Auslöser
Nachts
Ich kaure immer
Und höre mein Blut
Rauschen, den dunkeln Strom.
Sucht meiner Seele
Müder Fährmann
Deinen Schatten auf mondener Bucht.
Aber Du kamst nicht.
Er wartet lange, holte er
Dich endlich über.
M. Weissmann
Willst nicht glauben, was du hörst. Worte, die sich ins Herz brennen, an der Seele zerren, den Schmerz hervorwühlen, klatschen wie Ohrfeigen in dein Gesicht.
Sie haben sich darauf geeinigt, daß die, die ihres Lebens müde sind, selbstsüchtige, gelangweilte Teenager sind, oder Feiglinge, die den Weg des geringsten Widerstandes gehen.
Nur kleinere Detailfragen beleben noch die Diskussion. In ihrer Arroganz philosophieren sie über den Unterschied zwischen Freitod und Selbstmord, klopfen sich gegenseitig auf die Schulter, während sie über das spotten, was sie nicht verstehen und sich ein Urteil anmaßen über die Schwächsten unter ihnen.
Deine Augen weiten sich in schweigendem Entsetzen, während deine zitternde Hand das Glas an die Lippen führt.
Wer hat in deiner Haut gesteckt und deinen Schmerz gefühlt?
Als Kind wünschtest du dir, schwer krank zu werden.
Damit deine Qualen ein Gewand und eine Berechtigung hätten.
Damit du schließlich einschlafen kannst, um nie mehr aufzuwachen.
Damit deine Seele endlich aufhört wehzutun.
Ein Entkommen aus dem schwarzen Morast deines kurzen Lebens, ein Ende von Angst und Leiden.
Kein Gott hörte deine kindlichen Gebete und holte dich zu sich. Und auch die Tabletten, die du in deiner Verzweiflung schlucktest, wollten dich nicht erlösen.
Das Leben klebt an dir wie Pech, zwingt sich dir auf und hält an dir fest.
Irgendwann hast du dich ihm ergeben.
Wer wollte freiwillig die Leere in dir fühlen und den Schmerz und das Leid? Wer wollte deine Erinnerungen in seinem Kopf, verschüttete und nackt daliegende?
Wissen sie, daß Leben dich so viel Kraft kostet, daß für anderes oft nichts übrigbleibt? Und manchmal noch mehr, als du hast.
Es brüllt einem so lange ins Ohr, bis man es nicht mehr erträgt.
deine Probleme will ich haben
du mußt nur wollen
krieg deinen Arsch hoch
stell dich nicht so an
du bist doch nur faul
reiß dich zusammen
Drei Monate. Angst und Einsamkeit lassen dich schreien, doch Mama ist nicht da. Neben dir liegt sie, auf einem anderen Stern.
Die Spritze steckt noch in ihrem Arm.
Zwei Jahre. Du kennst die Frau nicht. Sie ist so fremd, wie all die anderen Menschen, die dich im letzten Jahr aufgenommen und wieder weggegeben haben. Du hast nie geklagt, nie nach der geweint, die dich nun in ihrem Arm hält. Auch jetzt weinst du nicht nach deiner letzten Mama.
Sie wird dich wieder weggeben. So war es immer.
Vier Jahre. Papa ist fort. Er ist ein böser, schlechter Mensch. Er hat euch bestohlen und andere schlimme Dinge getan, die du nicht begreifst. Mama erzählt dir all das und mehr. Sie haßt ihn. Und du sollst ihn auch hassen.
"Bei wem willst Du bleiben?" fragt die fremde Frau. Du blickst hinunter in die leeren Bankreihen, wo Mama sitzt und dich erwartungsvoll anschaut. Tränen, die du nie weinen wirst, schnüren dir den Hals zu.
Sechs Jahre. Deine kleine Schwester weint. "Mama ist tot!" Nein, sie ist nicht tot. Du siehst, wie sie atmet.
Der Alkoholdunst ist betäubend. Du schiebst ein Kissen unter ihren Kopf und deckst sie zu. Dann nimmst du deine Schwester mit in dein Bett. Heute nacht schlaft ihr eng aneinandergekuschelt.
Neun Jahre. Du liegst ganz still, starrst an die Decke. Dein Puls dröhnt in den Ohren. Du versuchst, an etwas anderes zu denken, als an die Finger, die in dir wühlen. Fast gelingt es in manchen Momenten, sie nicht zu spüren.
dir geht es nicht schlecht, du bildest dir das nur ein
du könntest, wenn du wolltest
wie kann man nur so träge sein
du bist zu nichts zu gebrauchen
was für einen Grund hast du schon zum Jammern
reiß dich zusammen
Welt aus geschwärzten Scherben. Zusammengekauerte Seele, geduckt weiterer Schläge harrend.
Nähe öffnet alle Türen für den Schmerz, verwirrt in höchstem Maße. Damit umzugehen ist nie erlernte Kunst. Festklammern, wegstoßen.
Glück ist tückisch. Je höher es einen trägt, desto schmerzhafter ist der Fall. Es mißtrauisch betrachten und auf den Moment warten, wo der Teufel aus der Schachtel schnellt.
Seelenknochen zertrümmert. Bloße Haut, zernarbt. Sich selbst zerfleischend, zerreißend, zerfetzend. Brüllende Stille, Damoklesschwert der mütterlichen Stimme, stumme Schreie, ungehört verhallt.
Schön lächeln, wie gelernt. Frech sein, lachen, scherzen. Aber sicher doch, mir gehts bestens. Alles wie immer.
Routiniert verbirgst du, wie sehr das Leben dich erschöpft. Daß deine Tränen an guten Tagen nicht versiegen. Daß Leere, Trauer, Angst, Schmerz, Verzweiflung, Selbsthaß dich füllen bis zum Rand.
Kein Ziel bieten.
Ich fürchte Eure Pfeile.