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Badlaa ( Die Rache )

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31.08.2003
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Badlaa ( Die Rache )

Badlaa - Die Rache

Endlich stand Josh dem Mann gegenüber, den er am meisten hasste. Gute zwei Jahre hatte er auf diesen Abend gewartet. Zwei Jahre, in denen ihn die Erinnerungen an die Nacht im Bagh verfolgt und gequält hatten, während General Dyer bei seiner Rückkehr nach London wie ein Held gefeiert worden war. In den Zeitungen hatte man ihn in den höchsten Tönen gelobt, aber Josh kannte die Wahrheit über diesen Mann. Er wusste, wie es im Jalliawala Bagh wirklich ausgesehen hatte. Für ihn war Dyer nicht der Nationalheld, wie er hier genannt wurde, sondern der Teufel in Person. Der grausamste Mensch, der über diese Erde wandelte.
Zwei Jahre! Josh fragte sich, wie er den Rest seines Lebens mit diesem Schmerz überstehen sollte, wenn schon die letzten zwei Jahre so schwer gewesen waren. Seine Mutter, die es sicherlich gut mit ihm meinte, versuchte ihm immer wieder einzureden, dass die Wunden mit der Zeit verheilen würden. Sie log, das wusste er, wenn er ihr in die Augen sah, ein so großer Schmerz konnte nicht einfach so verschwinden, er musste selbst etwas dafür tun. Kurz bevor er an diesem Abend das Haus verlassen hatte, hatte er die Erleichterung in den Augen seiner Mutter gesehen, sie war froh gewesen, dass er sich dazu entschlossen hatte endlich mal wieder eine Einladung anzunehmen. Seit er letztes Jahr aus Amritsar zurückgekehrt war, hatte man ihn zu unzähligen Dinnerparties eingeladen, aber er hatte sich schon lange aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen. Sie war verwirrt über die Art gewesen, auf die er sich von ihr verabschiedet hatte, natürlich wusste sie nicht, warum er wirklich hier war.
Es war voll, viele Gäste waren Mrs. Waterfields Einladung nachgekommen und das lag vor allem an ihrem Ehrengast, General Dyer. Josh hatte so etwas erwartet, er hatte damit gerechnet, dass es schwer werden würde an Dyers heranzukommen, weil jeder Gast ihn belagern würde. Aber zu seiner Überraschung, hatte Dyers ihn erkannt und war direkt auf ihn zugekommen, neben ihm eine stolze Mrs. Waterfield, die ihn den ganzen Abend über durch den Raum führte wie eine Trophäe.
„Sie kennen Mr. Charlton?”, fragte Mrs. Waterfield den General überrascht, nachdem sie gesehen hatte, wie er Josh begrüßt hatte. „Das wusste ich ja gar nicht!”
„Wir sind uns ein paar Male begegnet”, antwortete Dyer immer noch lächelnd. Josh fragte sich, ob er dieses Lächeln auch auf den Lippen gehabt hatte, als er seine Truppe vor zwei Jahren durch Amritsar geführt hatte. „Ich glaube, es war in Delhi und...”, der General zog seine Augenbrauen zusammen, als versuche er, sich zu erinnern.
„Punjab”, ergänzte Josh gefasst, Dyer wusste genau, dass sie sich in Amritsar getroffen hatten und es schien ihm Spaß zu machen, damit zu spielen. „Genauer gesagt, Amritsar!”
„Oh, wie aufregend!”, rief Mrs. Waterfield aus. Josh warf ihr einen ungläubigen Blick zu, den sie gekonnt ignorierte.
„Ah ja, jetzt weiß ich es wieder! Ich habe unseren Mr. Charlton bei einer Burra Khana in Amritsar getroffen. Er schien dort sehr angetan von einer jungen Dame zu sein... Grace Blackthorne, nicht wahr?”
Josh vergrub seine Hände tief in seinen Hosentaschen und ballte sie zu Fäusten. Alleine die Tatsache, dass Dyer es wagte, diesen Namen auszusprechen, machte ihn wütend
„Bu... was?”, fragte Mrs. Waterfield verwirrt nach und sah zwischen den beiden Männern hin und her.
„Eine Dinnerparty, so wie diese hier”, erklärte ihr Dyer übertrieben freundlich. „Jedenfalls schien Mr. Charlton sehr fasziniert von Ms. Blackthorne zu sein!”
„Tatsächlich?”, Mrs. Waterfield warf Josh einen erstaunten Blick zu und legte sich, als Zeichen ihrer Missbilligung oder einer nähernden Ohnmacht, ihre rechte Hand auf die Stirn. Sie hatte gehofft, in Josh endlich den perfekten Ehemann für ihre Tochter gefunden zu haben. Ein gutaussehender junger Mann aus gutem Hause, der noch immer ledig war. Sie hatte es sich eigentlich zum Ziel gemacht, ihn sich zu krallen, bevor ihr eine Andere zuvorkommen konnte. Sie war schockiert, aber die Männer ignorierten ihre theatralische Pose. „Davon wusste ich ja gar nichts... Blackthorne, der Name sagt mir allerdings nichts...”
„Wie könnte er auch, Ms. Blackthorne war Eurasierin”, in Dyers Stimme lag unüberhörbar Verachtung, als er das letzte Wort betonte, „bekannt für ihr vorlautes Mundwerk!”
„Vorlaut? Nein, ich würde es eher mutig nennen”, sagte Josh kühl. „Eine Kämpferin!”
„Und... wo ist sie jetzt?”, wollte Mrs. Waterfield nervös wissen. Sie beobachtete, wie die beiden Männer kalte Blicke austauschen und beschloss, dass es besser sei, das Thema zu wechseln. Sie setzte wieder zum Sprechen an, verstummte aber, als sie bemerkte, wie Josh sie plötzlich direkt ansah.
„Sie ist tot”, erwiderte Josh ruhig. „Sie wurde getötet, im April 1919, bei dem Massaker im Jalliawala Bagh!“
„Oh, das...”
„Massaker!”, wiederholte Dyer spöttisch und schüttelte dabei den Kopf.
„Wie würden Sie es denn sonst nennen? Über fünfzig Soldaten umzingeln eine friedliche, unbewaffnete Menge, versperren den einzigen Ausgang und schießen, ohne Vorwarnung, bis ihnen die Munition ausgeht.”
„Wir hatten Versammlungen verboten, Mr. Charlton, das scheinen Sie vergessen zu haben! Ich habe nur meine Pflicht getan!”
„Es war Baisakhi, alleine schon deswegen waren an diesem Nachmittag so viele Menschen im Jallianwala Bagh. Frauen, Kinder... viele Kinder... sie waren zum Fest gekommen!”
„Ms. Blackthorne hat Ihnen in der kurzen Zeit anscheinend viel über das Land beigebracht, Mr. Charlton!”
„Oh, unser Hauspersonal ist auch aus Indien!”, verkündete Mrs. Waterfield auf einmal lautstark und sichtlich stolz. „Mein Mann brachte sie vor etwa zwanzig Jahren aus einem kleinen Dorf in den Kolonien mit!”
„Die armen Menschen sollten Ihnen wirklich dankbar dafür sein, dass Sie sie aus dem Elend geholt haben, Mrs. Waterfield!”, erwiderte Josh sarkastisch, bevor er sich wieder Dyer zuwandte. Mrs. Waterfield, die den Sarkasmus nicht bemerkt hatte, nickte zustimmend und murmelte etwas davon, wie undankbar diese Leute trotz allem seien, Josh ignorierte sie wieder. „Und nachdem die Munition verbraucht war, wurden die Verletzten einfach zurückgelassen, ohne Wasser, ohne...”
„Das war nicht meine Aufgabe, Mr. Charlton. Wie Sie wahrscheinlich wissen, waren die Krankenhäuser der Stadt nicht geschlossen. Sie hätten hingehen können!”
„Ersparen Sie mir das, General! Es war doch unmöglich, einen Verletzten von dort wegzubringen, überall waren Ihre Leute und warteten darauf, wieder schießen zu dürfen!”, Josh sah Mrs. Waterfield an, sie war blass geworden und stand jetzt wahrscheinlich wirklich kurz vor einer Ohnmacht. Nicht wegen der Sachen, die Josh sagte, aber aus Angst, diese Diskussion könnte ihre Dinnerparty ruinieren. „Wissen Sie, Mrs. Waterfield, die offiziellen Zahlen sprechen von dreihundertneunundsiebzig Toten und tausendzweihundert Verletzten, aber in Wirklichkeit waren es mehr. Viel mehr! Die Leichen lagen übereinander, Männer, Frauen, unschuldige Kinder!”
„Sie übertreiben, Mr. Charlton!”
„Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, General. Ich habe, wie viele andere auch, die Nacht dort verbracht!”, Josh schloss für einen Moment die Augen und schluckte die Tränen runter, die ihm bei den Erinnerungen kamen. „So viele Kinder...“
„Warum waren sie überhaupt dort? Die Europäer waren zu ihrer eigenen Sicherheit ins Fort gebracht worden!“
„Damit Grace nicht alleine sein musste, um bei ihr zu sein...”
„Wir sollten dieses traurige Thema lassen”, verkündete Mrs. Waterfield mit gespielter Leichtigkeit, als sie Dyers Arm ergriff und auf den Balkon deutete. „Da hinten ist Mr. Stowe, kommen Sie, General, ich werde Sie ihm vorstellen!”
„Gehen Sie ruhig vor, meine Liebe!”, Dyer lächelte und tätschelte ihre Hand. „Mr. Charlton und ich haben noch etwas zu besprechen!”
„Aber natürlich...”, Mrs. Waterfield ließ unsicher Dyers Arm los und entschuldigte sich leise, bevor sie den Saal durchquerte, um mit Stowe zu sprechen.
„Sie reden über mich, als sei ich ein Monster, Mr. Charlton, dabei habe ich nur meine Pflicht erfüllt!”
„Sie sind ein Monster, General!”
„Es war meine Pflicht”, wiederholte Dyer, dieses Mal lauter. „Ms. Blackthorne wusste genau, worauf sie sich einließ!”, der General kam näher. „Unter uns gesagt, Sie sollten mir dankbar sein!”
„Dankbar!”
„Sie haben einer von denen den Hof gemacht, mein Freund! Wenn ich nicht gewesen wäre, hätten Sie sich doch blind in ihr Unglück gestürzt!”
„Ich bin nicht Ihr Freund!”, erwiderte Josh wütend, nur mit Mühe schaffte er es, einen ruhigen Ton zu bewahren. „Sie sind zwar vor zwei Jahren ungestraft davongekommen, aber Sie werden für diese Morde bezahlen, General!”
Dyer lachte leise als er sich von Josh abwandte, um Mrs. Waterfield nachzugehen. Er lachte immer noch, als Josh ihm folgte und dabei nach dem Messer griff, das in der Innentasche seines Jacketts steckte.

 

Mord mit Mord zu vergelten ist natürlich keine sinnvolle Idee.
Ansonsten hat mir Deine Geschichte aber recht gut gefallen, flüssig geschrieben, bildhaft und eingängig. Man kann sich das Geschehen und Joshs Wut sehr gut vorstellen, auch seine Ohnmacht Dyer gegenüber.
Gern gelesen!
Lieben Gruß

chaosqueen

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi,
natürlich ist es keine sinnvolle Idee - und wahrscheinlich auch eine der älstesten Fragen, mit denen sich die Menschheit herumquält. Trotzdem scheint Mord aus Rache in bestimmten Situationen die einzige Lösung, die sinnvoll erscheint.
Deine Geschichte birgt dieses in sich und jeder Leser muss selber entscheiden, ob er das in dieser Situation vertreten könnte. Interessant wäre dabei die Frage, wie lange Josh die Frau kannte und ob er aus Liebe zu ihr oder wg. all der Toten die Rache vollübt. Diese Frage bleibt in der Geschichte offen.
Geschrieben ist sie ansonsten nicht schlecht, vor allem, da Dialoge ansonsten oft ziemlich dahingeschludert werden und hölzern klingen. Das ist hier nicht der Fall; auch durch die Gastgeberin bekommt das Gespräch eine angenehme Frische (und manchmal muss man ob ihrer blinden Engstirnigkeit grinsen).
Ist für mich persönlich nichts besonderes, aber auf jeden Fall nicht schlecht geschrieben.

Gruß, baddax

PS: Nach meinem Empfinden würde ich die Klammern im Titel wegnehmen und Badlaa - Die Rache schreiben. Sieht besser aus.

 
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Hallo ihr beiden!

Danke für die Antworten, die ja positiver ausgefallen sind, als ich dachte!
Den Titel habe ich geändert (danke nochmal), am liebsten, hätte ich diesen kleinen Text nur Badlaa genannt, aber ich dachte mir, es ist besser, wenn ich das Wort übersetze, um nicht allzusehr zu verwirren.
Was besonderes ist der Text wirklich nicht, einfach etwas, was mir an einem Abend so eingefallen ist.
Also, danke fürs Lesen und kommmentieren!

Liebe Grüße,
gori

P.S.: Es stimmt, es ist nicht sinnvoll einen Mord mit einem neuen Mord zu rächen, da schliesse ich mich euch natürlich an.

 

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