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Baumblick

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02.01.2015
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Baumblick

Ich bin ein Baum und dies ist mein Raum. Seit einhundert Jahren schon. Mit meinen Wipfeln spielt der Wind, fliegt sie durchpflügend über die Wellen, die plätschern unten an den Stamm.
Herum um mich ist Weite, ist Wasser, ist eine Wand. Gräser und Blumen, ein schmaler Weg und ein Backsteinhaus, dabei: ein kleiner Streifen Land. Nicht alles war schon immer da. Ach, - die Blumen. Doch sind sie anders, jedes Mal.
Neben mir geht die Sonne auf, Tag für Tag. Und neben mir geht sie unter, auf der anderen Seite und dann ist es Nacht. Mal ist´s der Schnee, mal die Blätter, die meine Zweige nach unten beugen. Es geht vorüber, es schmilzt, mit der Zeit wird alles anders.

Doch die Blätter, meine Kinder, sie streiten. Sie rascheln und rauschen, sie fliegen fort und zerzausen. So sprechen sie, die das Wasser sehen:
„Dieser See, das einzig Wahre, das Ewige, das Beständige. Auch regnet es auf uns herab, auf uns alle. Also glaubt dem Wasser.“
Und so antworten jene, welche das Backhaus sehen:
„Es gibt wohl Wasser von oben, doch keines von unten. Eine Sammlung von Wasser existiert nur in kleinen Flächen, niemals aber ist es so, wie ihr es sagt. Bestand hat nur dieses Haus, sein Gras und die Blumen vor dem Haus.“
Die aber ins Weite sehen, sagen:
„Wohl gibt es Wasser und Blumen, doch ein Haus, - was soll das sein? Wir sehen es nicht, also gibt es kein Haus. Und das Wasser in seiner Sammlung, wir können es erahnen. Mag es möglich sein. Doch zu behaupten, es gäbe ein Haus – das ist eine Lüge!“
So streiten sie über die Wahrheit, über Richtig und Falsch, doch einig sind sie: Tag und Nacht sind für alle gleich.

Und wenn es Herbst wird, dann verlassen sie mich. Lassen mich kahl und nackt zurück.
Meint doch ein jedes, ihm sei die Richtung gegeben. Meint doch ein jedes, sein Weg wäre klüger. Meint doch ein jedes, sein Blick wäre wahr.

Einst war ich klein, ein Samenkorn allein. Licht und Wasser ließen mich entstehen, machten mich zu dem, der ich jetzt bin: alt und groß. Nie brauchte ich viel, war immer genügsam. Meine dunkle Rinde ein guter Schutz.

Törichte Blätter. Wissen nichts vom Stamm und Zweigen, wissen nichts von der Erde, die sie nährt. Sehen nicht, dass sie alle sind vom gleichen Baum mit denselben Wurzeln.
Und dann, einst, wenn sie sich lösen und ihr Samen auf guten Grund fällt, ja, dann ...

 

Doch die Blätter, meine Kinder, sie streiten.

Hallo Runa,

eine kleine, wie ich meine, schöne Parabel über die Geschichts-, vielleicht sogar Bewusstlosigkeit der jüngeren Generationen, aber "die Blätter" sind keineswegs "Kinder" des Baums. Wenn man einen Baum mit einem Säugetier wie Homo sapiens vergleicht (was die Puhdys können - "Alt wie ein Baum" - können wir schon lange!), wäre das Kleid der Blätter mit unserer Haut zu vergleichen, selbst wenn die eher geräuschlos ist denn raschelnd und rauschend. Aber Du weißt es ja:

Einst war ich klein, ein Samenkorn allein.
Aber mit einem Samenkorn kann man halt die Kernaussage
Törichte Blätter. Wissen nichts vom Stamm und Zweigen, wissen nichts von der Erde, die sie nährt. Sehen nicht, dass sie alle sind vom gleichen Baum mit denselben Wurzeln.
so recht nicht formulieren.

So viel oder doch eher wenig für heute vom

Friedel,
der noch ein schönes Wochenende wünscht und bestimmt noch mal vorbeischaut!

 

Hübsch. Schön unaufgeregt geschrieben, angenehme Sprache, die nicht aufgesetzt oder gestelzt wirkt. Bringt einen zum Nachdenken und lässt Raum für verschiedene Interpretationen. Teilweise etwas gewagte Zeichensetzung.

Mal ist´s der Schnee
Ist’s
Das, was du da verwendet hast, ist ein Akzent. Akzente stehen immer über einem Buchstaben, nie über einem Leerzeichen.

Und dann, einst, wenn sie sich lösen und ihr Samen auf guten Grund fällt, ja, dann ...
Das Problem hier ist, dass Blätter weder Samen haben, noch ihr Fallen in Verbindung mit den Samen eines Baums steht. So passt das Ende für mich leider nicht, auch wenn das Bild schön ist.

 
Zuletzt bearbeitet:

Dankeschön!

Ja, ich bin leider keine Botanikerin, also da muss ich wohl noch mal ran.

Was sind denn die Blätter vom Baum, wenn nicht die "Kinder"? - Wir haben hier einen Ahorn, bei dem ist das so.
Oder nicht???
Vielleicht sollte ich ... ja doch, ich hab´s, glaube ich:

Die Früchte, die streiten!

Diese kleinen Früchtchen aber auch. So nennt man ja sogar Kinder! :) Cool, danke. Werd ich später einpflegen.

Aber was ist denn mit den Blättern???

Beste Grüße

Runa


Hallo Friedel! :anstoss:
(Es gibt keinen Winkesmiley, daher habe ich mich für diesen entschieden. Hehe.)


Die Blätter als Haut ...?
Ich bin nicht überzeugt.
Aber ich werde weiter nachdenken.

Die Blätter haben ja auch eine gewisse Selbstständigkeit.

Für mich wäre die Rinde die "Haut", die Blätter eher sowas wie Haare.

Hm.

Aber einen Menschen hatte ich dabei gar nicht so sehr im Sinn. Es ging mir eher um so eine grundlegende Welt/Universums/Parabel-Gedöns ... also z.B. die Zweige als etablierte Denksysteme, z.B. Religionen; die alle dieselbe Wurzel haben.


Hab neulich viel übers Universum gelesen, das war ja mal ganz winzig klein. Und da sind wir alle rausgekommen. Faszinierend! :)

Äh. Ja.

Aber letztendlich hast Du natürlich recht, dass das in letzter Konsequenz anthropozentrisch gedacht und ausgelegt ist - bin ja auch einer, also ein Mensch.

Ich werde nachdenken.

Bis bald!


Runa

 

Hier eine zweite Variante mit - hoffentlich- besserem Blätter-Frucht-Verhältnis.

Ich bin ein Baum und dies ist mein Raum. Seit einhundert Jahren schon. Mit meinen Wipfeln spielt der Wind, fliegt sie durchpflügend über die Wellen, die plätschern unten an den Stamm.
Herum um mich ist Weite, ist Wasser, ist eine Wand. Gräser und Blumen, ein schmaler Weg und ein Backsteinhaus, dabei: ein kleiner Streifen Land. Nicht alles war schon immer da. Ach, - die Blumen. Doch sind sie anderes, jedes Mal.
Neben mir geht die Sonne auf, Tag für Tag. Und neben mir geht sie unter, auf der anderen Seite und dann ist es Nacht. Mal ist´s der Schnee, mal die Blätter, dann viele Früchte, die meine Zweige nach unten beugen. Es schmilzt, es weht davon, mit der Zeit wird alles anders.

Doch die Blätter, sie streiten und verwirren meine fruchtigen Kinder.
So sprechen die Blätter, die das Wasser sehen:
„Dieser See, das einzig Wahre, das Ewige, das Beständige. Auch regnet es auf euch herab, auf uns alle. Also glaubt dem Wasser.“
„So wollen wir den Blätter glauben, die dort wachsen, wo die Sonne untergeht“, sagen meine Kinder.
Jene Blätter aber, die das Backhaus sehen, sprechen:
„Es gibt wohl Wasser von oben, doch keines von unten. Eine Sammlung von Wasser existiert nur in kleinen Flächen, niemals aber ist es so, wie die anderen Blätter sagen. Bestand hat nur dieses Haus, sein Gras und die Blumen vor dem Haus.“
Dann entzweien sich meine Kinder, ein manches wird gar faul dabei und fällt ab.
Die Blätter aber, die ins Weite sehen, sagen:
„Wohl gibt es Wasser und Blumen, doch ein Haus, - was soll das sein? Wir sehen es nicht, also gibt es kein Haus. Und das Wasser in seiner Sammlung, wir können es erahnen. Mag es möglich sein. Doch zu behaupten, es gäbe ein Haus – das ist eine Lüge!“
Und meine Kinder erröten wegen ihrer Unwissenheit, werden reif und schwer.


Die Blätter aber streiten über die Wahrheit, über Richtig und Falsch, über den einzigen Blick.
Und wenn es Herbst wird, dann verlassen sie mich. Lassen mich kahl und nackt zurück.
Meint doch ein jedes, ihm sei die Richtung gegeben. Meint doch ein jedes, sein Weg wäre klüger. Meint doch ein jedes, die Sonne scheine nur für sich.

Einst war ich klein, ein Samenkorn allein. Licht und Wasser ließen mich entstehen, machten mich zu dem, der ich jetzt bin: alt und groß. Nie brauchte ich viel, war immer genügsam. Meine dunkle Rinde ein guter Schutz.

Törichte Blätter. Wissen nichts vom Stamm und Zweigen, wissen nichts von der Erde, die sie nährt. Haben vergessen, dass sie alle am gleichen Baum hängen, dass sie alle dieselben Wurzeln haben. Erzählen meinen Kindern nur die Wahrheit, die sie sehen.
Doch wenn die Früchte sich lösen und ihr Samen auf guten Grund fällt, ja, dann …

 

Ja, ich bin leider keine Botanikerin, also da muss ich wohl noch mal ran.

Was soll ich sagen,

liebe Runa?,
der weder vom Baum der Erkenntnis noch sich sonderlich für Biologie interessiert hat, der von Hause aus Chemielaborant (Facharbeiter), Industriekaufmann und Herumtreiber in den Sozialwissenschaften ist und nicht mal Latein kann?! Mein Schwager und …ela können sogar die Bäume und andere Pflänzchen mit Namen anreden, mir bleiben sie stumm und wenn ich was sag, errötet selbst das Radieschen, das ich nicht mal von unten ansehn will, aber ganz gern aufess.

Was sind denn die Blätter vom Baum, wenn nicht die "Kinder"?
Aber Du weißt doch, dass sich Kinder und solche Früchtchen gerne widerstreiten …
Aber was ist denn mit den Blättern???
[…]
Die Blätter als Haut ...?
Ich bin nicht überzeugt.
Aber ich werde weiter nachdenken.
[…]
Für mich wäre die Rinde die "Haut", die Blätter eher sowas wie Haare.

Nee, Haare wachsen zwar aus der Haut, sind aber hornig, können nicht atmen. Aber wie die Haut dienen Blätter Assimilation, Gaswechsel und Transpiration. Und noch was: Auch der Samen ist beileibe kein Kind. Wie beim Getier muss noch was hinzukommen … Hinzu kommt dann noch die Vermehrung durch den Setz-/Steckling: Ein Zweig, der Wurzeln schlägt.

Ach, was quatsch ich …
Du wirst es schon hinkriegen und arbeitest doch dran, wie wir sehen. Und wenn nicht - auch ich will alt werden wie ein Baum … was noch ziemlich lang dauern kann ...

Friedel,
der jetzt erst recht noch mal vorbeischauen muss, und es nicht ungern tun wird!

 

Hallo Friedel!

Na klar, die Blätter als Haut, wegen Licht und "Fühlen" und Sauerstoff und so ... schon klar. Trotzdem, die Blätter sind meiner Meinung nach irgendwie auch unabhängig vom Baum.

Hab´s nun versucht, irgendwie anders da reinzuwurschteln.

Find´s in Ordnung so.

Wobei man nun vielleicht mokieren könnte, dass nicht jeder Baum "rote Früchte" trägt usw. usf.

Egal, ich bin (erstmal) zufrieden und kommt Zeit kommt Rat. Mir is neulich aufgefallen, dass hier auch noch ne andere Geschichte rumschwebt, die ich eigentlich schon längst hätte überarbeiten wollen.

Einen guten Wochenstart Dir und allen, die das lesen!

Beste Grüße

Runa

 
Zuletzt bearbeitet:

Egal, ich bin (erstmal) zufrieden und kommt Zeit kommt Rat.
Und kommt der nicht, schickt er seinen Stellvertreter - oder?

Ich bin ein Baum und dies ist mein Raum
und – so hoff ich doch – nicht nur des Reimes wegen,

liebe Runa,

doch schon kommt eine Ausnahme

Mit meinen Wipfeln spielt der Wind, …

Aber vorweg zum einzigen grammatischen Fehler, der mir in der neuen, verbesserten Version , wie ich finde, - z. B. ist
Doch die Blätter, sie streiten und verwirren meine fruchtigen Kinder
wesentlich besser als
Doch die Blätter, meine Kinder, sie streiten

– aufgefallen ist, und zwar ziemlich gegen Ende
Wissen nichts vom Stamm und Zweigen, wissen nichts von der Erde, die sie nährt.
„Stamm“ Ein-, „Zweige“ Mehrzahl, dass es entweder heißen sollte „von dem Stamm und den Zweigen“ oder ohne Artikel „von Stamm und Zweigen“.

Die Deutung aus dem ersten Durchgang hat Bestand. Aber hier noch ein paar Anmerkungen und Anregungen, denn i. d. R. hat ein Laubbaum, um den es sich sicherlich handelt, nur einen Wipfel, der oft auch „Krone“ genannt wird. Und warum sollte der alte Baum als Metapher für die selbsternannte Krone der Schöpfung keine Krone tragen – womit das Problem mit dem/den Wipfel/n wie von selbst erledigt und geadelt wäre.

Aber „fliegt“ der Wind denn überhaupt? Er „weht“ an sich und wo’s windig ist, weht er stärker und erzeugt Wellen – auf dem Wasser – und die wogende Bewegung von Baumwipfeln, wobei Feuchtigkeit von Blättern abtropft …, bei Regen geradezu abfließt.

Und neben mir geht sie unter, auf der anderen Seite und dann ist es Nacht.
Statt des „dann“ besser ein „danach“, denn mit dem Sonnenuntergang nimmt erst einmal die Dämmerung und Zwielicht zu, die/das hierzulande länger als ein halbe Stunde dauern kann.

Mal ist´s der Schnee, mal die Blätter, dann viele Früchte, die meine Zweige nach unten beugen.
(Schönes Bild, das die Last einen beuge!) Aber: Hier solltestu nicht das Eis vergessen, dessen Gewicht und Starrhalsigkeit am 25. November 2005 (eigene Gedächtnisleistung, manche Tage prägen sich eben auf immer ein) in Kooperation mit Wind und Schneemassen sogar die Strommasten im Münsterland umnietete …

Doch kommen wir zur Wahrhaftigkeit

„Dieser See, das einzig Wahre, …
Nicht nur in Religionen symbolisiert Wasser Lebenskraft, das von Schuld/Sünde reinwäscht. Und stille Wasser, so sagt der Volksmund, seien tief, was andere auf kuriose Weise bewerten mit dem silbernen Reden und dem schweigenden Gold. So weit, so gut, doch was sagen uns die Blätter?
„So wollen wir den Blätter glauben, die dort wachsen, wo die Sonne untergeht“, sagen meine Kinder.
Und es kommt zur Behauptung, es gäbe kein Wasser von unten. Selbst unter der Sahara ist Wasser, der Baum bezieht sein Wasser aus dem Boden mittels der Wurzel … und die Passage, was richtig und falsch sei, verweist auf die kindliche Meinung, wenn man die Augen schließe oder zuhalte, würde man selbst so wenig gesehen wie man selbst sehe.

So viel oder wenig für heute,
bevor der Komm länger wird als der Muttertext!

Friedel

 

Friedel,

es ist immer wieder beeindruckend zu lesen, was Du herauszulesen imstande bist! Toll!

Ich schreib jetzt mal weiter, der Zackenbarsch geht in die finale Runde. :)

Viele Grüße

Runa

 

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