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Befriedigend

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29.01.2004
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Befriedigend

Die Tür aus Aluminium schließt sich neben Arthur, aber
„Ey Hallo, Kollege!“
ruft Biggi, kommt mit einer Freundin, weiße Jacke, H&M Einkaufstüte, und Arthur drückt mit einem Lächeln auf den Tür-Auf-Knopf.
Eine Wolke billigen Lebens dringt in die vier Kubikmeter, und plötzlich sind Arthurs schöne Gedanken trivial.
„So was, na! Noch ein Kollege!“,
scherzt Biggi, und auch der hagere Mann mit dem Adamsapfel darf in den Fahrstuhl springen, puh, war das knapp. Der hagere Mann mit dem Adamsapfel arbeitet nebenan, bei MC Communications, und glotzt aus dem Augenwinkel auf den Arsch von Biggis Freundin, deren schwarze Stretchhose keine Taschen hat und geil, man sieht ihre Fotze in scharfen Umrissen. Die Fahrstuhltüren sind noch mal aufgegangen, als sich der hagere Mann in den Fahrstuhl hineingeschämt hat, schweigend hoffen alle, dass sich die Türen schließen. Der Mann guckt nach unten, Biggis Freundin lächelt Biggi an, Biggi sieht auf ihr rotes Handy,
„Kein Empfang“
sagt Biggi zu ihrer Freundin, und grinst ohne dass etwas lustig ist.
Der hagere Mann mit dem Adamsapfel ist froh, dass ein Surren die peinliche Stille unterbricht und sieht noch mal auf den Arsch von Biggis Freundin; das muss bis Mittag reichen. Er verrenkt nur die Augen, dreht nicht den Kopf, und Arthur merkt, dass das der Grund ist, warum der hagere Mann so peinlich ist.
Surren, alle sehen nach unten, Biggi denkt
„Im Traxx spielt ein neuer DJ“, Biggis Freundin denkt
„61 Euro für Klamotten, Sasha braucht echt mehr Gehalt“, der hagere Mann denkt
„Geiler Arsch, Du hast einen Klugen wie mich verdient“, aber er hat das schon so oft gedacht, dass er seinen Gedanken nicht mehr zuhört.

Die Tür öffnet sich, die drei gehen zu MC Communications, der hagere Mann freut sich auf die Fun-Bilder auf www-humor24-de, denn Montags sind neue da, und Biggi und ihre Freundin freuen sich tatsächlich auf den Kaffee.
Arthur bleibt im Fahrstuhl zurück und fährt noch einen Stock höher. Er ist der, der bei Levis Jeans das Netzwerk kontrolliert.

Acht Jahre früher.

Arthur weiß nicht, warum irgendwo aus der Dunkelheit sechshundert Leute klatschen, denn er hat gerade seinem eigenen Weib den Kopf abgeschlagen, das Schwert blutet noch in seiner Hand. Arthurs Puls donnert, die Erde dreht sich viel zu schnell, er hat Angst, den Boden gleicht nicht mehr zu spüren.
Es riecht nach Schweiss und Holz, eine Pauke schlägt den Puls seines Weibes, das vor ihm verblutet. Langsam versteht er, dass er auf einer Bühne steht, er hat über seinen Mord gesungen, er ist zu Tode atemlos; der Puls jedes Einzelnen im Raum schlägt mit Tempo 88, Andante Lacrimoso, seinetwegen; man spürt es auf der Haut. Ihm fällt ein, dass er acht Jahre dafür geübt hat, seine Stimme hat den ganzen Raum zum Klingen gebracht, er ist so glücklich, dass seine Augen feucht werden.

Seine Abschlussnote ist „Befriedigend“, immerhin besser als der Durchschnitt.

 

Hallo Gernot,

ich lese eine Geschichte der verpassten Sehnsüchte, des Alltags der Ersatzbefriedigungen zum Überleben, der Träume und der Seifenblasen.

Acht Jahre Ausbildung (zum Opernsänger?) um bei Levi´s die Netzwerke zu adminsistrieren, tägliches Glotzen auf Frauenärsche im Fahrstuhl, Gedanken an DJ´s an Einkäufe, Kaffee und Witzseiten. Nur auf die Arbeit freut sich niemand, auf den Tag freut sich niemand, nur auf die kleinen Oasen, die den Alltag verschönern sollen.

Ganz schön deprimierend.

Stilistisch ist diese Geschichte sperrig. Die spärlichen Charakterisierungen reichen aus, um eine Atmosphäre der Distanz in dieser Nähe des Fahrstuhls zu schaffen, aber man ertappt sich unwillkürlich dabei, etwas arrogant und verächtlich auf deine Figuren zu blicken, selbst wenn es einem nicht besser geht als ihnen.
Es fällt schwer, in diese Geschichte einzutauchen, zumal sie oberflächlich den Verstand auch nicht zu bemühen scheint. Sie wirkt wie eine zufällige Begegnung, wie ein Sammelsurium. Darin liegt gleichzeitig ihre Stärke, aber eben auch ihre Schwäche, denn man muss sich einlassen auf diese Geschichte. Man muss in sie eintauchen, die Geschichte erledigt das nicht für den Leser.

Ich hoffe, du kannst mir meinen Gedanken was anfangen.

Einen lieben Gruß, sim

 

Hallo sim!

Danke für die Kritik. Die Sperrigkeit ist von mir beabsichtigt, ebenso die Billigkeit der Personen im Fahrstuhl. Die Situation ist mE banal und hassenswert.

Vielleicht ist mein Fehler, dass die Geschichte mit Sperrigkeit beginnt, so das man sie nicht gerne liest, es vermiest nun mal den ersten Eindruck.

Habt ihr Vorschläge, wie man die banale Fahrstuhlsituation sprachlich besser zeigen könnte?

Gernot

 

Hallo Red Right Hand!

Danke für Deine Kritik. Die Sperrigkeit der Sprache ist von mir beabsichtigt, auch wenn ich sie lieber mit "der Banalität der Situation angepassete Wortwahl" bezeichnet hätte. Scheint schwierig zu sein, die Negativität der Situation in Sprache zu fassen - aber wenn die Leute es nicht gerne lesen, war's keine gute geschichte, so einfach ist das.

Gernot

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Gernot noch mal,

na dann gehen wir doch mal in die Tiefen der Textarbeit. :)

Die Tür aus Aluminium schließt sich neben Arthur, aber
„Ey Hallo, Kollege!“
ruft Biggi, kommt mit einer Freundin, weiße Jacke, H&M Einkaufstüte, und Arthur drückt mit einem Lächeln auf den Tür-Auf-Knopf.
Auffalllen tut an diesem Satz, dass nicht ganz klar ist, wer die weiße Jacke und die Einkaufstahsce trägt. Biggi oder die Freundin?
Zweitens ist der Druck auf den Türaufknopf überflüssig, auch wenn Arthur noch so schön lächelt. :) Viel gebräuchlicher, wenn man warten soll, ist es, sich einfach vor die Fotozelle der Fahrstuhltür zu stellen. Dadurch wird die Tür und blockiert.
Den Leser könntest du etwas flüssiger in die Geschichte ziehen, wenn du die Geschichte mit Biggis wörtlicher Rede beginnst.
Eine Wolke billigen Lebens dringt in die vier Kubikmeter, und plötzlich sind Arthurs schöne Gedanken trivial
Die schönen Gedanken, die er hatte, sind hier im Grunde nur erwähnenswert, wenn du sie benennst. Im übrigen können auch triviale Gedanken sehr schön sein. :)
„So was, na! Noch ein Kollege!“,
scherzt Biggi, und auch der hagere Mann mit dem Adamsapfel darf in den Fahrstuhl springen, puh, war das knapp
Auf Grund der Worte, die Biggi hier sagt, erschiene es mir sinnvoller, den hageren Mann mit dem Adamsapfel erst anzukündigen, bevor der Satz fällt. Er könnte zum Beispiel seine Aktentasche noch vor die Fotozelle in die schon fast geschlossene Fahrstuhltür schieben, um den Mechanismus zu blockieren. Dann war es auch wirklich knapp. ;)
Der hagere Mann mit dem Adamsapfel arbeitet nebenan, bei MC Communications, und glotzt aus dem Augenwinkel auf den Arsch von Biggis Freundin, deren schwarze Stretchhose keine Taschen hat und geil, man sieht ihre Fotze in scharfen Umrissen
Hier haben nur zwei der drei Informationen des Satzes etwas miteinander zu tun. Das hat Heine zwar auch ab und zu wunderbar vorgemacht (Die Stadt Göttingen ist bekannt für ihre Bodenschätze, für ihre Universität und für ihre Würstchen), aber es ist ein Stilmittel, welches wirklich sehr pointiert eingesetzt werden sollte.
Zusätzlich ist hier die Perspektive nicht ganz klar. Es ist schon recht schwierig, jemandem gleichzeitig auf den Arsch und auf die Votze zu schauen. Wie macht er das?
Die Fahrstuhltüren sind noch mal aufgegangen, als sich der hagere Mann in den Fahrstuhl hineingeschämt hat, schweigend hoffen alle, dass sich die Türen schließen.
Entweder ist er gesprungen oder er hat sich hineingeschämt. Beides ist widersprüchlich. Ich würde an dieser Stelle den Teil des Satzes ganz weglassen und das hineingeschämt (eine sehr schöne Beschreibung) anstelle des Springes unterbringen.
Beim zweiten Teil des Satzes würde ich die Hoffnung nicht darauf setzen, dass die Türen sich schließen (das tun sie sowieso irgendwan) sondern darauf, dass jetzt niemand mehr kommt (bevor sich die Türen schließen).
„Kein Empfang“
sagt Biggi zu ihrer Freundin, und grinst ohne dass etwas lustig ist.
Grundsätzlich würde ich die Zeilenumbrüche nach der direkten wörtlichen Rede weglassen. Auch Anführungszeichen sind deutlich genug. Durch die Kursivstellung verleihst du den Banalitäten mE zu viel Gewicht. In diesem Satz ist ein Komma falsch. ;)
und grinst, ohne dass ...
Surren, alle sehen nach unten, Biggi denkt
„Im Traxx spielt ein neuer DJ“, Biggis Freundin denkt
„61 Euro für Klamotten, Sasha braucht echt mehr Gehalt“, der hagere Mann denkt
„Geiler Arsch, Du hast einen Klugen wie mich verdient“, aber er hat das schon so oft gedacht, dass er seinen Gedanken nicht mehr zuhört.
Bis auf die auch hier etwas unmotivierten Zeilenumbrüche, finde ich diese Passage gelungen. :)

Ich persönlich glaube, dass deine Geschichte besser funktioniert, wenn du die Passage von Arthurs Prüfungsvorstellung an den Anfang der Geschichte stellst. Dann hättest du auch die schönen Gedanken, die zu trivialen werden, sobald die beiden Frauen den Lift besteigen. Wenn du es schaffst, die Fahrstuhlszene so zu gestalten, dass unklar ist, ob sich vielleicht die Probebühne des Stadttheaters im gleichen Gebäude befindet, wie MC Communication, hättest du mit den Satz

Er ist der, der bei Levis Jeans das Netzwerk kontrolliert.
eine für mein Gefühl wirksamere Schlusspointe.

So, jetzt habe ich ganz schön viel an deiner Geschichte rumgeschraubt. Ob du dir das unter Vorschlägen vorgestellt hast weiß ich nicht, denn es soll ja schließlich deine Geschichte bleiben. ;)

Einen lieben Gruß, sim

 

Danke, sim!

Wow, so eine lange Antwort habe ich noch nie bekommen. Ich habe beim schreiben lange überlegt, ob ich die beiden Teile vertauschen soll. Aber ich glaube nicht, dass der Fahrstuhlteil dann noch wirkt. (Nun ja, Euren Postings nach wirkt er ja so auch nicht...)

Es war mir wichtig, eben keine 'Action' in den Fahrstuhl einzubauen. Ein peinlicher Typ, der noch schnell in den Fahrstuhl hastet, und plötzlich in der Enge unter anderen nicht mehr weiss, wohin mit seinen Händen, kommentiert sich (sei's gesprochen, sei's gedacht) mit einem zaghaften Lächeln und einem 'puh, das war knapp!', obwohl es nun so gar nicht knapp war. Würde er elegant mit seiner Aktentasche die Lichtschranke durchbrechen und dann noch in den Fahrstuhl kommen, bekäme er plötzlich etwas Eloquentes, was er nicht haben darf.

Aber egal, ich will Deine detailreiche Kritik nicht zurückweisen, ich denke mal darüber nach, ob ich die Geschichte umschreiben kann. Den ersten Teil in flüssige Worte zu fassen, ist ja nicht schwer, nur gleichzeitig die Banalität der Leute aufzuzeigen... ich probier's mal.

Hey, sim, ist der Schnee nicht schön gerade? War eben an der Alster. Ist zwar nur trister Matsch, aber so herrlich inspirierend für deprimierende Geschichten!

Liebe Grüße, Gernot

 

Hi Gernot,

keine Angst, das sind nur Vorschläge, von Zurückweisung kann also keine Rede sein. :)
Bei einigen der Vorschläge ist allerdings unsere bildliche Vorstellung sehr unterschiedlich. :)

Würde er elegant mit seiner Aktentasche die Lichtschranke durchbrechen und dann noch in den Fahrstuhl kommen, bekäme er plötzlich etwas Eloquentes, was er nicht haben darf.
Nein, etwas eloquentes darf er wirklich nicht haben. Ich hatte aucheher an jemanden gedacht, der trotz aller Unlust zur Arbeit dienstbeflissen, um ja nicht zu spät zu kommen seine abgewetzte Tasche zwischen die Tür hält, und sich dann erschrocken über sich selbst in den Fahrstuhl duckt. ;)
Was die Reihenfolge betrifft, probiere es einfach aus, wie es sich für dich liest.

Schnee ist nicht so mein Ding, er ist mit Kälte verbunden. :) Aber trister Matsch kann wirklich inspirierend sein.

Lieben Gruß, sim

 

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