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Böse Menschen haben keine Lieder...?
Wo man singt, da laß dich ruhig nieder.
Böse Menschen haben keine Lieder...?
Dünner, blauer Nebel zog durch den Saal, sachte berührt von den wenigen, die sich zu dem verhaltenen Hämmern der disharmonischen Rhythmen bewegten, die aus den Lautsprechern von der leeren Bühne plärrten.
Nach und nach füllte sich der Raum der alten Dorfkneipe. Bier gab es in Flaschen am Eingang. Sie stießen an und kippten auf ex. Freunde begrüßten sich in rauher Umarmung und brüllten Grüße. Kahl geschorene Schädel neben kurzgeschnittenem, korrekt gescheiteltem Haar.
Bald wurde es eng im Raum. Stiefel wippten zum Takt. Kehliges Stimmengewirr.
Die Pausenmusik verklang..
Wie auf ein Zeichen schwoll das Raunen der Menge an. Klatschen, Stampfen, wilde Rufe erfüllten den Raum.
Die Musiker betraten die kleine Bühne, Arme zum Gruß erhoben.
“Heil Kameraden”, brüllte der Sänger fordernd in die Menge.
“Heil”, kam es aus über hundert rauher Kehlen zurück. Hakenkreuze grüßten Runen, dämonische Fratzen und Fahnen. Tätowierte Körper, gezeichnete, kahle Schädel.
Der Schlagzeuger gab gnadenlos den Rhythmus vor. Baß und Gitarre stiegen ein und ließen den Saal beben. Die begeisterte Menge wippte und sprang im Takt.
Drohend schwang der Sänger Mikrophon und Ständer über die Köpfe der Fans und schrie ihnen seine Botschaft zu:
“Deutschland, du bist unser!” Begleitet von einem kreischenden Gitarrenstakkato.
“Wir wischen das fremde Blut!”
Die Menge spürte den Bass körperlich. Sie sprangen, kreischten. Wilde Rangeleien als Zeichen der Macht. Sie sangen mit. Sie kannten den Text. “Wir säubern das Land!”
Die rauchgeschwängerte Luft zuckte bei jedem Schlag der Trommeln, wurde verwirbelt von Massen emporgereckter Hände.
Irgendwo schwenkte Satan den Taktstock. Ein Bild, geschaffen von der Hölle.
Mit stampfenden Tritten seiner schweren Stiefel wirbelte der Frontmann über die Bühne.
Er exerzierte vor dem Mob. Im Rhythmus der kreischenden Instrumente brüllte er seinen Haß in die Menge, die seine Worte aufsaugte und im Chor wiederholte.
Er drohte, lockte, beugte sich weit vor, ergriff die entgegengereckten Hände.
Plötzlich ruderte er mit den Armen. Er versuchte das Gleichgewicht zu halten. Die Stiefel glitten weg, hart schlug er auf die Kante der Bühne und stürzte auf den Saalboden.
Sie hielten den Sturz zunächst für einen Gag und erwarteten, daß er gleich wieder aufspringen würde um die Menge weiter aufzuheizen.
Die Musik klang noch ein paar Takte weiter.
Als erstes brach die Gitarre ab, dann Baß und Schlagzeug.
Sie legten ihre Instrumente zur Seite und sprangen zu ihrem Kumpel herunter.
Im Saal ging wildes Gebrüll los. “Deutschland braucht harte Kerle!” Enttäuschtes Keifen.
“Weitermachen!”
Zwei Musiker halfen ihrem Sänger auf. Sie hakten ihn unter und geleiteten ihn vorsichtig an der Bühne vorbei in einen hinteren Raum. Der Schlagzeuger sprang wieder auf die Bühne und nahm das Mikrofon. “Leute, wir kommen gleich wieder.” Die Stimme aus den Lautsprechern verschmolz mit dem Pfeifen und Brüllen der Menge. Breitbeinig stand er vor ihnen. “Wir sind deutsche Musiker und ihr seid deutsche Fans!” Die Zuhörer antworteten: “Deutschland ist unser! Deutschland ist unser!” Ein Chor, der immer mehr anschwoll und die Kraft der Lautsprecher zu übertönen drohte.
Der Musiker reckte die Hand zum Gruß, die Menge tat es ihm gleich und dann folgte er, vom Grölen des Publikums begleitet, seinen Freunden.
Der Raum war eigentlich keine richtige Garderobe, eher ein kleiner schmutziger Abstellraum, in dem man Kisten und Säcke übereinandergestapelt hatte, um Platz für einen alten Tisch zu schaffen. Auf zwei der ebenso schäbigen Stühle ließen sich Gitarrist und Bassmann nieder, die Beine lang von sich gestreckt. Der aufsteigende Qualm ihrer Zigaretten zog durch den Raum und begann, es der schwachen Glühlampe an der Decke schwer zu machen, den Raum zu beleuchten.
An der Wand, halb vom Tisch beschattet und mit einem weichen Sack im Rücken kauerte der Sänger am Boden.
Der Schlagzeuger zog die Tür hinter sich zu und das infernale Brüllen und Schreien wurde zu einem auf- und abschwellenden Brummen gedämpft.
„Was is` nu mit dir?“ Mit drei Schritten war er bei seinem Kollegen und kniete nieder.
„Er is` gleich wieder fit.“ Der Gitarrist schob einen Fuß herüber und berührte seinen Kumpel nur leicht. Mit einem Stöhnen griff der sich an die Seite. „Paß doch auf, du Arsch! Das tut verdammt weh!“
„Was is` jetzt? Ich hab draußen gesagt, daß wir gleich wiederkommen.“ Der Schlagzeuger hatte sich wieder aufgerichtet und stand breitbeinig vor dem Mann am Boden. Der Klang seiner tiefen Stimme machte die Frage zu einer Aufforderung.
„Gib mir fünf Minuten, dann komm` ich wieder hoch.“
„Was hast du dir eigentlich getan?“ Der Bassmann beugte sich leicht herüber. Auf seinem kahlen Schädel spiegelte sich das Licht der Lampe.
„Ich hab mir an der Bühnenkante die Seite gestoßen und dann am Boden wohl den Fuß verknackst.“ Wie zur Bestätigung griff er sich jeweils an die genannten Stellen, wobei er schmerzhaft das Gesicht verzog, als er sich zu seinem Knöchel beugte.
Die tätowierten Fratzen auf seinen nackten Armen grinsten hämisch.
Der Schlagzeuger nahm sich den dritten Stuhl, setzte sich verkehrt herum und ließ seinen Oberkörper gegen die Lehne fallen. „Und wenn du nicht fit wirst? Dann reißen die da draußen uns die Ärsche auf.“ Mit einer Handbewegung deutete er zur Tür, durch die gedämpft, aber vernehmlich die lauten Stimmen der Leute zu hören waren.
Der Bassmann richtete sich auf und sah sich im Raum um. Es gab keine zweite Tür, durch die sie unauffällig hätten verschwinden können. Im Raum herrsche einen Moment Stille, untermalt vom Getöse und Gesang aus dem Saal. Wortfetzen wie Deutschland, Rasse und stark, drängten herein.
„Ich ruf einen Arzt an.“ Der Schlagzeuger griff an seinen Gürtel und zog ein Handy aus der Tasche. „Der kann dir `ne Spritze geben und deinen Knöchel verbinden und die Sache geht weiter.“
Der Sänger richtete sich auf und biß sichtbar die Zähne zusammen. „Da muß man doch in der Krankenkasse sein oder sowas. Ich weiß nicht, ob mein Alter sowas hat.“
„Kann dir doch scheißegal sein.“ Die Männer lachten. „Erste Hilfe muß der auf alle Fälle leisten.“
Über die Auskunft wurde er weitergeleitet und die Zentrale für Notärzte hatte den Anruf bald entgegengenommen und versprochen, daß so schnell wie möglich ein Arzt kommen würde.
„Dreh mir mal einer `ne Zigarette.“ Der Sänger versuchte, sich etwas aufzurichten, doch ein heftiger Schmerz ließ ihn wieder zurücksinken. Bald darauf fing er eine Zigarette auf. Ein Feuerzeug flog hinterher, verfehlte die Hand und traf die angestoßene Seite des Mannes. Der stöhnte auf: „Wenn ich wieder fit bin, hau ich dir eins in die Fresse.“
„Stell dich nicht so an. Du jammerst hier rum, wie ein verdammter Kanake.“ Der Gitarrist zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. Bald zog noch dichterer Qualm durch den engen Raum. Die Kippen flogen auf den Boden und mit der Zeit, die verstrich, wurden es mehr.
Sie hingen ihren Gedanken nach und warteten. Hin und wieder wurden im Saal die Rufe lauter und dann und wann erschollen Pfiffe.
„Wann kommt denn dieser verdammte Arzt?“ Die Stimme des Verletzten klang gequält. „Wir warten doch bestimmt schon eine halbe Stunde.“
„Du bist bescheuert, Alter. Vor gut zehn Minuten habe ich telefoniert. Der kommt schon.“ Der Schlagzeuger zündete sich wieder eine Zigarette an und streckte die Beine aus. Vom Saal drangen immer noch Stimmen herüber. Die Pfiffe wurden mehr.
Mit jeder Minute, die verging, stieg die Nervosität im Raum.
„Mir geht es schlechter, kannst du nicht noch mal anrufen, daß die sich beeilen sollen?
Wortlos nahm der Schlagzeuger das Handy aus der Tasche und wählte erneut.
Es dauerte eine Weile, bis die Verbindung zustandekam. In schroffem Ton erkundigte er sich nach dem Arzt.
“Ich will nicht wissen, was der alles zu tun hat, ich will wissen, wann der hier ist.“
Draußen im Saal wurden die Stimmen wieder lauter. „Wenn der unterwegs ist, müßte er ja langsam mal hier sein. Ruf den Typen gefälligst noch mal an, sonst kannst du was erleben.“ Mit einer wütenden Geste unterbrach er die Verbindung und schob das Telefon in die Tasche zurück.
„Was is` nu?“ wollte der Bassist wissen. Er schaute zum Sänger herunter, der schwer und gepreßt atmete. Schweiß stand ihm auf der Stirn.
„Is unterwegs.“ Schnauzte der Schlagzeuger kurz, sprang auf, daß der Stuhl zur Seite flog, schob wütend seine Daumen hinter die Hosenträger und schlenderte um den Tisch herum.
„Da war so eine dreckige Türkentussi oder sowas am Telefon.“ Ein leerer Karton bekam einen Tritt mit dem Stiefel und kippte auf die Seite. „Wenn wir hier fertig sind werde ich dieser Schlampe mal einen Besuch abstatten.“ Brüllte er und gab dem Karton erneut einen Tritt, daß er gegen die Tür flog.
Die Minuten verstrichen und der blaue Dunst im Raum wurde dichter.
Abwechselnd fluchten sie über den Arzt und schworen ihm alle möglichen Verwünschungen an den Hals.
Die Atmung des Sängers wurde zusehends verkrampfter, Schweiß stand auf dem blassen Gesicht.
„Wenn der Arzt nicht bald kommt.....“ Ein heftiger Schmerz verschluckte den Rest des Satzes.
Seine Kollegen schwiegen.
Plötzlich meldete sich der Gitarrist. „Hört ihr was?“ Er hatte eine Hand gehoben, als wolle er auf ein besonderes Geräusch hinweisen. Auch die anderen lauschten.
„Was sollen wir hören?“ Brummte der Schlagzeuger.
„Nichts. Es gibt eben nichts zu hören.“ Der Gitarrist schaute mit großen Augen in die Runde.
„Vorhin war noch jede Menge Lärm im Saal. Jetzt ist da nichts mehr.“
„Stimmt.“ Der Bassmann ging auf die Tür zu. Langsam drückte er die Klinke herunter und zog sie einen Spalt auf.
Noch bevor er in den Saal spähen konnte, wurde er von einem gewaltigen Ruck zurück in den Raum geworfen. Mit einem Krachen flog die Tür ganz auf und Polizisten mit Schlagstöcken und Helmen stürmten den Raum. Schreie erfüllten die kleine Kammer. Befehle wurden gerufen. Die Musiker sprangen auf und wurden brutal an die Wände gedrängt.
„Was ist mit dem dort in der Ecke?“ „Der ist wohl krank. Sieht nicht gut aus.“
Der Schlagzeuger meldete sich unter den Griffen der Beamten. „Seid vorsichtig, der ist verletzt. Wir warten auf den Notarzt.“
Ein Beamter kniete neben dem Sänger nieder, untersuchte ihn flüchtig und richtete sich wieder auf.
„Der braucht keinen Arzt mehr.“
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Tageszeitung:
Am Rande eines Konzertes einer rechtsradikalen Musikgruppe kam es in den Abendstunden zu einem tragischen Zwischenfall.
Aufgeheizte Konzertbesucher hatten in dem Veranstaltungslokal einen südländisch aussehenden Mann angegriffen und schwer verletzt.
Die herbeigerufene Polizei identifizierte das Opfer als einen aus Ägypten stammenden Arzt, der zu eben diesem Lokal zu einem Notfall gerufen war.
Während des Konzertes hatte sich ein Musiker bei einem Sturz von der Bühne schwere innere Verletzungen zugezogen und verstarb aufgrund fehlender ärztlicher Hilfe noch vor Ort.