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B. schweigt

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11.04.2011
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B. schweigt

B. betritt jetzt Flur zwölf. Es ist jener Bereich der JVA, in dem sie vor fünfzehn Jahren ihre private Wäsche abgegeben hat. Jetzt nimmt sie einen transparenten Beutel in Empfang - und schüttelt den Kopf beim Anblick der Schlabberjeans aus einem anderen Leben.
Ein Beamter bringt sie zu Tor drei. Er lässt sie vorangehen, schiebt sie durch Tor zwei und murmelt: „Alles Gute.“
Die ersten Schritte ohne Bewachung. Die tatsächlich ersten zehn Schritte nach fünftausend Tagen unter Aufsicht.
Zögernd, als suche sie eine verletzte Katze, nähert sie sich Tor eins, zeigt ihren Passierschein und tritt ins Freie.
Die Verantwortlichen haben mitgedacht. Kein Mensch rechnet mit ihrer Entlassung zum heutigen Tag. Der Termin war für den nächsten Monat angesetzt und deshalb steht da keine Journalistenmeute; deshalb steht da überhaupt niemand vor dem Tor.
Noch nicht mal Benny und Kjeld, denkt sie und lächelt. Benny und Kjeld, die Papierfähnchen mit der Schwedenflagge schwenken und ganz versessen sind auf Egons nächsten Plan. Sie hat keinen Olsenbandenfilm versäumt im Knast, hat mit dem üblichen Fünf-Plätze-Abstand nach links und rechts im Kino gesessen und sich kaum eingekriegt vor Lachen.
Die anderen haben sich neugierig umgedreht. Sie war die Prominente hier - dabei ging die Hälfte dieser weggesperrten Mädels noch auf die Hauptschule, als sie ihn durchzog - ihren Kampf, Kreuzzug und Krieg.

B. wendet sich nach rechts. Folgt dem mit sauberen Platten verlegten Weg bis zur ersten Kreuzung und überquert die Ampel, gesetzeskonform, bei Grün.
Zehn Minuten geht sie so, dann steht da, stumm und grau wie ein Zeuge Jehovas, eine Bank.
B. setzt sich. Sauber, wie alles hier, ist die Bank, mit einem geleerten Papierkorb daneben.
Macht einen auf keusch, der Rechtsstaat, denkt sie. Dabei ist er doch nichts weiter als ein Sammelbecken für menschlichen Müll.
Sie schließt die Augen, absorbiert die wärmenden Strahlen der Sonne und ruht sich aus von all der Freiheit.
Sie hat die Gesetze befolgt, bis jetzt. Nun aber wirft sie den Wisch mit der Telefonnummer des Bewährungshelfers und seinen Terminen in den Papierkorb.
Ein Bruch der Regeln des Rechtsstaates. Des deutschen Staates - der verkommen ist zu einer dreckigen Hure; der sich, mit rotgeschminkten Lippen, Europa an den Hals wirft und unter den Tisch kriecht, um jedem Kanaken einen zu blasen.
Ruhig bleiben, ermahnt sich B.
Und betrachtet das Treiben der Sperlinge.
Die kleinen Scheißer haben ihr ständig das Fensterbrett versaut, im Knast. Haben sie ausgelacht und sind weggeflogen. Ein einziges Mal hat sie einen erwischt, sein doofes Vogelgesicht mit den kleinen, engstehenden Augen betrachtet und ihn dann … ha, in ihrer Hand zerquetscht. Studiert, wie seine Augen aus dem Schädel traten, sein Plusterleib aufplatzte und Blut und Gedärm herausquoll.
Ein gutes Gefühl war das, ein Genuss.

Gar nicht meine Art, denkt B. und runzelt die Stirn.
Sie war doch keine Genießerin. Was gab es denn schon zu genießen, im Knast? In Einzelhaft, unter der Linse einer Kamera? Sie hätte sich unter der Decke anfassen können.
Hat sie aber nicht - denn jedes Mal, wenn sie es versuchte, kam die Erinnerung hoch an die verfluchte Nadel.
Genuss, überlegt sie. Was genießen denn die normalen Leute? Gutes Essen fällt ihr ein. Wein, Konzertabende, Verkehr.
Dinge, die ihr am Arsch vorbeigehen.
Sie hat es genossen, Holgers dreckige Unterhosen zu reinigen - und seine Waffe. Kanaken die Lampe auszuknipsen, das war ein Genuss! Kein alltägliches Geschäft, aber warum hätte ausgerechnet sie ein normales Leben führen sollen – nach einem solchen Start?

B. sieht leere Flaschen über den Boden verteilt. Sie mäandert durch den Getränke-Parcours und rüttelt Mami wach - um gleich eine zu fangen. Mit der flachen Mami-Hand - die einen flachen Schmerz verbreitet; ganz anders als seine knochige Faust, die Faust dieses ständig nackten Mannes in Mamis Küche.

Sie erinnert sich an sein riesiges Organ und daran, wie es hin und her schwang, wenn er sie schlug.
Das Taxi kommt wie bestellt. B. steigt ein, reicht dem Fahrer hundert Euro, nennt ihr Ziel und fällt in den Sitz.
Sie verstößt gegen die Bewährungsauflagen und verlässt die Stadt. Am vereinbarten Ort, einem Autobahnrasthof, lässt sie den Fahrer halten. Trifft sich auf der Toilette mit S. und nimmt wortlos die Waffe, eine Walther P99 samt Munition, entgegen. Dann fährt sie weiter.
Der Fahrer versucht sich erst gar nicht in Smalltalk.
Sie weiß, woran das liegt, ein Mädchen im Knast hat es ihr erklärt. Da lauere Bosheit hinter ihrer Stirn, meinte das Mädchen, und manifestiere sich über ihren verkniffenen Mund. Die Schlampe hatte wohl Recht.

Zwanzig Uhr erreichen sie H.
B. schnappt nach Luft: Die Stadt ist ein Moloch und greift nach ihr; Lichter und Krawall setzen ihr zu.
Der Richter wohnt in einem ruhigen Vorort. Sie weist den Fahrer an, zu warten und geht zum Haus.
Auf die Minute genau tritt der Richter vor die Tür. Macht sich auf seine Joggingrunde und sieht dabei lächerlich aus. B. tritt hinter einem Baum hervor und schneidet ihm den Weg.
Bis hierher war alles ganz leicht. Jetzt aber kommt es wieder, das Zittern in ihren Fingern, der ausbrechende Schweiß.
Sie versucht, zu sprechen - doch es klingt wie Welpengejaul.
Was soll sie ihm sagen?
Was sie damals verschwieg?
Ihr Anwalt hatte ihr empfohlen, die Klappe zu halten. Bei der Beweislage, erklärte er, sei das ihre einzige Chance, davonzukommen. Mit einem blauen Auge, wie er die fünfzehn Jahre nannte.
Die Journalisten wären durchgedreht, hätte sie den Richter unterbrochen und losgeplappert. Er hätte den Teufel getan, es zu unterbinden, hat er doch drei Jahre darauf bestanden, dass sie sich erklärt.
Jetzt steht sie vor ihm. Nicht der richtige Moment, aber ihre Gedanken heben ab und fliegen wie verfluchte Spatzen um Jahre zurück.

Die Verhandlung zerrt an ihren Nerven wie ein unerzogener Balg. Man führt sie herein; sie dreht sich um, lehnt sich gegen die Bank, senkt den Kopf und entflieht so dem Gewitter der Kameras. Der Richter betritt den Saal und eröffnet die Farce. Sie setzt sich. Es ist schwer, einen festen Punkt im Raum zu finden, wenn einen jeder anstarrt. Sie murmeln und mutmaßen über jede ihrer Bewegungen, über jedes Zwinkern und Zucken. B. inhaliert die schlechte Luft im Saal, bekommt einen trockenen Mund. Sie schaut weg, runter auf ihre Unterlagen, als sich die erste Zeugin erhebt.
Irgendwann fragt der Richter, was sie dazu zu sagen hat - doch B. schweigt.

Auch jetzt bekommt sie kein Wort heraus. Fragt sich, warum er sie mit aufgerissenen Augen anstarrt, da registriert sie die Walther in ihrer Hand. Sie missverstehen das! will sie rufen, doch da beherzt sich der Mann und springt davon.
Wäre sie nicht B., würde sie jetzt wohl heulen. So aber kehrt sie zum Taxi zurück und zückt das Portemonnaie.

Der Fahrer bringt sie zum Bahnhof. Sie steigt in den Nachtzug und verschläft die sechsstündige Fahrt.
Am Morgen wird ihr Fahrschein kontrolliert, sie schnüffelt unter ihre Achseln, verzieht das Gesicht und geht aufs Klo.
Die Frau im Spiegel ist hässlich.

Auf dem Bahnsteig erkennt sie ihr Foto von weitem. Ein Boulevardblatt war ebenso schnell wie schlampig - weil es ein zwanzig Jahre altes Foto bringt. Morgen, denkt sie, haben sie das aktuelle.
Aber morgen spielt das keine Rolle mehr.
B. zieht das Blatt aus dem Ständer, liest und feuert die Zeitung auf den Boden - denn der Richter hat Schwachsinn erzählt.
Ihren Plan, ein Taxi in den Bezirk zu nehmen, kann sie vergessen. Zögernd läuft sie los. Die erwachende Straße konfrontiert sie mit den Kartons der Gemüsehändler. Dem Gestank der Dönerspieße. Mit dem verfluchten Kauderwelsch, dieser Kakophonie erkälteter Laute, diesem vor die Füße geworfenem Chr…chr…chr der Araber und dem Gewinsel der Söhne Israels.
Türken und Vietnamesen haben die Stadt an sich gerissen.
Nach einer Stunde erreicht sie entkräftet ihr Ziel.
Nicht drüber nachdenken – machen! - hat sie sich vorgenommen.
Also betritt sie den gerade geöffneten Laden.
Und steht der Türkin gegenüber.

Die Türkin ist ein altes Weib geworden. Um die Siebzig muss sie sein und natürlich trägt sie eine dieser buntgemusterten Schürzen – wie damals, vor Gericht.

Die Türkin nennt dem Richter ihren Namen und den Namen ihres Mannes. Es ist einer dieser Kanakennamen, irgendein Halil oder Özil. Die Türkin beschreibt, wie sie ihren Halil oder Özil zwischen Porree und Oliven gefunden hat. Dass sie zunächst nur dieses Geräusch vernommen habe, dieses „Blubb-Blubb“ wie von einer Kaffeemaschine. Dass sie ihn dann habe liegen sehen und das „Blubb-Blubb“ als sein Nach-Luft-schnappen und Blutspucken begriffen habe. Dass er in ihren Armen gestorben sei.

Blumige Worte für einen Kanaken. B. muss plötzlich lachen - Blubb-Blubb blubbern Lachbläschen aus ihrem Mund.
Wie hat dieser Staat doch versagt. Holger wurde in jeder Aussage beschrieben. Die Behörden sind den Spuren nicht nachgegangen, weil es bequemer war, die Kanaken selbst zu beschuldigen. Die Wohnung der Türkin wurde verwanzt, ihre Finanzen auf den Kopf gestellt. Man warf Halil Waffengeschäfte vor und Drogenhandel.

Die Türkin hebt den Kopf und erkennt B. Die beiden Frauen schauen sich in die Augen, suchen und verwerfen Worte.
B. hat sich ein paar Sätze zurechtgelegt – doch jetzt fliegen sie davon wie die Ballons eines ungeschickten Kindes.
Sie zieht die Waffe - um es gleich hier, vor den Augen der Witwe zu tun. Aber wieder missversteht man sie: Die Türkin schreit und fällt nach hinten in den Kohlrabi. Seitlich von B. bewegt sich der Vorhang und plötzlich springt ein kleiner Kanakenjunge hervor und tritt gegen ihr Knie. B. erschrickt, knallt ihm die Walther gegen die Stirn und verschwindet.

Jetzt steht sie am Landwehrkanal.
Es ist Nacht geworden und sie ist allein. Sie ist schmutzig und stinkt.
B. lädt und entsichert die Walther, steckt sich den Lauf der Waffe in den Mund. Schmeckt die Chromstahlverbindung, minutenlang, dann muss sie plötzlich würgen und setzt ab.
Sie wird es wieder nicht schaffen, wird ihr klar.

Ein Geräusch lässt sie herumfahren.
B. zählt drei, betrachtet wie in Zeitlupe die tätowierten Runen auf dem Hals des ersten und die rasierte Glatze des zweiten.
Jungs, denkt sie, als sie die Faust des dritten trifft. Darauf ein Tritt in ihren Magen. B. geht zu Boden - doch sie hören nicht auf, zertreten ihr die Hand und die Rippen, brüllen Türkensau und Sieg Heil.
Sie sieht den metallenen Besatz eines Stiefels auf sich zukommen. Dann bricht etwas in ihrem Schädel, knirscht es ganz unmöglich und plötzlich steht die Welt schief.

B. hechelt wie ein getroffenes Tier. Durch das verbliebene Auge sieht sie schwarzrotes Blut ein Rinnsal bilden. Es folgt der Schwerkraft und kriecht den Asphalt entlang.
B. leidet nie gekannten Schmerz.

Wie sie da liegt, kehrt Holger zurück.
Holger, der Spargeltarzan, mit seinen abstehenden Ohren. Und Kai-Uwe tritt in ihre schiefgetretene Welt; Kai-Uwe, der Trockenbauer, der sich an sie herangemacht hat, als Holger im Knast saß. Die beiden sahen sich ähnlich - sehr ähnlich sogar. Waren beinahe schon Zwillinge und wahrscheinlich hat sie sie verwechselt, denkt B. und runzelt die Stirn; ist sie womöglich mit beiden ins Bett gestiegen und jetzt fragt sie sich, ob das so schlimm gewesen wär. Fragt sich, wie das so war, mit Holger oder eben mit Kai-Uwe. War es gut? Oder war es wie immer, wenn sie versuchte, etwas Schönes zu erleben, einen langen Spaziergang unternahm, nach Hühnergöttern suchte oder ins Kino ging. Wenn sie versuchte, das Schöne festzuhalten und es dann doch wieder zu Boden tropfte wie Softeis durch eine aufgeweichte Waffel.

Das Stechen in ihrer Seite lässt nach, dafür brennt ihr Magen.
Ob sie auf solche wie Kai-Uwe stand, fragt sich B.
Nun, Männer vom Bau fand sie gut, aber eher solche mit Muskeln und Witz. Solche, die Prosecco hervorzauberten und nicht zu knapp einschenkten; solche, die ihre Brüste zu kneten wussten, ein bisschen derb, und die sich wieder einkriegten, wenn sie ihnen das Ficken verweigerte.
Weil sie dieses verfluchte Ficken nicht ertrug - weil es sie immer an die verfluchte Nadel erinnerte, Mutters Strafe für ihre Vergehen, eine rostige Sicherheitsnadel da unten dran.

Eine Stunde liegt sie so, dann wird ihr ganz kalt.
B. schaut durch einen Schleier aus Tränen und Blut.
Was für ein sinnloses Leben, denkt sie beim Anblick der erwachenden Stadt.

Wird höchstens besser, ohne mich.

 
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Servus nastro,

eine Abkürzung gleich in der ersten Zeile finde ich nicht besonders gut. In den nächsten Sätzen entschlüsselt sich die zwar sehr schnell, aber ich wollte nicht einfach darüber hinweglesen und dachte erst mal nach, was das JVA bedeuten könne, ob das möglicherweise irgendeine deutsche Organisation sei, die ich als Österreicher vielleicht gar nicht kenne.
Es spricht eigentlich nichts dagegen, dass du Justizvollzugsanstalt ausschreibst, oder Strafvollzugsanstalt, oder nur Vollzugsanstalt. Der Text Ist ja kein Zeitungsartikel, und so lang ist das Wort ja nun auch wieder nicht.

Als suche sie eine verletzte Katze [Komma] nähert sie sich Tor eins,

was du mit diesem Bild vermitteln willst, ist mir auch nicht ganz klar. Ich sehe dabei nämlich eine Person vor mir, die leise rufend und auf allen Vieren durch den Garten krabbelt und unter Büschen herumstöbert.

Benny und Kjeld, die Papierfähnchen mit der Schwedenflagge schwenken und ganz versessen sind auf Egons nächsten Plan. Sie hat keinen Olsenbandenfilm versäumt im Knast,

Dass die beiden auf Egons nächsten Plan versessen sind, was immer der auch sein mag, nehme ich einfach mal zur Kenntnis, und ich kann mir auch vorstellen, dass B. das weiß, obwohl sie so lange im Knast war, weil Benny und Kjeld das offenbar ständig und kontinuierlich tun. Aber das Fähnchenschwenken im Präsens irritierte mich. Wann tun die das? Auch ständig? Und warum die schwedische Flagge? Worauf spielt das an? Und Olsenbande sagte mir auch überhaupt nichts, das musste ich googlen.

als sie ihn durchzog - ihren Kampf, Kreuzzug, Krieg.

Gefiele mir persönlich besser, wenn jeder Begriff ein Possessivpronomen hätte. Ihren Kampf, ihren Kreuzzug, ihren Krieg. Liest sich auch melodischer.

Also nach dem ersten Abschnitt tappte ich noch ziemlich im Dunkeln, worum es da überhaupt geht, viel mehr als eine offenbar prominente Strafgefangene, die entlassen wird, hatte ich ja nicht. Das machte aber nichts, weil schon in den nächsten drei Absätzen wird sehr schnell klar, wes Geistes Kind diese B. ist. Da stößt du den Leser unmittelbar in die wahrhaft kranke Vorstellungswelt dieser, ja, Terroristin. In Wahrheit aber ein geschundenes kleines Mädchen, das seine seelischen Verletzungen durch Gewalt gegen andere zu kompensieren trachtete. Und das es nicht schafft, diesem Scheißleben ein in seinen Augen würdiges Ende zu bereiten. Was für eine grausige Geschichte.
Und dann diese brutale, bitterböse Schlusspointe, dass die B. (irrtümlich) ausgerechnet von Gesinnungsgenossen zu Tode geprügelt wird, obendrein von offenbar sehr jungen, was sie zumindest in der Gewissheit sterben lässt, dass die Fackel ihres Hasses und ihrer Verbohrtheit von der nächsten Generation weitergetragen wird … Was für ein Elend.
Also die Geschichte tut schon sehr weh beim Lesen. Einerseits ertappt man sich dabei, mit dieser verblendeten Irren beinahe sowas wie Mitleid zu haben, weil sie ja selbst Opfer ist, schon als Kind psychisch und physisch misshandelt und ruiniert wurde, andererseits möchte man am liebsten heulen, weil die ganze Thematik so scheißaktuell ist, ganz egal, wohin man schaut.

Eine furchtbare, schreckliche, sehr wahre und sehr starke Geschichte hast du geschrieben, nastro.
Wahrlich keine Gutenachtlektüre, aber es ist halt ungemein wichtig, immer wieder den Finger auf solche Wunden zu legen.


Beinahe finde ich es jetzt unangemessen, dich noch auf ein paar Kleinigkeiten hinzuweisen:

hat […] im Kino gesessen und sich kaum ein[ge]kriegt vor Lachen.
noch auf [die] Hauptschule,
Wenn sie versuchte, das Schöne zu festzuhalten

offshore

PS
Und apropos windschiefe Metapher:

Zehn Minuten geht sie so, dann steht da, stumm und grau wie ein Zeuge Jehovas, eine Bank.

Dieses Bild scheint mir zwar originell, darüber hinaus aber nicht sehr passend. Irgendwie stimmen da für mein Gefühl nämlich die Proportionen nicht: ein Mensch steht vertikal, eine Bank ja eher horizontal. Überhaupt finde ich die Satzstellung hier nicht sehr leserfreundlich.

 

Hallo Nora und ganz herzlichen Dank für Deine Kritik.

Kommata rein, Kommata raus, das ärgert mich noch immer, da Fehler zu machen - also wird das Ding noch mal komplett darauf geprüft.

Typischer kg.de Sound, mmh, den gibt es vielleicht, ich glaube aber nicht, mich dahingehend verändert zu haben, schon eher versuche ich wie Zeh oder King zu schreiben, das sind noch immer meine Lieblingsautoren. Es gibt großartige andere Autoren, wie Boyle oder Niffenegger, deren Stil ich ebenfalls liebe, ihn aber nie und nimmer aufs Papier bekommen würde.
Präsens hab ich mir erst angewöhnt, seit Präsens jeden Wettbewerb gewinnt – und das will ich ja auch irgendwann.

Die anderen, von Dir angesprochenen Sachen (fetzige Sätze, kaum reflexive Passagen usw.) sind wohl eher meinem Anfängertum geschuldet und werden bis spätestens zur nächsten Machtübernahme der FDP ausgemerzt ;). Das Problem ist sicher, das man erst dann gut schreibt, wenn man alle Schreibratgeber hinter sich gelassen hat und genau deren Gegenteil macht.

Vögel mit engstehenden Augen: genial!

Danke, gerade die wären beinahe dem Kürzen zum Opfer gefallen, jetzt bleiben sie drin. Ich hab die schon mal verwendet und will sie nicht überstrapazieren, wobei im richtigen Kontext kann man alles überstrapazieren. So gibt es in wirklich jedem King-Roman den „Typ mit dem Bürstenhaarschnitt“. Er sieht aber jedes Mal anders aus und tut andere Sachen.

„Nicht der richtige Moment, aber ihre Gedanken heben ab und fliegen wie ein verfluchter Spatz um Jahre zurück.“ Plural wäre zwar besser gewesen, …

Da hast Du Recht, werde ich ändern.

Öchslegrad? Musste ich googeln und musste sofort lachen, weil mich alles, was ich über Traubenmost lese, sofort an Badesalz erinnert (Äppelwoi).

An anderen Stellen wird’s dann ein bisschen arg kreativ: „…doch da beherzt sich der Mann und springt wie ein Reh davon.“ Hm, grammatikalisch/lexikalisch geht das zwar gar nicht, doch wenn man sich vorstellt, dass es sich hier um die „Erlebte Rede“ einer Knastschwester handelt, wird dennoch ein Schuh draus.

Das „beherzt“ hatte Ernst schon in einer Vorab-PM bemängelt. Versteh ich Euch, aber ich denke, das Ding bleibt drin, irgendwie mag ich es zu sehr. Und Du machst ja auch einen Schuh draus ;)

„Die Türkin schreit und fällt nach hinten in den Kohlrabi.“ Eine ziemlich abgespacte Sterbeszene,

Jetzt wird’s kritisch, denn: Die Türkin ist nicht tot und B. wollte sie auch nie töten – sondern sich selbst. Sollte das jetzt keiner kapier’n, muss ich es komplett umbauen, :hmm:Mist.


Das ist 25% desillusionierte Romantik und 13% klassische Avantgarde, gemixt mit 50% Rap und 12% Comic (hoffentlich habe ich korrekt addiert…).

Superrechnung ;). Muss ich, glaub ich, drüber schlafen …

Liebe Grüße,

nastro.

 

Hallo Ernst und Danke für Deine Kritik.

Es spricht eigentlich nichts dagegen, dass du Justizvollzugsanstalt ausschreibst, oder Strafvollzugsanstalt, oder nur Vollzugsanstalt. Der Text Ist ja kein Zeitungsartikel, und so lang ist das Wort ja nun auch wieder nicht.

Die Länge von Wörtern, Sätzen und Absätzen ist mir komplett egal – ich geh da nach Gehör. Wenn das Wort – in seinem Satz, in seinem Absatz - gut klingt, wird es verwendet. Und dann ist da immer der Spagat, das der Leser ja auch so bissel im Ungewissen bleiben, bissel mitraten soll, natürlich immer im festen Rahmen seines ungestörten Lesegenusses, sprich: Nachdenken soll er – aber auch wieder nicht. Ich mag es, bei King von „Payday-Schokoriegeln“ zu lesen, obwohl diese nur vage vor mir aufflammen, Stephen macht das ständig … Nee, JVA bleibt in diesem Fall.

Zitat:
Als suche sie eine verletzte Katze [Komma] nähert sie sich Tor eins,
was du mit diesem Bild vermitteln willst, ist mir auch nicht ganz klar. Ich sehe dabei nämlich eine Person vor mir, die leise rufend und auf allen Vieren durch den Garten krabbelt und unter Büschen herumstöbert.

Notiert. Der Satz war vorm Kürzen viel länger und erklärender, etwas in der Art: Zurückhaltend wie immer, als suche sie eine verletzte Katze …
Werde drüber nachdenken.

Olsenbande sagte mir auch überhaupt nichts, das musste ich googlen.

Der ganze Absatz nützt Dir nichts, wenn Du die Olsenbande nicht kennst. Ich habs drauf ankommen lassen und stehe dazu. Keine Ahnung, wie bekannt die Jungs heute noch sind, wir haben in den Achtzigern jeden einzelnen Kinofilm zigmal gesehen. Nee, bleibt drin.

Und dann diese brutale, bitterböse Schlusspointe, dass die B. (irrtümlich) ausgerechnet von Gesinnungsgenossen zu Tode geprügelt wird, obendrein von offenbar sehr jungen, was sie zumindest in der Gewissheit sterben lässt, dass die Fackel ihres Hasses und ihrer Verbohrtheit von der nächsten Generation weitergetragen wird … Was für ein Elend.
Das hast Du extrem gut erkannt und filtriert. Genauso hab ich es gemeint. Du solltest Exposés schreiben und damit viel Geld verdienen (Komme auf Dich zurück für meinen Roman – das Exposé ist sooo eklig zu schreiben …).

Also die Geschichte tut schon sehr weh beim Lesen. Einerseits ertappt man sich dabei, mit dieser verblendeten Irren beinahe sowas wie Mitleid zu haben, weil sie ja selbst Opfer ist, schon als Kind psychisch und physisch misshandelt und ruiniert wurde, andererseits möchte man am liebsten heulen, weil die ganze Thematik so scheißaktuell ist, ganz egal, wohin man schaut.

Ganz herzlichen Dank, wenn es Dich in dieser Form berührt hat, bin ich (fürs erste) hochzufrieden.

Und dann die Zeuge-Jehovas-Bank, mmh, da muss ich drüber schlafen.

Herzlichen Gruß in die Welthaupstadt des Jugendstils!

 

Hallo nastroazzuro,

deine Geschichte hat mir gefallen. Gut gelungen, gerade so nicht zu aufdringlich melodramatisch ist der kurze Rückblick in das Elternhaus, in dem B. aufwuchs. Wie ich es – wenn ich genauer darüber nachdenk: eher nicht – verstand, hat sie sich quasi gleich mit ihrem »Check-out« eine Waffe arrangiert, um erst den Richter, im weiteren Verlauf aber eher sich selbst zu richten, wird dann aber ... s. ernest. Bitter ironisch.

Ein Beamter bringt sie zu Tor drei. Er lässt sie vorangehen, schiebt sie gelangweilt, als hätte er das schon tausendmal getan, durch Tor zwei und murmelt: „Alles Gute.“
  • Das "als hätte er" klingt, als würde sie wissen, dass der Beamte recht neu im Geschäft ist, aber schon versucht, die Distanz und Routine seiner Vorgesetzten an den Tag zu legen, um sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Hast du das so beabsichtigt? Sonst, eigentlich auch dann, würde ich den Nebensatz rausnehmen, er ist doch ohne großen Belang für den Fortgang der Geschichte.

Zögernd, als suche sie eine verletzte Katze, nähert sie sich Tor eins, zeigt ihren Passierschein und tritt ins Freie.
  • Mit dem Vergleich mit der verletzten Katze erzeugst du bei mir auch Unverständnis. Wer eine verletzte Katze sucht, spitzt die Ohren und bangt darum, dass sie noch lebt und auch die Tierarztpraxis lebendig verlassen wird und hat großes Mitleid, denn zu schreien bringt sie nicht mehr zu Stande, sonst wär das Auffinden ja leichter. Wie soll ich diese Vorstellung damit vereinbaren, auf das Tor zur Freiheit zuzugehen? Hab da echt keine Ahnung, was du ausdrücken willst, sorry.

Zehn Minuten geht sie so, dann steht da, stumm und grau wie ein Zeuge Jehovas, eine Bank.
  • Der erste Teil des Satzes klingt ungeschickt, wie frisch aus einem Fünftklässleraufsatz abgeschrieben ;). Etwa >> Nicht viele Schritte einer nach dem anderen vorangetastet, entdeckte sie eine unscheinbare Bank da stehen. Hm, okay, vergiss das, arbeite trotzdem an diesem Satz.
  • Wie ernest offshore finde auch ich diesen Vergleich etwas unglücklich. Ich kann mit ihm nix anfangen. Bestimmt wolltest du nur in Bezug auf das »stumm und grau« vergleichen, aber so einfach geht es nicht, so ein Vergleich färbt gern auf das eigentliche Subjekt ab und schon ist er schief. Man könnte genauso wenig eine Figur im Angesicht einer Nutte, die sich nackt im Bordeaux-Satin räkelt, »spitz wie eine Nadel« sein lassen, das klänge unbeholfen und wie ohne Ahnung von nix, so als wäre dem Autor die richtige Redewendung hierfür nicht eingefallen oder wollte keine Assoziation mit einem Hund.

Haben sie ausgelacht und sind weggeflogen. Ein einziges Mal hat sie einen erwischt, sein doofes Vogelgesicht mit den kleinen, engstehenden Augen betrachtet und ihn dann … ha, in ihrer Hand zerquetscht.
  • Das mich solche Stellen stören, bestätigt mich in der Tierliebe tief drin in mir. Aber lass es so. :D

Sie missverstehen das! will sie rufen, doch da beherzt sich der Mann und springt wie ein Reh davon.
  • Auch dies ist ein Vergleich, der so unfreiwillig komisch daher kommt, dass der Satz wirkt wie ein Fremdkörper. Da schäme ich mich, auch wegen des »beherzt« unpassenderweise zu denken: Ist der Richter schwul? Es sollte wenn überhaupt ein Rehbock sein, damit meine Wenigkeit hier nicht an eine Mischung aus Bambi und Otto Waalkes denkt. Mein Tipp wäre: Zügle dich bei deinen zukünftigen Geschichten, was Vergleiche betrifft. Es geht auch ohne, wo du mal keine wirklich treffenden findest. ;)

Aber wieder missversteht man sie: Die Türkin schreit und fällt nach hinten in den Kohlrabi.
  • Entweder hat meine Fantasie heute nen Clown gefrühstückt, dass sie nicht mal so ernsten Geschichten den nötigen Respekt entgegen bringt. Oder du solltest wirklich besser von schnöden Lagerpaletten schreiben, in die sie fällt.

B. hechelt wie ein getroffenes Tier. Durch das verbliebene Auge sieht sie schwarzrotes Blut ein Rinnsal bilden. Es folgt der Schwerkraft und kriecht den Asphalt entlang.
  • Vergleiche musst du ganz gewiss noch üben, meiner Meinung nach. Fühle der Protagonisten in ihrer Situation nach. Sicher kann sie nicht durch die Nase atmen, wenn das Nasenbein eingetreten wurde. Aber A und B lassen sich nur dann wirklich gut und literarischen Genuss bringend miteinander vergleichen, wenn B A auf eine andere Ebene hebt, wenn A durch B aus einer neuen Perspektive betrachtet werden kann. Ob die Protagonistin hechelt, weil ihr die Nase zertreten wurde, oder ob ein Tier hechelt, weil ein Jäger oder ein kleiner Junge mit einer Steinschleuder es getroffen hat, diese beiden Vorstellungen verlaufen ziemlich parallel zueinander, treffen sich jedenfalls nicht in meinem Leserfokus, sondern fernab irgendwo in kopfkonstruktiver Verbohrtheit.

B. leidet nie gekannten Schmerz.
  • Ja, das kann ich mir vorstellen. Und? -- Lass das weg, Protagonisten zu bemitleiden sei gefälligst dem Leser überlassen. ;)

Ob sie auf solche wie Kai-Uwe stand, fragt sich B.
  • Dass sie sich in dieser Situation solche Gedanken macht, so als würde sie einfach nur noch auf den mit der Sense warten und sich die Zeit mit Rückblicken vertreiben, versuche ich gerade nachzuvollziehen. Es fällt mir schwer. Ist es nicht so, dass Entlassene heute (falls die Geschichte von heute handelt) ein Handy mitgegeben wird? Das weiß ich nicht, könnte es mir aber vorstellen. Aber sie wollte ja sowieso sterben. (Wobei mir diese Formulierung für sich genommen schaudert.)

Wird höchstens besser, ohne mich.
  • Hier hast du einen Wechsel der Erzählperspektive, der nahezu immer einfach falsch ist, wenn es um dieselbe Figur geht >> ohne sie oder >> ..., war ihr Gedanke, dem kein weiterer mehr folgte -- oder so. Aber noch besser ist, du killst auch diesen Satz, würde ich sagen.

Eine Geschichte mit guten Ansätzen. Jetzt, wo ich sie so genau seziert habe, muss ich mein Fazit eingangs relativieren: Die Geschichte ist spannend und gut aufgebaut und so ziemlich fehlerlos (zumindest sind mir keine Fehler aufgefallen, habe aber auch nicht gerade nach welchen gesucht), aber die Vergleiche gehen noch mit dir durch wie Chamäleons auf nem Skateboard. Oder so. ;)

Viele Grüße,
-- floritiv

 

Hallo Floritiv,

Danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast.

Wie ich es – wenn ich genauer darüber nachdenk: eher nicht – verstand, hat sie sich quasi gleich mit ihrem »Check-out« eine Waffe arrangiert, um erst den Richter, im weiteren Verlauf aber eher sich selbst zu richten, wird dann aber ... s. ernest. Bitter ironisch.

Jeieiei, das ist schlecht. Du hast es tatsächlich falsch verstanden: B. hat keine Sekunde vor, Richter und Witwe zu töten, nein, sie möchte endlich ihr Schweigen brechen, sich den beiden erklären um sich danach, was sie bereits (nehmen wir mal an, vor ihrer Inhaftierung) versucht hat, selbst zu richten.

Da ich Dich nun keinesfalls als zu blöde einschätze stellt sich für mich die Frage/Aufgabe, Betreffendes genauer zu erklären. Genau dies tu ich aber nicht so gern - sondern will es den Leser erleben lassen.
Ich will mich jetzt auch nicht verweigern, wie einer, der zwanzig negative Kritiken bekommt und dann anfängt, zum hundertsten Mal und von oben herab seine Geschichte zu erklären (soll ja vorkommen).
Also: Ich denk drüber nach.

  • Das "als hätte er" klingt, als würde sie wissen, dass der Beamte recht neu im Geschäft ist, aber schon versucht, die Distanz und Routine seiner Vorgesetzten an den Tag zu legen, um sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Hast du das so beabsichtigt? Sonst, eigentlich auch dann, würde ich den Nebensatz rausnehmen, er ist doch ohne großen Belang für den Fortgang der Geschichte.

Nach längerem Nachdenken gebe ich Dir Recht und streiche sowohl Adjektiv als auch Halbsatz.

  • Mit dem Vergleich mit der verletzten Katze erzeugst du bei mir auch Unverständnis. Wer eine verletzte Katze sucht, spitzt die Ohren und bangt darum, dass sie noch lebt und auch die Tierarztpraxis lebendig verlassen wird und hat großes Mitleid, denn zu schreien bringt sie nicht mehr zu Stande, sonst wär das Auffinden ja leichter. Wie soll ich diese Vorstellung damit vereinbaren, auf das Tor zur Freiheit zuzugehen? Hab da echt keine Ahnung, was du ausdrücken willst, sorry.

Weiß schon, dass Ihr alle die Katze nicht mögt ...:hmm:
Die Freiheit interessiert sie doch einen Scheiß, die wird ihre Schritte nicht beflügeln. B. geht eben so, sie geht schon immer so, seit den Misshandlungen ihrer Kindheit, seit ihr bereits im Teenyalter die Polizei auf den Fersen war, weil sie bereits damals ständig Scheiße gebaut hat.

  • Der erste Teil des Satzes klingt ungeschickt, wie frisch aus einem Fünftklässleraufsatz abgeschrieben ;). Etwa >> Nicht viele Schritte einer nach dem anderen vorangetastet, entdeckte sie eine unscheinbare Bank da stehen. Hm, okay, vergiss das, arbeite trotzdem an diesem Satz.
  • Das sehe ich anders. Ist typische Hobbyautormeinung, das jeder Satz Gewicht haben muss und dann stelzen sich die Storys durch kg.de.
    Lies einen guten Roman: darin sind tausende Sätze einfache Fünftklässler, sonst würdest Du das Ding gar nicht lesen können vor Euphorie. Wäre wie Daueronanieren um mal der Uhrzeit angemessen sanfte Erotik in diesen Beitrag zu bringen ;)

    • Auch dies ist ein Vergleich, der so unfreiwillig komisch daher kommt, dass der Satz wirkt wie ein Fremdkörper. Da schäme ich mich, auch wegen des »beherzt« unpassenderweise zu denken: Ist der Richter schwul? Es sollte wenn überhaupt ein Rehbock sein, damit meine Wenigkeit hier nicht an eine Mischung aus Bambi und Otto Waalkes denkt.
    • Auch hier sage ich zähneknirschend: Ja, hast Recht - und ändere entsprechend: Reh raus - beherzt bleibt drin, da können noch zwanzig Leute kommen ...

      • Entweder hat meine Fantasie heute nen Clown gefrühstückt, dass sie nicht mal so ernsten Geschichten den nötigen Respekt entgegen bringt. Oder du solltest wirklich besser von schnöden Lagerpaletten schreiben, in die sie fällt.

      Nö, die Stelle ist gut.

      • Ja, das kann ich mir vorstellen. Und? -- Lass das weg, Protagonisten zu bemitleiden sei gefälligst dem Leser überlassen. ;)

      Sehe ich mit Verlaub anders. Manch einer hätte ihre Schmerzen genüsslich beschrieben, schon weil sie ne doofe Nazisau ist. Habe ich einfach knapp festgestellt, das sie leidet - und finde das okay.

      • Dass sie sich in dieser Situation solche Gedanken macht, so als würde sie einfach nur noch auf den mit der Sense warten und sich die Zeit mit Rückblicken vertreiben, versuche ich gerade nachzuvollziehen. Es fällt mir schwer.
      • Da hab ich auch lange drüber nachgedacht und mich dann letztendlich für die Rückblenden entschieden, weil: 1. passen sie dramaturgisch besser als an anderer Stelle (wo sie irgendwie gelangweilt hätten), 2. Ich verlängere damit (geschickt???) ihr Leiden, ohne den geschätzten Leser mit irgendwelchen Zeitangaben zu langweilen, und 3. ich glaube schon, dass Du bei einem sehr langsamen Sterben zu diesen Rückblenden fähig bist.

        Eine Geschichte mit guten Ansätzen. Jetzt, wo ich sie so genau seziert habe, muss ich mein Fazit eingangs relativieren: Die Geschichte ist spannend und gut aufgebaut und so ziemlich fehlerlos (zumindest sind mir keine Fehler aufgefallen, habe aber auch nicht gerade nach welchen gesucht), aber die Vergleiche gehen noch mit dir durch wie Chamäleons auf nem Skateboard.

        Scheiß drauf, das nehm ich jetzt als Kompliment ;)

        Schöne Woche allen wünscht nastroazzurro!

 
Zuletzt bearbeitet:

Noch mal ich, weil ich (ungefragt) sowohl dir, nastro als auch floritiv sekundieren will.

nastro schrieb:
Jeieiei, das ist schlecht. Du [floritiv] hast es tatsächlich falsch verstanden: B. hat keine Sekunde vor, Richter und Witwe zu töten, […] Da ich Dich nun keinesfalls als zu blöde einschätze stellt sich für mich die Frage/Aufgabe, Betreffendes genauer zu erklären.

Also für mein Gefühl haben hier sowohl Nora als auch floritiv schlicht schlampig gelesen:

Auch jetzt bekommt sie kein Wort heraus. Fragt sich, warum er sie mit aufgerissenen Augen anstarrt, da registriert sie die Walther in ihrer Hand. Sie missverstehen das! will sie rufen,
[…]
Sie zieht die Waffe - um es gleich hier, vor den Augen der Witwe zu tun. Aber wieder missversteht man sie

Mir erschienen beide Szenen eindeutig und unmissverständlich, insofern sehe ich hier keinerlei Änderungsbedarf.
Und dass die Türkin in den Kohlrabi und nicht in z.B. Holzpaletten fliegt, klang für mich nicht unfreiwillig komisch, sondern sehr realistisch, höchstens ein bisschen zynisch.

Allerdings möchte ich floritiv zu seiner Kritik an deinen teils wirklich fragwürdigen Metaphern explizit zustimmen, und das hat überhaupt nichts mit Aversion gegen Katzen oder sonstwas zu tun, sondern schlicht mit sensiblem Sprachgefühl.
Und wenn du, nastro, noch so sehr den Vergleich einer Bank mit einem Zeugen Jehovas verteidigst, nur weil beide halt stumm herumstehen, wird er dadurch nicht besser. Und von wegen stumm. Hattest du schon mal so einen durchgeknallten, bekehrungswütigen Jehova-Jünger an deiner Wohnungstür? Der quasselt dir schneller ein Ohr ab, als du "Verpiss dich!" sagen und die Tür zuschmeißen kannst.
Deine Sprachkreativität in Ehren, nastro, aber zuweilen ist weniger halt wirklich mehr.

offshore

 

Hallo Ernst,

muss mich leider etwas kurz fassen und bin auch gleich wieder weg :(

Noch mal ich, weil ich (ungefragt) sowohl dir, nastro als auch floritiv sekundieren will ... Also für mein Gefühl haben hier sowohl Nora als auch floritiv schlicht schlampig gelesen ... Mir erschienen beide Szenen eindeutig und unmissverständlich, insofern sehe ich hier keinerlei Änderungsbedarf.

Ich auch nicht, ist aber immer gut, wenn einen einer, der auch Ahnung hat, in seiner Meinung bestärkt.

Und dass die Türkin in den Kohlrabi und nicht in z.B. Holzpaletten fliegt, klang für mich nicht unfreiwillig komisch, sondern sehr realistisch, höchstens ein bisschen zynisch.

Genauso wars auch gemeint.

Und wenn du, nastro, noch so sehr den Vergleich einer Bank mit einem Zeugen Jehovas verteidigst, nur weil beide halt stumm herumstehen, wird er dadurch nicht besser.

Nee, verteidigen will ich den gar nicht. Aber dennoch drinlassen.

Und von wegen stumm. Hattest du schon mal so einen durchgeknallten, bekehrungswütigen Jehova-Jünger an deiner Wohnungstür? Der quasselt dir schneller ein Ohr ab, als du "Verpiss dich!" sagen und die Tür zuschmeißen kannst.

Wenn die aber mit dem Wachtturm auf dem Markt stehen sind die stumm, die dürfen da gar nichts sagen. An der Tür ja, da nageln die Dir schon ein Gespräch ans Bein - nur bringt es überhaupt nichts, mit denen zu dikutieren, weil die völlig verblendet sind, weil denen eine vorgefertigte Meinung mitbdem Brandeisen ins Hirn gedrückt wurde. Die haben für jedes Argument ein auswendig gelerntes Gegenargument. Find ich sehr schade, weil ich grundsätzlich offen gegenüber den meisten Dingen bin.

Ciao nastro.

 
Zuletzt bearbeitet:

nastro schrieb:
Nee, verteidigen will ich den gar nicht. Aber dennoch drinlassen.

nastro schrieb:
... für jedes Argument ein auswendig gelerntes Gegenargument. Find ich sehr schade,

Jessas, nastro, bist du hartnäckig. Deine Konsequenz in Ehren, ich versteh's trotzdem nicht, warum man die einer Bank ohnehin immanente Eigenschaft des Stummseins durch einen überaus fragwürdigen Vergleich noch extra hervorheben muss.
Was tut eine Bank in aller Regel? Sie steht in der Gegend herum und hält darüber hinaus die Klappe. Ist das wirklich metaphernd beschreibenswert? Also echt jetzt.

 

Jessas, nastro, bist du hartnäckig.

Eigentlich gar nicht. Ich freue mich über die konstruktiven Vorschläge und habe einiges geändert an dem Text.

Allerdings muss ich ja nicht jeden Ratschlag aufnehmen. Es ist meine Geschichte und ich darf sagen: so will ich es gedruckt sehen und deshalb bleibt es.

Wir Autoren lassen uns da bereits weiter reinreden als Zeichner - habe einen zeichnenden Kumpel, geben dem auch Ratschläge und meinen Eindruck wieder. Ich erwarte aber kaum, dass er den überraschten Gesichtsausdruck der vierten Person links unten in einen gelangweilten ändert - weil es letzten Endes sein Bild ist.
Also, nicht falsch verstehen - Danke für jeden Hinweis, aber ich muss nicht jeden befolgen.

 

Hallo nastro

Sprachlich steril war mein erster Gedanken nach einigen gelesenen Sätzen. Auch wenn es als Stilmittel gedacht ist, allenfalls die seelische Ausnahmesituation von B. reflektieren soll, erreicht es mich so nicht recht.

Zehn Minuten geht sie so, dann steht da, stumm und grau wie ein Zeuge Jehovas, eine Bank.

Hier etwa kommt dieses Sterile stark zum Ausdruck. Das Beispiel wie diese Sektenmitglieder sich öffentlich präsentieren ist zutreffend, egal in welchem Land, man erkennt sie umgehend an ihrer passiven Haltung. Der Vergleich einer stummen, grauen Bank mit diesen ist deshalb nicht verfehlt. Doch der Satzbau wirkt gezwungen, thront wie ein künstlerisches Stilelement. Die Gedanken, welchen einen Menschen nach anderthalb Jahrzehnten in Gefangenschaft überfluten, können sehr verschieden sein. Sich vielleicht auch mit einer Taubheit an Gefühlen ausdrücken, aber einen solchen Vergleich mit diesen Worten zu ziehen, wirkt mir doch weit hergeholt.

Jetzt steht sie am Landwehrkanal.

Dies ist wohl kaum zufällig, einem Ort, wie der an dem einst Rosa Luxemburg das Zeitliche segnete. Doch hinkt diese Assoziation, liegen doch Welten zwischen den Ideologien und Handlungen dieser beiden Frauen. Inspiration zum Stück gab dir wohl Beate Zschäpe, wobei ihre Entlassung eine Vision wäre.

Die Geschichte ist für mein Empfinden von einem zu künstlerischen Ausdruck geprägt, der der Wirklichkeit entgegensteht. So wie dargestellt wirkt es mir wie ein Bühnenstück modernen Theaters, inhaltlich durchaus von einem starken Reiz getragen. Das traurig-absurde Schicksal dieser Frau erzwingt von mir als Leser aber eine Transkription, eine gefühlsmässige Umsetzung ihrer Empfindungen und ihrer Handlungen, um ihr näherzukommen.

Es war mir, ungeachtet meiner kritischen Anmerkungen, interessant zu lesen. Doch eher ein „Kunststück“, als denn eine unterhaltsame Erzählung.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Anakreon,

immer wieder schön, von Dir zu hören.

Die Gedanken, welchen einen Menschen nach anderthalb Jahrzehnten in Gefangenschaft überfluten, können sehr verschieden sein.

Ganz besonders eben bei ihr. Sie ist ja keine normale Entlassene, die jetzt nach vorn blickt, einen Hilfsjob annimmt und in eine Plattenwohnung zieht und wieder Fuß zu fassen versucht. Sie ist B. und sie weiß, dass sie keiner je in Ruhe lassen wird. Sie ist B. und denkt sowieso ganz anders als wir, die anderen. Was sie denkt, keine Ahnung, in meiner Geschichte möchte sie jedenfalls eines: endlich sprechen, nach all den Jahren, mit denen sprechen, denen sie mit ihrem Schweigen entweder Leid (Türkin) oder doch zumindest schlaflose Nächte (Richter) zugefügt hat.
Und dann der Suizid. Keine Ahnung, wie viele Verbrecher diese Möglichkeit der „Entschuldigung“ in Betracht ziehen, in meiner Variante kann es keine andere Möglichkeit geben.

Immer wieder die Bank. Ich glaube nicht, dass sie ihre Umgebung so deutlich wahrnimmt und aufsaugt in den paar Schritten bis zur Bank, in den paar Stunden im Taxi und im Zug. Sie hat 15 Jahre über diesen Tag nachgedacht, ihn vermeintlich geplant (keinesfalls generalstabsmäßig, sondern zögerlich, weil sie die vorsichtige, katzensuchende B. ist). Jetzt soll alles automatisch ablaufen – tut es aber selbstverständlich nicht, weil weder Selbstmord noch Geständnis so einfach sind - es verdammt schwer ist, diese Worte über die Lippen zu bringen und sich die Waffe in den Mund zu stecken und abzudrücken.
Wer hat sich das noch nicht vorgestellt, sich zu töten? Selbst der Lebenslustigste hat das wohl schon getan. Doch wie stellt man es an, wie vermeidet man einen Rückzieher?

Dies ist wohl kaum zufällig, einem Ort, wie der an dem einst Rosa Luxemburg das Zeitliche segnete.

Das freut mich außerordentlich, dass Du das überhaupt weißt, das man RL nach einem Schuss in die Schläfe in den Landwehrkanal geworfen hat. Bei der Linkenfeindlichkeit in diesem Land dürften so was ja die meisten negieren und die „Öffentlich-rechtlichen“ schweigen sich aus.
Andererseits machst Du mir wiedermal Angst, keine Ahnung, ob Du Gedanken lesen kannst oder Zugriff auf meinen Rechner hast :confused:, denn: dieser Umstand spielt eine Rolle in meinem Romanmanuskript (und ich möchte bei Erscheinen nicht hören, ich hätte das von Dir geklaut :)).

liegen doch Welten zwischen den Ideologien und Handlungen dieser beiden Frauen.

Da liegen Welten, da liegen ganze Universen. Aber ich habe mir die künstlerische Freiheit genommen, genau diese zu nutzen für mein Bild.
Vielleicht war es ja dieselbe Brücke, Rosa 1919 und B. 20.., ich finde das regt schon zum Nachdenken an.

wobei ihre Entlassung eine Vision wäre.

Ja, spannende Sache, welche ich jeden einzelnen Tag verfolge. Da könnte man sehr viel drüber diskutieren und mutmaßen aber hier ist wohl nicht der richtige Ort dafür.

Es war mir, ungeachtet meiner kritischen Anmerkungen, interessant zu lesen. Doch eher ein „Kunststück“, als denn eine unterhaltsame Erzählung.

Nun, darüber muss ich nachdenken. Danke für die schlaflose Nacht ;) sagt

nastro

 

Hallo nastro

B. betritt jetzt Flur zwölf. Es ist jener Bereich der JVA, in dem sie vor fünfzehn Jahren ihre private Wäsche abgegeben hat. Jetzt nimmt sie einen transparenten Beutel in Empfang - und schüttelt den Kopf beim Anblick der Schlabberjeans aus einem anderen Leben.
Ein Beamter bringt sie zu Tor drei. Er lässt sie vorangehen, schiebt sie durch Tor zwei und murmelt: „Alles Gute.“
Die ersten Schritte ohne Bewachung. Die tatsächlich ersten zehn Schritte nach fünftausend Tagen unter Aufsicht.
Zögernd, als suche sie eine verletzte Katze, nähert sie sich Tor eins, zeigt ihren Passierschein und tritt ins Freie.

Mir sind im ersten Abschnitt die vielen Zahlenangaben aufgefallen - Flur zwölf, fünfzehn Jahre, Tor drei, Tor zwei, ersten Schritte, ersten zehn Schritte, fünftausend Tage, Tor eins.
Wenn man das mal so hintereinanderschreibt, erkennt man, dass da einige Wiederholungen drin sind - die ersten Schritte sind zweimal erwähnt, die Jahre im Knast auch (wenn auch einmal etwas umständlich als fünftausend Tage bezeichnet). Richtig gestört hat es mich nicht, aber ich denke, da kann man ansetzen, um dem Anfang etwas mehr Pep zu geben. Ich finde es auch unnötig, hier von drei nummerierten Toren zu sprechen. Gerade hier:

Ein Beamter bringt sie zu Tor drei. Er lässt sie vorangehen, schiebt sie durch Tor zwei und murmelt: „Alles Gute.“

Das fand ich verwirrend, dass hier erst Tor drei, dann Tor zwei erwähnt wird, weil ich erst dachte, es handle sich um dasselbe Tor.

Der Termin war für den nächsten Monat angesetzt und deshalb steht da keine Journalistenmeute; deshalb steht da überhaupt niemand vor dem Tor.

Das fand ich gut. Hier schwingt gleich mit, dass sie allein ist. Mehr als das sogar. Verlassen.

als sie ihn durchzog - ihren Kampf, Kreuzzug und Krieg.

Hier würde ich überlegen, das "und" zu streichen. Klingt dann besser, finde ich.

Sauber, wie alles hier, ist die Bank, mit einem geleerten Papierkorb daneben.

Klingt umständlich. Als würde man über irgendwas stolpern, aber vielleicht ist das auch ein absichtliches stilistisches Mittel hier von dir. Ansonsten klingt "Sauber ist die Bank, wie alles hier", in meinen Augen flüssiger.

Macht einen auf keusch, der Rechtsstaat, denkt sie.

"denkt sie" kann raus, das verstärkt die erlebte Rede hier.
Finde ich übrigens schön konsequent durchgezogen, wie du ihre Gedanken wiedergibst - mit diesen nachgestellten Substantiven, oben schon den Kampf, Kreuzzug, Krieg, jetzt hier der Rechtsstaat, das gibt der Figur eine eigene Stimme. Hat mir gefallen.

B. blinzelt in die Sonne und ruht sich aus von ihren ersten Minuten in Freiheit.

blinzelt in die Sonne? Das ist so eine Standardformulierung, über die ich mich schon oft gewundert habe. Hat irgendwer schonmal wirklich in die Sonne geblinzelt?

Ein Bruch der Regeln des Rechtstaates.

Lass "des Rechtstaates" weg (da fehlt ausserdem ein s in der Mitte - Rechtsstaates). "Ein Bruch der Regeln" reicht vollkommen, du willst die Betonung ja auf den Bruch legen, nicht auf den Rechtsstaat.

Was gab es denn schon zu genießen, im Knast?

Gutes Essen fällt ihr ein.

Da schwank ich bei beiden Sätzen. Im ersten würde ich das Komma rausnehmen, im zweiten würde ich hinter "Essen" eins setzen. Bin aber in beiden Fällen nicht sicher. Beim ersten Satz würde man - wenn man ihn spricht - nach geniessen vielleicht eine Pause machen, daher das Komma? Dennoch sieht es seltsam aus.

Wein, Konzertabende, Verkehr.

Meinst du hier Sex (muss ja fast - wer geniesst denn den Strassenverkehr?). Dann schreib das so hin. B. wirkt nicht wie eine Person auf mich, die "Verkehr" anstelle von "Sex" sagen würde. Oder willst du ihr gestörtes Verhältnis dazu ausdrücken?

B. sieht leere Flaschen über den Boden verteilt. Sie mäandert durch den Getränke-Parcours und rüttelt Mami wach - um gleich eine zu fangen. Mit der flachen Mami-Hand - die einen flachen Schmerz verbreitet; ganz anders als seine knochige Faust, die Faust dieses ständig nackten Mannes in Mamis Küche.

Hat mir nicht so gut gefallen. Du bist hier, was die Sprache angeht, nicht konsequent. Das ist ja aus Sicht des Kindes geschrieben - "Mami-Hand" zum Beispiel. Gleichzeitig stehen da aber Wörter wie "mäandern" und "Getränke-Parcours", die sprachlich dann überhaupt nicht passen.
Zum anderen, so Missbrauchsvorfälle - tja, ich mag das nicht besonders. Man rutscht da schnell in Klischees, oder in die immer wieder gleichen Muster ab. Alkoholiker, da wird das Kind geprügelt, vielleicht sexuell missbraucht - das mit der Nadel nachher sticht hervor, aber die Szene hier, finde ich schwierig, das so schnell abzutun, kommt mir vor wie eine Standard-Szene, weil man jetzt eine verlorene Kindheit zeigen will. Ich denke, da muss man behutsamer und individueller vorgehen, damit es den Leser - mich zumindest - berührt. Ist aber auch ganz schwierig, sowas gut zu machen.

Da lauere Bosheit hinter ihrer Stirn, meinte das Mädchen, und manifestiere sich über ihren verkniffenen Mund.

Klingt mir nicht nach Knast-Sprache - "deine Bosheit manifestiert sich über deinen verkniffenen Mund". Da sprichst du als Autor, oder? Könnte man vielleicht authentischer bringen.

Zwanzig Uhr erreichen sie H.

Entweder: Um zwanzig Uhr erreichen sie H. oder "Zwanzig Uhr: sie erreichen H."

Die Stadt ist ein Moloch; sie greift nach ihr;

sie greift nach ihr - wer greift nach wem? Vielleicht: "Die Stadt ist ein Moloch; sie greift nach B.", dann wäre es klarer.
Warum Strichpunkte hier? Würden es Kommas nicht auch tun? Zumindest eins?

tritt hinter einem Baum hervor und schneidet ihm den Weg.

ab

Mit einem blauen Auge, wie er die fünfzehn Jahre nannte.

Ich bin kein Jurist, aber sind fünfzehn Jahre nicht die Höchststrafe? Wundert mich, dass der Verteidiger sie dann als "blaues Auge" bezeichnet, oder spielt er auf die Sicherheitsverwahrung an, um die B. evtl. herumkommt?

Die Verhandlung zerrt an ihren Nerven wie ein unerzogener Balg. Man führt sie herein; sie dreht sich um, lehnt sich gegen die Bank, senkt den Kopf und entflieht so dem Gewitter der Kameras. Der Richter betritt den Saal und eröffnet die Farce. Sie setzt sich. Es ist schwer, einen festen Punkt im Raum zu finden, wenn einen jeder anstarrt.Sie murmeln und mutmaßen über jede ihrer Bewegungen, über jedes Zwinkern und Zucken. B. inhaliert die schlechte Luft im Saal, bekommt einen trockenen Mund. Sie schaut weg, runter auf ihre Unterlagen, als sich die erste Zeugin erhebt.
Irgendwann fragt der Richter, was sie dazu zu sagen hat.
Und B. schweigt.

Toller Absatz! Aber die letzten beiden Sätze würde ich streichen. Der Absatz, dann "Und B. schweigt" hat etwas zu theatralisches, das nicht in den Absatz passt, weil der zuvor ruhiger ist, stark ins Detail geht. Ausserdem wurde schon erwähnt, dass B. keine Aussage gemacht hat.

Die erwachende Straße konfrontiert sie mit den Kartons der Gemüsehändler.

Ich finde, der Text enthält viele gute Stellen - aber der Satz gehört nicht dazu. Weder finde ich "erwachend" gut noch "konfrontieren", zumindest nicht für eine Strasse.

dieser Kakophonie erkälteter Laute, diesem vor die Füße geworfenem Chr…chr…chr der Araber und dem Gewinsel der Söhne Israels.

Ich finde nicht, dass "chr... chr ... chr..." typische Klänge der arabischen Sprache sind, aber ich hab da nix Besseres. So oft höre ich sie ja auch nicht. Was aber meinst du mit "dem Gewinsel der Söhne Israels"?

Also betritt sie den gerade geöffneten Laden.
Und steht der Türkin gegenüber.

Ist mir auch wieder ein Stück zu theatralisch. Fällt halt auf, weil die Geschichte grösstenteils ruhig erzählt ist. Vielleicht den letzten Satz streichen?

Ich finde die Szene mit der Türkin gut, für mich ist klar geworden, dass sie nicht vorhat, die Frau zu erschiessen. Aber das hat mir nicht gefallen:

Wie hat dieser Staat doch versagt.

Wer spricht da? Würde B. es so bezeichnen, frage ich mich? Natürlich hat der Staat für sie versagt, aus diversen Gründen - aber ausgerechnet deshalb, weil in die falsche Richtung ermittelt wurde? Kommt mir so vor, als mische sich auch hier wieder deine Stimme als Autor dazwischen.

Dann bricht etwas in ihrem Schädel, knirscht es ganz unmöglich und plötzlich steht die Welt schief.

Passt irgendwie grammatikalisch nicht. Müsste es nicht eher heissen: "... , es knirscht ganz unmöglich ..."

So, genug der Textarbeit. Das ist ein sehr ambitionierter Text mit einem schwierigen Thema. Es geht ja hier nicht nur um eine Terroristin, die ihrem Leben ein Ende machen möchte (und dabei scheitert), sondern gleichzeitig auch um die Gründe, weshalb sie überhaupt in dieses Milieu abgerutscht ist. Für meinen Geschmack mutest du dem Text da fast zu viel zu. Also dieser Erklärungsversuch mit dem Missbrauch, den hätte es in meinen Augen nicht gebraucht. Es spricht für dich, dass du B. ambivalent darstellst, ich glaube auch das ist auch die richtige Herangehensweise an eine solche Figur - aber die Frage ist, geht es in dem Text nicht eher um ihr Ende, als um ihren Anfang? Beides ist unheimlich schwierig, und dadurch, dass es immer so hin- und herpendelt, legst du dich nicht wirklich fest. Was ist denn genau mit ihr im Knast passiert, dass sie sich jetzt das Leben nehmen will - kann man das nicht noch genauer herausarbeiten, und dafür auf Erklärungsversuche, warum sie überhaupt in dieses Milieu kam, verzichten? Vielleicht sagst du jetzt, nein, das gehört alles zusammen - ist auch ok dann. Ich finde nur, da sind viele schwierige Themen in dem Text. Es ist ein guter Text, ich hab den gern gelesen, und ich finde auch die Überarbeitungen haben ihm bis jetzt gutgetan (ich habe ihn schon kurz nach dem Einstellen das erste Mal gelesen), aber ich frage mich, ob der Text nicht stärker sein könnte, wenn du dich auf die Gegenwart und die Aufarbeitung des Verfahrens, ihres Schweigens, konzentrieren würdest.

Und noch etwas: ich würde die Parallelen zum aktuellen NSU-Verfahren nicht so knüppeldick präsentieren. Ich hab mich da ständig daran erinnert gefühlt, das geht schon los bei "B.", dann die zwei männlichen Komplizen, die falschen Ermittlungen ... ich fände es besser, wenn du dich da etwas lösen könntest. Sicher war es Absicht von dir, aber ich sehe nicht, warum es das braucht. Ich empfand es eher störend.

So oder so, unterm Strich, wie gesagt, ein guter Text. Bei dem schwierigen Thema hätte das auch daneben gehen können, aber ich finde, du gehst besonnen genug heran, verfügst auch über das notwendige Handwerk und präsentierst dem Leser eine über weite Strecken authentische, differenzierte Figur. Ich hab das gern gelesen.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo Schwups,

ganz herzlichen Dank für Deine ausführliche Kritik.

Mir sind im ersten Abschnitt die vielen Zahlenangaben aufgefallen …

Die Zahlen sind schon Absicht. Typisch deutsch und typisch Knast, ich wollte das so. „Die ersten zehn“ sind absichtlich wiederholt, die „fünftausend Tage“ habe ich gewählt, um die fünfzehn Jahre nicht zu wiederholen – hatte das probiert und es klang blöd. Früher bei der Armee hast du ja auch die einzelnen Tage gezählt, wird im Knast wohl nicht anders sein.
Also, ich verstehe Deine Überlegungen, mal sehen, ob ich da was dran ändere.

Hier würde ich überlegen, das "und" zu streichen. Klingt dann besser, finde ich.

;), Lustig, ursprünglich hatte ich es auch so, nur durch Kommas getrennt. Ernst meinte dann: „Ihren Kampf, ihren Kreuzzug, ihren Krieg. Liest sich … melodischer.“ Habe ich auch so gesehen und geändert. Habe jetzt noch mal drüber gelesen und bleibe bei der aktuellen Version.

"denkt sie" kann raus, das verstärkt die erlebte Rede hier.

Hmm, hab ich auch schon paar Mal hin und her gestellt, mal sehen …

blinzelt in die Sonne? Das ist so eine Standardformulierung, über die ich mich schon oft gewundert habe. Hat irgendwer schonmal wirklich in die Sonne geblinzelt?

Stimmt schon, das „Blinzeln“ ist ein Allgemeinplatz. Hab den Satz mal geändert.

Meinst du hier Sex (muss ja fast - wer geniesst denn den Strassenverkehr?). Dann schreib das so hin. B. wirkt nicht wie eine Person auf mich, die "Verkehr" anstelle von "Sex" sagen würde. Oder willst du ihr gestörtes Verhältnis dazu ausdrücken?

Yes, genau das will ich. B. sagt nicht Sex. Verkehr finde ich hier eindeutig, da Straßenverkehr allgemein ja keinen Genuss darstellt ;).

Klingt mir nicht nach Knast-Sprache - "deine Bosheit manifestiert sich über deinen verkniffenen Mund". Da sprichst du als Autor, oder? Könnte man vielleicht authentischer bringen.

Ich denke, B. hat hier bereits die Knastsprache ihrer Knastschwester in ihre eigene übersetzt. Und da finde ich es passend. Denke aber noch mal drüber nach.

sie greift nach ihr - wer greift nach wem?

Hast Du Recht, ist geändert.

Ich bin kein Jurist, aber sind fünfzehn Jahre nicht die Höchststrafe? Wundert mich, dass der Verteidiger sie dann als "blaues Auge" bezeichnet, oder spielt er auf die Sicherheitsverwahrung an, um die B. evtl. herumkommt?

Geb zu, das hab ich aus einem Gefühl heraus datiert. Ich komme mit diesen Strafmaßen eh nicht zurecht. Kenne eine Muttermörderin, die nach vier Jahren wieder draußen war. Denke, dass Verteidiger eh jede Menge Blödsinn reden und tun – wenn Du allein die vielen Befangenheitsanträge und den ganzen Quatsch nimmst. Das ödete mich derart an, dass ich das einfach aus einem Gefühl heraus datiert habe.

Toller Absatz! Aber die letzten beiden Sätze würde ich streichen. Der Absatz, dann "Und B. schweigt" hat etwas zu theatralisches, das nicht in den Absatz passt, weil der zuvor ruhiger ist, stark ins Detail geht. Ausserdem wurde schon erwähnt, dass B. keine Aussage gemacht hat.

Hmm, da ist was dran. Habe zunächst obige Veränderung vorgenommen und muss nochmal nachdenken …

Was aber meinst du mit "dem Gewinsel der Söhne Israels"?

Die Juden.

Es ist ein guter Text, ich hab den gern gelesen, und ich finde auch die Überarbeitungen haben ihm bis jetzt gutgetan (ich habe ihn schon kurz nach dem Einstellen das erste Mal gelesen), aber ich frage mich, ob der Text nicht stärker sein könnte, wenn du dich auf die Gegenwart und die Aufarbeitung des Verfahrens, ihres Schweigens, konzentrieren würdest.

Mmh, darüber muss ich nachdenken.

… dann die zwei männlichen Komplizen …

Nö, Kai-Uwe ist kein Komplize, nur Liebhaber … Aber ich verstehe natürlich, was Du meinst. Und meine Entscheidung ist da eindeutig …

Also, nochmal Danke, hat mich sehr gefreut, Dein Kommentar!

 

Hallo nastro,

bin nicht der Typ, bzw. habe keine Lust, wie meine Vorgänger dir im Detail mittels Zitaten irgendwelche Fehler / Kritikpunkte aufzuzeigen. Ausserdem bin ich seit etlichen Jahren das erste Mal wieder im KG-Forum und werde mich erstmal mit evtl. geänderten Geflogenheiten vertraut machen.

Daher halte ich mich kurz: Die Geschichte empfand ich als gut geschrieben, mir ist dann auch irgendwann aufgegangen, dass sie nicht andere töten will, sondern lediglich sich selbst. Aber da fand ich dann schon eine gewisse Unlogik in der Abfolge. B. wollte zuerst zum Richter und sich dort umbringen, als das nicht klappt fährt sie zur Türkin, und zwar sehr zielstrebig, als sei es lang geplant, wie die du es darstellst. Folgerichtig hätte sie jedoch nur ihre Schritte / Handlungen bis zum Richter planen müssen, danach hätte sich alles andere erübrigt. Das verunsichert mich in meiner Interpretation ihres Vorhabens.

Dann, finde ich, passt der Tränenschleier am Schluss der Geschichte nicht zu ihrer „coolen“, entrückten Art und Denkweise. Aber es klingt gut :D

Hat mir trotzdem gefallen

Gruß
querkopp


P.S. Achja, die Kritik von nora scheint wohl im Nirwana gelandet zu sein, ein kleiner entsprechender Hinweis wäre nicht schlecht

 

Hallo querkopp,

na dann mal willkommen zurück.

Ob sich die Gepflogenheiten seit Deiner Zeit geändert haben, weiß ich nicht, jedenfalls sind wir eine gutaussehende, intelligente Elite hier ;).

Die Geschichte empfand ich als gut geschrieben, mir ist dann auch irgendwann aufgegangen, dass sie nicht andere töten will, sondern lediglich sich selbst. Aber da fand ich dann schon eine gewisse Unlogik in der Abfolge. B. wollte zuerst zum Richter und sich dort umbringen, ...

Äh, nee, wieder falsch. Sie wollte mit dem Richter reden, nur reden. Geriet aus der Fassung dabei und hatte plötzlich irgendwie die Waffe in der Hand. Weiß schon, das viele hier solches "Irgendwie" nicht leiden können, aber so war es nun mal bei B. - sie kann die Dinge genausowenig steuern wie fünfzehn Jahre zuvor - immer wieder entgleitet ihr die jeweilige Situation.

Dann, finde ich, passt der Tränenschleier am Schluss der Geschichte nicht zu ihrer „coolen“, entrückten Art und Denkweise.

Wer sagt uns, was wir denken und tun, wenn wir schwer erkranken oder gar sterben. Scheinbar Bedeutendes wird dann unwichtig und anderes gewinnt Bedeutung. Die Dinge verschieben sich, rücken sich möglicherweise sogar gerade.

Hat mir trotzdem gefallen

Vielen Dank!

 

Hallo nastroazzurro,

diesen Text las ich schon vor einer Zeit und wollte ihn immer noch kommentieren. Ein nüchterner geradezu spröder Text, der sein Thema mit diesem ungeschminkten Zeitbezug dokumentarisch voranträgt. Alles verläuft sehr ruhig und analytisch. Das hat mich zum Teil stark an die Kurzgeschichten von Ferdinand von Schirach erinnert oder auch Jochen Rausch ("Trieb"). Die schreiben ja in einer Art, die man hier auf kg,e vermutlich in Grund und Boden kritisieren würde, irgendwie Reportagenhaft, aber bei den Lesern kommt diese Art von "Kurzberichten" an, denn beide Herren veröffentlichen ja ganz gut, und der erstgenannte wurde ja sogar schon verfilmt. Das Plus ist wohl, dass man als Leser weiß oder auch das Gefühl hat, dass hier echte Fälle beschrieben werden, aus dem richtigen Leben.

Du nimmst dich in deiner Spracht total zurück, was ich für diesen Stoff nicht verkehrt finde. Und du versuchst das Innenleben eines unerfreulichen Charakters auszuleuchten. Das sind mutige Schritte.

Ich bin nicht unbedingt ein Freund solcher Texte, ich will auch, dass mir die Lust am Formulieren aus dem Sätzen entgegen blitzt, und das konnte ich bei anderen Texten von dir deutlich mehr genießen. Ist natürlich alles Geschmacksache. Wie du an meinen Beispielen siehst, kommt man mit der anderen Art zu schreiben offensichtlich weiter. Und das sogar mit Kurzgeschichten, wo doch jeder Fachmann für den deutschen Literaturmarkt die Chance, es mit Kurzgeschichten zu schaffen, mit einer klaren "0" bewertet.

Nun denn, ich habe deine Story alles in allem gern gelesen und mich interessant unterhalten gefühlt.

Rick

 

Hallo Rick,

sorry für die späte Antwort – das ist gar nicht meine Art, aber irgendwie hab ich grade von allen Seiten Stress.

… diesen Text las ich schon vor einer Zeit und wollte ihn immer noch kommentieren.

Da Du hier eher die Oberklasse vertrittst, ist es mir eine Ehre.

Das hat mich zum Teil stark an die Kurzgeschichten von Ferdinand von Schirach erinnert …

Die hab ich auch gelesen und auch noch mal, vom genialen Burghart Klaußner gelesen, gehört. Ist sicher keine literarische Sonderklasse, aber recht unterhaltsam. Die Verfilmung war ja Dank Bierbichler und Edgar Selge auch sehr sehenswert.

Rausch kenne ich noch nicht – probiere ich mal aus.

Nun denn, ich habe deine Story alles in allem gern gelesen und mich interessant unterhalten gefühlt.

Ganz herzlichen Dank!

 

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