh!", kam vom Haarkopf.
"Hör endlich auf damit."
Ashimuka verblasste ein wenig als er das hörte. War da ein Mensch in der Wüste vergraben? Wenn das eine Fata-Morgana war, dann war sie realer als alles, das er bisher an Trugbildern erlebt hatte. Er schob den Sand ein wenig beiseite und sah sowas wie einen langgezogenen Finger - eigentlich eine Mischung aus Finger und Wurzel.
Vorsichtig fragte er:
"Du kannst sprechen. Bist du ein Mensch?"
Ein paar Sekunden Schweigen, dann räusperte sich der Kopf.
"ähm... weiss nicht genau. Bin schon ewig hier drin vergraben. Habs einfach mit der Zeit vergessen... Was ich bin."
"Wie lange bist du schon hier?"
"Weiss nicht... Ewig. Gibt Zeiten, da werde ich vom Sand ganz begraben, scheine in letzter Zeit Glück zu haben..."
"Aber du hast Wurzeln! Menschen haben sowas nicht!"
"Keine Ahnung was ich bin, aber irgendwann habe ich Wurzeln geschlagen, ist wohl wahr."
"Gütiger Gott, wir sind in der Wüste. Wenn du an Wasser kommst, müssen deine Wurzeln mehrere Hundert Meter lang sein."
"Wenn du es sagst..."
"Aber vom Wasser allein kann man nicht leben. Wie ernährst du dich?"
Der Kopf schwieg wieder eine Zeitlang.
Eine ziemlich große Wüstenspinne krabbelte an den beiden vorbei, als zwischen den verfilzten Haarsträhnen etwas blitzartig herausschnellte. Eine dünne, meterlange Zunge kam wie eine Feder herausgeschossen und traf die Spinne. Mit gleicher Geschwindigkeit wurde sie wieder eingezogen. Ein paar Schmatzlaute folgten und man konnte sehen wie der Kiefer des Kopfes arbeitete.
"Verstehe", meinte Ashimuka und sah sich nervös nach seinem Pferd um.
"Na dann wünsche ich dir noch einen guten Tag. War nett, mit dir zu plaudern, muss jetzt aber wirklich weiter..."
"Magst du mich nicht?", fragte der Kopf.
"Doch, doch. Du bist ganz nett aber ich bin wirklich sehr in Eile, weisst du? Also noch mal tschüss!"
"Anfangs sind alle irritiert, aber dann kommen wir meistens ins Gespräch. Wir werden sicher dicke Freunde... wenn du geeignet bist."
"Geeinet? Was meinst du damit? Ich haue gleich ab. Du fängst mich langsam an zu nerven", raunzte Aschimuka und ging auf sein Pferd zu.
"Nicht so schnell, mein neuer Freund!", sagte das Kopfgebilde.
Ashimuka hatte irgendwie ein schlechtes Gefühl in seinem kleinen Zeh und fing an zu laufen. Unter ihm bewegte sich der Boden. Der Schwarze Reiter sank immer tiefer in den Boden ein, steckte schon bis zu den Knien drin. Der Kopf lachte vergnügt.
"Der Ganze Boden hier wird von meinen Wurzeln zusammengehalten. Wenn ich die zurückziehe, verwandelt sich alles in Treibsand... Harhar..."
Ashimuka streckte die Hand nach seinem Pferd aus und rief es zu sich. Er bekam gerade das Ende vom Sattel zu fassen, aber er glitt ihm aus der Hand und er verschwand in der Schwärze.
Eine Zeitlang blieb ihm die Luft weg, dann fiel er in die Tiefe. Nach ein, zwei Sekunden kam er unten auf. Er schüttelte sich. Es war stockfinster hier. Gottseidank hatte er seine Streichhölzer in der ledernen Hosentasche, mit denen er heute Abend sein abendliches Lagerfeuer anzünden wollte.
Bevor er danach greifen konnte, fiel von oben noch ein Gegenstand herunter. Irgendwas schweres fiel auf den Boden und verursachte einen dumpfen Knall.
"Hallo?", fragte Ashimuka ängstlich.
"Wieher", kam prompt die Antwort. Sein Pferd wurde also auch hier runtergezogen. Er streichelte und beruhigte es, dann zündete er ein Streichholz an.
Eine zylinderförmige Höhle, zehn Meter im Durchmesser und fünf Meter hoch, kam zum Vorschein. Der Lederne Reiter Griff in die Satteltasche und holte eine kleine Fackel heraus, die er anzündete. Jetzt sah er eine menge Kisten über die Höhle verstreut. Dazwischen lagen Skelette und Knochen auf dem Boden herum, sowohl menschliche als auch tierische.
"Dieser verlauste, stinkende Kloakenkopf!", rief Ashimuka wütend.
"Vorsicht, ich habe nicht nur an meinem Kopf Ohren", antwortete eine Stimme von Oben.
"Lass uns sofort raus hier!"
"Einen Augenblick, Freunde. Ich muss nur noch was vorbereiten. Ha ha ha."
Aus den Wänden kamen wurzelartige, spitze Finger heraus und stachen Ashimuka ins Bein. Dem Pferd widerfuhr dasselbe und beide fielen schlafend zu Boden.
***
Zwei Menschenköpfe und ein Pferdekopf steckten bis zum Hals im Sand. Sie waren mit der Zeit dicke Freunde geworden. Nur mit dem Pferd konnte man sich immer noch nicht richtig unterhalten, sein Wieher-Vokabular konnte sich den beiden Menschen trotz jahrhundertelanger Versuche nicht erschließen.