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Ballspiel
Naß und grau schlug der Regen nun schon seit mehreren Stunden Blasen auf den rissigen Asphalt der Straße. Nur im Augenwinkel nahm ich noch die tellergroßen Scheinwerfer der Autos wahr, die sich in kaum minutenlangen Abständen an mir und meinem Rucksack vorbei schoben. Fröstelnd stand ich mitten im Ruhrpott.
Hin und wieder riß mich ein Aufblenden von Nebelscheinwerfern aus der durchnäßten Lethargie, die inzwischen eingesetzt hatte. Dann blinzelte ich hoffnungsvoll in Richtung des Autofahrers, streckte meinen Daumen nach oben und setzte mein Sonntagsgrinsen auf, schließlich sollte der Typ mich ja mitnehmen. Weg von dieser stinkenden Autobahnraststätte, raus aus der Kälte die mir den Rücken hoch kroch und hinein in ein angenehm warmes Auto Richtung Heimat.
Wieder ärgerte ich mich, nicht den Linienbus genommen zu haben, da ich zu geizig war die 35 Mark für ein Ticket auszugeben. Jetzt mußte ich wahrscheinlich einen ähnlich hohen Betrag für Arzneimittel gegen Grippe oder schlimmeres in der Apotheke meines Vertrauens bezahlen.
Gerade als ich in Gedanken schon eine Woche krank im Bett gelegen hatte, riß mich eine fröhlich klingende Hupe, die den Klang einer Kreuzung zwischen Alpenhorn und Xylophon hatte, mit einem sympathischen Dreiklang zurück auf die nasse Straße. Wieder versuchte ich einen möglichst freundlichen Gesichtsausdruck hin zu bekommen und blinzelte Richtung Fahrer. Wie es aussah, sollte ich endlich Glück haben, denn der lustig hupende alte Ford hielt genau neben mir.
Ich blickte in einen dunkelrot erleuchteten Innenraum. Drei fröhlich grinsende Männer erwiderten mein Lächeln. Amüsiert stellte ich fest, daß das gesamte Armaturenbrett, die Decke und die Türen mit weichen Plüsch verkleidet waren. Die drei winkten mir zu, ich solle einsteigen, was ich auch nur all zu gern tat. Im Wagen schlug mir ein fast unerträglich süßer Duft von Räucherstäbchen entgegen. Schnell stellte ich fest, daß meine Wohltäter nicht ein Wort meiner Sprache verstanden und alle Versuche sich in einer mir bekannten zu verständigen schlugen fehl. Sie saßen einfach nur da und zeigten mir lächelnder Weise ihre weißen Zähne. Hoffnungsvoll hielt ich das Schild mit dem Schriftzug meines Heimatortes hoch und die drei fingen heftig an zu nicken. Wenigstens schienen sie lesen zu können und das selbe Ziel zu haben wie ich. Meine Mitfahrer unterhielten sich angeregt weiter, in einer Sprache von der ich glaubte, daß es indisch war, beachteten mich aber nicht weiter.
Also hatte ich Zeit mich gründlich in dem Auto umzusehen, wobei ich dutzende Talismänner und Statuen entdeckte. Manche waren grinsende Menschen mit sechs Armen, andere erinnerten eher an Feuer speiende Insekten, aber alle wirkten irgendwie freundlich. Als mein Blick nach langem wieder aus dem Fenster schweifte, verschlug es mir die Sprache: wir fuhren an einem mit Palmen bewachsenen Strand entlang, dahinter lag ein tiefblaues Meer auf dem sich weiße Schaumkronen kräuselten. Riesige Möwen segelten durch die Luft und sanken hin und wieder in das Wasser nieder um mit einem zappelnden Fisch im Schnabel wieder aufzusteigen. Alles war menschenleer, soweit man schauen konnte.
Panisch rüttelte ich an der Schulter meines Banknachbarn und zeigte immer wieder auf die Landschaft, welche vor dem Fenster an uns vorbeizog, dort aber nicht hingehörte. Ich redete auf ihn ein, obwohl ich wußte das er mich nicht verstand, wollte irgendwie darauf aufmerksam machen, das dies schlicht nicht möglich war. Er zuckte nur mit der gerüttelten Schulter, lächelte mich freundlich an und zog einen Wasserball aus seiner Jacke, den er langsam begann aufzupusten. Auch meine anderen Mitfahrer lächelten mich nur an und taten so als wäre alles so, wie es normaler nicht hätte sein können.
Ihre Gelassenheit hatte eine beruhigende Wirkung auf mich und so ließ meine Panik langsam nach. Sie wich einer tiefen Ungläubigkeit in dieses Loch in der Realität, aber da ich mitten drin saß mußte ich mich wohl damit abfinden.
Inzwischen hatte mein Nebenmann seinen rot-gelb gestreiften Wasserball komplett aufgeblasen und spielte ihn mir zu. Unsere Vordermänner begannen wie Abgesprochen gleichzeitig ihre Fenster hinunter und schienen auf ein Zuspiel von mir zu warten. Fast selbstverständlich stellte ich fest, daß mir ein warmer Lufthauch aus dem offenen Fenster entgegen blies. Eben noch hatte es geregnet! Ich spielte den Ball nach vorn, hatte aber ein wenig heftig geschlagen. Der Ball verschwand aus dem Beifahrerfenster, um gleich darauf wieder neben meinem Banknachbarn zu erscheinen. Mein Mund blieb einfach offen stehen, während der Ball wieder nach vorn gespielt wurde. Jedes mal wenn der Ball aus dem Fenster segelte erschien er gleich darauf wieder an anderer und das Spiel wurde so sehr viel interessanter.
Zeit war während der restlichen Fahrt überhaupt nicht mehr vorhanden. Wir fuhren ohne ein Wort zu sagen, spielten Ball und ich bewunderte weiterhin die wunderschöne Landschaft.
Irgendwann stoppte der Wagen und wieder lächelten mich meine 3 Mitfahrer an. Ich erkannte, daß sie mich verabschieden wollten und stieg aus. Ich stand im Regen, direkt auf dem Bürgersteig vor meinem Haus. Ich hörte noch einmal die seltsame Hupe mit der alles Begann und sah den alten Ford hinter der nächsten Kurve verschwinden.
[Beitrag editiert von: SignoreSalami am 02.03.2002 um 18:19]