Hallo, @Artaios Olafson
Ob ich heute mal eine Geschichte von Dir kommentieren darf? Ich hoffe doch. Also erst einmal ein fröhliches: Willkommen bei den Wortkriegern!
In Deiner Geschichte dreht sich alles um Emotionen, um das Unzufriedensein mit sich selbst, auch wenn objektiv gesehen alles super ist. Woher diese Unzufriedenheit kommt und wie sie sich anfühlt, versuchst Du, mit diesem Traum in dieser Geschichte zu untersuchen.
Mein Problem dabei ist: Ich fühle nicht wirklich mit Deinem Prot mit. Dabei ist das ja gerade hier so wichtig, wenn Gefühle im Zentrum der Geschichte stehen. Das liegt v.a. daran, dass Du die Gefühle zwar analysierst, sie aber Deinen Prot und Deine Leser/innen nicht wirklich durchleben lässt. Das ist ein häufiger Fehler, den Autor/innen zu Anfang machen, und das Geheimrezept trägt einen etwas ausgelutschten Namen, eben weil es so oft beschworen wird: Show, don’t tell. Was das heißt, da gehe ich lieber beispielhaft im Text drauf ein.
Also anschnallen, ich lege die Lupe drauf:
Dicke Tropfen krachen auf das Dachfenster, durch welches ich in den grauen, wolkendurchzogenen Himmel starre. Währenddessen hämmert in den Boxen neben meinem Bett, auf dem ich liege, Ambient Black Metal und vermischt sich mit der Musik des Regens zu einem melancholischen Orchester, welches mich zu Tagträumereien anregt.
Ich weiß nicht genau, was so viele Menschen an „welche/s/r“ finden. Was hast Du denn gegen „der/die/das“ einzuwenden? Ich finde, das klingt immer schöner und weniger umständlich. Da ich das „welche/r/s“ so häufig bei Studierenden beobachte, nehme ich an, dass das genau der Knackpunkt ist: Man verwendet lieber längere Wörter, um klüger zu klingen. Ich finde, es klingt beknackt, habe letzte Woche erst drölftausend „welche/r/s“ aus der Studienarbeit meines Freundes gestrichen. Für literarische Texte gilt das natürlich noch viel stärker. Niemand spricht so. So was wird einem in der Schule nur als Hilfe an die Hand gegeben, damit man Relativsätze erkennt. Deshalb denke ich immer, wenn jemand "welche/r/s" schreibt: Ach, diese Person ist in der Schule mit Relativsätzen nicht klargekommen. Selbst wenn das so ist, dann gehe nach dem Schreiben nochmal durch den Text und ersetze alle "welche/r/s" durch "der/die/das". Das klingt organischer, natürlicher und weniger gestelzt und unbeholfen.
Übrigens: „Ambient Black Metal“? Ich meine, ich habe früher auch viel Metal gehört und benutze aus Spaß „Fachbegriffe“ wie „True Scottish Pirate Metal“. Aber das ist Quatsch, bringt mich an dieser Stelle zum Lachen, und eher unbedarfte Personen verwirrt das wahrscheinlich. Ich meine, mir sagt „Black Metal“ schon mal mehr als „Metal“, aber „Metal“ reicht für Ottonormalleser/in als Information wahrscheinlich erstmal aus. Und was „Ambient Black Metal“ anderes sein soll als ein blöder Witz, weiß ich nicht.
Müde vom starren in den Himmel, setze ich mich auf.
„Starren“ groß, Komma weg. Und hier geht’s los mit dem Tell. Du sagst, Dein Prot wäre müde. Du zeigst es aber nicht. Reizvoller wäre vielleicht: „Langsam setze ich mich auf und reibe mir die verklebten Augen.“ Aha, da geht das Leserinnenhirn an, und Du signalisierst Müdigkeit, ohne „müde“ zu sagen. Das ist die Kunst.
Die größte Frage, die ich mir dabei täglich stelle ist, welche Band ich heute mit meiner Kleidung Lobpreise.
„lobpreise“ klein. Außerdem weiß ich nicht genau, wozu Du diesen Absatz brauchst. Das ist danach nie wieder wichtig. Dein Prot zieht sich an und geht direkt wieder ins Bett. Na ja.
Gelangweilt setze ich mich wieder auf mein Bett. Es gäbe so viel zu erledigen.
Auch das ist Tell. Woran sehe ich, dass Dein Prot gelangweilt ist? Ist gelangweilt überhaupt das richtige Wort? Denn es gäbe ja so viel zu erledigen, Dein Prot erscheint aber eher antriebslos. Wenn mir langweilig ist, liebe ich es, liegengelassenes zu erledigen. Ich würde dieses Wörtchen „gelangweilt“ streichen und alles andere so lassen, dann überlässt Du die Interpretation des Verhaltens Deines Prots den Leser/inne/n.
Plötzlich überkommt mich ein starkes Gefühl der Hilflosigkeit
Auch das ist Tell. Woran erkennt man das eigentlich? Es ist komplett unanschaulich. Ich habe dazu kein Bild vor Augen, ich fühle nichts. Besser wäre so etwas wie: „Ich spüre wieder dieses Magendrücken“, oder wie auch immer sich das „starke Gefühl der Hilflosigkeit“ anfühlt. Analysiere die Gefühle nicht, gib ihnen keine Namen. Beschreibe die Gefühle.
um dann auf meiner Matratze aufzuschlagen und einen kleinen nassen Fleck zu hinterlassen.
Hm. Ich weiß nicht. Tränen, die irgendwo aufschlagen, das glaube ich immer nicht so ganz. Wenn man beim händischen Schreiben weint, dann geht so etwas. Weil man dann vornübergebeugt ist, und dann laufen die Tränen über die Nasenspitze und tropfen dann runter. (Romantisch ist das nicht.) Wenn man aber aufrecht sitzt oder im Bett wahrscheinlich sogar ein wenig zurückgelehnt, dann laufen die höchstens den Hals runter und versickern in der Kleidung. Meistens enthalten Tränen aber so wenig Flüssigkeit, dass sie irgendwo auf dem Gesicht eintrocknen. Außer, man ist richtig am Heulen, aber dann laufen da nicht einzelne Tränen runter.
Warum ich mir darüber so viele Gedanken mache? Weil dieses Bild ständig von Autor/inn/en oder (oh, Graus!) Animemacher/inne/n beschworen wird. Ich war aber auch mal ein theatralisches Teeniemädchen und habe versucht, solche Effekte zu erzeugen. Selbst wenn man es darauf anlegt, das passiert niemals. Niemals.
Deshalb: Ja, so etwas wird ständig geschrieben. Und ja, immer wenn ich das lese, verdrehe ich die Augen und frage mich, ob die Autor/inn/en nie selbst geheult, sondern immer nur Animes (oh, Graus!) geguckt haben. Nein. Einfach nein.
Ich kann nicht mehr. Es läuft doch alles super, versuche ich mir einzureden. Frisch abgeschlossene Berufsausbildung. Viele Freunde. Eine intakte Patchwork-Familie. Warum habe ich keine Kraft mehr. Ich möchte gerne glücklich sein, aber ich kann die Lücke in meinem Herzen nicht füllen.
Totaler Tell-Block, alles Tell, super-unanschaulich. Nichts davon ist sichtbar, nichts davon ist erlebbar. Du willst ja aber, dass ich mitfühle. Dafür darf Dein Prot so etwas nicht einfach berichten. Er sitzt nicht vor einem/einer Autoren/Autorin und erzählt nüchtern seine Lebensgeschichte. Er ist verzweifelt, es geht ihm schlecht, und er versteht nicht warum! Zeig das. Sag das nicht einfach.
So viele unbeantwortete Fragen. So viele Ereignisse in den letzten Wochen, welche ich versuche zu sortieren. Dringende Aufgaben, welche ich nur vor mir hergeschoben habe. Mein Hirn rattert alles durch und versucht Antworten zu finden. Je mehr ich mir den Kopf über diese Dinge zermartre, überkommt mich die Müdigkeit und meine immer noch feuchten Augen fallen zu.
Auch totaler Tell-Block. Und „welche”. Grr. Außerdem Komma vor „Antworten“, und nach einem „je“ folgt ein „desto“, also „desto mehr überkommt mich die Müdigkeit …“.
Ich fühle mich wunderbar.
Auch das ist Tell. Wie fühlt Dein Prot sich? Nicht benennen, besser zeigen. Bei "wunderbar" habe ich nichts, wobei ich mitfühlen kann. Woran sieht Dein Prot, dass die anderen Spaß haben? Lachen sie gemeinsam, drehen sich bis zum Gefühl von Schwerelosigkeit, so was? Das wäre anschaulich und mitfühlbar.
Das warme Sonnenlicht erfüllt einen wunderschönen Garten, welcher von den herrlichsten, satten Farben durchzogen ist und ein Blumenmeer der Extravaganz beherbergt.
„wunderschön“ und „herrlich“, das ist wertend und zugleich unanschaulich. Ich muss Dir das glauben, weil Du keine Bilder lieferst, an denen ich das beurteilen könnte. Viel schöner wäre, Du würdest zeigen, wie das genau aussieht und die Bewertung mir überlassen. So sind das nur Worthülsen, und es entstehen keine Bilder dazu. Das Erzeugen von Bildern im Kopf Deiner Leser/innen ist aber Deine wesentliche Aufgabe.
In der Mitte sind Tische und eine Musikanlage aufgebaut, welche Irish Punk hervorschmettert und die gute Laune aus den Leuten herauskitzelt.
Du weißt schon.
Einer meiner besten Freunde kommt auf mich zu und deutet mir, mit ihm zum Tisch zu kommen um dort einen Kurzen zu trinken.
„bedeutet“ statt „deutet“ und Komma vor „um“.
freudig laufe ich im hinterher und spüre, wie dabei ein leichter Wind durch mein langes Haar und meinen dichten Bart weht und mir sanft über das Gesicht streicht.
Mit solchen Adverbien wie „freudig“, „müde“ und „gelangweilt“ nimmst Du Abkürzungen, anstatt Gefühle richtig zu beschreiben. Dieses hier würde ich z.B. einfach streichen. Das Laufen und der Genuss des Windes auf dem Gesicht illustrieren das schon anschaulich, da brauche ich keine Interpretationshilfen.
Es riecht wunderbar blumig und erfüllt mein Herz mit Freude.
„wunderbar“ würde ich streichen, bietet keinen Mehrwert. „erfüllt mein Herz mit Freude“ ist wieder so eine unanschauliche Floskel. Wie fühlt es sich denn an, wenn sich das Herz mit Freude füllt?
Plötzlich spüre ich wie der Wind stärker wird und mit sich auch die gute Stimmung hinfort trägt.
Komma vor „wie“. Alles ab dem „und“ würde ich streichen. Das veranschaulichst Du schon metaphorisch durch den Wetterumschwung, und das wird auch danach deutlich.
Ich richte meinen Blick wieder nach vorne, wo gerade vermeintlich alle noch fröhlich gefeiert hatten.
Was soll dieses „vermeintlich“? Alle waren doch fröhlich? Oder haben die nur so getan? Würde ich streichen. Und das „fröhlich“ vielleicht auch. Das wissen wir ja, wenn Du’s erstmal richtig gezeigt hast, und die wenigsten Leute feiern traurig. Bietet deshalb kaum Mehrwert.
Alle starren mich an, bis einer nach dem anderen sich kopfschüttelnd und mit einem enttäuschten Blick abwendet und mich alleine in der traurig-grauen Umgebung zurück lässt.
Und wie sieht dieser „enttäuschte Blick“ genau aus?
Ein Stich im Herzen, lässt mich auf die Knie fallen und treibt mir Tränen in die Augen.
Komma weg.
Ekel vor mir Selbst überkommt mich und lässt meinen Magen zu krampfen beginnen.
„selbst“ klein. Und weniger umständlich wäre: „… und mein Magen zieht sich zusammen.“ Oder so. Formulierungen mit „lassen“ sind ja häufig … eher hässlich.
Ich höre hier erstmal mit Anmerkungen zum Zeigen vs. Tellen auf. Ich hoffe, Du hast verstanden, worum es geht: Es geht darum, Dinge nicht einfach zu benennen und zu behaupten, dass sie da wären. Das wäre in einer Analyse der Psyche Deines Prots angebracht, nicht aber beim Erzählen von Geschichten. Beim Erzählen von Geschichten wollen wir, dass unsere Leser/innen mit den Figuren mitfühlen, nicht dass sie genau durchanalysiert haben, wo die Problemlage des Prots ist.
Deshalb ist es eher unwichtig, den Gefühlen einen Namen zu geben. Wichtig ist, dass Du anschauliche Bilder oder Gefühle beschreibst, die Deine Leser/innen nachempfinden können. Das ist eine extrem schwere Aufgabe, weil man halt über das bloße Benennen hinausgehen muss. Du musst beim Schreiben nicht nur wissen, was das für ein Gefühl ist, tatsächlich ist viel wichtiger, dass Du weißt, wie das Gefühl sich anfühlt. Darauf würde ich in der Überarbeitung den Fokus legen. Und lass Dich nicht entmutigen, wenn es nicht auf Anhieb klappt. Denn sobald Du das gemeistert hast, wird Dein Schreiben sich extrem verbessert haben.
Schau Dich doch mal hier im Forum um, was es so zu entdecken gibt. Letztens gab es hier eine Geschichte dazu, wie einem Prot klar wird, dass er sich als Frau wohler fühlen würde. Schau Dir doch mal an, wie die Autorin das dort umgesetzt hat: https://www.wortkrieger.de/index.php?threads/der-letzte-buchstabe.63387/
Jetzt noch ein paar Kleinigkeiten:
Im Wasser vor mir, sehe ich eine hübsche Frau.
Komma weg.
Ihr langes, lockiges Haar umschmeichelt ihr zartes Gesicht…
Wenn Du den Satz und nicht das Wort abbrichst, kommt vor den drei Punkten ein Leerzeichen.
Als ich nach oben schaue, steht dort wieder mein bester Freund von vorhin und lächelt mich an.
„von vorhin“ klingt so, als wäre das vorhin ihr bester Freund gewesen. Dabei hat man beste Freunde doch meistens nicht nur für einen kurzen Zeitraum. Würde ich streichen.
Wir laufen gemeinsam los und ich spüre wie meine Haare im warmen Sommerwind tanzen und als wir wieder den Feierlichkeiten näher kamen, sah ich sie wieder alle.
Komma vor „wie“. Und wie soll ich dieses: „sah ich sie wieder alle“ verstehen? Waren die zwischendurch unsichtbar?
Verwirrt und schlaftrunken setze ich mich auf und spüre ein Gefühl der Erleichterung, als wären alle Fragen beantwortet und ich spüre wie langsam eine Träne der Freude über meine Wange kullert.
Komma vor „wie“.
So, das war’s erstmal von mir. Ich hoffe, ich erschlage Dich damit nicht, ich weiß, dass das keine leichte Aufgabe ist. Aber ich hoffe, ich konnte sie halbwegs anschaulich schildern und Dir damit weiterhelfen. Das könnte was werden, aber es wird Arbeit. Also: Make it work!
Im Übrigen denke ich aber, dass es eine gute Entscheidung war, erstmal von der Kurtisane Abstand zu nehmen. Das hier ist schon mal viel besser.
Und viel Spaß im Forum.
Tränenrollende Grüße,
Maria