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Bürokratie
(Wörter: 1880)
Ein Mann betrat ein Verwaltungsgebäude, nachdem er vor langem diesem einen Antrag zugesandt hatte, der bis dato unbeantwortet blieb. Kurz hinter dem Eingang hing eine Tafel mit den vorhandenen Raumnummern und einer kurzen Beschreibung, wozu dieser Raum verwendet wurde.
"Innere Verwaltung, Abteilung für städtische Angelegenheiten, Zuständigkeitsbüro Anträge und Genehmigungen, wo muss ich hin?" Schließlich entschied er sich für einen Raum, der am ehesten nach dem klang, was der Mann suchte, und machte sich auf den Weg.
Schon im nächsten Flur hing ein Plan des Gebäudes, auf den er einen Blick warf. Viele kleine Kästchen waren zu sehen und eine ganze Reihe unterschiedlicher Symbole, die alle in der Legende fein säuberlich erklärt waren.
Als er ein paar Minuten draufgestarrt hatte, hatte er nur wenig verstanden, aber genug um zu entscheiden, welche Richtung er einschlagen musste.
Die Nummern auf den Türen näherten sich immer mehr seinem gesuchten Raum an und er spürte, dass er schon fast sein Ziel erreicht hatte. Jedoch hing eben an dieser Tür ein Zettel: "Urlaubsvertreung in R.: ..."
Okay, dachte er sich, und warf einen Blick auf die nächste Karte. Noch mal komplett zurück den Weg und andere Richtung eingeschlagen.
Nach einigen Minuten fand er den Raum, doch an dessen Tür hing wieder ein Zettel: "Wegen Krankheitsfall geschlossen. Vertretung in R.: ..." Leicht genervt trat der Mann zur nächsten Karte und suchte dort nach seinem neuen Ziel.
Kaum hatte er nach einer Weile den neuen Raum erreicht, fiel ihm ein neuer Zettel ins Auge: "Mitarbeiter ist umgezogen und arbeitet nun in R.: ..." Dieser Raum trug die selbe Nummer wie der, zu dem der Mann ursprünglich hatte gehen wollen. Er stöhnte genervt auf, beschloss aber, noch einen Versuch zu wagen, bevor er die Sache endgültig abblasen wollte.
Wütend stampfte er zurück. Zu seiner Überraschung war der Zettel dort entfernt worden und ein paar Leute warteten davor. "Wollt ihr auch alle da rein?", fragte der Mann unnötigerweise und setzte sich dazu. "Werdet ihr lange brauchen?", wollte er in der Hoffnung wissen, dass er nicht zu lange warten musste.
Eine etwas dickere Frau begann zu erzählen: "Ich will einen Bratwurststand aufmachen und die Bratwürste aus meinem Wohnwagen heraus verkaufen. Aber jemand meinte, ich bräuchte eine Baugenehmigung, wenn ich den Wohnwagen an die Straße stellen wollte. Ich halte das für Quatsch, denn dann bräuchte ich auch jeden Abend eine Abrissgenehmigung, wenn ich wieder nach Hause fahre. Außerdem habe ich gehört, dass jeder Betrieb noch einen Sicherheitsbeauftragten und einen Betriebsarzt braucht. So kompliziert hatte ich mir das nicht vorgestellt. Jetzt habe ich das ganze Gerenne wegen diesem Kram und den ganzen Vorschriften. Soll ich denn da stehen mit drei Leuten, wenn ich nur Bratwürste verkaufen will? Ich will fragen, ob ich die wirklich einstellen muss, denn dann kann ich das Ganze vergessen, wird ja viel zu teuer, noch zwei Leute für's Rumstehen zu bezahlen."
Nun meldete sich ein anderer Mann zu Wort, der auch nicht gerade glücklich aussah. "Ich habe eine Bäckerei eröffnet. Vorher hatte ich mich informiert, welche Fliesen ich auslegen muss und ein Angestellter vom Gesundheitswesen sagte, die müssten ganz glatt sein, damit kein Schmutz hängen bleibt. Ich hatte gerade eröffnet, da kam so ein Arbeitsschutzbeauftragter zu mir und meinte, ich solle sofort die Fliesen wieder entfernen und raue legen lassen. Es könnte jemand ausrutschen und sich verletzen. Was soll der Quatsch, immerhin hatte ich mich informiert! Und die Fliesen sind nicht billig, soll ich denn jedes Mal den Laden schließen und neu verlegen, wenn irgendwer vorbei kommt? Jetzt will ich ein für alle Mal klären, was denn nun richtig ist."
Aufgeregtes Gemurmel hob an. Unfassbar war dies alles, so ging das nicht weiter. Was sollte man denn machen, wenn sich die Vorschriften widersprachen?
Ein junges Mädchen meldete sich zu Wort. "Wisst ihr, was ich gehört habe? Jemand vom DRK hat mir das erzählt: Er wurde zu einem Unfall gerufen und sollte dort erste Hilfe leisten. Er fuhr dann mit dem Auto zum Einsatzort, doch da waren die Schranken geschlossen und er musste warten. Mit dem Handy hat er dann bei seiner Einsatzstelle angerufen und gesagt, dass die Schranken geschlossen sind, er aber in wenigen Minuten da sein wird. Die antworteten: 'Ach, der Unfall ist hinter den Schranken? Dann komm zurück. Ich rufe bei der anderen Bezirksstelle an, dass die einen Notarzt schicken sollen.' Könnt ihr euch das vorstellen?"
Eine Weile schwiegen sie, bis der Mann gefragt wurde, was ihn hierher trieb. "Ich will sehen, wo mein Antrag abgeblieben ist. Der hätte schon längst beantwortet sein müssen. Vielleicht ist der verloren gegangen." Doch die anderen meinten, dass alles hier so bürokratisch wäre, dass der sicher nicht verloren gegangen war. Wenn, dann lag der sicher fein säuberlich einsortiert in einem Aktenschrank und wartete darauf, dass er bearbeitet wurde. Es musste ja alles nach der Reihe gehen.
"Apropos Reihe: Ist da überhaupt jemand im Raum?" Die anderen nickten.
Sie mussten noch eine ganze Weile warten, da verließ einer den Raum. Die anderen meinten, der Mann könnte ruhig zuerst gehen, bei ihm würde es nicht ganz so lange dauern. "Wir sind schließlich keine Bürokraten."
Er bedankte sich freundlich und trat ein. "Guten Tag, ich bin wegen einem Antrag hier ..."
"Da sind Sie hier falsch. Sie müssen zur Abteilung 'Kundenbetreuung und Problemlösehilfe' am Ende des Ganges", unterbrach ihn der Beamte.
Einen Moment lang stand der Mann fassungslos da, bevor er wütend wieder hinaus stürmte. Die Wartenden auf dem Gang blickten ihm nach.
Der Gang war lang genug, dass sich der Mann wieder etwas abgeregt hatte, als er den Raum erreichte. Hier wartete niemand davor, sodass er gleich eintrat.
Dort saß ein weiterer Beamter, hinter einem geräumigen Schreibtisch, der eng bestellt war Kugelschreiberhaltern, Dosen mit Büroklammern, einer leeren Kaffeetasse mit Kaffeegrund, Zetteln, Heftern, einem Monitor, einem Telefon und anderem Kram. Hinter ihm standen große Schränke, mit Türen oder großen Schubladen, die vermutlich allesamt irgendwelche Akten enthielten.
Der Mann ließ sich auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch nieder und sprach den Beamten an, der in einem ordentlichen Anzug mit Krawatte da saß und einen Büroklammerdraht verbog.
"Ich bin gekommen, um zu fragen, was denn nun mit dem Antrag ist, den ich schon vor Monaten abgeschickt habe." Er nannte seinen Namen.
"Ja, ich erinnere mich", sagte der Beamte und legte den Draht beiseite, bevor er sich auf seinem Drehstuhl zurück schob, um eine Schublade seines Aktenschrankes herauszuziehen. "Moment." Mit flinken Fingern durchstöberte er die Registerkarten, bis er ein Blatt heraus zog und damit zurück zum Schreibtisch rollte. "Das müsste dann ja wohl der hier sein, oder? Tut mir leid, dass ich Ihnen das sagen muss, aber das ist der einzige, den wir nicht bearbeiten konnten. Da fehlt Ihre Unterschrift. Und Sie haben ihn ohne Absender eingeschickt."
Der Mann nickte verstehend und griff nach dem Blatt, doch der Beamte zog es weg. "Was ist denn? Ich will ihn jetzt unterschreiben, dann ist es in Ordnung und die Sache ist gegessen."
"Tut mir leid." Der Beamte sprach in einer routinierten Art und Weise, die seine Mitleidsäußerung Lügen strafte. "Ich kann Sie das nicht unterschreiben lassen. Erstens fiele das nicht in meinen Aufgabenbereich, zweitens käme das einer Urkundenfälschung gleich und drittens schreiben Sie Ihren Antrag besser ganz neu. Dann wird es wenigstens vernünftig gemacht und wir haben nicht so viel Papierkram wegen einer nicht ordnungsgemäßen Unterschrift."
Dem Mann stieg der Zorn ins Gesicht. Vorschriften, zum Teufel damit! "Das ist doch nicht Ihr Ernst! So was nennt sich Kundenbetreuung? Wo finde ich Ihren Vorgesetzten? Ich will mich beschweren."
"Regen Sie sich nicht auf", beruhigte ihn der Beamte, womit er aber das Gegenteil erreichte, trotzdem aber routiniert fortfuhr. "Wenn es Ihnen hilft, dann kann ich Ihre Beschwerde gleich hier entgegen nehmen. Mein Vorgesetzter ist zur Zeit beurlaubt. Aber Sie hätten ihn sowieso nicht gefunden."
Entnervt bemühte sich der Mann um Geduld und lehnte sich zurück. "Gut, dann will ich mich beschweren. Das ganze Haus ist ein unübersichtliches Drecksloch und die Angestellten sind alle bürokratische Esel."
Der Beamte überging die Beleidigung. "Nicht so schnell. Erst muss ich für Sie ein Benutzerkonto eröffnen, damit wir Ihre Beschwerden ordnungsgemäß verwalten können." Er wandte sich seinem Monitor zu klickte ein bisschen mit der Maus herum.
"Lassen Sie den Unsinn", entrüstete sich der Mann. "Ich will doch nur jemandem die Meinung sagen. Haben Sie dafür nicht auch so ein schlaues Formular?"
Dafür bekam er lediglich ein trockenes "Anders kann ich das nicht machen, ich habe meine Vorschriften" zur Antwort. "Würden Sie sich dann bitte Ihre Kundennummer aufschreiben, damit in Zukunft Ihre Daten abgerufen werden können?"
Der Mann murrte, griff sich einen Zettel aus der Zettelbox und einen Kugelschreiber vom Tisch des Beamten. "Kann ich mich jetzt beschweren?"
Der Beamte schüttelte den Kopf. "Erst brauche ich noch Ihre Kundendaten. Name?"
"Den haben Sie auf dem Antrag stehen."
"Der könnte aber falsch sein. Oder Sie könnten ihn zwischenzeitlich geändert haben." Der Beamte warf einen kurzen Blick auf den Mann und dann wieder auf den Monitor. Dann zog er die Tastatur heraus. "Also: Name? Anschrift? Telefonnummer?"
Der Mann gab brav Auskunft, während er ungeduldig mit den Fingern auf seinen Oberschenkel klopfte.
"So, das war's", vernahm er schließlich vom Beamten und wurde aufgefordert, seine Kundennummer noch mal zu sagen, damit der Angestellte die Beschwerde entgegen nehmen konnte. Leicht genervt las der Mann die Zahlenkolonne von seinem Zettel vor und wollte loslegen, da tippte der Beamte vielsagend auf seine Armbanduhr.
"Tut mir leid, aber ich kann Ihre Beschwerde jetzt nicht entgegen nehmen. Ich brauche jetzt meine tariflich zugesicherte Pause."
Der Mann verzog ungläubig das Gesicht. "Sie können doch jetzt nicht Pause machen, verdammt. Lassen Sie uns das endlich zu Ende bringen!"
"Natürlich kann ich. Dafür sind die Tarifverträge ja da. Aber ich schmeiß Sie ja nicht raus. Sie dürfen gerne hier warten."
Der Mann murrte, doch da ihm keine Argumente dagegen einfielen, musste er sich geschlagen geben.
Der Beamte schaute mitleidig auf seine Kaffeetasse, bevor er unter dem Schreibtisch eine Thermoskanne hervor holte, die nur noch einen kleinen Schluck preisgab, der daraufhin schnell wieder im Mund des Beamten verschwand. Der Angestellte griff dann zu seinem Büroklammerdraht und
begann, ihn zu verbiegen. Erst zog er ihn lang und versuchte, die kleinen Wellen raus zu bekommen, bis der Draht fast ganz gerade war. Kurz darauf machte er seine Mühe wieder zunichte und drehte Schlaufen hinein.
"Wollen Sie nicht doch lieber meine Beschwerde entgegen nehmen, bevor Sie sich zu Tode langweilen?", fragte der Mann mit einem leicht sarkastischen Unterton.
"Ausgeschlossen", erwiderte der Beamte und versuchte, sein Kunstwerk hinzustellen, was ihm nicht gelang, da es umfiel. "Ich muss meine Pausen einhalten, sonst kann ich nicht konzentriert arbeiten."
Der Mann verdrehte nur die Augen und sagte nichts mehr. Nach einigen vergeblichen Versuchen, ließ der Beamte sein Drahtkunstwerk liegen und griff sich einen Kugelschreiber aus seiner Stiftebox. Diesen drehte er gelangweilt zwischen den Fingern, wirbelte ihn herum und klapperte damit auf der Tischplatte.
Der Mann verfluchte indessen den großen Zeiger der Wanduhr, der sich dem erlösenden Ziel nur äußerst widerwillig näherte. Endlich legte der Beamte den Stift weg.
"So. Die tariflich zugesicherte Pause ist vorbei. Wenn Sie möchten, dann nehme ich jetzt Ihre Beschwerde entgegen."
Der Mann nickte erleichtert und machte sich bereit, dem Beamten die Kundennummer noch einmal vorzulesen, wenn es sein musste.
Der Beamte starrte stirnrunzelnd auf den Bildschirm. "Tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber der Server ist abgestürzt. Ich kann Ihre Daten nicht speichern."
"Können Sie mir denn nicht so helfen?"
"Nö."
Die kürzlich zurückgekehrte Gelassenheit verflog mit einem Schlag und der Mann brüllte: "Das darf doch nicht wahr sein! Sie lassen mich hier eine halbe Stunde lang sinnlos sitzen? Schreiben Sie sich doch den Kram auf einen Zettel!"
"Dazu bin ich nicht ..."
Der Mann sprang auf: "Wissen Sie was? Schreiben Sie sich Ihren Bürokratenmist doch sonst wo hin!" Dann stürmte er wutentbrannt hinaus. Während er auf der Karte den Weg nach draußen suchte, schwor er sich, nie wieder ein Bürokratengebäude zu betreten.
(geschrieben: 14.11.2007 - 22.11.2007)