Banana Split
„Ich gehe schnell in den Supermarkt, wir haben keine Bananen mehr.“, rief er, zog sich die alten Schuhe an und ging los. Die Tür fiel laut hinter ihm ins Schloss.
Es war leer auf den Straßen, und auch schon dunkel. Auf die Uhr hatte er nicht geschaut, bevor er losgegangen war. Es könnte also schon so spät sein, dass alle Läden geschlossen waren. Doch vermutlich musste der große Supermarkt an der Kreuzung noch geöffnet haben, denn er war immer sehr lange geöffnet. Nahezu permanente Nahrungszufuhr für ein permanent hungriges Volk.
Als er sich der Kreuzung näherte, erblickte er die hellen Reklameschilder des Supermarktes. Angebote, super Angebote. Es fühle sich an wie Ausgebote.
Die Ladentüren öffneten sich und er trat ein. Es war sehr ruhig und sehr hell. Nahezu gleißend hell, ihm schien das Kunstlicht ins Gesicht und es schien auch keine Schatten zu geben. Keine Schatten, das muss doch gut sein, dachte er. Kein Schwarz, nur Weiß. Das Schwarz war für andere Teile dieser Welt bestimmt.
Er passierte die kleine Drehtür und schaute sich nach dem Obst um. Bananen brauchte er, sie hatten keine mehr und er musste jetzt welche kaufen.
Alle Fächer waren leer. Etwas Wasser sprühte von der Decke, genau an die Stelle, wo das Gemüse sonst lag und befeuchtet werden musste, damit es frisch aussah, sodass es die Menschen wollten. Doch dort lag kein Gemüse, auch kein Obst, also keine Bananen. Er schaute sich vorsichtig um. Überall Regale. Sie waren alle leer. Hatten sie etwa Inventur? Er beschloss, jemanden zu fragen, was hier vor sich ging. Suchend durchforstete er die Gänge auf der Suche nach Mitarbeitern, schließlich auch nach Kunden. Der Laden war leer. Niemand war hier und das einzige Geräusch kam vom Summen der Leuchtstoffröhren.
Was wollte er hier überhaupt? Hier gab es nichts. Er drehte sich im Kreis, erst zaghaft und verwirrt, dann immer schneller und fing an zu lachen. Er lachte, lachte sehr laut, bis er gegen eines der leeren Regal stieß. Es schwankte bedrohlich, und fiel es auf ihn, so würde es ihn unter sich begraben. Da niemand hier war, der ihm helfen konnte, musste er sich selbst in Sicherheit bringen. Er trat einen Schritt zu Seite. Das Regal fiel um, nicht auf ihn, doch auf den harten Boden, und das Holz bekam Risse.
Er verließ den Laden, ließ die summenden Lichter hinter sich, und stand auf der Kreuzung. Er lachte, als ihm die Albernheit der Welt in den Sinn kam. Wie er da so stand und lachte, schallend lachte, da wuchs auf einmal ein Bäumchen vor ihm aus dem Boden. Ja, es wuchs tatsächlich aus dem von Menschen plattgewalzten Asphalt! Und es war nicht irgendein Bäumchen. Es musste ein Wunderbäumchen sein. In Zeitraffer wuchs der Baum, bekam grüne Blätter, die schnell wuchsen, und Knospen sprießten, die sich schließlich zu sichelförmigen Gebilden formten. Diese Gebilde waren anfangs grün, schließlich wurden sie heller, bis er nach und nach die gelbe Farbe durchscheinen sehen konnte. Es war tatsächlich ein Bananenbaum! Freudestrahlend umrundete er erst ehrfürchtig dieses kleine Wunderbäumchen, dann näherte er sich ihm und schnupperte an den großen grünen Blättern. Er nahm sie wahr, als seien es sanfte Worte, die seine Seele streichelten. Zögernd streckte er die Hand nach den gelben Bananen aus, und es war, als nickten die guten Blätter im Wind. Er pflückte eine, und begutachtete sie liebevoll in seiner Hand.
Sie öffnete die Augen, und noch bevor sie ganz geöffnet waren, beschlich sie ein ungutes Gefühl. Sie drehte sich zu ihm um. Das Bett auf seiner Seite war leer. Er war nicht hier. Wut stieg in ihr hoch, im Versuch, die Angst in Schach zu halten. Sie stand auf und zog nur die Pantoffeln über die nackten Füße. Sie musste ihn suchen, also nahm sie den Schlüssel und verließ die Wohnung.
Er drehte die Banane in seiner Hand, spürte ihre harte Schale und die sanfte Wölbung. Selten hatte er so etwas Wunderschönes berührt, als läge ein Versprechen in seiner Hand, ein Versprechen für die Ewigkeit. Keinen Gedanken verschwendete er an den leeren Laden, daran, dass niemand dort war, daran, dass er fast von einem ihrer schweren weißen Regale erschlagen worden war, und niemand dagewesen wäre um ihm zu helfen. Die Einsamkeit war nun verschwunden. Sein Fokus war auf das Höchste gerichtet, hier lag es, klein und vielversprechend, erlösend in seiner Hand.
Sie lief durch die Straßen. Der Asphalt war feucht. Die Luft roch nach Sommerregen, ein Versprechen von Ruhe nach einem langen Gewitter. Anfangs hatte sie seinen Namen gerufen, doch Menschen schliefen hier in den Häusern. Es galt, sie nicht zu stören. Niemand sollte wissen, wie es um sie beide stand. Womit sie zu kämpfen hatten. Wut trieb sie voran, die Angst schien der Boden zu sein auf dem sie lief.
Er beschloss, dass es nun an der Zeit war. An der Zeit, die vollendete Köstlichkeit zu schmecken. Er hob das Kleinod in seiner Hand hoch an sein Gesicht. Es streichelte seine Wange. Ihm schien, ein Lied zu hören, das ihm der Wind an die Ohren trug, ein letztes Lied. Die guten Bananenbaumblätter nickten dazu. Sanft öffnete er die Banane, fast schon wehmütig zog er ihr die Haut ab. Ein letzter Blick zum nächtlichen Himmel, und er steckte sie sich in den Mund.
Ihre Füße schmerzten. Die Pantoffeln waren durchgeweicht und sie fror. Inzwischen reichte auch die Wut nicht mehr aus, um die Angst zu unterdrücken, und sie wollte sich am liebsten auf den Boden legen und schlafen, für immer schlafen und die Augen verschließen vor der giftigen Welt, doch der Boden war Angst. So lief sie, bog schließlich um eine Kurve und sah, am Ende der Straße, eine Gestalt auf der Kreuzung stehen. Sie schwankte ein wenig, wie ein zartes Bäumchen im Wind. Hoffnung ebnete den Boden, und als sie ihn sicher erkannt hatte, knallte ihr die Gewissheit ohrenbetäubend in den Ohren.
Sein Mund wurde ein wenig taub. Auch schien das Objekt schwer zu sein, schwerer als erwartet. Ein Anflug von Unsicherheit überkam ihn, doch die Bananenbaumblätter nickten ihm vielversprechend zu. Er vertraute ihnen, musste es tun, sie nickten und er konnte sie fast lachen hören. Kurz bevor er abbiss, schmeckte er einen metallischen Geschmack. Im Paradies hallte ein lauter Knall.
Sie schrie. Sie kreischte, denn die Erkenntnis war der Brennstoff ihrer Angst. So rannte sie, vom Feuer getrieben, die Straße hinunter bis hin zur Kreuzung. Dort lag er nun. Er? Sein Körper. Sein Kopf fehlte. Er fehlte. Wo war er? Wo hatte er den Kopf gelassen? Sie verlor den Kopf, buchstäblich, fiel auf die Knie und knallte ihn auf den Boden. Sie hatte ihn nicht verloren. Er war noch da. Ihr Kopf war noch da, sie hatte ihn verloren. Versuchte ihn zu greifen. Sie war noch da. Er war fort. Sie war hier, kauerte hier, und er war fort, nur ein Körper lag dort, ein fremder Körper. Sie hatte ihn gesucht, sie war ihm gefolgt, sie war zu langsam gewesen, jetzt war er fort. Sie schrie. Es war, als hörte sie Schreie. Waren es ihre? Was war? Er war fort. Der Boden brannte.
Sirenengeheul kurz darauf. Menschen in Uniformen stiegen aus. Operative Hektik ersetzte die tatenlose Leere. Verzweiflung war da, aber nicht wirklich zu spüren, denn sie war betäubt vom Wieso. Sie würde erst in wenigen Tagen kommen, wenn das Wieso dem Was-nun gewichen war. Würde er in wenigen Tagen kommen? Es waren einige Tage vergangen, an denen er da gewesen war. War er da? Wo war er? Wo war der Kopf? Sie erinnerte sich, er hasste Bananen.