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Beauty and the Beast: Das Gesetz der Demütigung
Architekten und Lehrer sind eine Kombination aus Menschen, bei der man das Endprodukt auf keinen Fall hinterfragen sollte, weil die Erkenntnis den eigenen IQ umgehend um einige Punkte senken könnte.
In meinen Anfangsjahren einer höheren Schule war unser Klassenzimmer in einem Trakt des Gebäudes, unsere Kästchen für unsere Schulbücher in einem anderen Trakt. Natürlich war es verboten, die Bücher unter der Schulbank zu bunkern, was zur Folge hatte, dass nach jeder Stunde eine kleine Völkerwanderung ausbrach.
Die Klasse teilte sich in kleine Gruppen, die über die Pause verteilt Bücher für die nächste Stunde holten. Für wen die leeren Kästchen neben unserem Klassenzimmer waren, konnte ich während meiner Schulzeit leider nicht in Erfahrung bringen.
Nach der ersten Stunde trat ich also mit meinem Sitznachbarn die kleine Wanderung an. Neben unseren Kästchen befand sich eine andere Klasse und einige Schülerinnen saßen an der Wand. Ich lernte ein hübsches, blondes Mädchen kennen, das mir von der ersten Minute an den Spitznamen „Biest“ gab und ich nannte sie dafür „die Schöne!“
Meine erstes Schuljahr wanderte ich also mehrmals täglich mit meinem Banknachbarn zu den Kästchen, wo fast immer die Schülerinnen der anderen Klasse saßen und wann immer die Schöne dabei war, begrüßte sich mich mit „Hallo Biest“ und ließ einige bissige Kommentare folgen.
Ich nahm dieses demütigende Ritual einfach hin, lachte, blieb immer höflich, fand schließlich sogar Gefallen an unserem Spiel und verabschiedete mich immer mit „Bis zur nächsten Pause, meine Schöne!“
Mit der Zeit bemerkte ich, dass es bald keine Pause mehr gab, in der die Schöne nicht an der Wand neben den Kästchen auf mich wartete und ich fragte mich langsam, warum sie nie ihre Bücher aus ihrem Kästchen holen musste.
Die Antwort lieferte ihr Zeugnis, denn die Schöne war in der Geschichte meiner Schule die schlechteste Schülerin aller Zeiten. Als ich nach den Ferien mit einer seltsam aufregenden Erwartung an unser Ritual wieder zu meinem Kästchen ging, war die Schöne verschwunden.
Ich irrte verstört umher, versuchte sie unauffällig zu suchen, begann schließlich zu recherchieren und musste erfahren, dass die Schöne meine Schule verlassen hatte. Sie würde nie wieder auf mich warten.
Nachdenklich lebte ich mein Leben weiter, war davon überzeugt, dass es noch viele Demütigungen für mich bereithalten würde, beendete meine Schule und die Militärpflicht und beschloss ein College zu besuchen.
Ich zog also in die große Stadt in ein Studentenheim und begann mein neues Leben. Ich glaube es war ein gewöhnlicher Donnerstag an dem mein Zimmerkollege und ich zu einer Geburtstagsparty voller Studenten eingeladen waren.
Wir beschlossen vorher etwas zu essen, uns noch einen Film anzusehen und dabei ein wenig Alkohol zu trinken. Wir gingen in einen Supermarkt, sahen uns um, fanden eine Flasche mit einer grünen Flüssigkeit und lasen: Absinth, siebzig Prozent. Gekauft!
Die nächsten Stunden verbrachten wir mit einer Kombination aus Extrem-Couching, Nahrungsaufnahme zur Bildung einer alkoholabsorbierenden Unterlage, dem Film Evolution, Zucker, Feuer und Absinth.
Es wurde Abend, der Film, das Essen und der Alkohol gingen langsam zur Neige und unsere Freunde auf der Geburtstagsparty fragten sich bereits, wo wir blieben. Also machten wir uns stadtfertig und wankten zielsicher zu der angegebenen Diskothek.
Zwei Türsteher sahen uns schon von weitem und schüttelten ihre Köpfe. Doch solche Demütigungen waren wir gewohnt und ohne zu zögern zückten wir unsere Handys. Bald kamen dreißig Leute aus der Disko und begannen mit den beiden übergewichtigen Herren zu diskutieren. Das lieben sie, die Türsteher.
Die beiden Menschen waren jene Art von Securities, die sogar anderen Türstehern peinlich sind. Während also unsere Freunde argumentierten und unsere Freundinnen ihren Scharm spielen ließen, begannen die beiden Jünglinge zu hyperventilieren.
Sauerstoff war ohnehin kein gern gesehener Gast in ihren Gehirnen und da dieser nun vollkommen zu fehlen schien, reagierten sie mit dem einzigen Wort, dass sie jahrelang verinnerlicht hatten: „Nein!“
Wir winkten ab und schmiedeten einen neuen Plan. Unsere Freunde kehrten in die Diskothek zurück, während wir in der angrenzenden Bar zwei Bier bestellten, um den Absinth zu verdünnen und eine Runde Poolbillard spielten. Billard und Alkohol werden wohl nie die besten Freunde werden.
Keine zwanzig Minuten später standen wir wieder auf der Straße und beobachteten, wie unsere Freunde mit weiteren dreißig bis vierzig Gästen die Diskothek verließen, während der Besitzer hinterhereilte und sich beschwerte, dass er nun den ganzen Donnerstagabend keine Gäste mehr hätte.
Wir ignorierten ihn, denn wir hatten andere Probleme, immerhin war der Abend noch jung. Eine kurze Diskussion wog durch die Masse, bis einer plötzlich „Karaoke“ schrie und alle zu jubeln begannen. Eine Gruppe aus gut fünfzig Leuten machte sich also auf den Weg.
Mein Freund und ich holten uns noch zwei Bier für die Wanderung, wankten der Partygesellschaft nach und kamen schön langsam in Stimmung. Endlich am Ziel angekommen setzten wir uns in eine Ecke, bestellten noch ein Bier zum Ausnüchtern und lauschten den menschlichen Stimmen, die den Harmonien für diesen Abend den Krieg erklärt hatten.
Als wir schließlich aufstanden und zur Toilette wankten, blieb mein Freund irgendwie bei der 40jährigen Tontechnikerin kleben, die ihn ins Gebet schloss und ihm alles über ihren Job erzählte. Meine Rufe „ich studiere gerade Tontechnik“, ignorierte sie.
Schließlich löste sich die Party auf, doch wir verspürten noch nicht die geringste Lust nach Hause zu gehen. Die Tontechnikerin hatte nun Feierabend und lud meinen Freund und mich in einen Club ein.
Ohne zu überlegen verabschiedeten wir uns von unseren übermüdeten Kollegen, wünschten ihnen einen guten Heimweg, kauften uns noch ein Bier auf den Weg und wankten unserer neuen Freundin willenlos hinterher.
Wir wanderten quer durch die Stadt, bogen schließlich in eine abgelegene Straße, stolperten über einige Treppen nach unten und befanden uns sogleich in einem großen Vorraum mit rotem Teppich.
Die beiden Türsteher begrüßten die Tontechnikerin herzlich, sahen sofort von jeglicher Bezahlung für den Eintritt ab und wollten uns schon den Weg freimachen, als sie die Bierflaschen in unseren Händen sahen.
Wir erkannten sofort unsere übergeordnete Position und begannen mit den beiden Männern zu diskutieren. Letztendlich muss ich zugeben: „Wenn Türsteher dich nicht aufhalten dürfen, dann sind sie eigentlich ganz lieb.“
Die Tontechnikerin war die beste Freundin der Frau des Chefs. Die Chefin würde also super sauer werden, wenn die beiden neuen guten Freunde ihrer Freundin nicht ins Lokal dürften und der Chef wäre wiederum super sauer, wenn wir mit zwei Bierflaschen durch die Räume schlendern würden.
Als nach einer halben Stunden Diskussion kleine Rauchwölkchen aus den Ohren der beiden Türsteher aufstiegen und ihre Gehirne drohten zu überhitzen, schlossen wir einen Kompromiss: „Ok, hört zu! Wir lassen die beiden bodenbedeckten Flaschen hier, doch ihr müsst darauf aufpassen. Wir holen sie uns später wieder ab.“
Zu unserer Überraschung stimmten die beiden Türsteher erleichtert zu und wir wankten in den Club. Roter Teppich, purpurne Tapeten, Gemälde von lasziven Frauen und halbnackte Mädchen erfüllten die Räumlichkeiten, doch unser jugendlicher Rausch ließ keine Zweifel aufkommen.
Die Tontechnikerin wartete bereits ungeduldig auf uns und schritt nun wieder voran. Sie führte uns durch mehrere Tanzflächen und über eine Treppe zu einem erhöhten VIP-Bereich, von dem aus man über den halben Club sehen konnte.
Wir wurden mit der Chefin und einigen ihrer osteuropäischen Freudinnen bekanntgemacht und schließlich gebeten uns mit ihnen an einen Tisch zu setzen, in dessen Mitte Wodka mit mehreren Mischgetränken stand.
„Endlich wieder einmal richtiger Alkohol. Bei dem ganzen Bier wären wir ja schon fast gänzlich ausgenüchtert“, skandierten wir lautstark und langten kräftig zu. Insgeheim fragten wir uns jedoch, wie man überhaupt so viel trinken konnte. Doch immerhin hatten wir früh angefangen und für eine gute Unterlage gesorgt. Vorbereitung ist eben der halbe Rausch.
Wir begannen also zu feiern, sprachen ein wenig holprig mit den osteuropäischen Freundinnen, versuchten zu tanzen, entschlossen uns eher für das Trinken und beobachteten das Geschehen auf den Tanzflächen, bis ich schließlich auf die Toilette musste.
Ich wankte also leichtsinnig aus dem VIP-Bereich, fragte knapp acht Barkeeper und Sicherheitsmänner nach den Toiletten, fühlte mich sogleich erleichtert und versuchte wieder zu meinem Freund zurückzufinden, als mich plötzlich eine Prostituierte ansprach. Erst kniff ich meine Augen zusammen, dann weiteten sich meine Pupillen und schließlich rief ich voller Freude: „Die Schöne!“
Ihr Kiefer klappte nach unten, während sie mir freudig in die Arme fiel und drückte. Es dauerte über eine Minute, bis wir uns schließlich wieder voneinander lösten. Fast gleichzeitig plapperten wir über alten Zeiten, versprachen uns hastig, uns bald wieder zu treffen, verzichteten auf jeglichen Austausch von Kontaktdaten und verabschiedeten uns herzlich.
Mit einem seltsamen Gefühl im Bauch wankte ich in den VIP-Bereich zurück, trank mein Getränk aus und zerrte meinen Freund nach draußen, wo bereits die Türsteher unsere Bierflaschen für uns bereithielten.
Die ersten Sonnenstrahlen weckten gerade die Stadt auf. Wir warfen unser Bier weg und wankten los. Ich kann nicht mehr sagen, wie viele Straßen wir durchquert und wie viele Abzweigungen wir genommen hatten, bis wir am späten Vormittag endlich unser Studentenheim erreichten, ins Bett fielen und sofort einschliefen.
Als wir gegen Abend erwachten, langsam in die Küche schlurften, uns eine Suppe machten und Wasser literweise in uns hineinschütteten, versuchten wir den gestrigen Abend noch einmal revuepassieren zu lassen. Wir erkannten schnell, dass wir den Club nie wieder finden würden.