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Banane
BANANE
„Rate mal was ich dir mitgebracht habe“ sagte Max und hielt dem jungen Mädchen eine mit Bananen volle Kiste unter die Nase. Nicht nur der lange Korridor, sondern die ganze Wohnung war voll mit halb vergammelten Bananenschalen und Max musste sich große Mühe geben um nicht auf eine Bananenschale zu treten. Als ob er über Pfützen springen würde, sprang er über die Bananenschalen und ging in die Küche. Die Bananenkiste legte er auf den Marmortisch und fragte das Mädchen, das ihm in die Küche folgte, ob die Kiste für heute reichen würde.
Das Mädchen, mit großen braunen Augen nickte zufrieden und setzte sich zum Marmortisch. Über dem Tisch hing eine Lampe in Bananenform, deren mattes Licht auf die Bananenkiste fiel. Die Stühle um den Tisch herum hatten die Farbe einer reifen, süßen Banane.
Das Mädchen hieß Helena. Helena nahm aus der Kiste eine Banane und wischte die kleinen Wasserperlen, die auf dem Rücken der Banane glänzten, sorgfältig ab. Mit großer Vorsicht schälte sie die Banane, als ob sie die wichtigste Arbeit der Welt verrichten würde und so langsam und ehrfruchtvoll sie die Banane auch schälte, verschlang sie hastig und verachtend herunter. Die Bananenschale warf sie über Max’ s Kopf an das Fenster.
Mit dem gleichen Ritual versank sie fünf Bananen hintereinander in ihrem, mit braunem Stift nachgezogenen, großen Mund und lehnte sich in ihrem Stuhl behaglich zurück. Ihre Fingernägel waren gelblackiert. Ihr welliges, schulterlanges, in das mindestens eine halbe Flasche Schaumfestiger reingeknetetes Haar war blondiert (gelber Lack und blondiertes Haar gingen mit ihrem Bananenappetit einher). Sie schlug ihre Wimpern einladend auf und zu. Etwas zu dünn gezupften Augenbrauen zog sie verführerisch hoch und formte ihre Mundwinkeln zu einem frechen Lächeln.
Diese Bewegungen machten Max an, obwohl sie etwas aufgesetzt waren. Begeistert sah er ihr zu. Max sah ihr immer begeistert zu. Während sie in dem Rock, den sie aus Bananenschalen geflochten hatte, tanzte, zum Abendessen Bananensalat und Bananenshake vorbereitete, Morgens ihren Kaffee mit einer zerdrückten Banane zu sich nahm, fotografierte er sie. Helena hing die schwarz-weißen Bilder an die Wand und übermalte die Bananen mit einem gelben Filzstift.
Vor drei Monaten überfiel Helena ein seltsamer Appetit auf Bananen. Als Kind und junges Mädchen ekelte sie sich vor dem Geruch der Frucht und konnte keine Banane essen.
Max behauptete, „er“ sei der Grund dafür, dass sie plötzlich Bananen zu essen anfing. (Er ist Gemüsehändler. Sie lieben sich oft in seinem Laden auf leeren Bananenkisten.) Aber Helena hatte den Heißhunger noch bevor sie Max kennen lernte bekommen. Sie arbeitet in einem Kaufhaus als Verkäuferin. Die Lust auf Bananen spürte sie in der Mittagspause und ging zu dem Gemüsemarkt um die Ecke. Den gutaussehenden Max bemerkte sie erst nach dem sie bei ihm Bananen gekauft hatte. Er gab ihr zuwenig Wechselgeld und sie musste zurück in den Laden.
Wenn sie auf dem Sofa lagen und sich liebten, aß Helena auch Bananen. Seit drei Monaten hatten sie jeden Abend wilden Sex. Doch für Max war es nicht nur Sex, er hatte sich in das Mädchen verliebt.
In ihr wohnt eine edle Seele, dachte Max. Familiensinn hatte sie auch in seinen Augen. Wie bitte sonst hätte man es erklären sollen, dass sie vor ihm keinen anderen Mann gehabt hatte? Es konnte nicht an ihrem Aussehen gelegen haben. Auch wenn sie oft das falsche an hatte, war Helena eine sehr attraktive junge Frau. Bestimmt hatte sie noch nicht den Richtigen gefunden, zu dem sie sich hingeben und mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. Vielleicht war sie auch das Produkt ihrer streng katholischen Erziehung.
Der Mensch macht sich oft ein Bild von seinem Gegenüber, von irgendeiner Sache oder irgendeiner Begebenheit und unter normalen Umständen bleibt er diesem Bild auch treu. Max projizierte sein inneres Bild von einer lebhaften, anziehenden, zugleich edlen Frau auf die Helena und fragte nicht ein mal nach ihrer wirklichen Haltung zu diesen Dingen.
Jeden Abend, nach Ladenschluss besuchte er Helena und brachte ihr eine Kiste Bananen mit. An dem Abend hatte er auch eine Flasche Bananenlikör mitgebracht und war fröhlicher als sonst.
Den Bananenlikör tranken sie im Wohnzimmer tanzend. Etwas angeheitert setzten sie sich auf das gelbe Sofa, das Helena, nach dem sie den komischen Appetit auf Bananen bekam, kaufte. (Die ganze Wohnung war jetzt in Gelb) Max hielt ihre zierliche Hand, streichelte ihr welliges Haar, küsste ihre kleine Nase und sagte dass er sie sehr liebe. Dann holte er tief Luft und fügte hin zu „Helena, willst du mich heiraten?“
Das Wort „Heiraten“ löste in Helena eine Panik aus. Sie dachte an ihre Mutter die ihr Leben mit kochen, bügeln und putzen in einer portugiesischen Kleinstadt verbrachte. In einer schäbigen drei Zimmer Wohnung mit Ehemann und drei Kindern. Ständig genervt und unglücklich. Sie wollte nicht wie ihre Mutter enden. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich. Mit matten Blicken stand sie auf und bat Max raus. „Ich will dich nie mehr wiedersehen“ sagte sie „es ist aus.“
Max verstand ihre Reaktion nicht und enttäuscht ging er die Tür hinaus, in der Hoffnung bis Morgen würde sie sich beruhigen. Später bildete er sich ein, die edle Seele in ihr benötigt etwas Zeit für so eine wichtige Entscheidung und schickte ihr eine Kiste Banane mit einem gelben Blumenstrauß. Doch sie antwortete weder auf seine Briefe noch wollte sie ihn wiedersehen.
Helena setzte sich zum Marmortisch und sah aus dem Fenster. Gierig schälte sie eine Banane und genoss die Ruhe, die sie als Kind in ihrem Elternhaus vermisst hatte. Nörgelnde Mutter, besoffener Vater, streitsüchtige Geschwister hatten ihr kein schöngeistiges Bild von einer Familie vermitteln können. Immer träumte sie von einem Leben in einer Großstadt in eigenen Vierwänden. Um nichts auf der Welt wollte sie auf ihren Lebensstil verzichten. Deshalb konnte sie Jahre lang mit keinem Mann etwas anfangen. Unbewusst verbindete sie die Beziehung zwischen Mann und Frau mit Heirat und Familie. Erst jetzt verstand sie dass der Zärtlichkeitsaustausch zwischen zwei Geschlechter in keiner Art und Weise in einem familiärem Leben ausarten müsste. Plötzlich verstand sie den Grund ihres seltsamen Appetits auf Bananen. Banane versinnbildlichte für sie das männliche Geschlecht. Bis sie Max traf, war sie noch eine Jungfrau, obwohl sie sechsundzwanzig Jahre alt war. Der Appetit auf Bananen bedeutete nichts anderes als Lust auf Sex.
Nach dem sie die Banane gegessen hatte, stand sie auf und zog sie ihre gelben Stiefeln an. Die Millionen Stadt mit ihren lustigen Kneipen und unzähligen, nicht heiratswütigen Männern warteten auf sie.