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Ball holen

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27.07.2002
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Ball holen

In hohem Bogen fliegt der Ball über das Spielfeld, verläßt es und hält sich noch weitere hundert Meter in der Luft, ehe er auf dem staubigen Boden aufschlägt. Wie eine schmackhafte Himbeere hatte er sich gegen den sonnenblauen Himmel abgezeichnet, immer kleiner werdend und sich schließlich meinem Blickfeld ganz entziehend. Ich vernehme nur das blechern hohle Geräusch seines Aufpralls in weiter Ferne.
„O nee“, stöhnt Jürgen, „nicht schon wieder...“. Sabine lächelt entschuldigend und zieht die Schultern hoch. Robert sagt, sie hat mehr Kraft als Verstand.
Widerwillig trottet Jürgen los, den Ball zu holen. Er läßt die Schultern hängen und kickt mit seiner Sandalette in den Staub. Er bleibt, an einer Wurzel wahrscheinlich, hängen, stolpert und flucht mir unverständliche Worte. Bestimmt hat er sich den Zehennagel ‘runtergerissen.
Robert brüllt: „Mensch Jürgen, nun mach mal hin jetzt!“
Ohne sich umzudrehen, winkt Jürgen hinter seinem Rücken ab. Er macht dicke Backen und bläst die Luft stückweise aus, nachdem er sie ein paar mal von der einen Backe in die andere geschoben hat.
Hinter mir pult sich Renate an den Fingernägel, ganz konzentriert. Ihr Unterkiefer schiebt sich vor, als sie den Dreck hinter ihren Nägeln vorholt und ihn dann in meine Richtung schnippt. Ich beschwere mich.
„Wie lange der braucht, einen Ball zu holen! Da könnt‘ man glatt ein Buch drüber schreiben! Jetzt bleibt er auch noch stehen!“ Es ist ihm anzuhören, daß Robert genervt ist. Wie sich herausstellt nicht ganz ohne Grund: Schon in einiger Entfernung sehe ich Jürgens schlaksige Gestalt, die sich bückt und augenscheinlich etwas aufhebt. Plötzlich hält er was hoch und schreit:
„Cool, ich hab Geld gefunden!“
Hol lieber den verfluchten Ball, denke ich bei mir, als er das kleine Metallding ausgerechnet so hält, daß die Sonne, davon reflektiert, mir genau ins linke Auge sticht. Maria hängt sich derweil in das Volleyballnetz, so daß es gefährlich durchhängt und die Pfosten sich biegen. In offensichtlicher Langeweile streckt sie ihre Zunge in die Landschaft.
Ich hole tief Luft, sauge den höchst möglichen Anteil Sauerstoff aus der Luft, drehe mit den Schultern und stelle mich gerader hin. Dann blas ich mir die verbrauche Luft unter den Pony.
„Jürgen, was ist, bring den Ball!“ kreischt Maria. Jürgen bückt sich und nimmt den Ball. Er wirft ihn hoch, um anschließend dagegenzutreten, was den Himbeerball erneut dazu verleitet, durch die Luft zu fliegen. Irgendwohin. Diesmal rennt Jürgen schnell hinterher. Maria trommelt eine Melodie auf ihren Schenkeln.
Rolf neben mir gibt eine Mischung aus Seufzen und Stöhnen von sich, setzt sich und malt in den Staub. Sieht aus wie ein kubistisches Kaninchen.
Als ich wieder zu Jürgen sehe, ist er verschwunden. Vermutlich ist er dem Ball soweit gefolgt, daß die Erdkrümmung ihn jetzt überragt. Doch plötzlich: Ein rosa Punkt am Himmel, der in der Luft immer größer wird, aber trotzdem noch weit entfernt landet. Jürgen taucht wieder auf, nimmt den Ball und setzt sich drauf, um sich seine schicken Schnürsandalen neuzuschnüren, weil sie, wahrscheinlich vom vielen „Zaubern“, aufgegangen sind. „Zaubern“, so nennt er seine infantilen und mißglückten Versuche mit dem Ball anzugeben.
„Jetzt ist er auf dem Rückweg“, sage ich zu Rolf, als hätte ich etwas verbotenes beobachtet. Rolf reckt den Hals. Dann steht er umständlich auf wie ein alter Mann und klatscht sich den trockenen Staub von den Händen und Sachen. Er kratzt sich am Kopf und reibt sich das Auge, als sei er gerade aufgestanden.
Jürgen schlendert zurück, hampelt herum mit etwas, das wohl so etwas wie Breakdance-Schritte sein sollen. Mit jedem seiner Hopser wird der Ball in seiner Hand größer und leuchtender.
„Wie ist jetzt der Punktestand?“ will Jürgen noch mit einigem Abstand zum Spielfeld wissen.
„Äh“, sagt Rolf, öffnet den Mund und sieht in den Himmel. Die anderen lenken ihre Aufmerksamkeit ebenfalls auf ihn und verziehen das Gesicht wie in sorgenvollem Ekel. Aber es ist nur wegen der Sonne, die genau über Rolf steht und blendet, daß es in den Augen wehtut.
Als Jürgen wieder ganz da ist, ist es Rolf wieder eingefallen, und wir erinnern uns, daß wir gerade erst angefangen haben.
Alle seufzen erleichtert, als Jürgen den Ball endlich in unser Feld wirft. Sabine hinter mir knackt mit ihren Fingergelenken und schlurft auf ihren Platz. Und obwohl sie die Angabe gerade verpatzt hatte, muß sie laut Regel eine Wiederholung spielen.

 

Hi mipsu,
eine Geschichte, die tatsächlich Alltag beschreibt, nicht mehr und nicht weniger. Inhaltlich sagt sie nicht viel, soll sie aber auch nicht an erster Stelle oder?. Viel interessanter ist Dein Stil.
Durch Deine Schreibweise - finde ich - bringst Du bei einigen von den Leuten (allen voran Jürgen) mit wenigen Worten und einfachen Handlungen Umrisse von Charakteren hervor. Teilweise genau die richtige Menge, um dem Leser Ansporn zu bieten, sich diese Charaktere weiter auszumalen. Das bringt die Geschichte trotz der ziemlich leeren Fläche des Inhalts nach vorne. Genauso baut sich die Atmosphäre eines heissen, staubigen Sommertages auf, an dem alle mehr oder weniger energielos sind.
Was den Gesamteindruck schwächt sind einige Ausdrucksfehler, manchmal liegst Du einfach etwas daneben:

Er bleibt, an einer Wurzel wahrscheinlich, hängen, stolpert und flucht mir unverständliche Worte. Bestimmt hat er sich den Zehennagel ‘runtergerissen.
Der erste Einschub stört den Lesefluß - ich würde es entweder ganz weglassen (weil sowas nicht wichtig ist) oder das 'hängen' davor ziehen: "Er bleibt hängen - an einer ... - stolpert und..."
Dann flucht man in unverständlichen Worten (glaube ich jedenfalls).
Anstatt 'runtergerissen' würde ich abgerissen schreiben. Finde ich auch etwas übertrieben - falls es Sarkasmus ist, kommt der nicht so sehr raus.

Dann ist da manchmal auch das Problem mit der Sichtweise. Es erzählt ja das 'Ich' - trotzdem sieht er/sie, wie Jürgen die Backen aufbläst, wie Renate hinter ihr/ihm die Fingernägel bearbeitet, etc. Das verwirrt, weil eine Allwissenheit des Erzählers nicht passt.

...,daß die Erdkrümmung ihn jetzt überragt.
Das klingt auch komisch. Vielleicht besser: "..., dass er irgendwo hinter dem Horizont verschwunden ist." - oder so ähnlich?

"Jetzt ist er auf dem Rückweg“, sage ich zu Rolf, als hätte ich etwas verbotenes beobachtet.
Wieso verboten? Passt irgendwie nicht.

Es sind auch echt gelungene Wortspiele dabei - kubistisches Kaninchen, z.B.


Insgesamt geht die Geschichte mal hoch, mal runter. An ein paar Ausdrücken würde ich noch feilen, aber in dem kurzen Text steckt auf jeden Fall Atmosphäre und einige interessante Figurumrisse.

 

Hey baddax!

hätt ja kaum gedacht, daß so schnell jemand was zu meiner geschichte zu sagen hat. ich dank dir sehr dafür!! ist schließlich das erste mal, daß ich mich fremder kritk ausgesetzt sehe...
es ist erstaunlich, daß vieles so rübergekommen, wie ich das wollte (charakterumrisse, inhaltsleere...)
mit der sichtweise hab ich meistens ein problem. Aber du sagtst, der ich-erzähler kann nicht sehen, was hinter ihm passiert, oder wenn was zu weit weg ist, aber das fluchen nun ausgerechnet soll er verstanden haben? na egal, ich will nicht kleinlich sein :)

noch mal danke für dein kommentar, war sehr aufschlußreich!

M.

 

Hallo mipsu!

Irgendwie gefällt mir deine Geschichte. Inhaltlich ging es zwar bloß darum, wie Jürgen den Ball holt, aber davon abgesehen hast du einiges draus gemacht.
Deinen Stil finde ich gut. Vor allem die Beschreibung der vorkommenden Personen und ihre individuellen Verhaltensweisen, die die Charaktere real erscheinen lassen, haben mir gefallen.
Kann baddax eigentlich nur noch zustimmen.

Viele Grüße, Michael

 

Aber du sagtst, der ich-erzähler kann nicht sehen, was hinter ihm passiert, oder wenn was zu weit weg ist, aber das fluchen nun ausgerechnet soll er verstanden haben?
Naja, das mit den aufgeblasenen Backen habe ich vorm Spiegel ausprobiert.:rolleyes: Wenn man jemanden von hinten betrachtet, sieht man das auch bei einem halben Meter Entfernung nicht.:teach: Und Jürgen ist gerade losgetrottet, als er sich den Fuß anschlägt - sprich, wenn er laut flucht, hört man das sicherlich...
So genug belehrt. :D
Schönen Abend noch, baddax

 

hey baddax! (noch mal):)

Kaum zu glauben, hauptsache du probierst das mit den backen aus! So viel einsatz für ein bißchen logik... naja:)
Übrigens fand meine freundin das mit dem nagel runterreißen auch zu widerlich, aber mir ist ehrlich gesagt nichts besseres eingefallen...:shy:
außerdem ist es schon komisch, daß gerade die stellen gelobt werden, an denen ich minuten hing, bis ich drauf kam. Tja, wem das talent nicht in den schoß fällt...
Achja und das mit dem kucken, als hätte man was verbotenes gemacht, wo du meintest, das paßt nicht, das sollte nur sagen, dass der tonfall halt so war, wie... was weiß ich... wie wenn tratschtanten ihren nachbarn beobachten oder so.hach! *haarerauf* ist halt schwer zu beschreiben. ist wie mit "sorgenvollem ekel". versuch mal so ein gesicht zu ziehen und du müßtest aussehen, als würdest du in die sonne blinzeln.

Wie auch immer, scheinbar fühlte ich mich gerade bemüßigt, alles noch genauer zu erklären... *schulterzuck*

Immer weite her mit kritik,(solange dir noch welche einfällt...)
ciao

M.

 

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