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Bab-y-brei
Stumpf blickte ich auf den, mit Staub versetzten, gelblichen Deckenlautsprecher des Supermarktes, welcher mich unaufhörlich, plärrend, mit seinen Wortpfropfen fast zum Ersticken brachte.
Trockene Kühle floß aus den Schächten der Klimaanlage und spritzte gegen meinen dumpfen Atem.
Ich blickte müde auf die Schlange wartender Menschen vor mir, welche mit gekrümmten Rücken ihre Stahlkörbe bewachten. Scharf, wie gierige Krähen, gebadet in nackten Splittern aus Glas, blickten mich ihre starren Augen aus ihren Hinterköpfen an.
Plötzlich schob sich ein leichtes Kratzen in meinen Nacken, kaum wahrnehmbar und dennoch stechenden.
Mein stiller Atem stoppte nun ganz. Ich drehte mich um. Nur der nackte Korridor hechelte mich an. Keine Krähen, keine Karren. Ich war der letzte in der Schlange. Ich spürte, dass ich darüber enttäuscht war und wusste nicht, warum ich es war.
Zwei lange Regale flankierten links und rechts von mir und erschufen so diesen nackten Flur.
Suppen, Seife, Waschmittel, Klopapier, Küchenpapier, Kopfzwingen, Schandmasken, Filter, Kaffee, Kondome, Brustreißer, Zahnbürsten, Zahnpasta.
Erschreckt zog ich meinen Blick zurück. Mein Kopf nickte knackend nach unten, meine Augen brannten.
Ich preßte meine Finger um den Plastikzylinder meines Karrens, das Logo des Supermarktes färbte ab und hinterließ ein blasses Lila auf meiner Handfläche.
Das Prasseln des Lautsprechers wurde lauter, die Stimme wirkte verzerrt, die Musik abgehackt.
Immer wieder drangen Zischlaute aus der Schlange vor mir. Sie waren ungeduldig, denn die Schlange zuckte auf der Stelle, kam nicht voran.
Als ich meine Augen wieder öffnete, blickte ich direkt in meinen Karren.
Zwei Dosen Ravioli und ein in Zellophan gewickelter, weißer, dickbäuchiger Säugling. Er wirkte ebenso hochschwanger wie die Geburtsmaschinen in der Obstabteilung, aus der ich ihn holte.
Die gellenden Schreie der drei Geburtsmaschinen (blinde Frauenkörper, zusammengebunden) hallten durch den ganzen Supermarkt, selbst der Lautsprecher konnte ihr Geschrei nicht ganz überdecken. Mehrere Nabelstränge hingen pulsierend aus ihren wund-blutigen, eingerissenen Geschlechtsteilen heraus.
Immer wieder zwängten sich diese weißen Wesen aus ihnen heraus und fielen in ein großes, mit Eiswürfel aufgefülltes Becken.
Mehrere Messer standen zum Abnabeln, Zellophan zum Verpacken, bereit.
Selbstbedienung.
Ich konnte nur seichte Bewegungen seiner Oberarme unter der schillernden Folie erkennen. "7, 50", der Preis prangte auf seinem Kugelbauch. Es ging ihm gut.
Günstig.
Plötzlich verstummte der Lautsprecher, die Musik verschwand, sogar das Schreien der Frauen. Niemand stand mehr vor mir, niemand hinter mir.
Die alte Kassiererin blickte mich mit hohlen Augen an, beugte sich nach vorne und bis in meine Hosentasche, ich fühlte wie sich ihr feuchter gelber Sabber über meine Hose ausbreitete. Schnell zog sie ihren Kopf zurück, keuchte ein Danke und überreichte mir meinen Kassenbon.
Kreischend öffneten sich die metallischen Ausgangstüren, auf einem Schild darüber konnte ich – ES FRISST UND FRISST – lesen.
Ich trat ins Dunkle und knipste das Licht in meiner Küche an.
Vorsichtig begann ich wieder zu atmen, so leise es mir möglich war.
Doch meine Lunge brannte, war halb verhungert und schrie mit lautem Atem in meine kleine Küche. Ich hielt die Luft erneut an und lauschte. Nichts.
Beruhigt begann ich wieder mit diesem, so mühsamen Saugen nach Luft.
Ich entnahm die Dosen und stellte sie in ein kleines Holzregal.
Ein sanftes Knistern schwoll an, ein Lautsprecher hing auch hier in meiner Küche. Ich hatte ihn noch nie zuvor bemerkt.
Ein lautes Feuer setzte ein, ich zuckte, blickte nach unten. Die Plastiktüte, mit dem weißen Kind, sackte flackernd zusammen, das Feuer erstickte, es wurde wieder still.
Das weiße junge Wesen, lag still frierend auf dem Boden, die Folie zitterte.
Rasch hob ich es auf und legte es auf die Arbeitsplatte. Hastig fingerte ich eine Schere von der Wand und schnitt mit größter Vorsichtig, den nun völlig beschlagene Plastikonkon, vom Leibe des kleinen, frierenden Kindes.
Fast unbeweglich lag es nun da, Tropfen von Atem benetzten seine Haut,
die Augen fest verschlossen, in seiner kleinen Hand einen ebenso kleinen Zettel.
Ich nahm in vorsichtig, voller Sorge um diese kleinen Finger, wollte sie nicht brechen.
Ich las den Zettel: Zubereitungsart, Serviervorschläge, Zutaten, Worte meiner Nachbarn.
Die Schere wurde nun ersetzt, durch das Messer. Der Lautsprecher platzte nun mit weihnachtlicher Musik heraus, zu laut für diesen Raum.
Ich schloß die Augen, quälender Hunger schwappte in meine Gedankenflut, die kriechenden Töne der Rutenmusik stimmten ein, in dieses Gefühl, der kleinen weißen Zähne.
Der spitze Kopf des Messers, landete und senkte sich in die nasse Haut. Verschwand und riß sich, wie eine Sichel, hinterließ eine Furche, öffnete, den kleinen Bauch. Das Kind, still, es floß kein Blut.
Ich liess das Messer fallen, doch es erreichte nicht den Boden, flog zurück und rastete in meiner Decke ein, die Musik verstummte.
Die bleichen Halbkugeln atmeten noch immer, als ob es keine Öffnung gäbe. Ich preßte sie zur Seite und entnahm einen kleinen Plastikbeutel und hielt ihn hoch.
Wieder leckte sich mein Magen seine Lippen, den Darm nach außen aufgebläht.
Schnell öffnete ich die Mikrowelle, legte den Beutel in ihren Magen.
Drei Minuten, so dachte ich, sollten genügen, für Teller und Tisch.
Erledigt, aufgebaut, bereit zu essen.
Das Rauschen der Mikrowelle klang so weich und warm, es kam mir vor wie das Prasseln unter einer Dusche. Ich verspürte Ruhe.
Ein kleiner Atemzug tropfte in diese Ruhe. Ich lauschte.
Der Säugling, die Hülle. Man hat mir erzählt, daß sie dieses wohl tun würden,
aber das sei normal. Man solle es nur rasch entsorgen, da sich sonst Fliegen daraus bilden.
Ich nahm die leere Hülle und steckte sie in eine weitere Plastiktüte, welche ich als Abfalleimer nutzte. Der Körper paßte nicht ganz hinein, die Mikrowelle gab ihr Signal.
Ich wand mich ab von ihm und öffnete die Lade, griff nach dem dampfenden Beutel,
voller Erbsen, Möhren und auch Speck.
Die Essensfetzen verteilten sich auf meinem Teller, ich schüttelte den Beutel, liess alles aus ihm heraus. Der Hunger liess mich setzen, der Stuhl gab nach, denn es fehlten ihm die Beine, aber ich konnte mich dennoch halten, krallte mich in die Tischkante.
Mit der anderen Hand begann ich das Essen in meinen Mund zu schaufeln, es schmeckte wie aufgeplatztes Styropor.
Meine Augen wanderten, beschleunigt, durch den Raum. Blieben hängen, an dieser Tüte. Die geschlossenen Augen der Verpackung meines Essens wirkten schlaff zerknittert. Ich hörte auf zu kauen und beobachtete dies reglose Objekt.
Ein leichtes reißendes Geräusch setzte wieder ein, die Tüte, in der das Kind steckte, neigte sich nach vorne. Die Tüte hing an einem Haken, weit über dem Boden. Sie begann zu reißen, das Kind ist wohl zu schwer.
Ich begann zu brechen, der Teller verschwand unter meiner Mundessaat.
Der Lautsprecher schrie „ER FRISST UND FRISST“, ein lauter Knall !
Die Tüte riß und stürzte auf die nackte, harte Erde.
Das weiße Bündel flog wie ein Vogel ohne Flügel, klatschte auf und wurde bedeckt von Müll.
Ich schluckte, blickte auf die Uhr. Es war noch nicht zu spät, der Supermarkt hatte noch auf.
Denn ich wollte essen und verspürte plötzlich einen Drang nach Babybrei.