Büro
06.25 Der Wecker zertrümmert gleich mein Trommelfell, ich weiß nicht, warum ich mir das jeden Morgen antue. Ich will schlafen.
06.30 Versuchend, den Blick auch ohne eingelegte Kontaktlinsen scharf zu stellen, schütte ich das Kaffeepulver mal wieder neben den Filter. Die Übelkeit vom Aufstehen verschlimmert sich.
06.49 Mir ist schwindelig. Es hilft nichts, die Fratze im Spiegel muss büroreif wieder hergestellt werden.
06.56 Es ist mir nicht gelungen, aber die Linsen sind drin.
7.01 Der Kaffee schmeckt zum Kotzen. Ich fand Kaffee immer schon ekelig, es aber nicht angebracht, mir morgens um sieben 'ne Koffeintablette rein zu schmeißen.
7.23 Scheiße, drei Minuten zu spät dran. Habe den Kalender nicht gefunden. Dafür is' jetzt Stau. Ich komme zu spät.
7.59 Habe zwei Packerinnen auf dem Weg zur Stempeluhr überholt, und beim zweiten Anlauf auch endlich das Loch getroffen es piept.
8.00 Ich gebe mein Gehirn beim Pförtner ab.
8.01 "Guten Morgen Herr Schmidt." Ich könnte sie umbringen. Ihr Jackett stinkt nach einem beschissenen Parfüm und Zigarrenrauch. Außerdem verdienen sie das Achtfache wie ich.
"Guten Morgen." Ein in Schale geschmissener Neuankömmling grinst mir schleimig ins Gesicht. Nicht mehr lange Freundchen, nach deinen ersten acht gekochten Litern Kaffee grinst Du nicht mehr und lässt den Anzug zugunsten eines Blaumanns im Schrank.
"Guten Morgen Herr Hänsel." Ich bewundere Sie. Sie sind so dämlich, dass sie garnicht merken, das der Laden eine Lüge ist. Jaja, ich weiß sie springen mit der Vorstandsvorsitzenden in die Kiste. Warten sie mal erst, bis der Kleine nicht mehr steht. Dann können sie auch wieder Pakete packen.
"Ja, Frau Dallas es ist alles Bestens." Nichts ist gut. Ich könnte kotzen. Ich hasse den Laden. Ich hasse die Leute. Ich finde nicht, dass jackenverkaufen der Sinn des Lebens ist.
8.01:20 Sicher im Büro. Gerettet. Grüßen ist abgeschlossen.
8.02-9.45 Ich verteile die Post. Ich lese die Post. Ich bearbeite die Post. Ich schiele auf die Uhr. Die Zeit vergeht nicht. Vielleicht läuft sie rückwärts. Ich schüttel die Uhr und hoffe, dass Mathilde nicht kommt. Mathildes Platz ist heute frei geblieben. Ich habe Ruhe. Ich brauche mit niemandem zu sprechen, es sei denn, jemand verirrt sich in meinem Büro. ich hoffe nicht. Die Uhr ist heile. Trotzdem, ich glaube, sie läuft falsch rum. Vielleicht ist ja jetzt falschrum richtig? Dann werde ich meinen Job aufgeben müssen. Was Mathilde wohl hat. Sie war die letzten Tage beim Frauenarzt. Habs in ihrem Kalender gesehen. Hoffentlich keinen Tumor in der Brust. Alle haben im Moment einen Tumor in der Brust. Egal. Ich halte nichts von persönlichenBindungen auf der Arbeit. Aus Prinzip.
Ich habe meine Ruhe.
9.45:10 Im Jogginglauf zum Wasserkocher, habe 15 Minuten Zeit mir Wasser für einen Tee zu erkämpfen, den Teebeutel darin zu versenken und den Drink runter zu spülen.
Werde beschuldigt, mir in der Zwischenzeit bereits einen Hieb genommen zu haben und habe angeblich kein neues Wasser aufgesetzt. Ich bin unschuldig! Grimmige Blicke in meine Richtung. Unschuldig. Nehme an, gleich werde ich in einen Raum gezerrt und vernommen, falls ich mich verteidigen darf und nicht gleich gesteinigt werde.
10.01 Herr Hänsel steht in meinem Büro. Ich frage mich, ob er gleich nach oben gehen wird, die Beule in seiner Hose abreagieren. Alles schön hierarchisch. Ich im Erdgeschoss, Vorstand unterm Dach. Ich muss jetzt wohl sprechen.
10.07 ich stehe mit der Pistole auf dem Lager, Frau Dallas ist vom Hocker gekippt und schieße Etiketten an. Die Zahlen drehen sich, ich finde sie schöner, wenn sie tanzen. Ich versuche daran zu denken, dass ich mein Gehirn beim Pförtner liegen habe und nicht in meinem Kopf. Ich muss also nicht nachdenken.
Vielleicht ist bald Mittag. Kurz vor der Frühstückspause hat sich die Uhr doch überlegt, sich anzupassen. Die kleine Rebellin, die. Schade, woran soll ich mir dann ein Beispiel nehmen?
10.09 Bereits fünfzehn Etiketten seit 10.01 angeschossen, noch zwei Stunden und zweiundzwanzig Minuten bis mittag mal Eiketten..nur noch zweihundertsechsundsechzig. Ob ich einen Rekord breche?
Um Mittag rum überlege ich meist, ob ich mich in die Bügelmaschine schmeiße oder einfach den Kopf schräg lege und aus dem Mundwinkel speichel. Wäre hoffentlich Hilfeschrei genug, ich möchte mir nur ungerne die Pulsadern aufschneiden.
15.13 WAs könnte man machen, um als krank gewertet und nach Hause geschickt zu werden?
15.16 Ob ich mal kurz die Aufträge könnte? Ja ich könnte mal kurz die Aufträge. Verbrennen. Draufpinkeln. Aus dem Fenster werfen.
Ich gebe also Aufträge ein, die nicht meine sind.
16.30 Feierabend.
16.31 ich gebe meine Aufträge ein. Sie können nicht bis morgen liegen bleiben.
17.44 Der Pförtner ist schon weg. Ich gehe durch, stempel und steige in mein Auto.
Stelle an der dritten Ampel fest, dass ich mein Gehirn vergessen habe. Dauerzustand, werd es am besten dort liegen lassen. Kanns ja für den Urlaub dort abholen. DA kommt es wenigstens nicht weg, brauch in dem Laden ja keiner.
Stelle fest, dass ich die Schnauze voll habe.
Stelle fest, dass Jacken nicht mein Leben sind.
Stelle fest, das Schmidt hinter mir im Auto sitzt und mich angafft. Überlege, was ich machen soll.
Ich werde morgen kündigen fällt mir ein. Ganz einfach. Raus aus dem Laden.
Ich könnte auch Schmidt vögeln, es wird 'ne Stelle im Sekretariat bei ihm frei. Schmidt grinst immer noch.
Ich könnte auch ne Bombe legen.
Ich nehme mein Leben einfach selbst in die Hand, ich bin eine starke Frau. Jetzt grinse ich. Das mit dem Vögeln entscheide ich morgen, ja, falls er nicht nach Rauch stinkt und den Sonntagsduft aufgelegt hat.
Ich komme nach Hause und entleere grinsend den Briefkasten. Reiße den Schrieb auf, in dem meine Gehaltserhöhung steckt und plane einen Autokauf (die Möhre machts nicht mehr lange).
Ich lasse mir nicht mehr auf dem Kopf rumtrampeln, ich bin wer. Ich bin wer und lese:
Kündigung.