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Aussichtslos
"Und das solls jetzt gewesen sein?" Schwer atmend stützte Geoffrey sich mit den Händen auf den Knien ab und rang vornüber gebeugt nach Luft.
Er stand vor einer Schlucht, an deren Rand es dutzende Meter weit steil in die Tiefe ging.
Ein vorsichtiger Blick über den Rand sagte ihm alles: der darin verlaufende Fluß lag zu tief und war sehr reißend. Wenn ihn nicht der Aufprall oder direkt unter der Wasseroberfläche liegende Felsen töteten, dann auf jeden Fall die tosenden Wassermassen.
Verzweifelt versuchte er über seinen keuchenden Atem hinweg etwas von seinen Verfolgern zu hören.
Doch der Wald hinter im war gespenstisch still. Erschöpft ließ er sich auf den Boden plumpsen und legte die Arme um seine Knie.
Am Besten fange ich damit an, wie Geoffrey in diese Lage gekommen war.
Nun, Geoffrey war ein Gesetzloser, er kannte das gar nicht anders. Geboren wurde er in einem schmutzigen Lager im Wald, während einer sternenklaren Nacht.
Seine Mutter war zu schwach und überlebte die anstrengende Geburt nicht.
Sie starb in den frühen Morgenstunden, nachdem sie Ihren Sohn wenigstens noch kurz in den Armen halten konnte.
Auch Geoffrey selbst war anfangs alles andere als ein gesundes, kräftiges Baby.
Sein Vater wollte ihn zunächst einfach liegen lassen, doch als alles bereit zum Aufbruch war, brachte er es doch nicht über sich.
Und allen Befürchtungen zum Trotz überlebte Geoffrey. Und wurde früh zu diversen Arbeiten – betteln und klauen zumeist – herangezogen.
Oft wurde er beim Klauen erwischt und im besten Fall konnte er mit seiner Beute, oder auch ohne, entkommen, aber ab und an bezog er eine kräftige Tracht Prügel.
Doch mit den Jahren wuchs er zu einem großen, breitschultrigen jungen Mann heran, und so gingen die Raufereien bald immer häufiger zu seinen Gunsten aus und seine Kontrahenten mussten mit blutiger Nase Fersengeld geben.
Sein Vater war ein einfacher Mann, der lieber Taten statt Worte sprechen ließ. Auch die anderen Leute der umherziehenden Gruppe waren eher wortkarg. Das harte Leben und der ständige Kampf um das nackte Überleben hatten sie gezeichnet.
Auch Geoffrey`s Vater, obwohl noch keine 40 Sommer alt, sah aus wie ein alter Mann.
Sie alle stammten aus einem Dorf aus dem Norden. Der dort ansässige Lord hatte sie vertreiben und zu Gesetzlosen erklären lassen, nachdem sie sich geweigert hatten, die horrenden Steuern zu zahlen.
Selbst wenn sie es gekonnt hätten, wären Sie daran zugrunde gegangen.
Außerdem wollte niemand mehr den ausschweifenden Lebenswandel eines Lords bezahlen, der sich einen Dreck um andere Leben scherte.
Seitdem wanderten sie umher. Anfangs eine Gruppe von gut achtzig Leuten: Männer, Frauen und Kinder.
Mitgenommen hatten sie nur das, was sie tragen konnten. Alleine im ersten halben Jahr war die Gruppe um gut die Hälfte geschrumpft. Der Hunger hatte sich zuerst die Alten, dann viele Kinder geholt.
So nahmen sie, was sie bekommen konnten, egal ob durch betteln oder klauen, und zogen meistens noch am selben Tag weiter. Um Städte machten sie einen großen Bogen. Dort waren die Wachen am aufmerksamsten und grausamsten.
So ging das jahrelang und Geoffrey wurde immer unzufriedener.
Er war es Leid, ständig umher zu ziehen und immer auf der Flucht zu sein. Er wollte ein ruhiges Leben führen, ohne die ständige Angst vor Wachen oder dem Gedanken, ob man morgen noch etwas zu essen haben würde.
Er begann Münzen, die er klauen konnte, vor den anderen zu verstecken und sie in seinem Beutel zu sammeln. "Irgendwann kaufe ich mir davon einen eigenen Hof.", dachte er bei sich.
Abends am Feuer fragte er seinen Vater, wie viel denn so etwas koste. Der lachte:"Ach Geoffrey, einen Hof kann man sich nicht kaufen, man bekommt ihn vererbt oder von einem Lord zugeteilt. Und dem gehörst du dann mit Haut und Haaren." Enttäuscht wandte Geoffrey ein:" Aber gibt es denn wirklich keine Möglichkeit einen eigenen Hof zu erlangen?"
"Mit Geld nicht, so viel wirst du sowieso nie besitzen mein Sohn."
Vor sich hin grübelnd saß Geoffrey nun am Feuer, und dachte nach, wie er an so viel Geld kommen könnte.
Da fiel ihm etwas ein: Der Tross, der die eingetriebenen Steuern wieder zur Burg brachte.
"Wenn es mir gelingt, denen das Geld zu klauen, dann kann ich endlich auf ein besseres Leben hoffen. Und mein Vater würde sicher auch nichts dagegen haben, nicht mehr ständig umherziehen zu müssen."
Damit nahm das ganze Verhängnis seinen Lauf. In den nächsten Tagen hielt er auf der Straße ständig Ausschau nach so einem Transport.
So gingen die Wochen ins Land, aber einen Steuereintreiber war noch nicht zu sehen gewesen.
Doch als sie dann einmal abends Rast machten, versteckt in den Sträuchern neben der Strasse, rollte endlich einer vorbei.
Der schwere Karren, gezogen von zwei Ochsen, war mit zwei Truhen beladen, die prallvoll sein mussten.
Nur reisten acht bewaffnete Knechte mit dem Karren. Dazu kam noch ein Ritter. Sein prachtvolles Schlachtross war aufgrund der Hitze zwar nur gesattelt, aber es war das größte Pferd, das Geoffrey jemals gesehen hatte.
"Bist du wahnsinnig", zischte sein Vater ihm ins Ohr, "weg von der Strasse, sonst sehen die dich noch."
Mit diesen Worten zerrte er Geoffrey weg von der Strasse, tiefer in den Wald hinein. Dort verpasste er ihm eine Ohrfeige. "Mach so was nie wieder!"
Ganz und gar nicht verlegen nickte Geoffrey und wandte sich dann ohne ein Wort von seinem Vater ab und sah sehnsüchtig in Richtung der Strasse.
Leise bewegte er sich durch die Dunkelheit, auf den Schein des Feuers zu. Ein herrlicher Duft von gebratenem Fleisch stieg ihm in die Nase und ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Da knurrte es ganz in der Nähe. Erschrocken blickte er sich um, die Hände zu Fäusten geballt, bereit sich jederzeit gegen das Raubtier zu wehren, das sich da angeschlichen hatte.
Im nächsten Moment hätte er fast laut losgelacht, beherrschte sich aber noch im letzten Augenblick.
Das war sein eigener Magen gewesen, er hatte sich in den ganzen Jahren schon so an das Gefühl des Hungers gewöhnt, dass er ihn schon gar nicht mehr spürte.
Fast schon dümmlich vor sich hingrinsend schlich er näher zum Lager der Steuereintreiber.
Er konnte neun Leute zählen, wo aber war der zehnte?
Hektisch späte er umher, als es plötzlich hinter im raschelte und knackte. Geoffrey erstarrte und wagte nicht sich zu bewegen, sogar den Atem hielt er an.
Keinen Meter neben ihm kam der vermisste zehnte Mann aus dem Gebüsch und nestelte an seiner Hose herum.
"Tod und Teufel, hat das gut getan!" tönte er. Von den anderen Männern kam nur zustimmendes knurren und er setze sich wieder in die Runde.
Geoffrey wagte endlich wieder Luft zu holen und wartete darauf, dass sich sein rasendes Herz wieder beruhigte. Seine Hände zitterten und er war wütend auf sich selbst.
"Wie konnte ich den bloß übersehen?" Aber es war noch einmal gut gegangen.
Geduldig wartete er darauf, dass die Männer endlich schlafen gingen.
Doch zu seinem Unmut dauerte dies noch eine ganze Weile, aber zu seiner Freude schienen sie es nicht für nötig zu erachten, eine Wache aufzustellen. Ganz im Gegenteil, jeder wickelte sich einfach dort in seine Decke, wo er vorher gesessen hatte und kurz darauf ertönte ein Schnarchkonzert im Wald.
Geoffrey wartete noch einige Minuten bevor er es wagte, sich näher heran und in das Lager zu schleichen.
Langsam und immer wieder innehaltend schlich er zum Karren. Die Truhen waren noch nicht mal verschlossen. Gerade wollte er sich grinsend am Wagen in die Höhe ziehen, als er wieder ein Knurren hörte.
Doch dieses Mal war es nicht sein Magen gewesen. Schlagartig wurde ihm klar, warum die Männer keine Wachen aufgestellt hatten: Sie hatten einen Hund und dazu noch einen verdammt großen und bösartigen, dem Knurren nach zu urteilen. Ohne sich umzudrehen rannte er wieder auf den Waldrand zu.
Kaum war eher losgelaufen brach hinter ihm wütendes Gebell los. Kurz wagte er es, einen Blick über die Schulter zu werfen und hätte fast aufgeschrien. Der Hund war wirklich riesig. Und viel näher, als er gedacht hatte.
Von dem Krawall waren auch die Männer erwacht und standen sofort auf den Beinen.
"Da läuft einer, fass ihn Artax!" brüllte einer.
Doch Geoffrey hatte bereits wieder den Waldrand erreicht und lief so schnell ihn seine Beine trugen. Baumwurzel, er stolperte und fiel hin. Zu seinem Glück, denn der Hund war inzwischen so nah herangekommen, dass er zum Sprung angesetzt hatte. Nun flog er über den gestürtzten Geoffrey hinweg und krachte in einen Baum. Desorientiert und jaulend torkelte er umher. Geoffrey rappelte sich wieder auf und rannte weiter, weg von den wütenden Stimmen und dem jaulenden Hund.
Er lief und lief und lief und irgendwann hatte er keine Ahnung mehr, wo er war.
Dann kam die Schlucht. Womit wir wieder am Anfang wären.
Nun saß er da, immer noch nach Luft ringend, alleine und ohne den leisesten Schimmer, wo er war.
Zurück konnte er nicht, er hatte zu viel Angst davor, seinen Verfolgern vielleicht doch noch direkt in die Arme zu laufen. Also blieb nur die Möglichkeit, in eine Richtung entlang der Schlucht zu gehen. Nachdem er sich ein bisschen erholt hatte, ging er noch einmal ein paar Schritte in den Wald und horchte.
Immer noch nichts. Allmählich begann er zu hoffen, heil aus der Sache hinausgekommen zu sein.
"Ein Glück, dass ich diese dämliche Wurzel nicht gesehen habe." Bei diesem Gedanken kamen auch auf einmal die Schmerzen zum Vorschein. Seine Beine brannten wie Feuer und seine Knie und Hände, mit denen er den Sturz aufgefangen hatte, waren aufgeschlagen und blutig. Leise fluchend humpelte er zurück zur Schlucht. Die Sonne ging am Horizont auf. Einige Augenblicke lang blieb er einfach stehen und beobachtete sie dabei. Dann ging er entschlossen nach rechts und folgte dem Verlauf der Schlucht, flussabwärts.
Denn die größte Wahrscheinlichkeit eine Stadt zu finden, lag bei einem Fluss.
Nach stundelangem Laufen, ohne auch nur das geringste Anzeichen einer Stadt oder wenigstens eines kleinen Dorfes erblickt zu haben, ließ er sich erschöpft am Fuß eines Baumes zu Boden sinken.
Jetzt erst bemerkte er, wie hungrig er war, und prompt begann sein Magen zu knurren.
"Einfach die Augen schließen und nicht mehr aufstehen", dachte Geoffrey, "Was mein Vater wohl gerade macht?" Dann wurde alles schwarz.