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Ballettschuhe

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13.02.2012
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Ballettschuhe

Ballettschuhe
Eine Kurzgeschichte aus meiner Kindheit

Einleitung
Wir schreiben das Jahr 1959 in Rumeln Kaldenhausen, ein kleiner Ort am Niederrhein, viel Milchwirtschaft, mehr Kühe als Einwohner und in einigen Kilometern Entfernung Rheinhausen mit den Krupp-Hüttenwerken, das war der Ort, in dem ich aufwuchs. Krupp, als größter Arbeitgeber auf der linken Niederrheinseite brauchte ein Heer von Arbeitern, die aus den strukturschwachen Gebieten bis hin aus Kleve an der holländischen Grenze kamen. Jeden Tag kamen sie in Massen, mit klapprigen Nebenbahnzügen und brummeligen Schienenbussen.

Der Bahnhof
An dieser Linie lag der Bahnhof Rumeln, an dem mein Großvater Bahnhofsvorsteher war. Ein großer Titel für einen Ein-Mann-Betrieb, denn sowohl der Kartenverkauf, Reinigung des Bahnhofsgelände bis hin dazu, auf seinem Streckenabschnitt die Signallampen mit Petroleum zu versorgen, Sommer wie Winter, alle paar Tage, gehörten zu seinen Aufgaben.

Andere Kinder haben eine Modelleisenbahn, meine war im Maßstab 1:1. Für mich, als kleinen Jungen, war der Bahnhof ein wahrer Abenteuerspielplatz. Wo sah man schon so viele aufregende Leute? Und die Züge, so interessant. Nie werde ich die Geräuschkulisse und den typischen Geruch nach heißem Öl, Holz und Kunstleder vergessen. Das waren aufregende Eindrücke, und es gab kaum was Spannenderes für mich, als mit diesen Triebwagen mitzufahren. Jede Fahrt war wie eine Weltreise für mich Jungen aus der Provinz.

– doch, da gab es was Spannendes, noch aufregender als die Triebwagen: die Güterzüge. Von früh bis spät donnerten und schnaubten kilometerlange Güterzüge durch den Bahnhof. Von Rotterdam kommend, beladen mit Eisenerz für die hungrigen Hochöfen bei Krupp fuhren Züge mit mehr als Fünfzig Güterwagen, bespannt mit den größten Dampfloks, die es zu der Zeit bei der Deutschen Bundesbahn gab. Wenn sie den Bahnhof passierten bebte und vibrierte alles im Umkreis. Dampf zischte, dumpf dröhnten die Kolbenschläge der mächtigen Lokomotiven, die sich unter Volldampf mit der schweren Last abmühten. Für uns Kinder war es eine Mutprobe, im Tunnel auszuharren, während so ein gewaltiger Güterzug Wände und Decke des Tunnels geräuschvoll zum Beben brachte.

Auch liebte ich es, auf dem Bahnsteig herum zu strolchen. Wo sonst kam ich den Zügen so nahe? Wo sonst konnte ich den Fahrtwind der Güterzüge spüren, Dampf und Kohle riechen? Nicht nur diese Züge, auch der Bahnsteig und die Fahrgäste waren für mich interessant. Der Bahnsteig war für mich auch eine klasse Rollschuhbahn, gab es doch selbst auf dem Bahnhofsvorplatz nur Kies. Nachmittags und am Wochenende gab es Stunden, in denen kein Zug hielt und wir Keinen mit unseren Rollschuhen störten.
Was noch? Einfach auf dem Bahnsteig sitzen und Leute beobachten. Viele kannte ich vom Sehen, teils auch persönlich. Die Arbeiter, die müde und erschöpft von ihrer Schicht kamen, Frauen die vom Einkauf kamen, wenige Kinder und meist in Begleitung ihrer Eltern. Aber ein Mädchen ist mir unter all diesen Menschen aufgefallen:


Astrid
Eines Nachmittags im Sommer lungerte ich wieder auf dem Bahnsteig herum. Das Signal wechselte auf Einfahrt und der Schienenbus aus Kleve kündigte sich mit brummenden Dieselmotoren an. Die Leute stiegen aus und strebten dem Ausgang, einem Tunnel zu. Ein Mädchen, vielleicht 14 Jahre alt, stolperte über die Leine eines Hundes, der um sein Herrchen herumtollte. Sie fiel zwar nicht hin, aber Schulmappe und Beutel flogen durch die Gegend. Das sah lustig aus und ich lachte hell auf. Einen Moment sah sie mich an und packte dann ihre Schultasche zusammen, die sich beim Fall geöffnet hatte und den Inhalt verstreut hatte.

Ich ging zu ihr, half ihr beim Einsammeln und reichte ihr den verlorenen Beutel zurück. Einen Augenblick sah sie mich an, lächelte scheu und bedankte sich. Mit meinen zehn Jahren traf es mich wie ein Blitz: schwarze, wallende, schimmernde Haare, bis zur Taille reichend, große, liebe Augen, so dunkel, so tief dass ich darin hätte ertrinken können. Fast wortlos, stotternd konnte ich nur kurz ein „gern geschehen“ erwidern, dann ging sie nach Hause.


Erstes Kennenlernen

Sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf, noch nie ist mir so ein Mädchen begegnet. Danach, wenn ich auf dem Bahnsteig Leute beobachtete, suchte ich sie in der Menge – nicht bewusst, aber irgendwie wollte ich sie gerne wiedersehen. Und dann war es so weit: sie kam an mir vorbei, ich winkte ihr zu und rief Hallo. Sie lächelte, winkte zurück und strebte dem Ausgang zu.
So ging das einige Male und irgendwann blieb sie stehen und wir wechselten ein paar Worte, was man so als Kind sagt, wie man heißt, wo man wohnt und so weiter. Von da an trafen wir öfter zusammen. Astrid erzählte mir, dass sie in Moers, in der Kreisstadt, in eine Privatschule ginge, dort auch Ballettunterricht habe und deshalb erst nachmittags mit dem Zug käme.

Langsam lernten wir uns kennen, ab und zu begleitete ich sie bis zum Haus ihrer Eltern und trug ihre Tasche. Sie lebte in einem stattlichen, verklinkerten Einfamilienhaus mit Garten und Jägerzaun rings herum. Der Vater ein gehobener Beamter, er fuhr - selten zu der Zeit - ein großes Auto und die Mutter erschien immer top-frisiert, gepflegt und elegant angezogen. Mir kam es vor, als hätten die Eltern einen strengen Ton gegenüber der Tochter, dachte mir aber nichts dabei, das war zu der Zeit „normal“.

Andere Jungens hänselten mich natürlich, dass ich mich „mit Mädchen abgab“, aber das störte mich in keiner Weise. Mit der Zeit gingen wir auch zusammen spazieren, sie musste den Familiendackel jeden späten Nachmittag eine Stunde oder auch länger ausführen.
Ich sprach sie nicht darauf an, aber von Anfang an kam es mir so vor, als wenn sie irgendwie traurig wäre. Sie ließ sich nichts anmerken, sprach auch nicht darüber, aber instinktiv ahnte ich, dass sie was belastete.

Schmerzen
Eines Tages, es war herrliches Spätsommerwetter, gingen wir wieder mit dem Hund. An dem Tag war sie sehr still und nach einer Weile fragte ich sie gerade heraus, was sie denn habe. Da platzte es aus ihr heraus: beim Ballettunterricht musste sie Spitze tanzen, immer wieder die gleichen Übungen, weil sie es nicht gleich schaffte und die Schrittfolge so kompliziert wäre. Und dadurch habe sie furchtbare Schmerzen an den Füssen. Sie zeigte mir aus ihrem Turnbeutel ihre Ballettschuhe, innen blutig. Sie zeigte mir ihre Füße, geschunden, blaue Flecke und Schwellungen an den Zehen. Sie konnte kaum aufhören zu weinen, ich versuchte sie zu trösten, hielt sie im Arm und sagte, dass sie doch mit dem Ballettunterricht aufhören solle, wenn es sie so schmerzt.
Unter Tränen sagte sie mir, dass sie das schon etliche Male bei den Eltern angesprochen habe, aber die Mutter, die früher selber Tänzerin war, unbedingt wolle, dass auch die Tochter Balletttänzerin wird. Wir saßen noch eine Weile am Ufer eines Baggersees, ließen den Dackel Stöckchen apportieren. Langsam beruhigte sie sich und wir gingen nach Hause. Später erwähnte sie nie wieder ihre Schmerzen und wir hatten noch manch schönen Spaziergang.


Abschied
Es wurde Herbst, das Wetter lud nicht mehr zu langen Spaziergängen ein und wir sahen uns nur noch selten. Eines Tages, als sie von der Schule kam suchte sie mich im Bahnhof und gab mir einen großen Umschlag. Neugierig fragte ich, was denn darin wäre. Sie sagte mir, dass wäre ein Geschenk für mich und ich solle es erst in einer Woche zu meinem Geburtstag aufmachen. Lange sah sie mich zärtlich an und strich mir ein paar Mal über das Haar. In ihren Augen sah ich einige Tränen, wusste aber nicht weshalb. Danach ging sie schnell weiter nach Hause.

Artig, wie ich war, wartete ich auch die Woche ab und an meinem Geburtstag öffnete ich den Umschlag. Er enthielt ein Bild, was sie gemalt hatte: mit Pastellfarben hat sie einen Strauß blauer Glockenblumen gemalt. Unter die Blumen malte sie ein Wort: „Danke“.
Danach sah ich sie nie wieder. Wochen später erfuhren meine Eltern, dass sich Astrid im Wald die Pulsadern aufgeschnitten hat, weil sie den Druck und die Schmerzen nicht mehr ausgehalten hat. Nie wieder traf ich als Junge und Jugendlicher ein Mädchen, das solche sprechenden Augen hatte, dass so warmherzig und liebevoll wie Astrid war.

Schlafe gut, Astrid und erhole dich von deinen Schmerzen

 

Hallo Zausel,

zunächst ein herzliches Willkommen auf kg.de.

Leider passt deine Geschichte nicht in die Rubrik "Kinder". Sie ist eher eine Biographie oder ein Teil aus einer Lebensgeschichte.
Ich würde vorschlagen, sie in die Rubrik "Historik" oder vielleicht "Jugend" zu verschieben.

Aber trotzdem möchte ich eine kurze Kritik abgeben.
Der Text ist für mich ein winziger Ausschnitt aus dem Leben eines heute Erwachsenen, vielleicht sogar von dir selbst. Aber er enthält keinerlei Spannung. Auch das Ende hat mir nicht gefallen, wenn es auch in der Realität passiert ist.
Ich muss gestehen, dass ich die Geschichte nur mehr überflogen habe. Zunächst dachte ich, dass es um ein Abenteuer auf dem Bahnhof gehen würde und war schon gespannt. Doch als es auch im zweiten Abschnitt nur um Beschreibung des Alltags auf einem Bahnhof ging, habe ich leider abgeschaltet und verzweifelt die Stelle gesucht, an der beim Lesen Spannung aufkommen würde, aber nicht wirklich gefunden.

Tut mir leid, dass ich dir auf deine erste Geschichte hier keine bessere Kritik geben kann.

Viele Grüße
bambu

 

Hallo Zausel,

und auch von mir ein Willkommensgruß.

Die Geschichte ist zwar eine Geschichte aus der Kindheit, deshalb ist es jedoch keine Kindergeschichte. Schreib mir bitte bis heute Abend eine PM oder poste hier, ob Du den Text lieber in Jugend oder Sonstiges wissen willst. Solltest Du Dich nicht melden, verschiebe ich die Geschichte nach Sonstiges.

Zur Geschichte selbst.

Formales:

Ballettschuhe
Eine Kurzgeschichte aus meiner Kindheit

Überschrift steht schon drüber und ob nun aus Deiner Kindheit oder fiktiv spielt eigentlich keine Rolle. Könnte man also gut drauf verzichten.
Auch würde ich auf die Zwischenüberschriften verzichten, die zerstückeln den Text eher, als dass sie ihm gut tun. Aber, das bleibt natürlich Dir vorbehalten, wie Du den Text gestalten magst.


Wir schreiben das Jahr 1959 in Rumeln Kaldenhausen, ein kleiner Ort am Niederrhein, viel Milchwirtschaft, mehr Kühe als Einwohner und in einigen Kilometern Entfernung Rheinhausen mit den Krupp-Hüttenwerken, das war der Ort, in dem ich aufwuchs. Krupp, als größter Arbeitgeber auf der linken Niederrheinseite brauchte ein Heer von Arbeitern, die aus den strukturschwachen Gebieten bis hin aus Kleve an der holländischen Grenze kamen. Jeden Tag kamen sie in Massen, mit klapprigen Nebenbahnzügen und brummeligen Schienenbussen.

Schon in der Einleitung bahnt sich der Erzähler an, ein berichtender. Berichterstattung und Kurzgeschichte sind jedoch verschiedene paar Schuhe. Während es bei ersterem darum geht Fakten zusammenzutragen, braucht eine Geschichte Charaktere mit denen man sich identiefizieren kann, in sie hineinschlüpfen, die Welt mit ihren Augen sehen. Ich versuche mal, anhand eines Abschnittes den Unterschied aufzuzeigen.

An dieser Linie lag der Bahnhof Rumeln, an dem mein Großvater Bahnhofsvorsteher war. Ein großer Titel für einen Ein-Mann-Betrieb, denn sowohl der Kartenverkauf, Reinigung des Bahnhofsgelände bis hin dazu, auf seinem Streckenabschnitt die Signallampen mit Petroleum zu versorgen, Sommer wie Winter, alle paar Tage, gehörten zu seinen Aufgaben.

Das ist Bericht. Für eine literarische Bearbeitung könnte dieser Abschnitt wie folgt aussehen:

Nach der Schule lief ich zu meinem Großvater auf den Bahnhof, warf meinen Ranzen in das Bahnhofhäuschen und leistete ihm Gesellschaft, wenn er Fahrkarten verkaufte, den Bahnsteig reinigte oder eine Zigarette rauchte.

Will heißen, Du solltest Informationen in Handlungen einbetten.
Und Details wäre schön. Sehen, hören, fühlen - sprich die Sinnesorgane Deiner Leser an, damit sie sich einfühlen können. Damit sie auch auf dem Bahnsteig stehen, hole sie in den Text, anstatt sie nur zuhören zu lassen.
Die Uniform - staubig oder immer frisch gebürstet - das sagt ja auch was über den Großvater aus - der hier eben genannt wird, aber ich bekomme kein Bild von ihm vor Augen. Was sagt er, wie bewegt er sich, wie ist die Beziehung zwischen den beiden?

Ebenso die Begegnung mit Astrid. Okay, sie hat lange Haare und schöne Augen - aber diese Beschreibungen wirken wie Fotos von Menschen, die ich nicht kenne. Ich baue keine Beziehung zu denen auf. Für dich funktioniert das, weil Du sie kennst (ob jetzt als Autor oder real, spielt dabei keine Rolle), aber für mich bleibt sie fremd. Lass sie handeln, reden, gib ihr Mimik und Gestik, dann kann auch ich mir ein Bild von ihr machen. Und in erste Linie interessiert mich ihr Charakter, weniger ihre Haarfarbe ;).

Also, ich denke, dass man aus dem Text mehr rausholen könnte, wenn Du Dich von Deinem Erzähler/Berichterstatter zu trennen vermagst.

Aber autobiographische Vorlagen machen das Schreiben oft schwieriger, als fiktionale Texte. Man klebt da viel zu subjektiv dran, als dass man dem Ich-Erzähler auch eine negative Seite zusprechen will - und das macht Geschichten ja erst spannend - interessante Charaktere. Und die sind eben nicht nur glatt und gut ;).

So viel von mir.
Beste Grüße und viel Freude an Deinen Texten und denen anderer.
Fliege

 

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