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Ausgeliefert
Bedrohlich schweben graue Wolken über uns, während er die Münze mit seinem krummen Daumen in die Luft schnippt. Die Münze , die über mein Leben entscheidet. Sie fliegt mit einer Leichtigkeit, welche nicht das schwere Ausmaß ihrer Landung erkennen lässt. Während sich die Münze vor meinem Augen dreht, kreist mein Magen. Mein Herz rast, drückt in unregelmäßigen Schlägen gegen meine Brust, derweil sich Ketten um meine Kehle schnüren. Indessen gelassen schwebt die Münze über unseren Köpfen, taucht ab in die Schwerelosigkeit der Atmosphäre und an diesem einem Punkt, an dem sie weder zu steigen noch zu fallen vermag, hält sie inne.
Ein kalter Luftzug erwischt mich und die Zeit bleibt stehen. Wie gefroren stehe ich da, während die Bilder vor meinem inneren Auge aufflackern. Meine Schwester und ich, lachend in der Küche beim Tanzen. Wie sie zu mir ins Auto steigt. Der schwarze BMW, das grelle Licht. Ich erinnere mich an den Geruch von Blut und Schweiß, an die salzigen Tränen sowie die hilflosen Schreie im Hintergrund. An den Mann, der meine Schwester zudeckte und sie in den Wagen schob. Die Beerdigung und kurz darauf die Drogen als Ausweg. Neue Freunde, andere Partys. Das Leben in der Nacht, statt am Tage. Wie ich die Schule abbreche. Den Kontakt zu jedem, den ich liebe, abbreche. Lange ist es her, dass sich die Geschehnisse in meine Seele geritzt haben. Die Zeit konnte die Wunden nicht heilen, das konnte niemand. Doch eine Kruste hat sich über die aufgerissenen Stellen gelegt, welche nun zu bröckeln beginnt.
Ein Schlag reißt mich in das Jetzt zurück. Die Augen mit Tränen gefüllt, fällt mein Blick auf eine alte Holzbaracke und ich weiß wieder wo ich bin. Wir stehen auf einer freien Wiese, um uns herum Bäume, welche einen Blick in die Schatten der Wälder zulassen. Donner hallt durch die Stille und schwer atmend starre ich auf die Münze. Jedoch fällt diese nicht so, wie mir mein Herz zu fallen droht, nein , sie fällt gleichmütig, als wüsste sie bereits was mich erwartet. Der Geruch von Schweiß verstärkt sich und ich wische meine nassen Hände an der kratzigen Hose ab. Kurz darauf wird, mit einem dumpfen Stoß, die Darbietung beendet. Die Münze ist gelandet, hat das Urteil gefällt.
Allerdings verdeckt der Mann das Ergebnis mit seiner rauen Hand, sodass ich gezwungen bin, in sein Gesicht zu schauen. Obwohl es ein junges Gesicht ist, strahlt es keinerlei Lebensenergie aus. Wie lange ich auch in den unergründlichen dunkelbraunen Augen suche, es lässt sich nichts Freundliches erkennen und die markanten Gesichtszüge unterstreichen das kalte Auftreten dieses Mannes. Geruhsam hebt sich der rechte Mundwinkel, sodass sich ein selbstsicheres Grinsen, ähnlich wie eine Maske, über sein Gesicht legt. Das Aufleuchten seiner Augen zeigt mir allerdings, dass sein Grinsen nicht aufgesetzt sein kann. Ich folgte jedem seiner Schritte und so folge ich auch, als er seinen Kopf gemächlich senkt, bis seine Augen die Hände, unter denen sich die Münze befindet, fixieren können.Die Art, wie dieser Mensch seinen Blick festmacht, lässt mich erkennen, dass auch für ihn das Ergebnis von Bedeutung ist.
Immer noch fixiert mein Blick die Münze, doch sie verblasst. Ich fixiere, starre, drehe den Kopf, doch verschwommen sind die Bilder vor mir. Auch die Münze sowie der Mann verblassen, bis ich mich alleine auf der endlos weiten Wiese befinde. Schnell greife ich in meine rechte Hosentasche, da ich etwas zur Beruhigung brauche. Zum Vorschein kommt ein kleines Plastiktütchen, ohne Inhalt.Übelkeit überkommt mich und der Donner wird abgelöst, von den Rufen meiner Schwester, von ihrem Schrei, der mein Herz zerriss. In schnellen Zügen flackert das letzte Bild von ihr vor meinen Augen auf : Ihre weit aufgerissenen Augen, erfüllt mit Angst. Die Schlinge zieht sich fester zusammen, sodass mir jegliche Atmung verwehrt wird und ich zu Boden sinke. Tränen stürzen aus meinen angeschwollenen Augen und vermischen sich mit dem kühlen Regen, der auf mich prasselt.