Mitglied
- Beitritt
- 04.01.2013
- Beiträge
- 26
Bauer, Goethe, Mäßigung
Ferien auf dem Bauernhof. Reiten, wandern, Hühner füttern. Spaß und frische Luft.
Abends sitzen die Feriengäste mit der Familie des Bauern zusammen. Die Kinder sind im Bett. Man kommt von Höcksken auf Stöcksken. Alle sind perdu. Schließlich landen sie beim Thema Deutschland.
Gast: „Wir sind ein großes Land. Wir haben große Männer und Frauen hervorgebracht. Denkt nur an Goethe. Jeder bei uns kennt den Namen Goethe.“
Bauer: „Na und, was bringt mir das? Ich, zum Beispiel, ich bin ein Bauer. Was hilft mir Goethe im Stall?“
Gast: „Nun, wenn der Bauer zu Goethes Zeiten nicht das Getreide eingebracht hätte, dann wäre Goethe verhungert. Und er hätte keine berühmten Werke verfassen können.“
Bauer: „Das stimmt. Du willst mir sagen: Ich habe auch meinen Platz in diesem Land mit den großen Männern und Frauen.“
Gast: „Genau.“
Der Bauer lehnt sich jetzt neugierig näher zum Gast hin.
Bauer: „Du kennst dich anscheinend gut aus. Erzähle mir doch bitte, was ein Bauer wie ich von einem Großen lernen kann. Schieß los.“
Gast: „Goethe hatte eine hervorragende Eigenschaft. Er konnte gut dichten. Goethe hat uns viele Werke über die Tugenden des Menschen hinterlassen. Tugend kommt von taugen. Ein tugendhafter Mensch ist wertvoll. Goethe hat uns den Spiegel der Tugend vorgehalten, damit wir uns darin erkennen.“
Bauer: „Ja, also, ich habe etwas von Goethe in der Schule gehört. Aber ich kann mich nicht an ein einziges Werk von ihm erinnern. Kannst du mir noch einmal auf die Sprünge helfen?“
Der Gast wird leicht rot. Es dauert eine Weile, bis das Universum in seiner Walnussschale ihm antwortet.
Gast: „Götz von Berlichingen. Und Faust. Sagt dir das etwas?“
Bauer: „Natürlich, Götz und leck mich. Faust, der Zauberer?“
Gast: „Ja. Also hast du doch etwas von Goethe aus der Schule in dein Erwachsenenleben mitgenommen.“
Bauer: „Na ja, ich weiß nicht so recht. Jedenfalls, im Volksstück geht es bei uns Bauern immer derb zu. Aber im Alltag gebrauche ich das Wort von Götz nun auch nicht ständig. Was sollen denn meine Kinder denken? Und Faust? Hmm, mal nachdenken. Gretel? Gretchen. Ja, Gretchen. Ein liebes Mädchen. Und Faust hat versucht, sie zu verführen. Richtig?“
Der Bauer denkt weiter nach und führt seine Gedanken fort.
Bauer: „Also, als ich meine Monika kennen gelernt habe, da wollte ich sie auch sehr schnell verführen, damit sie mit mir Liebe macht. Monika, meine heutige Frau, wollte aber noch abwarten. Sie wollte sehen, was für ein Kerl ich denn bin. Ich musste ganz schön warten. Es hat schon einige Zeit gedauert, bis ich damals ans Ziel meiner Wünsche kam.“
Gast: „Und was hat das für dich mit Faust zu tun?“
Bauer: „Ich denke mir, dieser Faust hat keine Rücksicht auf Gretchen genommen hat. Der konnte nicht abwarten, er war irgendwie zu geil, zu unmäßig. Ich bin nicht wie Faust gewesen, Gott sei Dank. Darüber bin ich heute froh darüber. Sag mal, wie ist die Geschichte eigentlich ausgegangen?“
Gast: „Ich weiß es nicht. Ich habe die Geschichte seit meiner Schulzeit auch nicht mehr gelesen, und ich habe auch nicht viel mehr behalten, außer dem Namen Goethe und den beiden Werktiteln.“
Bauer: „Hmm, es ist eigentlich egal, wie die Geschichte bei Goethe abgelaufen ist. Ich muss jetzt noch kurz in den Stall gehen. Bis gleich.“
Im Stall denkt der Bauer bei sich: „Goethe, der war auf jeden Fall ein geistiger Riese. Der hat sich den Faust erdacht. Ich wäre nie darauf gekommen.“