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Bebendes Herz
Sie hörte einige Schüsse aus automatischen Waffen. Mit zitterndem Herzen rannte sie zum Fenster. Irgendwo dort draußen war er und kämpfte für die Minenarbeiter. Sie betete, er seie noch lebendig und wünschte sich nur, sie könnte nach seiner Hand greifen und ihn in ihre Arme schließen. Männer hasteten die Straße hinunter, die mit Stangen und Knüppeln fuchtelten.
Ein Ausbruch von Herzensangst ließ sie erbeben. Erblasst suchte sie sein Gesicht in der tobenden Menge.
Sie wußte nicht, wer die streikenden Arbeiter der neuen Gewerkschaft sind, wer die Anhänger der regierungstreuen Arbeiterorganisation? In den letzten Tagen waren viele Menschen bei den Auseinandersetzungen gestorben. Heute marschierten die Arbeiter erneut zur Platinmine und er war dabei. Ein Brausen von Schreien und Rufen drang zu ihr herauf. Die Männer schlugen erbarmungslos aufeinander ein. Sie taumelte fort vom Fenster. Ihre Beine wurden so weich, als wäre alle Kraft aus ihnen entschwunden. Sie presste die Handflächen auf die Ohren. Sie wollte es nicht mehr hören, die Schmerzensschreie, das Gebrüll. Sie hoffte, er wäre nicht dabei, würde nicht unter den Verletzten oder vielleicht Toten sein. Blind vor Tränen fiel sie gegen die Wand.
Gott, laß es doch enden, bettelte sie. Sie sollen doch aufhören. Laß ihn zu mir zurückkehren, atmend und lebendig. Sie wollte seine Stimme hören, seinen sanften Blick, seine warmen Hände auf ihrer Haut spüren.
Der Lärm auf der Straße verstummte. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und sank an der Wand zu Boden. Tränen rollten durch ihre Finger. Die plötzliche Stille erschien ihr wie eine Ankündigung des Todes. Jeder Funke Hoffnung, jeder Wille in ihr schien zu zerfließen, um ihre Seele in Staub und Kälte zu ertränken. Ihre Tränen versiegten. Ohne ihn wollte sie in dieser bitteren Welt nicht existieren, nicht atmen, nicht weinen, nicht lächeln. Ihre Gedanken, ihre Träume, ihre Gefühle erlöschten.
Sie hörte ihren geflüsterten Namen. Kaum vernehmbar, leise und zitternd. Wehmütig hob sie die schweren Lider und blickte auf. Er stand vor ihr, wirklich und wahrhaftig, die Kleidung zerrissen, das Gesicht blutig.
Sie sprang auf, die Augen erstickt in Tränen. Sie klammerte sich an ihn, umschlang ihn so fest, wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Ihr Körper erschauderte, ihren Lippen entfloh ein flatterndes Stöhnen. Sie küsste seinen Hals, sein Gesicht, seinen weichen Mund. Nichts war mehr von Bedeutung, nichts war mehr wichtig, nur eines, er war wieder zurück bei ihr.