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Banana
Die Veganer-Revolution hat die Welt umgekrempelt: Angefangen hatte das Elend mit einer Kampagne der Bundesgesundheitsministerin, einer dünnen Blondine undefinierbaren Alters, die fast im Alleingang eine halbe Fussballmannschaft in die Welt gesetzt und mittlerweile Ehemann Nummer vier verschlissen hatte. „Obst ist ein Stück Lebenskraft“ – was für ein saublöder Claim und dann auch noch ironischerweise von der Fleischindustrie geklaut. Ich möchte nicht wissen, wie viel die hippen Typen dieser angesagten Düsseldorfer PR-Agentur dafür kassiert haben. Aber sei’s drum: Auf jeden Fall ging es uns Fleischessern an den Kragen.
Ich habe keine Ahnung, warum die Kampagne so erfolgreich war, aber ich glaube, die Gelben haben da ganz schön nachgeholfen. Kaum eine Woche später stand in jeder deutschen Amtsstube ein appetitlich aussehender Obstkorb mit Äpfeln, Birnen, Trauben, Orangen, Bananen und Ananas. Sogar in dem allerletzten Kaff, das auf einem Riesenhaufen Schulden saß, leisteten sich die Typen aus der Verwaltung ihre Vitamine. Hätten wir bloß damals schon was geahnt.
Aber nein, es ging immer weiter: Die ersten Unternehmen spendierten ihren Mitarbeitern die gesunde Alternative zu Snacks und Keksen. Wenig später drückte die Kultusministerkonferenz durch, dass alle Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen kostenlos mit Obstkörben versorgt werden sollten. Schon bald rollten tausende, bunt bemalte LKW bis oben hin mit Früchten beladen über die Autobahnen.
Ich mag kein Obst, hab’s nie gemocht. Und jedes Mal, wenn mir der Chef einen Korb ins Büro stellen ließ, habe ich ihn sofort irgendeinem auf dem Flur vorbei hastenden Praktikanten in die Arme gedrückt. Die haben mich meist seltsam angeschaut, das verdammte Grünzeug aber mitgenommen. Ein saftiges Steak reizt mich tausendmal mehr, als eine pralle Erdbeere oder eine Mango. Das ist halt so, das habe ich von meinen Eltern mitbekommen. Wir haben sogar im Winter gegrillt.
Irgendwann fielen mir die ersten subtilen Veränderungen an meinen vegan lebenden Kollegen und auch an anderen Menschen auf. Sie wurden irgendwie anders, ohne dass ich genau sagen konnte, was es denn nun war. Freundlicher? Fröhlicher? Gelassener? Das musste mit dem Grünfutter zu tun haben, auf das die meisten mittlerweile umgestiegen waren. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass der Verzehr von Fleisch aggressiv machen würde. Konnte es sein, dass bei Veganern der umgekehrte Effekt eintrat?
Argwöhnisch beobachtete ich die Menschen, die mir begegneten, und ja, es schien so, als würden immer mehr anfangen zu schimmern. So eine Art inneres Leuchten entwickeln. Und dazwischen waren immer wieder griesgrämige, rotgesichtige Typen unterwegs. Ich ahnte, dass das noch nicht zum Veganismus bekehrte Fleischfresser waren. Doch die wurden rasend schnell seltener, denn die meisten Supermärkte hatten angefangen ihre Sortimente umzustellen. Es gab immer weniger Möglichkeiten, sich mit tierischen Proteinen einzudecken.
Ich begann, Konserven mit Fleischgerichten zu bunkern. Doch ich musste vorsichtig sein, denn mittlerweile war nicht mehr ich derjenige, der andere misstrauisch beäugte, sondern ich wurde zum Mittelpunkt des Interesses, sobald ich übermäßig viel fleischhaltige Produkte auf einmal kaufte.
Dann kam der Tag, an dem mich mein Boss aufsuchte und mir eröffnete, meine Zeit in der Firma sei beendet. Ich wäre zu unflexibel, mein Stil passe nicht mehr in die neue Zeit – und mein Zeitvertrag werde daher nicht mehr verlängert. Die Worte hätte er sich sparen können: Ich hätte es sowieso nicht mehr lange ausgehalten in dieser Veganer-Hochburg, zu der unsere Firma mutiert war.
So saß ich also in meinem Haus und zappte mich durch die Fernsehkanäle. Um mich herum begannen sich die leeren Verpackungen der Fertiggerichte zu stapeln, der köstlichen Fertiggerichte, mit wunderbar fettigem Fleisch. Ich ging nicht mehr vor die Tür, denn die strahlende neue Welt war mir fremd geworden.
Dann, eines Tages, vielleicht drei oder vier Wochen nach meiner Entlassung, machte ich eine Entdeckung: Über den Bildschirm flimmerten die Worte „Sondersendung: Weltfrieden in greifbarer Nähe“. Ich beugte mich vor und auf dem Flatscreen erschien das Gesicht der dürren Politikerin, die das Ganze ins Rollen gebracht hatte. Mittlerweile hatte man sie zur Bundeskanzlerin gewählt. Sis stand irgendwo in einem riesigen Kongresszentrum am Rednerpult und begann über die Zukunft und die großen Fortschritte der veganen Menschheit zu schwafeln.
Im Hintergrund standen geradezu aufdringlich drei große, prall gefüllte Obstkörbe. Je näher der Kameramann auf die Kanzlerin zoomte, desto größer wurden die Körbe und dann sah ich es: Eine der Bananen drehte sich und blinzelte. Ich erschrak heftig und prallte zurück. Die verdammte Banane hatte geblinzelt! Oder war ich Opfer einer optischen Täuschung geworden? Ich beugte mich zum Bildschirm vor, ignorierte das Politiker-Geschwätz und starrte die Banane im Hintergrund an. Ja? Nein? Die sah aus wie eine Million anderer Bananen auch. Ich starrte weiter. Nichts. Meine Fantasie musste mir einen Streich gespielt haben. Ganz sicher. Doch ich konnte den Blick nicht von dem Obstkorb wenden. Da! Sie hatte es wieder getan! Und jetzt schien es, so als ob die Banane versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. Es war real!
Meine Gedanken rasten. Was war geschehen? Was hatte die Banane für eine Bedeutung? Wie konnte die überhaupt blinzeln? Bananen haben keine Augen! Und gähnen können die erst recht nicht! Wie denn, so ohne Mund?
Ich war verstört. Nach einer Weile schaltete ich den Fernseher aus und saß reglos zwischen den Essensverpackungen. Ich dachte nach.
Eine Option war klar: Ich konnte zu Hause sitzen bleiben, bis meine Vorräte erschöpft wären, und hoffen, dass das, was auch immer da draußen vorging, in der Zwischenzeit vorübergeht. Aber dann? Was, wenn der Spuk nicht vorübergehen würde? Dann würde es nicht lange dauern, bis ich raus in diese andere Welt musste und was dann? Mich beschlich eine vage Angst, obwohl die Leute, die kein Fleisch mehr aßen, friedlich waren und es ihnen offenbar besser ging als zuvor. Aber welchen Preis mussten sie dafür zahlen?
Ich beschloss, mich nach draußen zu wagen und nach anderen Fleischessern zu suchen. Vielleicht hatte von denen jemand einen Plan oder eine Idee, was wir unternehmen könnten.
Ich wartete bis zum Einbruch der Dämmerung, bevor ich das Haus verließ. Dann setzte ich meine Sonnenbrille auf und zog die Kapuze meines Hoodies über den Kopf. An meiner Figur konnte ich wenig ändern: Ich war in den Wochen meiner Fleisch-und-Fett-Diät dick geworden und hatte deutlich mehr auf den Rippen als vor meiner Kündigung. Aber ich hoffte, das würde im schwindenden Tageslicht nicht so auffallen. Die Grünfutter-Junkies, die ich in den letzten Wochen verstohlen aus dem Fenster beobachtet hatte, waren alle rank und schlank und joggten durch die Gegend. Joggen…schon bei dem Gedanken daran wurde ich kurzatmig.
Es war seltsam. Früher war die Straße, in der ich wohnte, nach 20.00 Uhr menschenleer, weil die Leute nach dem abendlichen Schnitzel nur noch träge vor dem Fernseher oder Computer rumgehockt hatten. Jetzt aber tobten noch Kinder durch die Gärten und ich sah kleine Gruppen von Menschen, die sich auf der Straße fröhlich miteinander unterhielten und lachten. Bizarr!
Als ich loszog, schenkte mir niemand Beachtung. Ich schob die Sonnenbrille ein wenig nach unten und schaute über den oberen Rand nach Links und Rechts. Egal, wo die Menschen zusammenstanden, irgendjemand hatte immer einen Korb mit Früchten dabei. Und mittendrin: Bananen. Nicht diese fahlen, mickrigen Supermarkt-Bananen, die es früher gab, sondern pralle, große Teile, die aufdringlich gelb leuchteten.
Ich ging schneller. Als ich um die Ecke bog, blieb ich ruckartig stehen. 200 oder vielleicht auch 250 Meter vor mir stand eine große Gruppe Menschen zusammen. Nach und nach sahen alle zu mir herüber. Einige winkten, andere riefen mir etwas zu, alle wirkten sehr entspannt. Und dann teilte sich die Menge.
Anfangs war es schwer zu erkennen, was sich da tat. Doch je mehr die Menschen zur Seite gingen, umso gruseliger wurde das Bild. Durch die Gasse, die sich gebildet hatte, schwebte scheinbar eine Gruppe Bananen in meine Richtung. Große Bananen. Bananen, die auf beunruhigende Art und Weise intelligent wirkten.
Ich wich zurück. Drehte mich um und wollte zurück zu meinem Haus laufen. Doch während ich an der Ecke gestanden hatte, waren hinter mir meine Nachbarn aus den Gärten geströmt. Sie warteten. Friedlich. Manche nickten mir freundlich zu.
Ich bekam Panik. Wohin? Wohin sollte ich fliehen? Sie kamen von allen Seiten näher.
Ich entdeckte einen Gullideckel. Hastete auf ihn zu. Fasste durch die kleinen Löcher am Rand, versuchte ihn anzuheben. Das Ding bewegte sich keinen Millimeter. Oder doch? Ja! Ich riss mich zusammen und strengte mich noch einmal mächtig an. Es gelang mir, den Gullideckel ein Stück weit anzuheben und beiseite zu schieben. Dann wurde mir schwarz vor Augen.
Als ich erwachte, war ich umringt von der Menge. Ich drehte den Kopf und sah mich Auge in Auge mit den Bananen. Sie hatten tatsächlich Augen! Und Münder! Und seltsame, dünne, weiße Tentakelchen, die hin und her wogten, wie die Nesselfäden von Quallen. Ich keuchte als einer dieser Tentakel näherkam und mich sanft an der Stirn berührte.
Meine Augen wurden groß als mir plötzlich eine wilde Flut von Bildern durch den Kopf schoss. Ich sah einen Planeten, der sich um eine Doppelsonne drehte. Ich sah gepanzerte Bananen, die sich gegenseitig zu Brei schlugen. Ich sah Bananen, die mit irgendwelchen Strahlenwaffen aufeinander schossen. Ich sah gewaltige Explosionen. Ich sah, wie der Planet zerbrach. Und ich sah, wie eine Gruppe von Raumschiffen dem Inferno entkam.
Dann kamen viele Bilder, die mir wenig sagten. Bis dann die Erde auftauchte. Die Raumschiffe landeten in einem Urwald. Bananen strömten heraus und schienen zu jubeln.
Wieder viele Bilder, die im Zeitraffer zeigten, wie die Bananen eine neue, kleine Zivilisation aufbauten und in Kontakt mit den Menschen kamen. Die ersten Begegnungen waren schwierig. Die Bananen stellten Fallen und fingen Menschen, um irgendwie mit ihnen zu kommunizieren. Offensichtlich gaben die Bananen nicht nur Wissen über die Fäden weiter, sondern erhielten auf diesem Weg auch Informationen. Und so erfuhren sie von der Geschichte der Menschheit, die einen ähnlich unheilvollen Pfad beschritt, wie es die Bananen selbst auf ihrem Heimatplaneten getan hatten.
Und sie beschlossen zu helfen. Sie mischten sich unter Lieferungen gelber Früchte, die ihnen zum verwechseln ähnlich sahen, und bereisten die Welt. Viele Forscher ließen ihr Leben, endeten in einem Milchshake oder wurden verspeist. Doch sie fanden heraus, woran die Menschheit litt: Der Sucht nach Fleisch. Fleisch, das durch die Endorphine, die während der Schlachtung von den Tieren ausgeschüttet werden, aggressiv und irrational macht.
Und so suchten die Bananen Schlüsselfiguren in der menschlichen Gesellschaft und begannen, diese zu beeinflussen. Kaufte die Schlüsselfigur Obst ein, schmuggelten sich Bananen-Agenten in die Körbe ein, um dann in der Nacht die Gedanken ihres Wirts zu verändern.
Bald schon nahm die vegane Bewegung Gestalt an. Und entwickelte sich weiter.
Der Rest ist Geschichte.
Ich kam zu mir. Die Bananen umringten meinen am Boden liegenden Körper und lächelten mich an.
Ich fühlte… Hass! Niemand durfte mich so manipulieren! Ich wälzte mich auf die Seite und griff mir eine Banane, um sie zu zerquetschen. Doch kaum hatte ich meine Hand um ihren Leib geschlossen, da durchfuhren mich Stromstöße. Und während mein Sichtfeld von den Rändern her immer kleiner wurde, sah ich nur noch den mitleidigen Blick der Banane in meiner Hand.
Als ich erwachte, fand ich mich in einer Zelle wieder. Die Gelben und ihre Handlanger hatten eine Art Umerziehungslager für sture Nicht-Veganer errichtet. Hier saß der klägliche Rest von uns Fleischfressern ein, wurde Tag für Tag mit Gesundheitsparolen beschallt und ausschließlich mit Grünfutter ernährt. In den ersten Wochen verlor ich fast 20 Kilo, weil ich das Zeug kaum runterbekam. Meine Haut hing von meinem Körper, weil ich mich auch dem super-effektiven Workout, der die Insassen in Form bringen sollte, verweigerte. Ich schob Gelenkschmerzen vor. Doch die anderen Typen strampelten sich fleißig ab. Und langsam aber sicher wurden immer mehr zum Veganismus bekehrt. Unsere Truppe schmolz zusammen.
Schließlich – ich weiß nicht, wie viele Ewigkeiten inzwischen vergangen waren – saßen wir noch zu sechst in dem riesigen Speisesaal. Bernd schluchzte seit einer Woche nur noch vor sich hin, er war am Ende seiner geistigen Gesundheit angelangt. Die anderen vier saßen mit flackerndem Blick vor ihrem Salat und ich glaube, ich habe auch nicht besser ausgesehen.
Lustlos stocherte ich in den Blättern herum. Fades Grünzeug mit fadem Dressing und fade schmeckenden Pinienkernen drüber. Dazwischen ein bisschen gelbe Paprika und Radieschen, damit das Ganze richtig schön bunt aussah. Ich schob die Blätter hin und her und beobachtete Bernd, der mir gegenüber saß und mit trübem Blick auf seinen Teller starrte. Plötzlich wurden seine Augen groß. Bernd beugte sich über seinen Salat und begann die Blätter mit den Fingern hin und her zu schieben. Irgendwas suchte er und dann – zack – griff er zu und hob etwas aus dem Dressing. Etwas, was sich bewegte! Ich konnte nicht erkennen, ob es ein Engerling oder eine Made war, aber Bernd schob sich das Etwas blitzschnell in den Mund und begann langsam mit genüsslich geschlossenen Augen zu kauen.
Verdammt, wieso hatte ausgerechnet dieser Scheißer so viel Glück? Ich war außer mir vor Wut und stürzte mich auf den verfluchten Glückspilz, stieß ihn zu Boden und versuchte mit bloßen Händen, seinen Mund aufzustemmen. Bernd presste die Kiefer zusammen. So schnell würde er seine Beute nicht hergeben. Aus den Augenwinkeln sah ich Wachen auf uns zustürmen, doch die mussten quer durch den Saal sprinten.
Ich hieb Bernd meine Faust auf die Nase. Sie brach. Blut schoss hervor. Bernd keuchte hinter verschlossenen Lippen. Der kupfrige Geruch des Bluts stieg mir in die Nase und ich konnte mich nicht mehr beherrschen – ich versenkte meine Zähne in Bernds Wange, riss mir ein köstliches Stück heraus und kaute los. Ekstase pur! Und während mich die Wächter von Bernd wegzogen dachte ich: Scheiß drauf, mich werdet ihr nie knacken, ich bin DER FLEISCH-REBELL!