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Bastian

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28.01.2004
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Bastian

Die Laternen entließen schon ihr grelles Licht auf die nassen, vielbefahrenen Straßen, als ich langsam durch zartes Schneegestöber nach Hause ging. Die Pfosten der Zäune, die meinen Weg säumten, warfen seltsam bläuliche Schatten auf den weißen Untergrund, es war bitterkalt. Die wenigen Menschen, die mir begegneten, blickten mich an, als wären mir meine leicht melancholischen Gedanken deutlich anzusehen. Doch das bemerkte ich kaum, ich war zu sehr in den selbigen versunken.
Eisiger Wind zog unerbärmlich durch meine Hosenbeine und schien nicht loslassen zu wollen. Ich beschleunigte meinen Schritt. Nur nach Hause, sagte ich mir. Bald darauf schloss ich die Haustür auf.

Ich wusste nicht mehr was ich glauben konnte, seitdem Bastian heute Morgen ohne ein Wort das Haus verlassen hatte. Das war einfach nicht seine Art, das war nicht der Bastian, den ich einmal kannte.
Ich war gerade dabei, den Frühstückstisch in der Küche zu decken, als ich bemerkte, dass das gewohnte Surren seines Rasierapparates, das allmorgendlich durch die offene Badezimmertür drang, ausblieb. Verwundert und etwas irritiert warf ich einen Blick hinein: Kein Bastian. Ich sah in jedes Zimmer, durchstöberte die ganze Wohnung, sah noch aus dem Fenster auf die Straße. Doch es war so, wie es mir schon im ersten Augenblick in den Sinn gekommen war: Bastian war weg, er war gegangen, ohne dass ich etwas mitbekommen sollte.
Stunde um Stunde saß ich nun auf dem Sofa und lauschte immer wieder hoffnungsvoll nach den mir wohlbekannten Motorgeräuschen seines Autos, die vor dem Haus zum Erliegen kamen, nach dem Klirren seines Schlüsselbundes, wenn er den für die Haustür passenden zu finden versuchte, nach dem „Hallo Schatz, ich bin wieder da!“... Immer wieder sah ich auf die Straße, ob er nicht doch gerade um die Ecke kommt, alle zehn Minuten versuchte ich ihn auf seinem Handy zu erreichen... Doch nichts geschah.
Am Nachmittag machte ich mich schließlich auf die Suche nach ihm.
Durch die belebte Innenstadt bahnte ich mir meinen Weg zu seiner Stammkneipe, in der er sich regelmäßig mit seinen Kumpels aus dem Fußballverein auf ein oder zwei Bier traf. Mühsam öffnete ich die schwere Holztür und trat in den Raum. Nach einigem Umherblicken entdeckte ich Bastians besten Freund Dirk, der an einem dunklen, abgenutzten Tisch saß und Zeitung las. Als er aufblickte und mich schwer atmend am Eingang stehen sah, erhob er sich sofort von seinem Platz und ging rasch auf mich zu. Meine Verzweiflung über Bastians Verschwinden musste mir wohl wie ins Gesicht geschrieben sein. Sofort fragte er mich, was passiert sei. Ich schilderte ihm anschließend in kurzen Sätzen die Situation und hoffte darauf, dass er mir weiterhelfen könnte. Doch wie ich es heimlich vermutet hatte: Auch Dirk wusste weder, aus welchem Grund Bastian einfach so verschwunden war, geschweige denn wo er abgeblieben war. Nach seinem Versprechen, sich umgehend bei mir zu melden, falls er Nachricht von Bastian bekommen sollte, drehte ich mich leicht seufzend wieder zum Gehen. Wo konnte er nur sein?
Dreimal lief ich daraufhin die Fußgängerzone hinauf und hinunter, immer nach Bastian Ausschau haltend, doch ohne Erfolg. Enttäuscht und traurig beschloss ich schließlich meine klammen Finger aufzuwärmen und in Ruhe bei einer Tasse Kaffee darüber nachzudenken, wo er sich aufhalten könnte. Im nächsten Straßencafe suchte ich mir gleich einen Fensterplatz, von dem aus ich einen guten Blick auf die vorübergehenden Leute hatte. Nachdenklich im Milchschaum meines Cafe Latte rührend, überlegte ich, wo ich Bastian finden könnte.
Hier in der Stadt hatte er keine Verwandten und kaum noch Freunde. Mir zuliebe war er vor knapp zwei Jahren nach Stuttgart gezogen, da ich gerade eine führende Position in einer großen Design-Agentur angeboten bekommen hatte und diese unbedingt annehmen wollte. Ich war also an diese Stadt gebunden. Doch Bastian hielt es nicht mehr aus, mich nur an jedem zweiten Wochenende sehen zu können, er beschloss das Risiko einzugehen und sich auf das neue Terrain Großstadt zu wagen. So zog er damals aus seinem kleine Heimatdorf mehrere hundert Kilometer weit weg zu mir, in mein kleines 2-Zimmer-Appartement. Als er mit einem großen Koffer und wenigen Umzugskartons vor meiner Haustür stand, war ich der glücklichste Mensch der Welt. Sofort machte Bastian sich auf Jobsuche, doch seine Bemühungen trugen keine Folgen. Er blieb arbeitslos, frustriert arbeitslos. In meiner neuen Position in der Agentur verdiente ich zwar gut – wir lebten ohne besondere Einschränkungen – jedoch gerade dadurch fühlte sich Bastian oft noch minderwertiger. In den folgenden Monaten hatte er schwer zu kämpfen. Bastian war unmotiviert, grub sich zu Hause ein, hatte sogar manchmal den Gedanken, wieder zurück in seine Heimat zu ziehen. Doch dazu liebte er mich zu sehr, das wusste ich. Durch einen Zufall geriet ich nach einiger Zeit an eine Stellenanzeige in der Tageszeitung, in der eine Stelle als Schreiner – sein erlernter Beruf – angeboten war. Ich schaffte es, Bastian zu motivieren und nach einem Bewerbungsgespräch hatte er schließlich einen Arbeitsvertrag in der Hand. Bastian hatte sich aufgerafft. Der Job machte ihm Spaß, er fand wieder Freude am Leben. Nach der Arbeit traf er sich häufig noch mit einigen Kollegen zum Fußball spielen, regelmäßig lud er mich zum Essen ein, wir trafen gemeinsame Bekannte oder fuhren übers Wochenende aufs Land. Nachdem wir ein gutes Jahr zusammengelebt hatten und uns mittlerweile auch eine größere Wohnung leisteten, beschlossen wir uns zu verloben. Wir waren uns sicher, dass wir den Rest unseres Lebens miteinander verbringen wollten. Es folgte eine sehr glückliche Zeit.
Doch vor etwa drei Monaten hatte Bastian angefangen sich abzusondern, sowohl von mir, als auch von Freunden und Bekannten. Zuerst war es mir wie eine vorrübergehende Phase vorgekommen, doch Tag für Tag wurde sein Verhalten auffälliger. Bastian schien oft wie in Gedanken versunken, flüchtete sich oftmals in eine Art eigene Welt. Ich versuchte endlose Male an ihn heranzukommen, doch das ließ er nicht zu. Er war wie ausgewechselt. Doch irgendwie wollte ich das nicht wahr haben...
Mir wurde klar, dass es keinen Sinn mehr machte, nach Bastian zu suchen und machte mich auf den Heimweg.

Dunkle Stille empfing mich, als ich in die Wohnung trat. Bastian war nicht gekommen.
Langsam entledigte ich mich meiner Winterjacke und schaltete das Licht an. Etwas wehmütig fiel mein Blick auf sein Foto, das eingerahmt neben meinem auf der Kommode im Wohnzimmer stand. Ich sah mich um: Bastian war in der Zwischenzeit nicht hier gewesen, alles lag an seinem ihm anvertrauten Platz, er hatte nichts abgeholt. Weinend brach ich zusammen.

Bastian kam nie wieder nach Hause.

 

Hallo ebsista,

Deine Geschichte lässt mich etwas zwiespältig zurück. Zum einen hast Du Dir ein erzählenswertes Thema ausgesucht (Mensch verschwindet unangemeldet aus dem Leben eines anderen), dass wahrscheinlich jeder von uns schon in der einen oder anderen Variante erlebt hat. Zudem hast Du stellenweise sehr schöne Beschreibungen in Deiner Geschichte, wie zum Beispiel der komplette erste Absatz. Ich konnte mich gut in die Situation hineinversetzen und hab mich auf den Rest der Geschichte gefreut.

Andererseits ist Deine Erzählweise ab und an etwas holprig, insbesondere ab der Mitte der Geschichte, wo Du die Vergangenheit der beiden beschreibst. Dadurch wirkt Deine Geschichte auf mich passagenweise zu berichtend, zu erklärend: erst hat sie den Job angeboten bekommen, dann ist er zu ihr gezogen, dann war er arbeitslos und so weiter. Hast Du mal darüber nachgedacht, die Vergangenheit und Probleme der beiden anhand konkreter Situationen zu erzählen? Wie hat sich seine Arbeitslosigkeit zum Beispiel geäußert? Wie hat sie es geschafft, Bastian zu motivieren? Wie hat sich die glückliche Zeit geäußert? Schwierig für den Leser sind glaube ich auch die unterschiedlichen Zeitebenen: zum einen die Suche als Rahmen der Geschichte, dann die Dinge die dieser vorausgehen und drittens die gemeinsame Vergangenheit der beiden.

Zwei Sachen sind mir außerdem noch aufgefallen:

heute morgen
heute Morgen
Mir zuliebe war er vor knapp zwei Jahren nach S. gezogen
es wirkt glaube ich besser, wenn Du der Stadt einen Namen gibst.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi!
Vielen Dank für deine Kritik!
Tatsächlich ist es mir im Mittelteil etwas schwer gefallen, voran zu kommen und eine mMn notwendige Vorgeschichte einzubinden. Werde mir alles in einer ruhigen Minute nochmal ansehen und wer weiß, vielleicht trifft mich ja ein "Geistesblitz" :D
Den Fehler habe ich verbessert, die Stadt habe ich ausgeschrieben.

Grüße,
ebsista

 

beim geistesblitz kann ich vielleicht helfen.

hi ebista,

juschi hat eine treffsichere kritik geliefert. die hintergrundinformation wirkt wie ein bericht. es gibt da ein verfahren, das ich dir sehr ans herz legen möchte.

lasse die frau nach dem mann suchen. dafür gibt es mehrere orte. jedes mal findet sie bastian nicht und hält enttäuscht inne. in diesem moment der ruhe erinnert sie sich an ein stück aus der vergangenheit.

beispiel: wenn sie auf den besten freund trifft, dann passt eine erinnerungspassage mit ihm eingebunden.

Nach einigem Umherblicken entdeckte ich Bastians besten Freund Dirk, der an einem dunklen, abgenutzten Tisch saß und Zeitung las. Als er aufblickte und mich schwer atmend am Eingang stehen sah, erhob er sich sofort von seinem Platz und ging rasch auf mich zu. Als Bastian sich in seine neue Stelle eingelebt hatte, fand er einige Freunde. Mir Dirk hatte er sich auf Anhieb verstanden ...

im Cafe könnte sie eine kleine Pause machen, und wieder kommen ihr einige Bilder der Vergangenheit. so zerstückelst du die notwendige hintergrundinformation und verabreichst sie in kleine portionen. dabei gibt es nicht einmal eine notwendigkeit, dass diese information chronologisch gehalten wird. du kannst würfeln.

übrigens hat deine geschichte mich gebannt. die tragödie für die frau kommt gut herüber. die erzählzeit ist ungünstig gewählt. gegenwart wäre besser, weil die erinnerung dann problemlos in vergangenheit geschrieben werden könnte, so aber musst du viel vollendete vergangenheit wählen, was viele "hatte" und "war" verursacht.

vereinzelt habe ich noch:

Die Pfosten der Zäune, die meinen Weg säumten, warfen seltsam bläuliche Schatten auf den weißen Untergrund, es war bitterkalt.

vor "es war bitterkalt" besser ein semikolon.

Eisiger Wind zog unerbärmlich durch meine Hosenbeine und schien nicht loslassen zu wollen.

"unerbärmlich" ? ich kenne das so nicht. vielleicht "ohne Erbarmen"?

Ich wusste nicht mehr was ich glauben konnte,

hinter "mehr" ein komma

Ich schilderte ihm anschließend in kurzen Sätzen die Situation und hoffte darauf, dass er mir weiterhelfen könnte.

kannst du "anschließend" nich weglassen?

Stellenanzeige in der Tageszeitung, in der eine Stelle als Schreiner

"Stelle" ist doppelt. vielleicht das zweite "Stelle" mit "Job" oder "Anstellung" tauschen?

fazit: eine gute geschichte, die vielleicht noch mal neu geschrieben werden sollte, es würde sich ganz bestimmt lohnen!

bis dann

barde

 

Hallo Barde!
Auch dir danke für die Kritik. Da sind mir gleich ein paar Ideen gekommen...! Deine anderen Verbesserungsvorschläge habe ich erstmal "unbeachtet" gelassen ;). Werde nämlich sowieso einiges ändern müssen. Verbesserte Geschichte dann sobald wie möglich!
Liebe Grüße,
ebsista

 

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