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Because it´s x-mas...
Landungszone des 314th. Tactical Suborbital Corps, Kontinent Agadin, Nordhalbkugel Delta Procyonis, Procyon-Sonnensystem, 2370 a.D.
Ein stetiger Ostwind trieb meterhohe Wolken aus spitzen Eiskristallen von den Bergrücken hinunter in die Ebene des Flusstals. Seit drei Tagen stürmte es ununterbrochen.
Die Schneemassen hatten beide Uferseiten soweit das Auge reichte mit einer dicken Firnschicht überzogen. Zweihundert Meter entfernt von der gefrorenen Wasserlinie, deren genaue Grenze man nur noch erahnen konnte, kauerte eine Gestalt in einem Schützenloch. Der Mann war eingehüllt in einen dicken Überwurf mit grauweisser Fleckentarnfärbung. Trotz des wattierten Drillichs, den er darunter trug und trotz seiner gefütterten Kampfstiefel schauderte er vor Kälte. Vergeblich versuchte er das Zittern seiner Hände unter Kontrolle zu halten und so klapperte das Kunststoff-gehäuse des Nachtsichtglases in unregel-emässigem Stakkato gegen das geschlossene Plastikschild am Helm, welches sein Gesicht vor Schnee und Eis schützte. Der Soldat suchte die Horizontlinie am anderen Flußufer ab, doch die wirbelnden Schneeschleier und das Tanzen der Flocken machten die Infrarotoptik völlig nutzlos. Außer den ständigen Nickbewegungen einiger halbverschneiter, kümmerlicher Trisalkiefern an der Uferböschung waren in diesem Sturm keine Bewegungen zu erkennen.
Der Mann war sich sicher, dass dort draußen in diesem Chaos aus Eis und Wind ein ganzes Bataillon hätte vorbeiziehen können, ohne dass er es überhaupt bemerken würde. Andererseits war er sich ebenso sicher, dass bei diesem Wetter selbst ein ganzes Bataillon nach ein paar hundert Metern Marsch jämmerlich im Tiefschnee versinken würde.
Er setzte das Glas ab und starrte hinauf in die tiefhängenden schwarzgelben Sturmwolken. Nein, dachte er, die nächsten Stunden wird sich niemand freiwillig vor die Tür bewegen. Wahrscheinlich auch nicht die nächsten Tage. Er verstaute das Glas im Futteral, hängte sich seinen Riot-Blaster um und stapfte weg vom Rand des Loches durch einen mannshohen Garben. Nach wenigen Metern beschrieben die vereisten Wände einen scharfen Knick nach links und nochmals zehn Schritte weiter endete der nach oben offene Gang, scheinbar, in einer drei Meter durchmessenden Mulde. Der Soldat bückte sich und griff in den Schnee zu seinen Füßen. Er zog den Zipfel einer Plastikplane heraus und schüttelte die Flocken beiseite, welche der Sturmwind auf selbige gewirbelt hatte. Dann kroch er mit den Füßen voran in den nun freigelegten runden Eingang einer Schneehöhle und zog die Plane von innen wieder an ihren Platz zurück. Ein paar Minuten wartete er in der völligen Dunkelheit des Eingangstunnels, doch niemand hatte seinen Einstieg beobachtet um ihm zu folgen. Aus Erfahrung wußte er, daß der Sturm die Folie bereits wieder mit Schnee bedeckt haben würde. Nichts rührte sich.
Der Soldat kroch weiter in den Gang hinein bis zu einer quadratischen Stahlluke, anderthalb Meter groß und mit abgerundeten Ecken. Seine kalten Finger fanden die vertraute Nische im Türrahmen und er zog an dem darin eingebetteten Ring. Dann drehte er die Handspindel auf und stieß die Luke nach innen. Er kroch durch das Loch, begleitet von einem Flockenschauer, der sich von seinen Schultern und dem Stahlhelm löste. Er lockerte die durch den Temperaturunterschied beschlagende Gesichtsmaske und nahm mit einem Seufzer den Helm ab.
Der Raum, in welchem er nun, stand gehörte keineswegs zu einem Gebäude sondern war das Überbleibsel eines abgestürzten Suborbital-Kampfbootes der STORMBIRD-Klasse. Die Luke war einstmals der Backbordnotausstieg des Transportdecks gewesen und der Mann befand sich in der äußeren Schleusenkammer. Wochenlanger Schneefall hatte das sechzig Meter lange Schiff vollständig unter sich begraben, so wie der ganze Nordkontinent des Planeten eingehüllt worden war.
Im trüben Lichtschein eines einzelnen Neonglobus stapfte der Soldat zu dem Mannschott an der gegenüberliegenden Wand, nachdem er die Luke von innen wieder verriegelt hatte. Die Angeln quietschten als er die Stahltür öffnete und eine moderigwarme Atmosphäre schlug ihm entgegen.
Corps Commander T.W.Côrell lag auf einem Feldklappbett, die Füße ausgestreckt und über Kreuz drapiert, den Rücken gegen einen Metallcontainer gelehnt; der Inbegriff der Ruhe inmitten des Chaos aus Lebensmittelvorräten, Munitionskisten, Schanzgerät und der kleinen Funkanlage - und las in einem Buch.
Côrell las ständig und überall wann nur möglich. Er hatte sogar noch gelesen, als die feindliche Abfangrakete sich in den Rumpf des Landungsbootes gebohrt hatte und die anderen Soldaten schon dabei waren, mit den Flugrucksäcken das trudelnde Wrack zu verlassen. Er verließ die Maschine als Zweitletzter, der Skipper blieb an Bord und versuchte, entgegen seiner Befehle, eine Notlandung am Flußufer um die Ausrüstung des Corps zu retten. Côrell war auch ein Mann von Ehre, und so begrub er den Piloten der Maschine persönlich mit seinem eigenen Spaten.
Als der Soldat eintrat hob der Commander nur flüchtig den Blick, wie um sich zu vergewissern, daß kein ungebetener Gast, etwa ein vorgesetzter General nun seine Leseruhe stören würde um einen Lagebericht zu verlangen. Doch die Sorge war unbegründet, denn der angekommene Patrouillengänger trug keine Sterne oder Kometen am Kragenaufschlag, sondern nur die beiden Schwingenpaare eines Landing Corps Serganten. Er salutierte flüchtig und murmelte mit vor Kälte steifen Backen:
"Sergant Gillham meldet sich zurück vom Wachgang. Melde: Nichts zu sehen vom bösen Feind, Sir. Sturm unverändert heftig aus Ost, keine Truppenbewegungen auszumachen, nicht mal unsere eigenen."
Er behielt die lockere Habachtstellung bei und starrte dabei fasziniert auf die vor Nässe dampfenden Wollsocken seines Vorgesetzten. Côrell legte das Buch auf das Bett und tippte mit der Rechten kurz an den Rand seiner Mütze.
"Danke Andy, es ist noch'n Kaffee da wenn Du magst. Aber häng vorher deine nassen Sachen am Brenner auf, sonst wird es noch feuchter hier drin."
Côrell sah mehr oder weniger angewidert auf seine dampfenden Füße, während Andrew Gillham in den ehemaligen Turbinenraum schlurfte und seinen Kaputzenmantel vor den Wärmetauscher des Fusionsofens hängte, Strom- und Wärmequelle zugleich in dieser provisorischen Unterkunft, vermutlich die einzig vernünftige im Umkreis von 10 Klicks, dachte er.
Seit über einem Jahr tobte nun schon die Schlacht auf dem Nordkontinent von Delta Procyonis und was ein schneller Kampfabwurf des dritten und vierten Suborbital Bataillons hätte werden sollen, hatte sich mittlerweile in einen Sitzkrieg verwandelt, denn keiner der beiden Kontrahenten auf dem Planeten war mehr in der Lage einen eindeutigen Personal- oder Materialvorteil aufzubringen, um seinen Gegner völlig zu besiegen. Verstärkungen hatte es zwar während der ersten Gefechtswochen gegeben, darum befand sich Gillham überhaupt hier, doch wie in jedem Krieg gerät ein Vormarsch nur allzuschnell ins Stocken, wenn an zu vielen Fronten gleichzeitig gekämpft wird. Seit dem Zerfall des Sonnenbundes unter Carl W. Jacobs hatte es dutzende Konflikte dieser Art gegeben und die fünf großen Abstammungsrassen der alten Erde hatten über 70 Systemwelten mit Feuer und Schwert überzogen. Vaterlandsliebe ist eine Sache, Patriotismus eine andere, aber in diesem Kampf auf Agadin hatten die beiden Wörter schon lange ihre Bedeutung verloren. Die wenigsten der armen Schweine, die da draussen gestorben sind, haben gewußt wofür, dachte Gillham verbittert.
Elf Monate war er nun hier und seine Hoffnungen, diesen Planeten jemals wieder zu verlassen schwanden immer mehr dahin. Längst hatte der Corps Sergant damit aufgehört, sein Schicksal und das seiner noch lebenden Kammeraden zu verfluchen und vor allem in letzter Zeit wurde er von einer apathischen Stimmung heimgesucht sooft er darüber nachdachte, wo er jetzt wohl hätte sein mögen.
"Irgendein Kampf ist besser als gar nichts tun", pflegte sein vorgesetzter Corps Captain immer zu sagen, bis er vor acht Wochen während seiner Freiwache beim Einschlag einer Partikelgranate getötet worden war. Dann hatte das Schneegestöber eingesetzt und sämtliches schweres Kriegsgerät war nach und nach bedingt durch die arktischen Temperaturen ausgefallen. Seit fünfzehn Tagen hatte Andrew keinen einzigen feindlichen KAIMAN- oder MOHAWK-Panzer mehr gesehen und wäre dies geschehen, so hätte er nichts dagegen unternehmen können. Seine derzeitige Gefechtsstellung besaß zwar eine Abschusslafette für Panzerabwehrraketen, doch gab der Motor, welcher das Ladeschloss hätte bewegen sollen seit einer Woche keinen Pieps mehr von sich und mittlerweile war der ganze Lademechanismus wohl schon so eingefroren, daß man ihn höchstens noch mit einem Schweißbrenner hätte auftauen können.
Andrew ging zurück in den Wohnbereich und goß sich eine Tasse Kaffee ein. Eigentlich kein richtiger Kaffee, der wäre hier draußen unbe-zahlbar gewesen, sondern ein aus Soja gewonnenes Surrogat, welches eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Bohnengetränk hatte. Definitiv kein weltbewegendes Geschmackserlebnis, aber es erfüllte seinen Magen mit etwas Leben und er konnte sich seine fröstelnden Finger an der Tasse aufwärmen. Gillham drehte sich zu Côrells Ruhestadt um und fragte:
"Wo sind Craig und Stone, haben die sich verlaufen ?"
Côrell blickte auf seine Uhr und runzelte die Stirn, was soviel hieß
wie: Wenn Dir danach ist, kannst du ja raussgehen und Babysitter spielen.
Gillham zuckte mit den Achseln und wollte sich abwenden, als der Commander doch zu sprechen begann.
"Gill, welcher Konfession gehören Sie an ?"
"Was ?", schnappte Andrew. Der Commander sah von seinem Buch auf, nahm die Lesebrille ab und rieb sich die Augen. Nach einem Seufzer der Erleichterung meinte er:
"Ein Glaubensbekenntnis, ein Dogma oder eine Philosophie. Es wird in der Regel von den Eltern an die nächste Generation weitergegeben. Unser Freund Delmoore beschreibt dies hier unter dem Stichwort der Spiritualität der einzelnen Erdabstammungs-rassen."
Andrew überlegte. Delmoore, der Will Durant des 24. Jahrhunderts. Während seiner Schulzeit hatte er Teile seines Werkes Sozial-geschichte der Alterdrassen gelesen, doch dies war über 20 Jahre her und die Erinnerungen daran waren vage. Er schüttelte langsam den Kopf.
"Ich weiß nicht Sir, ob ich überhaupt etwas darüber weiß. Um ganz ehrlich zu sein habe ich mich nie dafür interessiert. Warum fragen Sie ?"
Côrell deutete auf das Buch und antwortete:
"Delmoore spricht hier über das sogenannte Christentum, beziehungsweise über die christliche Kirche und erläutert die spiri-tuellen Rituale und Feiertage. Meine Großeltern müssen diesem Glauben wohl Bedeutung beigemessen habe, denn sie wurden "getraut", wie es hier genannt ist. Das bedeutet soviel wie bei uns einen Ehecontract zu unterschreiben und dann auf die Genehmigung des Lebensinstitutes zu warten, Nachkommen zu Zeugen. Es ist sehr interessant."
Gillham dachte einen Moment darüber nach und hielt Côrell dann entgegen:
"Warum ist diese Institution dann aber heute verschwunden und durch das Ehevertragsrecht ersetzt worden. Viel kann nicht dran gewesen sein an der, wie sagt man dazu, Getrauung ?"
Der Commander konsultierte sein Buch und murmelte: "Trauung. Nun ja, vielleicht lassen wir es dabei, daß es viele Feste und Zelebrierungen gegeben hat, die von der Sache her sehr lehrreich sein könnten."
Mag sein, dachte Andrew, doch davon komme ich nicht von diesem Eisball weg und es wird noch nicht mal das Wetter bessern. Er fühlte seinen Magen knurren und gedachte sich mit näherliegenden Problemen zu beschäftigen, als sich mit Côrell weiter über tote Rituale zu unterhalten. Er nickte dem Commander zu und machte sich daran, mit Hilfe des kleinen Kochers ein Konservenabendessen zuzuberei-ten.
Nach dem er seinen Hunger gestillt hatte, entrollte er seinen Feldsack und streckte sich auf seiner Liege aus. Côrell versuchte, wie jeden Tag über Funk mit anderen Einheitsteilen in Verbindung zu treten um wenigstens eine ungefähre Vorstellung vom Frontverlauf zu haben. Er hatte heute jedoch keinen Erfolg damit, die Kurzwelle gab nur Statik von sich. Andrew lag mit hinter dem Kopf verschränkten Armen da und starrte an die Decke. Er wünschte, sie hätten wenigstens eins der Diskphonogeräte unbeschädigt aus dem Kampfboot bergen oder vielleicht eines reparieren können, dann hätte man in dieser verdammten Stille wenigstens etwas Musik. Wenn ich mich noch länger jeden Tag mit den gleichen Leuten unterhalten muß, dann werde ich irgendwann wahnsinnig, dachte er. Zum lesen hatte er keine Lust. Das Rauschen aus dem Funk-empfänger und die Wärme ließen ihn irgendwann in einen unruhigen Schlaf sinken.
Es war Côrell, der ihn wachrüttelte. Andrew hatte geträumt, das erste Mal seit langem wieder, nicht von der Heimat, sondern von seiner Jugendzeit in der Schule. Nur widerwillig schälte sich sein Bewußtsein aus der Phantasiewelt seiner Erinnerungen und er sah aus zusammen-gekniffenen Augen, daß der Commander seinen Überwurf trug und der Helm an seinem Gürtel hing.
"Kommen Sie Serge, wir müssen nachsehen wo Craig und Leutenant Stone bleiben. Sie sind seit drei Stunden überfällig."
Gillham sah auf seine Armbanduhr und war sofort hellwach. Während er seine Stiefel band hockte sich Côrell auf seine Pritsche und baute seine zerlegte und gereinigte Riotgun zusammen. Er setzte den Lauf ein und überprüfte den Laserkristall im Schaft. Dann nahm er vier Magazine aus dem Ladegerät, band zwei davon mit Kohlefaserklebeband spiegelverkehrt aneinander und warf Gillham die beiden andern zu. Der Commander öffnete die Stahltür als Gillham fertig war und der Sergant lud im gehen sein Gewehr mit einem neuen Magazin. Sie verließen das Boot durch die Notluke und krochen Richtung Oberfläche. Côrell lugte unter der Plane hervor und schaltete dann einen Moment sein Helmlicht an. Er drückte Andrew, der hinter ihm kauerte eine grosskalibrige Signalpistole in die Hand. "Magnesiumfackel", raunte Côrell. Andrew nickte. Der Commander löschte des Licht und schob sich vorwärts. Draußen ging er mit seiner Riotgun in Stellung und starrte in die Dunkelheit.
Es war tiefschwarze Nacht, der Sturm hatte jedoch merklich nachgelassen. Der Wind war nur noch ein leises Säuseln und es fielen dicke Schneeflocken von einem sternen- und mondlosen Himmel. Kein Laut war zu hören, doch Gillham hatte ein ungutes Gefühl.
Côrell nickte mit dem Kopf und der Sergant schnellte aus dem Loch. Andrew spurtete bis an den Knick des Manngrabens und ging mit dem Rücken an der Eiswand in die Hocke. Sein Atem dampfte in dem milchiggrauen Zwielicht der Agadinnacht. Ein paar Sekunden ver-schnaufte er, nahm dann allen Mut zusammen und riskierte einen Blick um die Ecke. Sein Verstand verarbeitete das Eindrucksbild und verglich es mit dem normalen Zustand des Schützenloches. Es war kein Unterschied festzustellen, fand Gillham. Er blickte zu Côrell und hob den Daumen, ohne die Hand vom Schaft seines Gewehres zu nehmen. Côrell pirschte sich mit vorgehaltener Waffe an der linken Wandseite des Grabens entlang, bis er mit Gillham auf gleicher Höhe war. Er hob die Hand, zeigte drei Finger und deutete dann auf den Knick und dann auf Gillham.
Das hatte ich befürchtet, dachte Andrew. Der Commander würde ihn decken, doch er würde als erster um die Ecke gehen müssen. Er nickte grimmig und fing an, mit dem Kopf nickend, lautlos zu zählen. Bei "drei" drehte er sich mit einer Rolle um die Ecke herum, kam in der Hocke auf und ging in Combatanschlag. Côrell folgte dichtauf. Andrews Herz klopfte bis zum Hals in Erwartung eines letzten Blitzes, der ihn verbrennen würde, doch es kam nichts.
Alles blieb ruhig in dem Schützenloch vor ihm.
Côrell schob sich an ihm vorbei und blieb nach ein paar Metern stehen. Als er den Kampfstand voll überblicken konnte, lockerte sich seine Haltung etwas und Gillham stand auf, als er es bemerkte, die Waffe ließ er in Hüfthöhe sinken.
Dann passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Côrell drehte sich zu Gillham um und wollte irgendetwas sagen. Im selben Moment erschien ein Schatten am Rand des Kampfstandes. Andrew riß die Augen auf und das Gewehr nach oben, traute sich aber nicht zu schiessen, denn er konnte nicht erkennen, ob sich dort oben nicht einer der überfälligen Soldaten ihrer eigenen Einheit auf das Loch zu bewegte. Einen Moment später wußte er, daß es ein Fremder sein mußte, denn der Mann hatte das Loch gar nicht bemerkt und unter dem Stiefeltritt seines rechten Fußes brach ein Stück vom vereisten Rand ab und er stürzte mit wedelnden Armen in die Stellung hinein. Eis knirschte und etwas im Rucksack des Soldaten klapperte als er aufschlug.
Ein leiser Schrei drang an Andrews Ohren und Côrell fuhr herum.
Ein zweiter Soldat erschien im Laufschritt mit vorgehaltenem Sturmgewehr am Rand des Loches und diesmal nahm Andrew Ziel und feuerte. Ein Plasmablitz verließ die Feldmündung und alleine die Tatsache, dass Andrews Riot auf maximale Streuung bei minimaler Abstrahlleistung eingestellt war, rettete den Getroffenen vor einem heißen und schnellen Tod. Der Strahl züngelte über seinen Oberschenkel und setzte den Kampfanzug in Brand. Er fiel mit einem erschrockenen Schrei nach vorne und statt sich abzustützen, hielt er sein Bein mit beiden Händen fest. Er fiel ebenfalls in das Loch und landete auf seinem Helm. Es knirschte als er aufkam, dann fiel der Körper schlaff zur Seite und bewegte sich nicht mehr.
Stöhnend kam der erste Soldat auf die Knie und riß eine Handwaffe unter sich hervor, sein Gewehr lag drei Meter von ihm weg im Schnee. Andrew deutete die Bewegung richtig und er ging erneut ins Ziel, sein Zeigefinger spannte sich um die Abzugstaste. Ein markerschütterndes Brüllen neben ihm ließ ihn innehalten.
"Hört sofort mit diesem Blödsinn auf..!", schrie Côrell. Sergant Gillham erstarrte. Noch niemals, nichtmal auf dem Kasernenhof hatte er seinen Commander so schreien hören. Die Hand des knienden Fremden zitterte und er hatte Mühe, die Pistole ruhig zu halten, der kleine rote Laserpunkt von Andrews Riot zitterte im Gegenzug auf seinem Helm. Bange Sekunden vergingen, dann begann Andrew sich aus irgendeinem Grund absolut lächerlich vorzukommen. Langsam, ganz sachte, nahm er den Kolben der Waffe von seiner eiskalten Wange und ließ den Ziellaser erlöschen.
"Bitte, geben Sie mir die Waffe", sagte Côrell zu dem Fremden Soldaten, "wir müssen uns um ihren Kammeraden kümmern. Er verblutet sonst. Bitte..."
Andrew konnte deutlich das Mißbehagen seines Gegenübers spüren und er war noch immer entschlossen zu feuern, sollte der Kerl sich einbilden, eine falsche Bewegung zu machen. Doch endlich ließ der andere die Pistole sinken und Côrell gab Gillham einen Wink, er solle nach dem Bewusstlosen sehen. Andrew umrundete die Raketenlafette des Kampf-standes und beugte sich über den am Boden liegenden. Wenn er ihm helfen wollte, dann mußte er sein Gewehr wegstellen um beide Hände frei zu haben und das paßte ihm ganz und gar nicht. Die Waffe des Soldaten bleibt immer am Mann, dachte er; Na was, zur Hölle mit den Vorschriften, ich habe den Kerl angeschossen und hier zu sterben wäre selbst mir zu unbequem. Er nahm den Schulterriemen ab und pflanzte den Kolben in den Schnee. Dann drehte er den Mann auf den Rücken und schaltete seinen Helmscheinwerfer ein. Der fremde Soldat trug einen braunweissen Schneetarnanzug und an den Schulterstücken das Einheitsabzeichen der NovaSolis-Sturminfanterie, 18tes Bataillon.
NovaSolis, 650 Lichtjahre von der alten Erde entfernt, vierter Planet des Nova-Sol Systems, den wir unter dem Namen Garvion IV kennen, rezitierte Andrews Gedächtnis. Zweifel stiegen in ihm auf, ob es richtig war diesem Feind zu helfen, der seinem eigenen Corps so hohe Verluste beigebracht hatte, doch als er die Wunde am Bein des Mannes bemerkte, verschwand dieses Gefühl und wich einer starken Übelkeit.
Der Anzugsstoff war vom Knieansatz bis zur Hüfte verschmort und die Haut darunter blasig und feuerrot. Verbranntes Blut klebte überall. Gillham hatte schon viele Wunden gesehen und versorgt, aber diese stammte aus seinem Gewehr und sie sah schrecklich aus.
Andrews Mageninhalt schoß herauf und er würgte. Als es vorbei war, wischte er sich seinen Mund mit Schnee ab und riss wildentschlossen sein Notverbandspäckchen aus der Oberschenkeltasche. Ich muß die Wunde säubern, sonst bekommt er einen toxischen Schock und stirbt doch noch, dachte Andrew. Er nahm eine kleine Plastikflasche und sprühte großzügig Desinfektionsmittel auf das offene Fleisch. Das Wasserstoffoxid schäumte und Gillham war froh, dass der Mann nicht bei Bewußtsein war. Er wird noch genügend Schmerzen haben, wenn er erstmal aufwacht, dachte er. Als die chemische Reaktion zu Ende war hatte er schon eine keimfreies Brandtuch mit den Fingerspitzen auseinandergefaltet und breitete es über die Wunde. Er traute sich bei dem schlechten Licht nicht die verbrannten Fasern des Hosenstoffs von der Haut zu lösen und so legte er mit der größten Binde die er fand einen lockeren Verband um das Bein.
Während der ganzen Zeit hatte er nicht auf Côrell oder den anderen Soldaten geachtet. Nun richtete er sich auf und bekam gerade noch mit, wie der Commander dem Mann aus dem Schützenstand half, den Arm des Anderen um seine Schulter gelegt. Der feindliche Soldat hinkte und stöhnte vor Schmerz. Côrell sah zu Gillham hinüber und warf ihm einen fragenden Blick zu.
"Er wird es überstehen, Sir", sagte dieser, "aber wir müssen ihn zu zweit tragen."
Als hätte das Universum seine Bitte zur Kenntnis genommen und nur auf diesen Moment gewartet erschienen plötzlich die Leutenants Craig und Stone am Rand des Lochs. Craig blickte verwirrt auf Gillham hinunter und Côrell sagte im Befehlston:
"Stone, es ist mir egal wo Sie so lange waren, gehen Sie voraus, stellen Sie zwei zusätzliche Feldbetten auf und helfen mir dann an der Notluke. Der Mann hier hat einen verstauchten Knöchel Craig, Sie helfen Gill mit dem Anderen. Los, Tempo."
Stone schluckte seine Meldung hinunter, die er hatte machen wollen und sprang in die Grube. Leutenant Craig kletterte zu Gillham und seine Brauen schossen nach oben, als er die NovaSolis Uniform erkannte.
"Nimm seine Füße und pass auf, sein Bein ist verbrannt," schnitt der Sergant in einer Nachahmung Côrells jegliche Kommentare ab. Er war selbst noch einigermaßen durcheinander und hatte keine Lust über den Tatbestand zu diskutieren, daß er einem dieser verhassten Solis-Stürmer gerade eine Wunde versorgt hatte.
Der Mann stöhnte leise, als die beiden ihn aufhoben. Côrell verschwand gerade in der Schneehöhle als Craig und Gillham mit ihrer Last um die Ecke kamen. Es dauerte fast zehn Minuten den Bewußtlosen durch den schmalen Lukeneingang zu hieven und auf ein Feldbett zu legen. Gillham keuchte vor Anstrengung als er sich von dem Bett aufrichtete. Craig löste seine Schneebrille und starrte ihn über den Verwundeten hinweg an. Gillham schüttelte nur leicht den Kopf. Frag' nicht mich, dachte er mit einer Kopfbewegung zu Côrell, frag' Ihn. Craig zuckte die Schultern, verkniff sich aber einen Kommentar.
Gillham zog dem vor ihm liegenden die Schneemaske ab und den Helm vom Kopf. Der Junge war höchstens neunzehn oder zwanzig Jahre alt. Seine Gesichtszüge waren fein geschnitten und wirkten weich, obwohl die Wangen immer noch bleich waren, eine Auswirkung des Verwundungsschocks. Seine ganze Statur wirkte zart und irgendwie schmächtig, kaum ein Kandidat für einen derartigen Härteeinsatz auf einem Planeten wie diesem hier.
Verflucht, dachte er, die Solis pfeifen also aus dem letzten Loch. Jetzt schicken sie sogar schon halbe Kinder in den Krieg. Was für eine Scheiße! Er öffnete die Stiefel und zog sie mühsam von den Füßen des Jungen, dann deckte er ihn mit einem Schlafsackhalbteil zu.
"Stone, schauen Sie mal ob Sie uns aus dem gepökelten Fleisch noch etwas eßbares zaubern können", hörte Gillham den Commander hinter sich sagen.
Der Leutenant brummte zustimmend und verschwand im Nebenraum, in welchem sich ein Gaskocher und Küchenausrüstung befand. Der andere Solis-Soldat sass mit schmerzverzerrtem Gesicht auf Côrells Liege und der Commander half ihm gerade dabei, seine Kampfjacke auszuziehen. Seine Rangabzeichen wiesen ihn als Kommandanthauptmann aus, faktisch dem Rang eines Commanders gleichgestellt, die NovaSolis Entsprechung dafür. Gillham trat zu den beiden und sagte leise, als müßte er sich dafür entschuldigen zu sprechen:
"Sir, lassen Sie mich den Knöchel mal ansehen. Wenn er anschwillt, dann müssen wir den Stiefel aufschneiden und das könnte problematisch werden."
Côrell hielt mitten in der Bewegung inne und der Hauptmann hob den Kopf und sprach seine ersten Worte seit man ihn auf die Liege gesetzt hatte:
"Sind sie ein Feldscher ?", fragte er und musterte Gillham feindselig.
Andrew erwiderte seinen eisigen Blick und sagte völlig emotionslos und mit einer gefährlich ruhigen Stimme:
"Viel besser, ich habe, bevor der Krieg mich an diesen hübschen Ort verschlagen hat, auf einer grossen Tierzuchtfarm gearbeitet. Als Veterinär."
Côrell konnte sich ein anzügliches Grinsen nicht verkneifen und der Hauptmann wurde blaß.
"Um Himmels Willen, Sie sind ein Tierarzt?" Dann, etwas freundlicher: "Nun, ich hätte ja auch an einen Metzger geraten können. Gut dann, ich frage mich sowieso, warum Sie das alles für uns tun. Schließlich kämpfen wir hier seit einem Jahr gegeneinander. Eigentlich müßten Sie mich doch hassen, oder nicht?"
Der Commander umrundete das Feldbett und sah dem Hauptmann lange in die Augen. Gillham war nicht wohl in seiner Haut.
"Ich bin Corps Commander Thomas William Côrell, Sohn von Emma und Jôsef Côrell, Enkel von Rosa und Malcom Franklin Côrell, die getraut wurden im heiligen Bund der Ehe, von der christlich-neoromanischen Kirche auf dem Planeten Solomon, meiner Heimatwelt. Wie ist ihr Name, Sir?"
Der Angesprochene versuchte würdevoll dabei auszusehen, schaffte es aber wegen seiner Schmerzen nicht ganz, als er erwiderte:
"Mein Name ist Orlean Nomires, Kommandanthauptmann, und seit dem Tod von Feldmarschall Hazel Oberbefehlshaber der Solis-Streitkräfte auf Agadin."
Gillham glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Hazel war tot und sie hatten seinen Stellvertreter gefangengenommen. Côrell nickte, blieb äußerlich aber völlig ruhig. Freundlich fragte er:
"Was haben wir heute für ein Datum, Gill?", ohne Andrew dabei anzusehen.
Andrew antwortete: "Den 24. Dezember 2370, altirdische Zeit-rechnung, Sir. Ist das wichtig?"
Côrell nickte und sagte: "Ja Gill", und seine Gesichtszüge wurden plötzlich zu denen eines alten Mannes, der er auch war und seine Augen blickten sanft und freundschaftlich drein, nicht länger die eines Militär-befehlshabers sondern wie die eines Großvaters, der den Kindern eine Geschichte oder ein Märschen erzählt, bevor er sie zu Bett bringt. Er fuhr fort:
"Ja, es ist wichtig, es ist mir wichtig, denn heute will ich einfach keinen Haß empfinden. Heute ist Weihnachten, Hauptmann Nomires".
Stille befiel den Raum, denn alle hatten zugehört und nun traute sich niemand etwas zu sagen. Stone stand im Eingang zur Küche und rührte sich nicht, Craig, der bis jetzt am Kartentisch mit Einheitsfähnchen hantiert hatte hob den Kopf und starrte seinen Commander an. Gillham und der Kommandanthauptmann wechselten einen kurzen Blick. Schliess-lich brach Nomires das Schweigen und hauchte:
"Was..ist dieses...Weihnachten ?"
Ein anderer an Côrells Stelle hätte jetzt amüsiert gelächelt, oder einen gelehrigen Vortrag gehalten, doch statt dessen meinte er nur:
"Stone und Craig werden den Tisch in die Mitte rücken, dann können wir alle zusammen Essen und dann werde ich es Ihnen und euch allen erklären. Einverstanden ?"
Sie waren einverstanden. Eine halbe Stunde später hatte Gillham den Knöchel des Soliskommandanten bandagiert und Stone hatte das Essen auf dem zweckentfremdeten Kartentisch aufgetragen. Sie nahmen Platz, Côrell auf dem Funkhocker am Kopf des Tisches, Nomires rechts von ihm auf dem einen Feldbett, die beiden Leutnants gegenüber auf der anderen Pritsche und Gillham sass auf dem Rand des letzten Feldbettes, Côrell gegenüber. Hinter ihm lag der, immer noch bewußtlose, verwundete junge Solis-Soldat.
Stone hatte einen Gulasch aus dem Fleisch bereitet, mit einer würzigen dunklen Sauce und dazu aßen sie Sojapfannkuchen und das letzte vorhandene Gefriergemüse. Stone hatte sich, ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten, keine bissigen Bemerkungen erlaubt und sich grosse Mühe mit dem Essen gegeben. Für die Soldaten war es wie ein Festmahl.
Als sie fertig waren setzte Côrell seine Lesebrille auf und öffnete ein uraltes dickes Buch, welches er die ganze Zeit über neben sich hatte liegen lassen. Er räusperte sich und alle schauten ihn an.
"Das Weihnachtsfest", begann er, "ist ein alter Brauch, der auf der Erde entstanden ist. In früheren Tagen nannte man es auch das Fest der Liebe. Der Chronist Delmoore beschreibt die Hinter-gründe hier recht gut, und alles gründet auf dem Gleichnis, dass eine Frau, Maria, und ihr Mann Josef im Lande Galliläa eine Bleibe suchten für Marias Niederkunft. Sie war hochschwanger."
"Gab es denn kein Hospital dort ?", fragte Craig.
Côrell schüttelte den Kopf und antwortete lächelnd: "Dies trug sich zu im Jahre Null, also vor über 2300 Jahren. Unsere heutige Zeitdatierung ist die direkte Folge der Geburt ihres Sohnes, den sie Jesus nannten. Als dieser Junge heranwuchs, lehrte er die Men-schen in seinem Land, an das Gute in ihnen zu glauben und daraus Kraft zu schöpfen. Er heilte Blinde, machte Lahme wieder gehend und er trotze seinen Feinden einfach damit, daß er sich weigerte, sie zu hassen."
Côrell sah Nomires an, der anerkennend nickte. Gillham war fasziniert, denn er hatte geglaubt seinen Commander gut zu kennen, doch diese tiefgehenden Gefühlsanwandlungen hätte er ihm niemals zugetraut. Côrell sprach weiter:
"Einige Anhänger der etablierten Priesterschaft sahen ihr Monopol
durch seine Lehren bedroht und so wiegelten sie das Volk gegen ihn auf und brachten einen seiner besten Freunde dazu, ihn für Geld zu verraten. Er wurde gefangengenommen und auf barba-rische Weise getötet. Ich bin recht sicher, daß er sich der Gefangennhame hätte entziehen können, doch seine Philosophie gründete sich auf Menschlichkeit und Nächstenliebe und nicht auf Hass und Verwerflichkeit. Bis zu seinem Tod glaubte er an das Gute in den Menschen und bat sogar seinen Vater, den christlichen Gott, um Vergebung für seine Mörder.
Noch lange gedachte man seiner Geburt durch das Weihnachtsfest, traditionell am 24. Dezember. Meine Großeltern haben es vor ihrer Umsiedelung in den Altenhort ein paar Male gefeiert. Es muß wohl in den letzten Jahrzehnten vor dem galaktischen Exodus auf der alten Erde sehr pervertiert worden sein zu einem reinen Konsumgeschäft, denn die Menschen pflegten sich Geschenke zu machen am Weihnachtsabend und der eigent-liche Sinn des Festes ging in einem allgemeinen Kaufrausch unter".
Côrell sah in die Runde und dann zu Nomires.
"Sie haben mich gefragt, warum wir das alles für Sie getan haben, nun, dies ist die Antwort: Ich weigere mich einfach zuzusehen, wie sich am Weihnachtsabend zwei intelligente, denkende und wertvolle Menschen gegenüberstehen und sich, durch einen sinn-losen Konflikt, welcher nicht der Ihre ist und durch einen Hass der nicht durch Sie geboren wurde, möglicherweise gegenseitig umbringen.
Ich hasse Sie nicht, Hauptmann Nomires, und auch nicht ihre Soldaten, nicht mal die, welche meine eigenen Leute getötet haben, denn sie wussten nichts vom Weihnachtsfest und von der Idee der Nächstenliebe".
In Gillhams Hals bildete sich ein Kloß und das erste Mal seit langem wurde seine apathische Stimmung von einem starken Gefühl der Zuneigung für jemanden verdrängt, dergleichen er noch niemals erlebt hatte. Die Worte Côrells bewegten sein Innerstes. Der Commander schloß das Buch.
"Wir sind alle Menschen, stammen alle aus dem selben warmen Schlamm eines vertrock-neten Ozeans und haben vielleicht das letzte Bisschen Menschlichkeit und Vernunft während des letzten Jahres hier verloren. Und falls der Mensch jemals so etwas wie eine Seele besessen hat oder eine ist, dann sollten wir uns besser mit dem Gedanken vertraut machen, dass wir hier vielleicht die einzigen sind die das nicht vergessen haben auf diesem gottverdammten Planeten, und die heute Weihnachten feiern und sich nicht gegenseitig umbringen".
Gillham sah, wie Côrells Hände zitterten als er seine Kaffeetasse an die Lippen führte. Die Augen seines Kommandanten schimmerten feucht und mehr denn je sah er dort einen alten Mann sitzen, welcher erkannt hatte, daß er Jahre seines Lebens damit verschwendet hatte, Menschenleben zu vernichten, statt diese zu erhalten, mit welcher Rechtfertigung auch immer er dies zugelassen hatte.
Andrew sah in die Runde. Craig stocherte lustlos mit der Gabel in seinem letzten Sojakuchen herum, Stone starrte auf seine Hände.
Nomires überlegte eine ganze Weile, wie er nur hatte so dumm sein können, auf eigene Faust bei diesem Wetter loszuziehen, nur um sich ein Bild vom Frontverlauf zu machen. Um schliesslich hier zu landen. Trotzdem, dachte er, Côrell ist kein Verrückter. Er meint es ernst und wir haben hier nichts zu verlieren. Das Oberkommando hat uns sowieso schon abgeschrieben. Er raffte sich zusammen und brach das Schweigen als erster:
"Diese Funkanlage dort drüben", er deutete auf selbige, "funktioniert die noch, Commander Côrell ?"
Der alte Mann wischte sich eine letzte Träne aus den Augen-winkeln und nickte.
"Ja, warum?", wollte er wissen.
Nun war es an Nomires geheimnisvoll zu lächeln, als er sagte:
"Warum sagen wir es ihnen nicht einfach?"
"Was sagen?", platzte es aus Gillham heraus. Côrell hatte den Gedanken schon erraten, denn seine Miene hellte sich auf.
Stone stieß ihn an und lachte dabei: "Na Mann, wir sagen ihnen, dass es Weihnachten ist, ist doch logisch !"
Craig nickte eifrig und sprang hinüber zur Funkanlage. Das war das Signal. Alle standen auf. Craig wärmte den Sender auf und Nomires gab ihm die nötigen Informationen um die Rundruffrequenz des Solismilitärs einzustellen. Nur Gillham saß wie betäubt am Tisch und fragte sich, ob dies wohl bedeuten könnte, das der beschissene Krieg auf diesem Planeten wohl endlich ein Ende finden würde. Einen Versuch ist es wert, dachte er.
Craig hatte unterdessen eine Trägerwelle aufgebaut, die stabil bleiben und welche man bedingt durch die atmosphärische E-Schicht auf dem ganzen Nordkontinent würde empfangen können. Er reichte Nomires das Mikro. Dieser begann zu sprechen und alle hielten den Atem an:
"Hier spricht Kommandanthauptmann Orlean Nomires, dies ist ein Rundspruch an alle Streitkräfte auf diesem Planeten. In den letzten Stunden habe ich die Gastfreund-schaft von Commander Thomas W. Côrell genossen. Der Commander ist mit mir überein-gekommen, dass es genug Tote auf dieser Welt gegeben hat und es ist, glaube ich, ein guter Zeitpunkt gekommen, am heutigen Tag, die Kampfhandlungen einzustellen. Heute", sagte er gewichtig, "ist Weihnachten und es ist unwürdig für menschliche Wesen sich an einem solchen Tag gegenseitig zu ermorden". Nach einer kleinen Pause setzte er noch hinzu: "Es ist ihrer überhaupt unwürdig".
Commander Côrell wird Ihnen jetzt allen dort draussen, da sie verstreut sind über diesen Planeten den Sinn und die Hintergründe des Weihnachtsfestes erläutern. Mögen die Waffen nun und für immer auf dieser Welt schweigen".
Côrell übernahm das Mikro, hockte sich an das Funkgerät und begann die Weihnachts-geschichte zu erzählen. Craig und Stone grinsten über das ganze Gesicht. Sergant Gillham hörte ein leises Stöhnen hinter sich und fühlte, wie der junge Solis-Soldat sich unter der Decke bewegte. Er schaute den Jungen an, der gerade die Augen aufschlug. Dieser erschrak, als er Gillhams Uniform sah, doch Andrew legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter und sagte:
"Es ist alles in Ordnung, ganz ruhig. Du hast eine Verbrennung am Bein und die wird wohl noch eine Weile sehr weh tun, aber du bist in Sicherheit. Niemand wird dir etwas tun hier. Dein Kommandant ist auch bei uns und es geht ihm gut."
Der Junge nickte und entspannte sich. Seufzend schloß er die Augen und fragte dann:
"Wie lange war ich ohnmächtig, was ist heute für ein Tag?"
Sergant Andrew Gillham lächelte, und voller Frieden in seinem Herzen sagte er:
"Heute ist der Weihnachtstag, mein Junge. Das Fest der Nächstenliebe. Und der Krieg ist vorbei".
EPILOG
An diesem Tage endeten die Kampfhandlungen auf dem Kontinent Agadin. Drei Wochen später wurde von den Regierungen der kriegs-führenden Parteien ein Waffenstill-standsabkommen unterzeichnet und die Soldaten aus dem Procyonis-System abgezogen. Seit dem Weihnachtsabend war dort kein einziger Schuss mehr gefallen...
Auf das WIR dies NIEMALS vergessen !
Ein friedvolles Weihnachtsfest und einen guten Start in das Jahr 2002 wünscht Ihnen und Euch:
Purple Heart Prose
PS: Komme mit dem Umbruch von Word in die Seite noch nicht völlig klar, aber für den ersten Versuch wars ok und man möge mir die Formatfehler verzeihen.
[Beitrag editiert von: Purple Heart am 22.12.2001 um 01:22]