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Ball der Verwerflichkeiten

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05.07.2002
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Ball der Verwerflichkeiten

Ball der Verwerflichkeiten

Schon verstummte die Musik. Wie dann der Widerhall des letzten Tons erlosch, unternahm der Zweifel einen ersten Vorstoß der Werbung: „Möget ihr euch auch die heftigsten Reibereien liefern, meine Position ist wohl frei von Diskussion! Mir allein gehorcht die Kraft, die Wesen in höchsten Zwistigkeiten zu entzweien. Nicht nur unter einander, nein, auch den Einzelnen vermag ich gegen sich zu hetzen, letztlich gar in die Selbstzerstörung.“ „Doch bedenke,“ fuhr die Angst dazwischen, „bedenke, wer dir den Weg ebnet, die Schleuse deines überschäumenden Auftritts öffnet. Gestatten, die Angst, springe in jeglichen Vergleich des Seins, lauer in Winkeln, in allen Ecken. Und sehet meine Macht, sei es in meiner Gunst, euch alle zu erwecken.“ Nun verschaffte sich auch der Hass Gehör: „Vernehmen kann ich euch jedoch nur in stummen Schreien. So bin ich es, welcher euch die Form erteilt, die Richtung zeigt. Verfüge über alle Gräuel von Seele und Hülle und beanspruche den fürchterlichsten aller Plätze.“ „Wo aber endet ihr?“, der Schmerz näherte sich sanft. „Angst, Hass und Zweifel, findet in mir euren steten Begleiter, immer jedoch den Nachklang eures Radaus. Eure Taten von heute, errichten die Festung der meinen von morgen. Seid ihr auch noch so heftig, vergeht vergänglich ihr im Meer der Unvergänglichkeit – unter meinen Augen.“ Auch Lust und Begierde gesellten sich hinzu: „Oh Schmerz, wie weise du doch sprichst! Deine Erscheinung mag uns alle überdauern, doch verleugne nicht, schwächer und ärmer erscheint dein Antlitz Tag für Tag. Allein der Antrieb fehlt, erneut sich zu erheben, erneut zu weilen. Lust und Begierde, sie sind es, vertreiben die Geister der Ruhe und geben euch allen, dem Prozess, den neuen Trieb. Entscheidet selbst, wem die Ehre gebühret!“
Als nun die Eitelkeit, die Verachtung mit ihren Partnern und ihrem Gefolge weiterer Unzähliger an den Ort des Geschehens drängten und ihre Stimmen erhoben, ward ein Streit im Entstehen. Wie sie da alle in die Mitte strebten, wie Tumulte, Angriffe und Anfechtungen die Runde machten und in hitzigen Wortgefechten kulminierten, stachen feine Risse in das Bild. Und je aufgebrachter die Anwesenden, je ausufernder die Anfeindungen wurden, desto weiter erschienen sie. Desto mehr Schwarz quoll ein, trieb die Gäste enger, die feindliche Stimmung in die Höhe, dem Ende nahe. (Munkeleien gehen davon aus, es sei das Ableben verbunden mit dem Vergessen, welches sich hier seinen Weg bahnte, der Zweifel jedoch konnte dem keinen Glauben schenken!)
Doch dann, blitzartig, vergingen alle Laute und die Aufmerksamkeit eines jeden richtete sich auf einen Punkt, in dem, unverhofft, ein Menschlein aus der Masse erwuchs. Getragen wurde es durch eine warme, allumfassende Kraft, der Vernunft. „Jetzt seht euch an, was ihr für ein Chaos hier veranstaltet!“, sagte das Geschöpf. „Schön, dass ihr Stärke messt, doch im Endeffekt habe ich allein euch unter Kontrolle. Bin in der Lage den Schmerz zu vergessen, den Hass zu bändigen und Zweifel zu zerstören. Der Lust zu widerstehen, nichts fällt mir leichter. Was wäret ihr nur ohne mich? Ein Haufen nutzloser Abzweige des Lebens, die zu verfehlen mir ein Leichtes ist. Genießt eure Existenz, solange ich sie noch dulde!“ Daraufhin wogte das Wesen sekundenlang umher, die Vernunft konnte nicht an sich halten. Zu groß war die Freude, erneut entflammt, den Menschen zu hüten, den Weg zu weisen. Denn hätte der Gegenstand ihrer Obhut auch nur im Ansatz die Frevel angenommen, wahr genommen, sich ihnen genähert, die Hand nach ihnen gestreckt, um zu lernen und im Einklang gestärkt zu werden, die Vernunft hätte wohl die Laune an ihm verloren, hätte ihn fallen lassen in die Irrwege seiner selbst, ins unbedeutende Nichts seines Daseins. In seinen Worten fand sie einerseits die Verfehlung der Aufgaben ihrer Bestimmung, zugleich aber auch die Rechtfertigung ihrer Erscheinung. Und auch die Verwerflichkeiten, die noch zuvor um die höchste Gunst in Konkurrenz standen, fanden wieder zu einander. Diese Gestalt hatte sich zu ihrem Meister ernannt, zur letzten Instanz ihres Kommens und Gehens und doch, in seinen harten Worten, geprägt von seiner großspurigen Überheblichkeit, getränkt in Selbstüberschätzung, stellte es ihnen im selbigen Augenblick das breite Feld seiner Unvollkommenheit zur Schau. Ohne nur einen Schimmer der Einsicht zu gewähren, hatte es ihnen ihre Grenzen aufzeigen wollen, derweil aber den Sünden, den Lastern und Untugenden erneut die alte Gewissheit eingeflößt. Noch lange, sehr lange, würden sie ihre Berechtigung erhalten und durch das Morgen streifen, um ihre Eskapaden, Abenteuer und Eseleien zu verleben. Nach der höheren Stellung aber müsse keine Streben, denn dieses Individuum, leer und anscheinend der Bewertung des Ichs abhanden gekommen, würde einer jeden von ihnen genügend Platz bieten, sich zu verbreiten, zu toben, zu rasen, zu tanzen.
In dieser Einsicht wurde das Dunkel beseitigt, verdrängt, die Brüche und Kratzer vergingen. Alsbald verschwand auch der Mensch, mit zufriedenem Gesicht von der Vernunft geleitet, wieder in der Menge, nicht, wie noch bei seinem Erscheinen, in einem Punkt, sondern in der Zerstreuung nach allen Seiten. Neue Paare fanden sich zusammen und die Musik erklang. Diesmal von anderen Farben, neuen Nuancen bestimmt, dennoch nicht zufällig, sondern vertraut, fast vorbestimmt. Trotz dieser aufkeimenden Ordnung, war sie aber dennoch mitreißend und erregend, anregend. So schwangen sie die Anwesenden in nie gesehenen Kombinationen in ungeahnte Sphären. Und das Schicksal meinte es gut.

[ 07.07.2002, 20:46: Beitrag editiert von: Stöpsel ]

 

Hallo Stöpsel,

die Idee, alle Verwerflichkeiten auf einem Ball zu vereinen hat mir gut gefallen (Tanz der Vampire?), auch die Vernunft als Retter aus der Misere.
Noch einige Anmerkungen zum Anfang: Es sollte heißen: „Als dann der Widerhall ...“ „Gestatten, ich bin die Angst, springe in ... lauere ...“
„sei es in meiner Gunst“ und „vergeht vergänglich ... im Meer der Unvergänglichkeit“ fand ich beides unklar.

Tschüß ... Woltochinon

 

Hi Woltochinon,

danke erstmal für die Kritik! Ich weiß nicht, ob es nun besser ist zu schreiben "Gestatten, die Angst, ..." oder "Gestatten, ich bin die Angst, ..."! Das ist glaub ich eher persönliche Empfindung und ich bevorzuge nunmal Ersteres. "Sei es in meiner Gunst ..." soll hier einfach bedeuten, dass die Angst in der Lage ist, so sie denn will, so es ihr gefällt und sie darin einen Sinn sieht, die anderen Verwerflichkeiten zu erwecken.

Wie auch immer, tschö
stö

 

Hallo Stöpsel,

Du bist der Autor, also auch der Boss!

Tschüß ... Siegbert

 

Hi Stöpsel,

faszinierende Idee und gut umgesetzt.
Schade, dass nur Verwerflichkeiten geladen waren. Die Vernunft kam wohl ohne Einladung? (Sie gehört ja wohl nicht zu den Verwerflichkeiten) Es wäre schön gewesen, wenn die Vernunft sich von der Liebe, der Geduld und deren Verwandten hätte begleiten lassen. Vielleicht geschieht das ja noch mal.

Gruß vom querkopp

 

Moin Querkopp,

natürlich wäre es toll gewesen, wenn die Vernunft noch die Liebe, die Geduld etc. mitgebracht hätten, aber es ging mir bei dieser Geschichte nicht darum, negativen Eigenschaften (Verwerflichkeiten) positiven Eigenschaften gegenüber zu stellen. Die Vernunft ist keine Antwort auf die Verwerflichkeit, sondern wie ich beschrieben habe, eine große allumfassende Kraft, welche jederzeit in der Lage ist, die Sünden und Laster zu besiegen. In der Liebe aber ist es so, dass sie die Grundlage für Hass, Zweifel und Angst sein könnte und dem entsprechend sehr tief mit ihnen verwurzelt ist. Deshalb kommt nur die Vernunft, sie braucht keine Einladung, denn wo Verwerflichkeiten sind, da ist auch im Verborgenen die Vernunft vorhanden. Soweit meine Herangehensweise ...
Vielen Dank aber für deine Anregungen - vielleicht gibt es ja eine Fortsetzung!?

Gute Nacht und tschö
stö

 

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