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Auswege aus der Dunkelkammer

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16.07.2003
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Auswege aus der Dunkelkammer

Sie ist depressiv. Das ist nicht nur so ein Gefühl,eine Einbildung von ihr, nein, es ist eine Krankheit. Eine genetisch bedingte. Das hat ihr der Neurologe gesagt. Und dann noch eine Psychiaterin. Bei der ist sie jetzt regelmäßig, einmal die Woche.

Diese Diagnose bereitet ihr gemischte Gefühle. Auf der einen Seite ist das schon gut. Zu wissen was los ist. Und sie gibt eine gewisse Rechtfertigung. Sie rechtfertigt die letzten Wochen, Monate. Die ganze Zeit des Nicht-Könnens. Sie gibt dem Dunklen eine Daseinsberechtigung. Aber sie macht es nicht besser. Nein. Diese offizielle Diagnose macht die Hoffnungslosigkeit nicht weg. Die ist trotzdem da. Permanent. Mal mehr, mal weniger. Aber immer präsent.

Schon vor der Diagnose ist sie bei ihrer Mutter untergeschlüpft. Als es in der großen Stadt gar nicht mehr ging. Bei ihrer Mutter ist es manchmal sehr anstrengend. Sie ist das ja nicht mehr gewohnt – sie ist ein eigenes Leben gewohnt. Eigene Verantwortung. Aber das hat nicht mehr richtig geklappt. Und bei ihrer Mutter hat sie auch Schutz. Vor der Außenwelt. Zu der hat sie fast jeden Kontakt abgebrochen. Und es ist gut, bei der Mutter zu sein. Die ist auch manchmal einsam. Der Vater ist erst im Jahr davor gestorben. Sie weiß, sie kann der Mutter den Schmerz und die Trauer nicht abnehmen. Das macht sie oft traurig. Genauso, wie die Mutter ihr den Schmerz nicht abnehmen kann, diesen permanenten. Aber sie können sich davon erzählen. Das dämmt ihn manchmal ein bisschen ein. Zu wissen, man ist nicht ganz alleine. Da ist noch wer. Someone, who cares.

Sie nimmt jetzt auch Medikamente. Davor hatte sie anfangs große Angst. Vor den Medikamenten und dem, was sie aus ihr machen. Man kennt das ja aus dem Fernsehen. Berichte und Filme über psychisch gestörte Menschen. Die von den Medikamenten ganz dumpf sind. Die in einer Psychiatrie leben. Dass sie nicht in eine Psychiatrie muss, das beruhigt sie sehr. Soweit hat sie sich also noch im Griff. Aber die Medikamente, die sind wohl notwendig. Zu Anfang hat sie gedacht, dass die ja nur helfen können, wenn sie sie komplett ausschalten. Denn die Angst, die Hoffnungslosigkeit kommt durch die eigenen Gedanken. Man müsste also ihr Denken lahm legen. Das, was sie ausmacht. Ihre Persönlichkeit. Das wollte sie nicht. Dann lieber sterben. Denn was bringt ihr ein Leben, in dem sie nicht sie selbst sein kann? Lieber sterben sowieso. Allem ein Ende machen. Dem Elend. Diesen Gefühlen. Dieser Hoffnungslosigkeit. Der große Ausweg. In einer rot gefärbten Badewanne einschlafen. Nicht mehr aufwachen. Dieser Gedanke war für sie sehr schön. So tröstend.

Aber sie nimmt ja jetzt die Medikamente. Und geht zu der Psychiaterin. Die und der Neurologe haben ihr die Medikamente erklärt. Wie die funktionieren, was sie mit einem machen. Das hat sie sehr beruhigt. Denn gute Erklärungen beruhigen immer. Das ist so was Handfestes, mit dem man was anfangen kann. Sie hat jetzt keine Angst mehr vor den Medikamenten, denn sie weiß jetzt, wie sie wirken. Sie darf weiter denken. So wie immer. Die Medikamente beeinflussen nur die Neurotransmitter. Die arbeiten nämlich nicht so, wie sie das sollen. Wie sie das bei normalen Menschen tun. Die Biochemie stimmt nicht.

Sie will das Leben aber nicht nur als Biochemie sehen. Das eigene Denken ist noch etwas anderes. Die Persönlichkeit. Aber die Erklärung war trotzdem gut.

Sie weiß nicht, ob die Medikamente schon wirken. Sie hat sie letzte Woche gewechselt. Es gibt ja verschiedene davon. Das erste war ein Schlafförderndes. Sie hat trotzdem schlecht geschlafen. Sehr schlecht. Vor den Nächten hatte sie dann richtig Angst. Also hat sie gewechselt. Sie meint, dass jetzt die spannenden Medikamente drankommen und das findet sie lustig. Die Stimmungsaufheller. Haha. Mit den Freunden kann man Witze darüber machen. „Jetzt kommen die lustigen Drogen.“ Dann lacht man, und alles ist nicht mehr so unnormal, denn man hat ja drüber geredet. Aber nur mit den guten Freunden. Mit den anderen kann man nicht drüber lachen. Auch nicht mit Nur-Bekannten. Denen muss man das manchmal erzählen, wenn sie einen fragen. Die schlimmste Frage. „Wie geht es Dir?“ Alle fragen das, wenn sie einen sehen. Man hat zwei Möglichkeiten: Entweder man lügt, oder man sagt die Wahrheit. Beides ist blöd. Lügt man, dann kommt gleich die nächste schlimme Frage: „Und was machst Du so?“ Da kommt sie dann ins Stocken. Sie hat keine Antwort darauf. Sonst wäre sie gleich wieder bei der Wahrheit. Bei der Depression. Bei den Medikamenten. Sagt sie gleich die Wahrheit, ist sie sofort da. Und dann wird es schwierig. Schwieriger, als die Fragen zu beantworten, sind die Blicke. Die sind immer gleich. Verständnislos. Geschockt. Unsicher. Es ist ein blödes Gefühl, wenn diese Blicke einem selber gelten. Das will sie lieber von vornherein vermeiden. Sie hat schon lange die meisten Kontakte abgebrochen. Das war nicht schwierig. Denn wenn man nicht immer gute Laune hat, dann wollen die meisten Leute eh nichts mehr von einem wissen. Ansonsten geht sie einfach nicht mehr raus. Wenn sie nicht muss. Sie versteckt sich. Zu Hause, bei ihrer Mutter.

Vielleicht wirken die neuen Medikamente schon. Sie weiß das nicht so genau. Die brauchen ja lange, bis sie richtig wirken. Aber es geht ihr ein bisschen besser. Sie geht zwar immer noch nicht richtig raus. Aber sie war sogar vier Tage in der großen Stadt. Fast nur in der Wohnung. Aber sie war da. Hat es geschafft. Mit Hin- und Rückflug. Das war sehr anstrengend. Aber es ging. Sie hat es geschafft. Sie war auch fröhlich dazwischen. Konnte lachen. So richtig. Und hat keine Angst mehr vor den Nächten.

Die Hoffnungslosigkeit ist immer noch da. Aber sie hat sich ein bisschen versteckt. Hat die Gedanken an die Zukunft ein bisschen mitgenommen. Und die Angst davor. Sie kann jetzt ein bisschen besser einfach nur den Tag leben. Sie versucht, weiter zu machen. Sie weiß nicht, ob das nun von den Medikamenten kommt. Aber sie hofft es. Dass das der richtige Weg ist. Das zu hoffen, das geht.

Manchmal hat sie doch Angst. Jetzt wo es ihr ein bisschen besser geht. Angst davor, dass das alles nur kurz ist. Mit dem Bessergehen. Dass es nicht bergauf geht, sondern plötzlich wieder so tief ins Loch. Aber die Angst ist nur kurz. Sie wird es der Psychiaterin sagen. Das mit der Angst. Und mit dem Bessergehen.

Der Wunsch nach der rot gefärbten Badewanne ist auch noch da. Aber er hat nicht mehr so große Macht über sie. Sie kann ihn die meiste Zeit übersehen.

 

Hallo Dorothee,

solche depressiven Texte sind normalerweise nicht mein Ding. Trotzdem las ich deine Geschichte zwar ohne Unterbrechung, aber mit einigem Holpern. Sie ist durchaus interessant, fast dokumentarisch in der distanzierten Betrachtung der Protagonistin.

Allerdings fehlt mir wenn schon mehr Hintergrund, und eventuell auch mehr Beschreibung des emotionalen Zustands der Prot.

Sie ist depressiv. Das ist nicht nur so ein Gefühl, nein, das hat ihr der Neurologe gesagt.
Hier warte ich auf eine Erklärung, was es denn sonst ist, statt nur so ein Gefühl, aber es kommt nicht.
Bei der Stelle, an der es ums Beantworten von Fragen geht, schildert/empfindet die Prot. die Reaktion stets gleich: "Verständnislos. Geschockt. Unsicher." Als Leser kann ich das nicht nachvollziehen, weil die Reaktion doch sehr stark vom Wie der Erklärung abhängt.

Im Titel deutest du Auswege an, im Text wird als "Ausweg" der Umzug zur Mutter und die Aufheller genannt. Meinst du das wirklich so? Kann ich mir nicht vorstellen.

Bitte fasse meine Anmerkungen nicht als Verriß auf, denn so sind sie nicht gemeint. Interessant ist sie, die Geschichte, wie ich schon oben schrieb.
Gruß vom querkopp

 

Hallo Dorothee,

nachdem ich deine Geschichte und Querkopp's Anmerkungen und Fragen dazu gelesen habe, fühle ich mich geradezu herausgefordert, ein wenig für deine Geschichte zu argumentieren.

Die Art wie deine Protagonistin denkt und fühlt ist für meine Begriffe sehr passend und angemessen dargestellt. Sie wirkt authentisch in ihrem Handeln und in ihrem Denken und Fühlen.
Insoweit ist dir ein gutes Abbild der Erkrankung gelungen.
Im Gegensatz zu Querkopp, der Erklärungen erwartet, habe ich den Eindruck, dass nichts offen gelassen wurde, denn immerhin geht es hier nicht um einen medizinischen Aufsatz über die Krankheit Depression, sondern um eine Geschichte aus der Sicht der Protagonistin. Ein wenig in der Nachschau, aber noch viel mehr mittendrin aus der Erkrankung heraus geschrieben.
Und da sind dann Auswege, wie sie die Protagonistin beschreibt, eben wirkliche Auswege für sie, auch wenn sie einem Nichtdepressiven höchst suspekt und ungeeignet erscheinen mögen.

Ein wenig gibt Querkopp's Kritik das wieder, was die Protagonistin auch beschreibt, wenn sie von der Reaktion der anderen berichtet. Von denjenigen, die sie eigentlich nicht verstehen (können).

Gut gelungen fand ich die etwas karge Sprache, die du verwendest. Sie ist in der Lage die Erkrankung schärfer zu konturieren und macht auf indirekte Weise deutlich, dass eine Depression keine Gefühlshöhen, sondern nur Gefühlstiefen hat und dazwischen grau.

Lieben Gruß
lakita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo querkopp, hallo lakita,

vielen Dank für Eure Kritiken! Ist etwas schwer, auf zwei recht unterschiedliche zu antworten, aber ich versuch's mal.

lakita, es hat mich sehr gefreut, dass Du so intensiv für meine Geschichte argumentierst und Dich damit auseinandergesetzt hast. Vielen Dank!

Ich habe tatsächlich versucht, mit dieser knappen Sprache die Tristesse zu beschreiben, die die Protagonistin umgibt. Laut Dir ist mir das gelungen, aber vielleicht war es eben diese Sprache, die querkopp beim lesen ins holpern gebracht hat?

querkopp, gib mir doch bitte einen Tipp, was Dich genau holpern ließ, dann versuche ich, das zu glätten.

Die Dir fehlende Erklärung, was "es denn sonst ist" statt nur einem Gefühl, habe ich versucht, in einem Einwurf am Anfang des Textes zu geben. Ich hoffe, das hilft ein bisschen weiter. Zu den Auswegen, die Du angesprochen hast, möchte ich dann tatsächlich noch eine medizinische Erläuterung anbringen.

Eine richtige Depression, also nicht das, was jeder als Stimmungstief mal hat und gerne als solche kundtut, ist ein genetisch bedingter Fehler in der Biochemie des Gehirns. Hängt meistens mit den Neurotransmittern zusammen. Diesen Fehler kann man nicht durch bloße Psychotherapie wieder ausmerzen, je nach Schwere brauchen die meisten Depressiven tatsächlich Psychopharmaka, die in diese Biochemie eingreifen. Hier ein Zitat eine sehr weisen, vielleicht etwas derben, Neurologen (ein Urbayer) dazu:
"Wenn's'd an Diabetes host, versuchst ja a ned, den weg zum diskutieren!"
Anderes Krankheitsbild, ähnliche Ursache. Insofern sind die Medikamente leider (oder auch Gott sei Dank, denn immerhin SIND sie einer) in den meisten Fällen der einzige Ausweg aus dieser Krankheit, man bekommt sie damit in den Griff.

So, genug der Quacksalberei, danke Euch beiden nochmal für's genaue lesen und die besten Grüße,
Dorothee

 

Hallo Dorothee, hi Eva,

ab der Stelle, an der Dorothee in der Antwort von der Depression als genetischem Defekt redet, muss ich offensichtlich meine Fragestellungen in Frage stellen :)
Irgendwie ist das bei mir nicht so recht in den Kopf gelangt, die Depression als genetisch begingte Krankheit zu sehen. Es steht zwar sehr klar formuliert in den ersten paar Sätzen der Geschichte, aber zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, es als psychologisch aufbauende Erklärung des Arztes verstanden zu haben, um der Patientin einen objektiveren inneren Abstand zum eigenen Krankheitsbild zu ermöglichen, ihr damit ihre Rechfertigung für das NIcht-Können zu geben. Die Tatsache, dass sie wöchentlich zur Psychiaterin geht, war für mich Indiz dafür, dass sie wohl auch unabhängig von Medikamenten gegen diese Krankheit ankämpfen kann.?? Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen??

Erläutern sollte ich vielleicht, dass ich noch nie Depressionen hatte, im schlimmsten der Fälle Traurigkeit, Resignation, Zorn, oder anderes ´Alltägliches´. Soll heissen, dass ich mir eine Depression nicht so recht vorstellen kann. Daher würde ich auch nicht verständnislos auf eine Situation reagieren in der mir jemand mitteilt, er sei depressiv - ich würde nachfragen. Geschockt wäre ich schon gar nicht, da mir das Schlimme dieser Situation nicht bewußt wäre. Und um unsicher zu werden, hätte ich keinen Grund. Schließlich wird man oft genug mit Dingen konfrontiert, die Neuland bedeuten. Das heißt, ich kann diesen Teil der Geschichte nach wie vor nicht emotional nachempfinden. Aber das mag eine sehr persönliche Sache sein, bedingt durch meine fehlende Erfahrung mit diesem Gefühl. Kann es sein, dass vorwiegend Frauen von dieser Krankheit betroffen sind? Aber Dank der Quacksalberei verstehe ich jetzt zumindest ansatzweise - trotz Mann.

Was die Auswege anbetrifft: So wie ich das verstanden habe, gibt es in diesem Fall keinen Ausweg - nur eine medikamentöse Linderung. Der Umzug zur Mutter verbessert die private Situation und trägt somit indirekt zur Linderung bei. Aber Lakita hat schon recht mit ihrer Ansicht, das sei für die Prot. persönlich ein Ausweg. Kann schon sein. Allerdings habe ich den Titel mehr wie die Überschrift einer Gebrachsanleitung verstanden und als solche ist die Geschichte wohl nicht tauglich. Du hättest den Titel evtl. etwas mehr personalisieren sollen..?

Meine Holprigkeiten bezogen sich zum großen Teil auf die bereits angesprochenen inhaltlichen Unklarheiten. Zum kleinen Teil reissen die kleinen, abgehackten Sätze manchmal Sinnzusammenhänge etwas auseinander (Bsp. der gesamte 2. Absatz), aber es ist nicht soo störend.

 

Hallo Dorothee!

Ich finde, Deine Geschichte hat mit dem Titel nicht sehr viel gemeinsam – mit einem Fragezeichen dahinter würde sich das allerdings schnell ändern, es würde den Leser herausfordern, über den beschriebenen Weg nachzudenken (zwar tut das die Rubrik an sich, aber ein Fragezeichen macht schon viel aus...).
Die Geschichte handelt in meinen Augen von einer depressiven Protagonistin, die sich alles aufschwatzen läßt. Sie läßt ohne Widerstand an sich die verschiedensten Tabletten testen, die ihre Stimmung regulieren sollen. So, wie man im Geschäft ein Gewand probiert: Paßt mir dieses, paßt mir jenes? Natürlich sieht mit der passenden Stimmung die Welt dann ganz anders aus. Sie schaut dann wie durch eine rosarote Brille in die Welt – der Haken dabei ist, daß einem dann nicht mehr danach ist, über die Ursachen der Depressionen zu reden, plötzlich ist ja eh alles in Ordnung, alles rosa... Für den Therapeuten praktisch (lockeres Blabla statt ordentlicher Therapie), für die Krankenkassa billig (wieder ein Patient erfolgreich ruhig gestellt, Therapie erfolgreich beendet, und sei es nur für die Statistik …) und für die Pharmazeuten ein Gewinn (ein Abhängiger mehr, hurra). Aber damit ist die Depression weder bekämpft noch aus ihr ein Ausweg gefunden.
Auch der Umzug zur Mutter ist meiner Meinung nach ein Schritt in die falsche Richtung. Er ist ein Fallenlassen, ein „ich bin zu schwach, ohne meine Mutter kann ich nichts (das hat sie ja immer schon gesagt)“, und damit nährt die Protagonistin die Depressionen noch mehr, statt einen eigenständigen Weg aus ihr heraus zu finden.

Nun entnehme ich Deinen Antworten, daß Du den Inhalt Deiner Geschichte gar nicht kritisch meinst… Vielmehr klingst Du in Deinen Kommentaren wie ein Vertreter der Pharma-Industrie, der den Leuten weis machen will, es läge alles nur an einem Botenstoff im Hirn, den man bloß ergänzen oder vermehren muß, und schon ist alles in bester Ordnung (und darüber, was noch mit drin ist, in den Tabletten, reden wir gar nicht).
Nach dieser Theorie müßten sich dann allerdings Depressionen auf die verschiedensten Menschen verteilen – tun sie aber nicht, sondern es haben so gut wie alle Depressiven eine mehr oder weniger tragische Kindheit erlebt, und die verändert mit Sicherheit keine Botenstoffe, sondern die Psyche. Und da die Krankheit Depression anders entsteht, vor allem auch über einen viel längeren Zeitraum als etwa eine Viruserkrankung, kann man auch die Behandlung nicht mit einer x-beliebigen Krankheit vergleichen. Gegen den Virus hat man ein Gegenmittel, gegen Depressionen kann man nur eine Therapie machen, die möglichst nicht medikamentös, und wenn, dann bestenfalls durch Johanniskraut unterstützt werden sollte. Mit allem anderen ist es so gut wie unmöglich, wirklich an der Depression zu arbeiten.

Das alles macht es mir schwierig, wirklich eine Meinung zu Deiner Geschichte abzugeben. Wie gesagt, ich verstehe sie sehr kritisch, sie zeigt in meinen Augen genau den falschen Weg auf, und ich bin enttäuscht, daß das gar nicht Deine Intention war. Andererseits finde ich sie als Geschichte, die zum Nachdenken anregen soll, ganz gut, außer ein paar Stellen im Text, die ich stilistisch anders schreiben würde. Allerdings hab ich den Teil schon geschrieben, bevor Du Deine Geschichte editiert hast, ich mag jetzt nicht vergleichen, ob Du davon schon was verändert hast und laß es so…: ;)


»Und dann noch eine Psychiaterin. Bei der ist sie jetzt regelmäßig. Einmal die Woche.«
- ich würde diese drei kurzen Sätze zu einem oder zumindest auf zwei zusammenfassen

»Aber. Aber sie macht es nicht besser. Nein. Diese offizielle Diagnose …«
- warum zweimal „Aber“? Ich kann darin keinen besonderen Effekt erkennen, so wirkt es deplaziert.

»Genauso, wie die Mutter ihr den Schmerz nicht abnehmen kann. Den permanenten.«
- das nachgestellte „Den permanenten“ finde ich übertrieben, es könnte doch auch einfach heißen „wie die Mutter ihr den permanenten Schmerz nicht …“

»Someone, who cares.«
- warum plötzlich englisch?

»Sie nimmt jetzt auch Medikamente. Davor hatte sie anfangs große Angst. Vor den Medikamenten. Und dem, was sie aus ihr machen.«
- diese Sätze wirken auf mich auch eher übertrieben und künstlich, besonders das erklärende „Vor den Medikamenten“

»Das ist so was handfestes, mit dem man was anfangen kann.«
- Handfestes

»Das erste war ein schlafförderndes.«
- ein Schlaf förderndes

»Sie findet, dass jetzt die spannenden Medikamente drankommen und das findet sie lustig.«
- Wortwiederholung „findet“ – das erste paßt auch überhaupt nicht, vielleicht „Sie denkt“ oder „Sie erfährt“

»die lustigen Drogen“. Dann …«
»„Wie geht es Dir?“. Alle …«
»„Und was machst Du so?“. Da …«
- … Drogen.“ Dann – die anderen beiden gehören ohne den Punkt

»kommt sie dann ins stocken.«
- ins Stocken

»Aber sie hofft es. Dass das der richtige Weg ist. Das zu hoffen, das geht.«
- Warum schreibst Du nicht einfach „Aber sie hofft, dass das der richtige Weg ist“, warum schreibst Du manche Stellen so, als wüßte die Erzählerin noch nicht so recht, wie sie es erzählen soll, und deshalb immer nachhaken muß?

»Das es nicht bergauf geht, sondern …«
- Dass


@querkopp:

Daher würde ich auch nicht verständnislos auf eine Situation reagieren in der mir jemand mitteilt, er sei depressiv - ich würde nachfragen.
Was ist, wenn er es Dir nicht sagt, weil ihm grad gar nicht bewußt ist, daß seine Depressionen ihn so reagieren ließ?

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Susi,

puh, das war ja mal eine ganze Menge Text von Dir ;-) Vielen Dank erstmal für’s Durchlesen, der Kommentar hat sicher auch viel Zeit und Mühe gekostet. Fast schon eine Kurzgeschichte für sich.

Deine Tipps zu Stil und Grammatik werde ich gerne annehmen und umsetzen – die sind sehr hilfreich!

Allerdings muss ich Dir in Deiner Meinung zum Umgang mit Depression und Medikamenten vehement widersprechen. Eigentlich wollte ich, wie lakita das schon richtig bemerkt hat, keinen medizinischen Aufsatz zu dem Thema schreiben, aber das kann ich so einfach nicht stehen lassen!

Dass eine Depression in fast allen Fällen durch eine tragische Kindheit ausgelöst wird, ist falsch. Vielleicht verwechselst Du das. Depressionen werden in verschiedene Sparten unterteilt, die drei häufigsten sind psychogene Depression, die reaktive, oder exogene (heute: leichte) Depression und die endogene (heute: mittelschwere bis schwere) Depression. Die Auswirkungen und Behandlungen dieser Arten sind ähnlich. Wie der Name schon sagt, ist erstere eine „unverhältnismäßig schwere“ Reaktion auf ein psychische Ursache, sei es ein traumatisches Erlebnis in der Kindheit oder der Todesfall eines nahestehenden Menschen. Die zweite ist eine Begleiterscheinung einer (Gehirn-)Erkrankung. Diese Arten der Depression können in vielen Fällen, wie Du es ansprichst, sehr gut mit einer Psychotherapie und gegebenenfalls noch mit Johanniskraut behandelt werden.

Die endogene Depression, um die es in meiner Geschichte geht (ich werde das endogen noch einfließen lassen) ist per Definition eine „innerhalb des Organismus enstandene Depression, die aber nicht durch erkennbare körperliche Erkrankungen (=exogene D.) oder äußeren seelischen Anlaß (= psychogene D.) begründbar ist.“ (Roche Lexikon Medizin). Wie ich schon an querkopp schrieb, ist hier die Ursache eine genetischer Defekt. Entweder sind die Neurotransmitter (= Überträgerstoffe) Serotonin und Noradrenalin nicht genügend vorhanden, oder ihr Austausch mit den Zellen funktioniert nicht richtig. Eine Stoffwechselstörung also.

Ich finde den Vergleich mit dem Diabetes sehr gut. Auch das ist eine Stoffwechselstörung (wenn auch in anderer Form mit anderen Auswirkungen) – würdest Du versuchen, Diabetes mit bloßer Gesprächstherapie zu heilen? Dein Patient würde sterben. Ein depressiver Mensch würde ohne Hilfe auch sterben, von eigener Hand halt. Hier kommen die Psychopharmaka ins Spiel.

Es ist Aberglaube, dass sie abhängig machen – sie berauschen und euphorisieren nicht (also keine rosa Brille, wie Du schreibst), sie sorgen lediglich dafür, dass dieser Stoffhaushalt wieder in den Takt kommt. Oft ist es wahrscheinlicher, dass der Patient eine seelische Abhängkeit von seinem Therapeuten entwickelt. Zudem würde niemand Psychopharmaka ohne eine begleitende Therapie verabreichen, diese zwei Dinge gehen Hand in Hand und sind schon im Hinblick auf Medikation und den Umgang damit unablässig. Ich habe in der Geschichte nicht behauptet, dass die Medikamente der einzige Ausweg sind. Aber sie sind die erste Tür zum Notausgang. Dadurch werden die Empfindungen wieder aus dem Extrem ins Gleichgewicht gebracht, der Patient ist erst dann in der Lage, sich mit den möglichen Auslösern auseinanderzusetzen, um sich dann Schritt für Schritt wieder in ein normales Leben einzufügen.

Zu Deinem Absatz über die Pharmaindustrie möchte ich noch kurz folgendes anmerken: In der Regel werden die Medikamente, sofern es sich um den ersten depressiven Schub eines Patienten handelt, nach wenigen Monaten der Wirkung wieder abgesetzt. Ist es schon der zweite oder dritte Schub, werden die Medikamente in einer Minimaldosierung weiter verabreicht, da sich der Botenstoffhaushalt offensichtlich dann nicht komplett regulieren ließ. Immer jedoch wird eine begleitende Psychotherapie über ein bis zwei Jahre durchgeführt. Auch ist der Patient kein Versuchskarnickel. Er arbeitet ja aktiv mit dem/r Psychiater/in zusammen, beschreibt, ob und wie eine Wirkung durch die Medikation auftritt. Bleibt diese aus oder verstärkt sich ins Negative, wird das Medikament gewechselt. Es gibt verschiedene Stoffgruppen, die auf unterschiedliche Weisen den Stoffwechsel beeinflußen – und so spricht jeder Mensch unterschiedlich darauf an.

„Die Weltgesundheitsorganisation WHO betrachtet das Leiden […] als die belastendste Krankheit, der ein Mensch ausgesetzt sein kann. 15 Prozent aller schwer Depressiven können ihre Qualen auf Dauer nicht ertragen und bringen sich um.“ (STERN, Ausgabe 23/2003)
Ich halte den Umzug zur Mutter daher nicht für das Nachgeben in die eigene Schwäche, sondern für eine lebensrettende Maßnahme. Viele Depressive sind nicht einmal mehr in der Lage, die Wohnung oder gar das Bett zu verlassen. Hälst Du es da ernsthaft für sinnvoll, dem Depressiven die Suche nach einem „eigenständigen Weg aus ihr heraus“ ans Herz zu legen?

Susi, nimm es bitte nicht persönlich, aber ich halte das, was Du geschrieben hast, für eben genau das gefährliche Halbwissen über Depressionen und die Behandlung davon, das ich auch in der Geschichte beschrieben habe. Ich weiß nicht, woher Du Deine Informationen hast, aber es würde mich sehr freuen, wenn Du mir schreibst, wie Du Dir Deine Meinung gebildet hast! Das wäre sehr interessant für mich, ehrlich!

Ich meine den Inhalt meiner Geschichte tatsächlich nicht kritisch in Bezug auf Medikamente etc. Vielmehr war meine Intention, die Gefühlswelt der Protagonistin darzustellen und ihre Schwierigkeiten mit sich selbst und ihrer Umgebung im Umgang mit der Krankheit.

In diesem Sinne viele Grüße und nocheinmal Dank für’s Lesen und Auseinandersetzen!

Dorothee

 

Hallo Dorothee!

Gerade in der Psychotherapie gibt es ja auch unter Experten noch sehr viele verschiedene Meinungen und Ansichten, die sich oft grundlegend voneinander unterscheiden – wir brauchen uns also nicht zu streiten deswegen; was ich sage, meine ich nicht böse, auch wenn ich Dir widerspreche. ;)
Je nach eigener Erfahrung wird der eine diese, der andere jene Erkenntnisse glauben. Und die Interessen, die man vertritt, spielen natürlich auch eine Rolle dabei, so wie bei der Firma Roche…

Du fragst nach meiner Quelle – also einerseits hab ich ein paar das Thema betreffende Bücher gelesen (mit Vorliebe Alice Miller), aber es ist zum Großteil eigene Erfahrung und Beobachtung, eigene Meinung und eigenes Fühlen, wovon ich rede.
Ich habe selbst Depressionen aus meiner Kindheit davongetragen und mußte, bevor ich eine Therapie und die (wesentlich teureren) Johanniskraut-Tabletten bewilligt bekam, fünf verschiedene Psychopharmaka „testen“. Daher kenne ich deren Wirkung sehr gut und weiß wovon ich rede, wenn ich sage, daß sie einem etwas vorgaukeln und man dann kaum mehr an die Ursachen der Depressionen herankommt, weil es einen gar nicht mehr interessiert, sobald die Stimmung paßt. Teilweise war direkt mein Gewissen ausgeschaltet.
Zumindest bei uns hier in Wien ist es so, daß nur eine gewisse Anzahl an Therapieplätzen auf Krankenschein vergeben wird – somit kann gar nicht jeder, der eine Therapie braucht, eine machen, oder es ergeben sich mitunter jahrelange Wartezeiten, und bis es soweit ist, bekommen sie die Tabletten – ohne begleitende Therapie, verschrieben nach einem zehn- oder fünzehnminütigen Gespräch von einem Neurologen.
– Wie will der festgestellt haben, um welche Form der Depression es sich handelt? Welche Ursache die Depression hat, weiß der Patient ja in vielen Fällen selbst noch nicht, bevor er in einer langwierigen Therapie die Wurzeln ausgräbt – wie sollte das ein Arzt in zehn oder fünfzehn Minuten durchschauen und einen korrekten Befund erstellen?
Die Ursachen seelischer Verletzungen können sehr diffizil sein – stellt dann ein Arzt die Fehldiagnose „endogene Depression“, kann dies den Grad der Verletzung noch verstärken, da der Patient wiederum und noch dazu sogar von einem Arzt vermittelt bekommt, daß er nicht richtig funktioniert, der Fehler also bei ihm liegt. Eine falsche Diagnose ist naheliegend und kann den Patienten dann in seinen Depressionen bestätigen und unter Umständen fatale Folgen haben.

Allein deshalb schon sollte man meiner Meinung nach mit solchen Diagnosen mehr als vorsichtig sein. Noch dazu weiß man ja noch gar nicht mit Sicherheit, woher dieser Mangel an Botenstoffen tatsächlich kommt. Daß er genetisch bedingt ist, ist eine Vermutung, also ins Blaue hineingetippt. Bewiesen ist das meines Wissens nach nicht. Genausogut kann er irgendwelche anderen Ursachen haben.
Ich habe zum Beispiel gelesen, daß ein Mensch, der glücklich ist, allein dadurch auch mehr von diesen Botenstoffen erzeugt. Ein depressiver Mensch, dem der Antrieb, die Energie fehlt, erzeugt automatisch weniger. Das ist ähnlich wie mit dem Adrenalin, davon wird auch mehr erzeugt, während man die aufregende Situation erlebt.
Ergo muß der Mangel seine Ursachen in einer bereits bestehenden Depression haben (die zu der Antriebslosigkeit geführt hat) und ist somit Auswirkung und nicht Ursache. Daß es falsch ist, nur die Auswirkungen anstatt der Ursachen zu bekämpfen, ist ja ein alter Hut…

Dazu kommt, daß die Forschung natürlich von der Pharma-Industrie lebt – sie also gar kein Interesse daran hat, etwas anderes festzustellen, als daß man mit den kleinen, „harmlosen“ Pillen alles reparieren kann. So, wie eine schleißige Autowerkstatt den Rost draufläßt und nur oberflächlich Lack drübersprüht – außen hui, innen pfui…
Ich halte solche Praktiken für verantwortungslos, noch dazu unter dem Vorwand, etwas für den Menschen tun zu wollen.

Der erste Schritt aus der Depression ist es, sich gegen diese Vorgehensweisen zu wehren und der Krankenkassa auf die Füße zu steigen, damit man einen Therapieplatz bekommt. Andernfalls heißt es „Serotoninmangel“ und man wird weggepulverlt – weg von sich selbst, in eine blassrosa Scheinwelt, in der dann zwar das Serotonin stimmt, aber die Seele nicht mehr gefühlt wird.


Ja, und mit dieser Meinung als Hintergrund hab ich Deine Geschichte gelesen und als leicht sarkastische Kritik aufgefaßt. – Sie so zu lesen, war aber, obwohl Du sie anders gemeint hast, auch nicht übel. Du hast eben eine Wende-Geschichte geschrieben, eine, die man von zwei Seiten lesen kann. Je nach Background wird der eine sie so, der andere so lesen – erstaunlich ist ja, daß es funktioniert. :)

Liebe Grüße,
Susi

 

Hallo Susi,

vielen lieben Dank für Dein wieder sehr ausführliches Schreiben - es war sehr interessant für mich, zu sehen, wie sich Deine Meinung gebildet hat! Und, um ehrlich zu sein, ich finde die von Dir beschriebenen Praktiken in Wien sehr sehr gefährlich! Ich habe in Deutschland ganz andere Erfahrungen gemacht - daher auch meine Geschichte.

Mit der Gefahr von Fehldiagnosen und daraus resultierender falscher Behandlung gebe ich Dir vollkommen recht. Und auch mit den verschiedenen Ansichten und Meinungen. Aber es war gut, sie hier mal auszutauschen!

Liebe Grüße,
Dorothee

 

hallo dorthee,

"Sie versteckt sich. Zu Hause, bei ihrer Mutter."

das sollte sie nicht machen. so ein verhalten macht alles noch schlimmer ... ich finde man sollte einen weg zeigen, wie man aus der miesere rauskommt.

die depressionen sind endogen oder exogen, davon redet man nicht mehr, sie sind einfach da und werden medikamentös zu behandelt. darum sollte man psychiatrie und medikamente nicht als negativ darstellen. krankheiten sind normal. menschen werden krank ...davor kann man sich NOCH nicht schützen.

selbstmordgedanken hat jede/r der/die depressionen hat. hier kommt es ein bisschen zu kurz. vielleicht auch gut so. aber wenn man depressionen 3.grades hat, ist selbstmord vorprogramiert.

schöne geschichte.

liebe grüsse, alaska

 

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