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AUTObiographie
AUTObiographie
Mein Name ist Ford Fiesta. Nein, Sie kennen mich nicht persönlich. Es mag wohl sein, daß sie mich schon mal auf der Straße gesehen haben, aber das tut eigentlich nichts zur Sache.
Bevor mir auf brutale Weise mein Leben ausgehaucht wird, möchte ich Ihnen meine Lebensgeschichte erzählen. Wie? Das interessiert Sie nicht? Nun, das wiederum interessiert mich nicht, denn ich mache das einzig und allein für mich. So viele Dinge sollten einmal gesagt werden und ich werde das jetzt tun.
Vor nunmehr fast 16 Jahre bin ich dem Fließband entsprungen oder wie Ihr Benutzer es ausdrückt, wurde ich geboren. Ich war wunderschön. Ja, ich traue es mich zu sagen, mag es auch noch so arrogant klingen. Wenn sich die Sonne auf meiner silbernen Karosserie spiegelte, konnte kaum jemand den Blick von mir wenden. Natürlich genoß ich diese Blicke und Sie können sich vorstellen, wie erfreut ich war, als ich zum ersten Mal die zarten Hände meines ersten Besitzers auf mir spürte. Ein junger Bursche von gerade 18 Lenzen. Ich war ein Geschenk, sein Geschenk zur bestandenen Führerscheinprüfung. Niemals werde ich das Leuchten in seinen Augen vergessen als er mich sah. Oh, und er war so erfreut, daß er mir spontan einen Kuß auf die Motorhaube gab. Das konnte ja nur eine wundervolle Beziehung zwischen uns werden. Sie fragen sich, wie ein Auto so erregt sein kann? Ach ja, ich vergaß wohl zu erwähnen, daß es sich bei mir um eine weibliche Erscheinung handelt. Wie? Sie dachten, Autos hätten kein Geschlecht? Und wenn, dann müßten sie auf jeden Fall männlich sein? Das war mir klar, so dumm können wirklich nur Benutzer sein. Ihr mit all Euren Vorurteilen, Eurer zum Himmel stinkenden Überheblichkeit.
Doch kommen wir wieder zum Wesentlichen. Mein erster Besitzer nahm mich also 1987 mit nach Hause. Ich bekam allerdings kein wirkliches Zuhause, ich mußte auf der Straße vor dem Haus stehen. In der Garage stand natürlich, wie sollte es anders sein, der Mercedes vom Vater meines Besitzers. Auch wenn ich es nur ungern zugebe, muß ich doch gestehen, daß es mich sehr verletzt hat, daß ich, wo ich doch noch so neu und glänzend war, bei jedem Mistwetter im Freien stehen mußte. Die Sonne brannte und heizte mich auf, so daß mir ganz schwindelig wurde, der Regen und der Frost knabberten an meinem Lack und an meiner Karosserie. Vom Hagel, der mir so unbeschreiblich weh getan hat, will ich gar nicht erst anfangen.
Dennoch war ich auch glücklich, mit diesem jungen Burschen durch die Gegend fahren zu dürfen. Wie stolz er auf mich war. Er zeigte mich all seinen Freunden und manchmal nahm er auch ein paar Mädel mit. Naja, auf die hätte ich gerne verzichtet. Für die war doch das Wichtigste an mir mein Spiegel, damit sie sich Farbe ins Gesicht schmieren konnten. Wie gerne hätte ich denen gesagt, daß manchmal weniger mehr ist.
Die glückliche Zeit hielt nicht lange an. Immer öfter fuhr dieser Bursche viel zu schnell mit mir. Er machte Wettrennen an den Ampeln der Stadt mit mir. Meine Reifen taten mir weh, von einem Profil konnte schon fast nicht mehr die Rede sein.
Am schlimmsten waren aber die Tage, an denen ich roch, daß er fremdgegangen war. Das hat meine Gefühle sehr verletzt. Sie wissen nicht, was ich meine? Er hat den Mercedes seines Vaters statt mich genommen. Wie Graf Koks saß er dann in diesem protzigem Auto. Im Vorbeifahren schleuderte der Mercedes ein dreckiges Lachen an meine Karosserie.
Doch auch betrogenen Gefährte wie ich haben eine Möglichkeit, den Benutzer zu strafen. Immer dann, wenn er mich so übel hintergangen hatte, hielt ich es am nächsten Morgen nicht für nötig anzuspringen. Natürlich immer dann, wenn er es besonders eilig hatte, zu Klausuren mußte oder eine wichtige Verabredung hatte. Leider ließ der Bursche dann seiner Aggressivität freien Lauf und trat auf mich ein.
Unser Zusammenspiel hatte dann im Winter 1988 ein jähes Ende. Wir kamen gerade von einer Disko und er hatte wie so oft etwas getrunken, war nicht angeschnallt und vom langsamen Fahren bei Glatteis hatte dieser dumme Bengel scheinbar auch noch nichts gehört. In einer Kurve verlor ich die Haftung zum Boden. War ja mit abgefahrenen Sommerreifen auch nicht anders zu erwarten. Mit 60 km/h prallten wir gegen einen Baum.
Ich habe keine Ahnung, was aus meinem Besitzer geworden ist. Nachdem ich, kaputt wie ich war und voller Schmerz, eine eiskalte Nacht lang am Straßenrand stand, schleppte man mich in eine Werkstatt.
Die Herren dort gaben sich wirklich große Mühe. Ich mochte es, Ihre groben Finger an, auf und ja, auch in mir zu spüren. Sie waren echt gut. Liebevoll klopften sie meine Beulen aus, gaben mir einige neue Innenteile und als ich dann auch noch einen neuen Lack bekam, war ich so glücklich wie lange nicht mehr.
Bereits einen Monat nach dem Unfall hatte ich einen neuen Benutzer, besser eine Benutzerin. Die Dame war fast 70 Jahre alt und ich hätte mir das lieber erspart. Was mein früherer Benutzer zu schnell mit mir gefahren ist, fuhr sie zu langsam. Vorfahrtsregeln hielt sie scheinbar nur für Hinweise, die man ja ignorieren konnte. Sie fuhr nach der Philosophie: Alter geht vor Schönheit. Ganz prima.
Gottlob, ja auch wir Fahrzeuge glauben an ein höheres Wesen, das alles leitet und lenkt, gottlob, nutze mich die blauhaarige Omi nicht so oft und von 1990 bis 1994 stand ich in der Garage und rostete vor mich hin. Es war eine schrecklich Zeit. Das Leben lief an mir vorbei, Dunkelheit umschloß mich tagein tagaus. Ich hatte sämtliche Orientierung verloren und dämmerte vor mich hin.
Eines Tages dann öffnete sich das Garagentor und ein Mann stand da, umgeben von einem Kranz aus Sonnenstrahlen. Mein Held, mein Retter, der mich aus der Dunkelheit erlösen würde. Glaubte ich. Nun, in einem gewissen Sinne tat er das ja auch. Er verkaufte mich an eine Frau so um die Dreißig. So sehr ich mir auch die Freiheit gewünscht hatte – das war nicht mein Plan. Es gibt wohl nichts Schlimmeres, als eine Frau mit zwei kleinen Kindern. Als hätte es nicht gereicht, daß diese Weib genauso viel Ahnung vom Fahren hatte, wie die Oma zuvor, nein, zwei Bälger, die mir ständig die Sitze beschmierten. Einmal hat das eine Gör sogar gekotzt. Ich sah aus, Sie können es sich kaum vorstellen. Und wie ich mir erst fühlte – unverstanden, besudelt, verschandelt. Von meinem einst blendendem Aussehen war nahezu nichts übrig geblieben. Keine Stelle an meinem Körper, die nicht eine Delle oder Beule oder Lack- oder Rostschäden aufzuweisen hatte.
Was glauben Sie, wie oft ich in den drei Jahren in den Genuß einer Wäsche kam? Halten Sie sich fest! Ein einziges Mal. Ein verdammtes einziges Mal. Ich stank. Mir stank es, und zwar gewaltig. Damals kam ich zu der Überzeugung, daß es vielleicht keine so gute Idee ist, wenn alle Frauen das Recht haben, den Führerschein zu machen. Aber das liegt wohl nicht in meiner Hand.
Lange Rede kurzer Sinn, ich war nicht gerade traurig, als ich dann irgendwann nicht mehr mißbraucht wurde. Madame hatte sich einen neuen Mann geangelt, einen, der einen BMW fuhr. Wieder mal von einem Protzerauto überboten. Aber egal, wenigstens wurde jetzt ein toller BMW von den Gören vollgeschmiert, das gab mir eine ziemliche Genugtuung. Ja, ich bin ganz schön gehässig, ich weiß.
Die nächste Zeit war dann sehr schön, ich habe sie sehr genossen. Ein junges Paar kaufte mich. Es war so süß, sie waren so verliebt, schwebten auf einer rosa Wolke. Sie liebten mich, denn ich war ihre erste gemeinsame Anschaffung. Der Mann kümmerte sich reizend um mich und auch die junge Frau behandelte mich sehr zuvorkommend. Wenn ich mal aufgrund meines Alters nicht mehr so konnte, wie ich wollte, redete sie mir liebevoll zu, streichelte mich ein wenig und dann kam ich in Fahrt. Wir machten Ausflüge in die nähere Umgebung. Ich mochte es, wenn sie mich an einem Waldweg abstellten und ihrer Wege gingen und ich das Rauschen der Bäume, das Zwitschern der Vögel genießen konnte.
Auf meine alten Tage durfte ich dann sogar noch erleben, wie es ist, wenn in einem Sex gemacht wird. Das erste Mal werde ich nie vergessen. Eigentlich begann alles wie sonst auch, wenn wir einen Ausflug machten. Wir fuhren gemütlich so um die 50 km in eine ländliche Gegend. Ich merkte sehr wohl, daß meine süße Benutzerin ihre Finger nicht von ihrem Liebsten lassen konnte. Einmal wären wir beinahe von der Straße abgekommen. Dann fuhren wir auf einem Waldweg ziemlich tief in den Wald hinein. Als mein Motor ausgestellt wurde, erwartete ich natürlich, daß die beiden aussteigen würden. Aber weit gefehlt, eine wilde Knutscherei fing an, die beiden fingen an, sich gegenseitig auszuziehen. Die Luft war aufgeheizt von Erregung, meine Scheiben waren beschlagen und ich quietschte vor lauter Freude mit. Sie werden verstehen, daß ich an dieser Stelle nicht weiter ins Detail gehe, obwohl es mir viel Spaß gemacht hat, mit diesem Erlebnis auf einem Parkplatz vor einem BMW zu protzen. Zusammen mit einem Trabant, der noch mehr solcher Geschichten auf Lager hatte, machte ich mich über die Familienkutschen lustig, die so etwas wohl nie erleben würden. Ja, so ist das wohl, nicht immer ist man besser dran, wenn man groß und protzig und fern vom wahren Leben ist.
Doch eines Tages geschah etwas Schreckliches. Meine beiden Benutzer hatten einen fürchterlichen Streit wegen einer belanglosen Sache. Danach war nichts mehr wie es vorher war. Kaum noch ein Ausflug, der nicht im Streit endete. An Sex in mir war auch nicht mehr zu denken und auch der liebevolle Umgang mit mir war vorbei.
Leider mußte ich dann auch noch miterleben, wie der junge Mann eine andere Frau nach Hause brachte und er küßte sie – in mir. Nein, das konnte nicht sein, ich war tief erschüttert. So wollte ich nicht mehr weitermachen. Wie konnte er das nur tun, mir so etwas antun. Aber so seid Ihr Benutzer, Ihr interessiert Euch nicht für die Dinge, die Ihr benutzt. Hauptsache wir funktionieren.
Nach diesem schrecklichen Erlebnis gab ich einfach auf, konnte nicht mehr. Die beiden hatten auch keine Ambitionen, mich noch einmal reparieren zu lassen. Sie hatten beschlossen, sich zu trennen und somit war ich, als Teil ihrer Vergangenheit, einfach nur noch unerwünscht, überflüssig, nutzlos.
Ein einziger kleiner Trost war mir nur, daß die junge Frau, als sie mich zum Schrottplatz brachte, Tränen in den Augen hatte und mich noch einmal streichelte. Ich weiß, sie ließ mit mir ihre Vergangenheit zurück, für immer.
Und jetzt, jetzt warte ich hier, daß man mir die Reifen vom Leib zieht, daß man mich ausschlachtet und mich zu einem kleinen Würfel preßt. Ja, ich weiß genau, wie das alles abläuft.
Mein Leben war bei weitem nicht so toll, wie ich es erhofft hatte und nun ist es auch schon vorbei.
Wenn Ihr Benutzer doch nur endlich begreifen würdet, daß wir Autos im Grunde wie Frauen sind. Wir wollen nur ein wenig Aufmerksamkeit, Zuneigung, ein klein wenig Pflege und ab und an ein paar Streicheleinheiten. Aber das werdet ihr wohl nie verstehen, vorher friert die Hölle zu...