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Begegnung im Soldatenlager
Man schrieb das Jahr 1632. Der Krieg wütete bereits seit fast vierzehn Jahren im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Der Bevölkerung des Landes war kaum mehr bewusst, weshalb die Kämpfe überhaupt begonnen hatten. Ständig waren irgendwo kleinere und größere Schlachten.
So ging es auch den Bewohnern eines kleinen Ortes bei Leipzig. Schon seit einigen Tagen zogen die Kaiserlichen und auch schwedische Truppen in die hiesige Region. Man munkelte etwas von einem Entscheidungskampf. Sollte danach endlich wieder Frieden herrschen?
Auch Max waren diese Aktivitäten nicht unbemerkt geblieben.
„Mensch, das wäre toll, wenn es hier in unserer Nähe so richtig krachen würde“, sagte er eines Tages zu seinem Freund Karl, dem Sohn des Müllers. Sie streiften im Wald herum und spielten Krieg.
„Was hältst du davon, wenn wir uns die Soldaten etwas genauer ansehen?“, schlug Karl vor. „Ich habe heute Morgen beobachtet, wie eine schwedische Truppe über den Fluss gekommen ist. Sie hat ihr Lager ganz in der Nähe aufgeschlagen. Komm, schauen wir uns dort mal um.“
„Aber die Schweden sind doch unserer Feinde“, gab Max zu bedenken.
„Egal. ‚Heute Feind, morgen Freund’, sagt mein Vater immer. Hauptsache wir können uns das mal aus der Nähe anschauen!“
Das überzeugte Max und er war sogleich Feuer und Flamme. Seine Mutter, die eine Schenke im Ort betrieb, würde ihm nie erlauben, allein in ein Soldatenlager zu gehen. Da der Junge für sein Alter recht groß und kräftig war, hatte sie täglich Angst davor, dass die Soldaten ihren Sohn zwingen könnten bei ihnen zu bleiben, wenn er herumstreunte. Die Kämpfer waren zurzeit sehr rar. Freiwillige gab es hier auf dem Land kaum noch. Die wenigen Männer, die noch im Ort lebten, waren entweder alt oder hatten bereits eine Kriegsverletzung, die es ihnen unmöglich machte, wieder auf die Schlachtfelder hinauszuziehen. Auch Max’ Vater war vor drei Jahren an einer Kriegsverletzung gestorben.
„Komm endlich, Max! Was stehst du herum. Es wird bald dunkel, dann sehen wir nichts mehr.“
Schnell liefen die beiden Jungen durch den Wald bis zu einer Lichtung. Gleich hinter der Baumgrenze hörten sie laute Männerstimmen. Ihr Lachen und Scherzen ließ auf eine gute Stimmung schließen, obwohl die Verpflegung nicht sehr üppig war. Hier in den ländlichen Gebieten überfielen sie die Bauernhöfe und beschlagnahmten Hühner, Hasen und Schweine, die sie abends über dem offenen Feuer brieten.
In der Mitte des Lagers waren zwei große Holzstöße aufgeschichtet. Einer davon begann bereits zu brennen.
„Na, habe ich dir zu viel versprochen?“, grinste Karl. Max schüttelte den Kopf. Es waren in letzter Zeit oft Soldaten zu ihnen in die Wirtsstube gekommen. Aber so eine Menge hatte er noch nie gesehen. Es herrschte ein Durcheinander von bunten Uniformen, Wagen, Waffen sowie Pferden und Hunden. Auch einige Frauen waren darunter.
Vorsichtig schlichen sich die beiden Jungen näher. Hin und wieder konnten sie einen Wortfetzen aufschnappen, verstanden aber die Sprache nicht.
Ein Teil der Pferde graste bereits friedlich auf der Weide, andere wurden erst ausgeschirrt. Alles machte einen friedlichen Eindruck, so, als seien die Männer von einem Reitausflug zurückgekehrt.
Wäre da nicht ihr verwegenes Aussehen gewesen. Die Uniformen waren mit getrocknetem Matsch verklebt. Die langen, fettigen Haare fielen ihnen strähnig ins Gesicht. Sie hatten schon Ewigkeiten kein Wasser mehr gesehen. Die Jacken und Hosen hingen ihnen teilweise in Fetzen. Diejenigen, die noch Stiefel trugen, gehörten den Offiziersrängen oder der Reiterbrigade an. Die anderen wickelten dreckige, teils mit trockenem Blut verklebte Lappen um ihre Füße, die sie kaum vor Kälte und dem steinigen Boden schützten.
Max wandte sich angeekelt ab. „Also, mich bekommt keiner zur Armee. Das ist ja erbärmlich, wie die aussehen. Nicht einmal gescheite Schuhe haben sie. Wir leben zwar auch nicht wie die Made im Speck, aber wenigstens haben wir trockene Kleidung und festes Schuhwerk.“ Wie zur Bestätigung hob er seinen Fuß hoch. Dann aber sah er auf seinen Freund und betrachtete dessen Schuhe. Sie hatten an den Spitzen kleine Löcher. Die Seitennähte waren aufgeplatzt und die Sohlen abgelaufen.
Als Max den traurigen Blick seines Freundes sah, lenkte er sofort ab und deutete auf eine kleine Gruppe Soldaten, die damit beschäftigt waren, ein großes Zelt aufzubauen. Einige Holzstangen standen bereits und die Männer breiteten eine durchlöcherte Stoffplane aus.
„Na, da pfeift es aber auch ganz schön durch die Löcher“, bemerkte Max.
„Genauso wie durch meine Schuhe, wolltest du doch noch sagen, oder?“ Karl sah seinen Freund grimmig an, denn ihm war durchaus nicht dessen skeptischer Blick auf sein Schuhwerk entgangen. Max brummte nur etwas Unverständliches, das wie eine Bestätigung klang und zog dann den Müllersohn ein Stückchen weiter. Am Rande des Lagers hatte er nämlich etwas Interessantes entdeckt.
„He, Karl, schau mal, eine Kanone. Komm, die wollen wir uns mal genauer ansehen!“ Sprach’s und lief voraus.
Dann standen die beiden Jungen vor dem schwarzen Ungetüm.
„Wenn das Ding losgeht, dann ist unser kleiner Ort weg“, sagte Max und betrachtete ehrfurchtsvoll die grausame Waffe.
„Meinst du, die beschießen unser Dorf?“
„Nein, du Angsthase. Ich habe gehört, dass die schwedische Armee nur auf der Durchreise ist. Die tun uns nichts.“
Sein Blick wanderte über die lärmenden, dreckigen Soldaten, die zwischen den Planwagen und Lagerfeuern geschäftig hin und her liefen. Plötzlich erblickte Max etwas abseits einen Mann auf einem Baumstamm, der irgendetwas auf seinem Schoß hielt. Ab und zu blickte er auf und dann wieder schnell nach unten.
„Was macht der abseits von der Truppe, Karl? Ein feindlicher Spion vielleicht? Lass uns hinübergehen und sehen, was er treibt.“ Max schnappte seinen Freund am Arm und gemeinsam überquerten sie den Lagerplatz. Keiner der Soldaten beachtete die beiden Kinder. Sie waren alle zu sehr mit sich selbst und dem Aufbau des Nachtlagers beschäftigt.
Als Max und Karl in die Nähe des Mannes kamen, sah dieser auf und sprach im gebrochenem Deutsch: „Na, ihr beiden. Wer hat euch denn hierher geweht? Ihr kommt doch sicher aus dem Dorf, oder täusche ich mich?“ Er legte ein kleines Stück Kohle und ein Bogen Papier auf die Seite. Max schielte hinüber und erkannte, dass der Fremde ein Bild skizziert hatte. Soldaten beim Zeltaufbau und auch die Kanone mit dem Munitionswagen konnte er erkennen.
„Ihr malt während andere zu den Waffen greifen und ihr Land verteidigen?“, fragte Max provozierend.
„Damit diene ich ebenfalls dem Reich, aber auf einer anderen Art und Weise. Menschen in fernen Gegenden werden über die Geschehnisse hier unterrichtet.“
„Durch Flugblätter und Zeitungen?“, mischte sich Karl ein.
Als der Mann nickte, deutete Max auf die Zeichnung. „Und Bilder liefert Ihr gleich mit?“
„Richtig. Diejenigen, die nicht lesen können, sehen darauf, was sich im Land tut.“
„Habt Ihr schon viele Schlachten gesehen und gezeichnet?“ Karl setzte sich neben den Fremden auf den Baumstamm, nahm das Blatt auf und betrachtete es sich genauer. Er stellte fest, dass der Mann sehr gut malen konnte. Die Szene wirkte lebendig und naturgetreu. „Man meint wirklich, sie kommen auf einem zu. Ich finde, Ihr habt Talent.“
Der Mann grinste. „Das freut mich, dass es dir gefällt. Aber jetzt sagt mir, was sucht ihr hier im Lager?“
„Wir waren neugierig, wollten einfach mal sehen, wie die Soldaten so leben“, antwortete Karl.
„Aber ihr seht doch sicher tagtäglich durchziehenden Truppen?“
„Das schon, Herr“, antwortete Max. „Meine Mutter besitzt ein Gasthaus. Da hört man schon hin und wieder einiges vom Soldatenleben. Aber ein richtiges Lager haben wir bis jetzt noch nicht in unserer Gegend gehabt.“
„Ich hoffe, du bist begeistert und willst gleich bei den Truppen bleiben?“ Fragend sah der Fremde Max an.
„Nein, nein! Das Leben wäre mir zu mühselig und auch zu dreckig. Ich liebe es komfortabler.“
Da musste der Mann laut lachen. „So, so komfortabler. Dann bist du wohl in eurem Wirthaus besser aufgehoben als hier auf dem freien Feld. Und du“, dabei schaute er Karl an, „liebst du es auch eher bequemer?“
„Meiner Familie geht es nicht ganz so gut, wie der von Max. Gegessen und getrunken wird immer, auch im Krieg. Aber mein Vater ist Müller. Und wenn das Getreide von den Soldatenhorden auf den Feldern zertrampelt wird, können wir kein Mehl daraus mahlen und die Mühlräder stehen still. Das bedeutet für uns hungern.“
„Ja, da hast du Recht. Der Krieg hat seine guten aber auch seine schlechten Seiten. Wie heißt ihr beiden denn?“
„Ich bin Max und das ist mein bester Freund Karl.“
In diesem Moment näherte sich einer der Offiziere und salutierte. „Majestät, Euer Zelt ist errichtet!“
„Danke“, antwortete der Fremde und erhob sich. „Für euch wird es auch Zeit“, wandte er sich an die Jungen. „Gleich wird es dunkel und eure Eltern sollen sich doch nicht unnötig Sorgen um euch machen. Vielleicht sehen wir uns ja einmal wieder.“ Dann drehte er sich um und schritt zum Lager hinüber.
Max und Karl blieb der Mund offen stehen. „War … war das der Schwedenkönig?“
Der Offizier grinste und nickte. „Ja, das war Gustav Adolf.“ Danach folgte er seinem Befehlshaber.
Die Jungen nahmen die Beine in die Hand und jagten über den Lagerplatz zurück ins Dorf.
Zwei Tage später erfuhren sie, dass der Schwedenkönig in der Schlacht bei Lützen gefallen war. Nun blieb ihnen nur noch die Erinnerung an den großen Herrscher sowie die Skizze, die Karl mit nach Hause genommen hatte.