Bürger Adrian Bray
Bürger Adrian Bray
New York Megaplex, 2115.219
Ein sanfter aber dennoch bestimmender Ton weckte Adrian aus seinem tiefen Schlaf.
„Guten Morgen Bürger Adrian Bray. Es ist 06:15 Uhr. Ihr Arbeitszyklus beginnt in einer Stunde. Sie wollten geweckt werden.“ ertönte es aus dem Nichts. „Ahhhh“ seufzte Adrian „Ich will nicht um diese Zeit geweckt werden, die Firma will es so!“.
Seine Augen gewöhnten sich nur langsam an das grelle LED-Licht im Badezimmer. Neben seinem noch langsam erwachenden Gesicht auf dem überdimensionalen Spiegel flackerten die aktuellen Börsenkurse. „Ihr Produktivitätsindex liegt bei 7.6. Er ist im letzten Quartal um 0.2 Punkte gesunken. Ihr Vorgesetzter wird sich heute mit Ihnen in Verbindung setzen“. „Diesen Rückgang habe ich diesem verdammten Widerstand zu verdanken.“ sprach Adrian zu sich selber „aber die Leitung will ja nichts von dem alledem wissen“.
20 Minuten später verliess Adrian das ihm von der Janus Corporation zugeteilte Habitat. An den Spitzen der glasigen Hochhäuser war das Auftauchen der Sonne zu erkennen. Der Himmel war wolkenlos und auf den fernen Skyways hoch über New York Megaplex war emsiger Lifter-Verkehr zu erkennen. Adrian wurde an diesem wunderschönen Frühlingsmorgen nur von den wild flackernden gigantischen Werbedisplays an den Häuserfassaden abgelenkt.
An der Haltestelle warteten bereits viele Menschen auf den öffentlichen Lifter um in die Produktionszentren ausserhalb der Wohnsektoren gebracht zu werden.
„Wie eine Herde Tiere“ dachte sich Adrian als er sich zu den Dutzenden anderen Pendler stellte und auf den Lifter wartete. Auf dem gegenüberliegenden Display liefen die neuesten Nachrichten: „Rhein-Ruhr Megaplex. Der CPA konnte gestern Abend ein Shuttle mit vier Mutanten beim Versuch illegal die Erde zu betreten aufbringen. Sie wurden umgehend in Haft gesetzt und werden noch heute zur Genbehandlung wieder zurück auf den Mars geschickt. - Moskau. Mit einer grossangelegten Aktion versuchte der Widerstand gestern Abend ein Logistikzentrum der Venar Corporation zu stürmen. Unsere heldenhaften Sicherheitskräfte konnten unter tatkräftiger Unterstützung des Enforcers diesen feigen Angriff...“, „Ich mag diesen Kerl nicht“ erklang es neben Adrian. „Ähh, wie bitte?“ wandte er sich fragend zu der kleinen grauhaarigen Dame neben sich zu. „Ich mag diesen Enforcer nicht. Er lächelt niemals.“
Adrian runzelte die Stirn und wollte gerade antworten als die kleine grauhaarige Dame in den öffentlichen Lifter einstieg. Adrian hatte den schier lautlosen Levyantrieb des Gefährts nicht wahrgenommen. Im Gleichschritt mit der Masse bewegte er sich in den Lifter und stelle sich an eine der zahlreichen Haltestangen für die weniger Glücklichen ohne Sitzplatz. Ohne spürbare Wirkung auf die Pendler hob das Fahrzeug wieder ab.
Die Dauerberieselung mit Werbung während den Fahrten in die Produktionssektoren nahm er gar nicht mehr wahr. Er betrachtete die noch alte Dame welche auf der anderen Seite einen der wenigen freien Plätze ergattert hatte und redete ins sich selber hinein:„Tsss, er lächelt niemals. Was für ein Mist. Wie soll man das sehen bei diesem Helm. Und überhaupt. Superhelden lachen nicht“ ...
Die Detonation muss ziemlich stark gewesen sein welche den hinteren Teil des Lifters abgerissen hatte. Adrian konnte sich nur mit Mühe an seiner Haltestange festhalten. Der Sog hatte bereits mehrere Pendler aus dem hinteren offenen Bereich gezogen.
Aus den nicht mehr vorhandenen Fensterscheiben konnte Adrian die vertikal vorbeiziehenden Fronten der Hochhäuser sehen. Der Lifter schien wie ein Stein vom Himmel zu fallen. Das Geschrei um sich herum konnte er nicht wahrnehmen, das Pfeifen in den Ohren war allgegenwärtig. Und inmitten des gesamten Chaos blieb Adrian merkwürdig ruhig. Die umgreifende Panik konnte ihm nichts anhaben. Wie angewurzelt hielt er sich weiterhin an seiner Stange fest und sah den immer grösser werdenden Boden näher kommen. Der Schock muss zu gross gewesen sein.
„Gleich ist es soweit“ dachte er noch als einige Meter über dem Boden der Lifter plötzlich zum Stillstand kam und sanft auf dem Boden aufsetzte. Das langsam wiederkommende Gehör vernahm noch das abklingen der Schreie bis es plötzlich totenstill war. Die Verwirrung der Leute über das Geschehene legte sich über die bis vor kurzem noch allgegenwärtige Panik.
Die dumpfen langsamen Schritte unter der schweren Hightech-Rüstung hallten durch das gesamte Gefährt. Der Überbleibsel von Metallkäfig schien eine merkwürdige Klangresonanz entwickelt zu haben. „Jeder der noch laufen kann, sofort raus!“ erklang es in einer maschinellen verzerrten Stimme. "Der Enforcer! Er hatte uns gerettet!"
Adrian half noch einer Überlebenden vor ihm auf die Beine ehe er das Frack verliess. Draussen bewegte er sich auf einen bei einem nahe liegenden Brunnen gebildeten Haufen Überlebender zu und setzte dazwischen. Sichtlich mitgenommen konnte er zusehen wie der Enforcer weitere Leute aus dem Frack barg. Nun endlich trafen auch die anderen Rettungskräfte ein.
Adrian hatte den Enforcer noch nie live in Aktion gesehen. Bisher nur in den zahlreichen Übertragungen auf dem GlobalNet bei seinen Aktionen gegen den Widerstand.
Adrian warf einen Blick in die Runde der Überlebenden und erkannte die kleine grauhaarige Dame wieder. Sie schien sichtlich schockiert und blickte ohne zu blinzeln ins Leere hinein. Ein Rettungssanitärer beugte sich gerade über sie um die klaffende Platzwunde am Kopf zu versorgen.
„Der Widerstand. Diese Schweine! Die waren es!“ war die einhellige Meinung innerhalb der Runde. Adrian runzelte ein wenig die Stirn und dachte noch „wieso sollte der Widerstand Anschläge auf Zivilisten verüben? Bisher hatten sie es doch nur auf militärische Ziele abgesehen“. Ein Rettungssanitäter bewegte sich auf Adrian zu „können sie laufen?“, „Ja, kann ich“ erwiderte Adrian. „Dann gehen sie bitte zu den Beamten dort drüben. Sie wird ihre Daten scannen“. Adrian erhob sich auf seine wackeligen Beine als er plötzlich einen brennenden Schmerz wie durch einen Blitzschlag im Kopf verspürte. Der Schwindel nahm überhand alles um ihn herum verschwamm zu einem einzigen Unerkenntlichen. „Wo ist der blaue Himmel hin?“ war sein erster Gedanke als der Schmerz langsam nachliess. Der Vogel-Sing-Sang war vollkommen verstummt und aus den glasigen Hochhäusern war nichts mehr weiter übrig als graue Betonklötze.
Adrian wurde langsam klar dass sein Krrona-Chip durch die ganzen Umstände eine Fehlfunktion haben musste. „So sieht also die Wirklichkeit aus ohne die Simulation. Genau so wie es mir meine Eltern damals erzählt haben.“ „Bürger! Alles in Ordnung?“ der schwergepanzerte Polizist stand direkt vor Adrian „Bürger!“ Adrian starrte nur ungläubig in die Gegend. Er dachte an die Erzählungen seiner Eltern über den grauen Himmel aus schweren Regenwolken und Abgasen aus den Müllverbrennungszentren ausserhalb des Megaplex und wie sie nun Wirklichkeit geworden sind. Er konnte es immer noch nicht fassen bis ihn das piepende Geräusch des Neuroscanners in der Hand des ihm gegenüberstehenden Polizisten aus seinem Stauen riss. „Ihr Chip hat ein Defekt. Mitkommen!“ erklang es in einem befehlsartigen Ton. „Wohin gehen wir?“ „Sie müssen rekalibriert werden.“
ENDE
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Geschichten aus dem Krrona-Universum.