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Auswirkung der Persönlichkeit des Autors auf die Wahrnehmung eines Textes

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28.11.2005
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Auswirkung der Persönlichkeit des Autors auf die Wahrnehmung eines Textes

Hallo,

Ich frage mich seit einiger Zeit, wie stark das Wirken einer Erzählung von der Persönlichkeit ihres Autors abhängt.

In der Musik oder der bildenden Kunst gibt es oft Werke, die durch die Persönlichkeit ihres "Erschaffers" dazugewinnen oder gar von ihr abhängig sind.
Bekannte Beispiele hierfür: Jimi Hendrix bzw. Jackson Pollock

Es gibt Schriftsteller, wie etwas Georges Simenon, die einen nach einem Satz oder Absatz in ihre Welt entführen und intensive Leseerlebnisse schaffen, während andere trotz interessanter Thematik und soliden Schreibstils nicht dazu fähig sind.

Inwieweit denkt ihr, macht es für das Leseerlebnis einen Unterschied, ob der Autor ein und derselben Geschichte nun ein asthmatischer, allergiegeplagter Briefmarkensammler oder ein cholerischer, alkoholkranker Lebemann wäre?

 
Zuletzt bearbeitet:

Hast du Angst, nicht die richtige Persönlichkeit für einen Autor zu haben? :D

Du meinst, wenn ich das richtig verstehe, nicht die intellektuellen Fähigkeiten eines Autors, wie es zum Beispiel Menschenkenntnis oder Ausdrucksvermögen sind, sondern das Temperament.

Dieses ist genauso entscheidend wie der Verstand des Autors. Wer mit den Mitteln der Sprache ein emotionales Feuerwerk entfachen will, muss selbst über die Fähigkeit intensiven Erlebens verfügen. Und ebenso über eine natürliche Neigung, intensive Erlebnisse zu suchen.
Das bedeutet natürlich noch nicht, dass er das auch in Worte fassen kann. Aber wer selbst Emotionen nur flach erlebt, wird für intensive Erlebnisse nicht die passenden Worte finden. Mark Twain hat einmal gesagt: „Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen Wort ist derselbe Unterschied wie zwischen dem Blitz und einem Glühwürmchen.“ Zitat aus der Kreativwerkstatt, Thread "Aufgaben und Übungen", 1. Post. ;)

Man darf natürlich nicht vergessen, dass Intensität nicht die Stärke eines Buches sein muss, um wirklich gut zu sein. Für originell-humorvolle Plots zum Beispiel sollte der Autor selbst einen Eulenspiegel in sich haben, den er dann auf Papier ausleben kann.

Allerdings bin ich nicht unbedingt der größte Kenner der Weltliteratur und kenne nicht genügend Autorenbiographien, um die Kausalität mit Sicherheit beweisen zu können. Ich denke aber, Autoren, die ihr Arbeitszimmer kaum verlassen, werden kaum fähig sein, Intensität in ihre Texte zu legen.

 

Miller schrieb:
In der Musik oder der bildenden Kunst gibt es oft Werke, die durch die Persönlichkeit ihres "Erschaffers" dazugewinnen oder gar von ihr abhängig sind.
Bekannte Beispiele hierfür: Jimi Hendrix bzw. Jackson Pollock
Ohne Erschaffer gibt es keine Werke, und wenn es sie gibt, dann sind sie untrennbar miteinander verbunden, denn kein Anderer könnte gleiches Werk schaffen.


Miller schrieb:
Es gibt Schriftsteller, wie etwas Georges Simenon, die einen nach einem Satz oder Absatz in ihre Welt entführen und intensive Leseerlebnisse schaffen, während andere trotz interessanter Thematik und soliden Schreibstils nicht dazu fähig sind.
Es gibt Menschen, die zwar viel wissen und viel erlebt haben, aber nicht schreiben können, und andere, die schreiben können, aber nichts erlebt haben - ein guter Autor muß beides haben, ein sehr guter dazu noch ein ordentliches Stück Phantasie, Selbstbewußtsein, Risikobereitschaft und Glück.


Megabjörnie schrieb:
Ich denke aber, Autoren, die ihr Arbeitszimmer kaum verlassen, werden kaum fähig sein, Intensität in ihre Texte zu legen.
So kann man das auch sagen. Gerade habe ich einem Kommentar zum Auftritt der Susanne Osthoff bei Reinhold Beckmann gelesen, daß sie ("Ich weiß morgens nicht, wo ich abends schlafe") an einem Tag mehr erlebe als ein Sesselfurzer in zehn Jahren.

Dion

 

Das mit dem "viel erleben" darf man aber auch nicht absolut sehen. Es gibt Schriftsteller, die gerade auf Langeweile und Reizentzug setzen, um die Phantasie zu stimulieren. Der Regisseur von "Brothers Grimm" sagte in einem "Spiegel"-Interview, dass Reizüberflutung die Phantasie hemme, und "Don Quichote", eines der phantasievollsten Werke der Geschichte, sei schließlich im Kerker entstanden.
Viel erleben allein nützt auch nicht viel. Es braucht eben auch Perioden der Muße, um die Erfahrung im Kopf umzuformen.

War es das, was du wissen wolltest? :)

 

Auswirkung der Persönlichkeit des Autors auf die Wahrnehmung eines Textes
Es ist aber nicht die tatsächliche Persönlichkeit des Autors, die die Wahnehmung beeinflusst, sondern was man meint, über seine Persönlichkeit zu wissen. Also: Image.
Um bei Pollock zu bleiben: Ist ein Gemälde mit vielen Flecken drauf tatsächlich schlechter, wenn der Maler kein Getriebener und Romatisch-Verrückter ist, sondern ein langweiliger Finanzbeamter mit graukarierter Weste?

 

und kann ein langweiliger Finanzbeamter mit graukarierter Weste nicht innerlich ein Getriebener und Romantisch.Verrückter sein (Darauf hat gox bestimmt eine Antwort ;))?

 

Na ja, aber wenn wir jetzt Image und Lesewirkung in Zusammenhang bringen: Wer schaut sich denn eine Autorenbiographie an, bevor er das Buch liest?

Ich erinnere mich übrigens noch an meine Oberstufen-Lektüre von Franz Kafka. Nachdem wir einiges von ihm gelesen hatten, erfuhren wir etwas über sein Leben, und dass er ein ziemlich unglücklicher Mensch war. Aber in seinen Geschichten war von diesem Unglück kaum etwas wiederzufinden, nur bissige Ironie zuweilen, und philosophischer Tiefgang. Aber die hätten auch von einem fröhlichen Zeitgenossen kommen können.

Wir sollten auch nicht vergessen, dass Autoren auch heute noch nicht dieselbe Aufmerksamkeit wie Popstars erhalten.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich denke schon, dass die Persönlichkeit des Autors den Text beeinflusst. Ich meine - depressive Leute schreiben meistens anders als glückliche. Texte sind auch stark abhängig von der Tagesform oder dem Lebensabschnitt, ich habe früher ganz anders geschrieben als ich es heute tue.
Ich denke aber nicht, dass Texte nur auf Grundlage der Biografie des Autors gelesen werden dürfen. Das ist Deutschunterrricht-Müll! Es gibt auch nirgendwo eine festgenagelte Interpretation einer Geschichte, wenn die das doch endlich verstehen würden... *seufz*
Ich persönlich bin dagegen vollkommen immun. Wenn ein Text schlecht ist, dann bleibt er schlecht, ob der Autor jetzt ein Vergewaltigungsopfer oder drogensüchtig ist oder nicht. Und ich denke, so sollte man es handhaben.

 

Hallo,

@all: Danke für eure Antworten.

@dion: Dass es ohne Erschaffer keine Werke gibt, ist mir klar. Es ging mir mehr um die Frage, ob die Person des Erschaffers Einfluss auf die Wahrnehmung seines Werkes hat.
Wenn zum Beispiel der Gitarrist von Bon Jovi Vodoo Child spielen würde, würde es einen wahrscheinlich nicht annähernd so packen, wie wenn es Hendrix selbst spielt.
Bob Dylan hat einmal bezüglich Hendrix "All Along The Watchtower"-Coverversion gesagt, dass er sich danach lange nicht getraut hat, dieses Lied live zu spielen.

@dion & megabjörnie: Bezüglich des Lebenswandels des Autors und dessen Einfluss auf sein Werk. Jules Verne hat seine Romane nur mit Hilfe seiner außergewöhnlichen Fantasie und penibler Recherche geschaffen (was man auch merkt), trotzdem wurde er zum Vorreiter der Science-Fiction und auch des Abenteuerromans.

@ Ben Jokisch: Es geht mir nicht um das Image eines Autors, denn meistens weiß ich nichts über den Schriftsteller dessen Buch ich lese, sondern, wie gesagt um seine Persönlichkeit.

Ich habe beim Durchlesen der Antworten gemerkt, dass ich mich falsch ausgedrückt und mit Persönlichkeit, das falsche Wort gewählt habe.
Jeder von uns hat, wenn er in seinem Kopf eine Geschichte entwickelt, Bilder vor sich, einzelne Fragmente, die sich im Laufe der "Bearbeitung" zu einem Film verknüpfen.

Was ich wissen wollte ist, ich hoffe ich drücke mich genau aus, inwieweit sich das Erleben der Geschichte während des Schreibens und die Gefühle für die Charaktere seitens des Autors auf das Leseerlebnis auswirken.
Ob es einen Unterschied macht, ob der Autor die Geschichte in einer Art Rausch schreibt, der so intensiv ist, dass er den Geruch der fiktiven Bäume, Menschen usw. wahrzunehmen meint oder er sie einfach nur abtippt, als würde er, während er im Kino sitzt, mitschreiben.

 

@Miller:

Es geht mir nicht um das Image eines Autors, denn meistens weiß ich nichts über den Schriftsteller dessen Buch ich lese, sondern, wie gesagt um seine Persönlichkeit.
Und woher weißt du etwas über seine Persönlichkeit?

 

Miller schrieb:
Wenn zum Beispiel der Gitarrist von Bon Jovi Vodoo Child spielen würde, würde es einen wahrscheinlich nicht annähernd so packen, wie wenn es Hendrix selbst spielt.
Auch bei Hendrix klang das gleiche Stück nicht immer gleich - dieses Beispiel ist also für die Katz. Was immer gleich bleibt, sind nur die Noten bzw. das geschriebene Wort, nur hier ist ein Vergleich statthaft.


Miller schrieb:
Ob es einen Unterschied macht, ob der Autor die Geschichte in einer Art Rausch schreibt, der so intensiv ist, dass er den Geruch der fiktiven Bäume, Menschen usw. wahrzunehmen meint oder er sie einfach nur abtippt, als würde er, während er im Kino sitzt, mitschreiben.
Es kommt darauf an, was für Zeug er nimmt bzw. wie gut der Film ist. :D

Im Ernst: Es gibt Leute, die müssen sich alles erarbeiten und feilen deswegen Stunden und Tage an einem Satz, und es gibt andere, die schreiben's nur so runter, dem Endprodukt kann man dieses Wie nicht immer ansehen. Zum Glück, kann ich da nur sagen, denn wir neigen dazu, das Ausdemärmelschütteln höher zu bewerten als das Erarbeitete.

Dion

PS: Megabjörnie, ich habe auch von viel wissen gesprochen - aus Nichts kann nur Gott was erschaffen. :D

 

Das macht einen Unterschied. Lies mal "die Stadt der träumenden Bücher", und lies das, was Mythenmetz über das Orm (es heißt doch so?) schreibt.
Tatsächlich habe ich diese Erfahrung schon selbst gemacht. Eine meiner mMn besten Geschichten (ich will keine Werbung machen) ist innerhalb von einer Stunde am Stück entstanden, ich habe sie so runtergeschrieben, gepostet, und alle waren begeistert. Mit anderen Texten habe ich mich lange herumgequält...

 

vita schrieb:
Das macht einen Unterschied.
Auch ich schreibe besser, wenn ich Bilder schon im Kopf habe, aber ich habe gesagt, daß das dem Werk nicht immer anzusehen ist.

 

Dion schrieb:
Zum Glück, kann ich da nur sagen, denn wir neigen dazu, das Ausdemärmelschütteln höher zu bewerten als das Erarbeitete.
Zum Glück ja, aber manche bewerten auch anders herum: Ich habe durchaus schon Geschichten in einer halben Stunde getippt und nahezu unverändert gepostet. An anderen habe ich Wochen gesessen. Weder die Kritiker, noch ich selbst konnte irgendeinen Qualitätsunterschied ausmachen: In beiden Fällen sind gute und schlechte Sachen dabei.

Und: Gibt es "Auswirkung der Persönlichkeit des Autors auf die Wahrnehmung eines Textes"? Nein. Wenn der Autor sein Handwerk beherrscht, kann er eine glaubhafte und mitreißende Darstellung von Reisebericht/Drogentrip/Hirnoperation/Liebesbeziehung schreiben, ohne je diese Erfahrung gemacht zu haben.
Es hilft (manchmal), aber es ist keine Voraussetzung.

 

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