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Ausflug ins Unbekannte
Ausflug ins Unbekannte
Es war ein kühler Herbstnachmittag. Der Himmel war grau, ebenso die Stadt.
Auf einer langen asphaltierten Straße war ein Bub, ein kleiner Bub von etwa sechs Jahren. Er hatte braunes buschiges Haar und hellblaue Augen. Er wirkte wie ein normaler Junge, der auf der Straße seine Spielchen trieb, den Wolken beim Vorüberziehen zusah und auch das eine oder andere aufgewehte Laubblatt sanft knisternd durch seine Fingerspitzen gleiten ließ. Da es bereits gegen Abend wurde und der kleine Mann schon seit einiger Zeit alleine auf der Straße spielte, entschloss sich seine Mutter, die sein Treiben und Sein durch eine eingeschlagene Fensterscheibe beobachtete, sich aus ihrem Haus zu entfernen, um den Buben abzuholen. Sie schritt aus der Haustür des recht schäbigen Wohnblocks heraus, schritt über die zugemüllte Einfahrt zur Straße nach außen, nahm den Burschen bei der Hand und gerade als sie über die Bereitwilligkeit von seiner Spielerei abzulassen und wieder heimzukehren ,erstaunte, wo er wusste, dass ihn nichts weiter erwartete, denn ihr Vater war vor geraumer Zeit mit allen anderen verschwunden, fing der kleine Bub zu weinen an und bestürmte sie an, ihn noch ein bisschen spielen zu lassen. Die Mutter wehrte mitleidig ab und musste ihn ja doch heimschleppen. Doch der Kleine ließ nicht ab. Er bettelte und schluchzte, schrie und setzte sich zu allem Übermaß noch auf seine zwei Beinchen mitten auf den Boden. Die Straße war leer, genauso wie die ganze Gegend, sonst wäre ihm natürlich erst gar nicht erlaubt gewesen, sich überhaupt allein auf die Straße zu begeben.
Die Mutter, ermüdet durch die vielen Überredungsversuche, nahm neben ihm Platz und stützte sich auf ihre beiden Arme nach hinten ab. Der Wind blies durch die Luft und man konnte ihn durch alle die kaputten Fenster, durch den rostigen Kinderspielplatz durchpfeifen hören. Es war dem Wind sichtlich eine Freude, sich so unbeschwert durch die Lüfte zu winden und einmal höher ein anderes Mal tiefer durch alle verborgenen Gassen und höchste Winkel des Himmels zugleich zu tanzen, als sei die Welt seine Melodie und Häuser, ja alles feste, alles Material auf dieser Welt nur Schallplatten, die dem Wind bei seinem Toben und Spielen als Werkzeug dienten. Dies alles ging der jungen Dame durch den Kopf, als sie ihren prächtigen Burschen ansah und sein Antlitz, welches so unwissend und froh in den kleinen Pfützen, die der Sturm gestern hinterlassen hatte, zu erkennen war, da die Sonne noch gerade genug draußen war, um dem Licht die Reflexion zu ermöglichen. Jakob schien zufriedengestellt durch den plötzlichen Sinneswandel seiner Mutter und sein Geist tat es ihrem gleich, indem sich ein breites Lächeln, ein natürliches, erstauntes Lachen über sein Gesicht zog. Die Mutter himmelte den kleinen Jakob noch ein bisschen, an bis sie in ein warmes, mütterliches Lachen ausbrach und ihr kleiner Bub ihr nachempfand.
So saßen nun Mutter und Sohn schon seit geraumer Zeit auf der Straße und erfreuten sich der untergehenden Sonne und all den Emotionen, die die Natur und ihre Phänomene mit sich brachten.
Maria sah ihren Sohn aufstehen, tat es ihm nach und es schien ihr, als wäre nun genug gespielt worden. Sie forderte ihn mit einer ausgestreckten Hand, die er zu greifen suchte, auf, sich mit ihr gemeinsam auf die Heimreise zu machen. Doch es täuschte sie. Der Bub wollte keineswegs nach Hause. Alles was ihm am Herzen lag, war jene Wiese, auf die er erfreulich mit seinen Fingern zeigte. Als Maria ihren Blick dorthin richten konnte, ihren Augen nicht traute, da jene schon öfters durch Schatten betrogen worden waren, und sich hinter seiner Fingerspitze ein Ort befand, den keine Menschenseele je erblicken durfte, machte sich ein verwunderter Ausdruck auf ihrem Gesicht breit und sie hatte ja gar keine Zeit mehr zu denken und zu überlegen, wer jenen Fleck der Natur dorthin gezaubert habe, denn ihr kleiner Engel machte sich bereits auf den Weg dorthin und lief mit dem Wind um die Wette dorthin. Da es auch für den Wind ein erstes Mal war, jenes Wunder erblicken zu dürfen, machte er sich ebenso rasch auf den Weg, denn er wollte wie immer der Erste sein. Und so kam plötzlich eine heftige Windböe, welche die Mutter in grausiger Vorahnung erschaudern ließ. So machte sie sich auf den Weg und lief ihrem Buben hinterher, den sie mit großen Schritten nach einiger Zeit schon eingeholt hatte. Sie stütze sich ein bisschen und beugte sich zu ihren Knien, da schon länger nicht mehr nach solcher Art gelaufen wurde, um sich auszuruhen. Sie keuchte und schwitzte und fühlte sich gänzlich nicht mehr wohl. Als sie sich aufrichtete, mit Freuden und Sehnsucht ihren Jakob vor sich erblicken konnte, fand sie sich in einem Wald wieder. „Komm, sagte sie. Gehen wir von hier. So sehr du es für immer bereuen wirst, komm und entschwinde mit mir dieser Übernatur!“
Der kleine Jakob wirkte nun nicht mehr wie ein Kind und schien seine Mutter verstehen zu können.
So reichte sie ihm ihre Hand und genau im Moment der Berührung der kleinsten und süßesten Fingerspitzen mit denen der Mutter, welche vom Leben kräftig aber noch immer zart weiblich waren, entschwand er ihrem Blick und ihrer Berührung. Sie begriff sofort den Ernst der Situation, denn immerhin waren sie in einen Wald gewandert, welcher nicht existieren darf. Der Boden war Braun von der Erde und mit Gras versehen, welches am Rand des Weges mehr und an anderen Stellen weniger zahlreich hervorspross und am Rand des Weges hoben sich auch die Riesen des Waldes mit kräftigen Baumstämmen, von denen sich einzelne Äste abspalteten, welche bei Winter und bei Sommer an gleichem Maße mit Laub versehen waren. Auf besagten Boden fiel Maria auf die Knie schlug die Hände vor ihrem jungen und edlen Gesicht zusammen und weinte auf das Heftigste. Sie konnte nicht einfach gehen, sie musste suchen, suchen nach ihrer zweiten Hälfte des Herzens, welches entzweigerissen wurde, durch Unbekanntes.
Nach einiger Zeit beschloss sie, eine kleine Pause einzulegen, nicht um ihre Wanderung etwa zu planen, denn sie war ohne Karte oder Kompass hilflos, sondern schlicht und einfach um ein bisschen Rast zu machen. Ängstlich wurde ihr bewusst, dass etwas nicht stimmte. Etwas an ihrer Trauer war falsch, ja empfand sie denn wirklich eine Trauer?
Immerhin war vor einer Stunde ihr Sohn plötzlich verschwunden, und sie war noch dazu in ein Abenteuer gestürzt, welches zwar spannend, schön aber auch bedeutungslos in dessen Art war, da es sich eigentlich nicht wirklich zutragen konnte und somit vielleicht nur ein Traum sein könnte.
Dieser Gedanke lies Maria durchatmen. Sie zwickte sich und wie erhofft lag sie nun in ihrem Bett, allein. Der Raum war dunkel, nachdem sich ihre Augen an die schwarzen weißen Wände gewöhnt hatten, schlich sie hoffend auf den Korridor hinaus, schloss langsam die Türe hinter sich, denn sie wollte ihren Sohn, den sie sicher war aufzufinden, auf keinen Fall aus seinem schönen Schlaf wecken. Durch seine Zimmertür schreitend, konnte sie tief durchatmen, als sie ihren Sohn beim friedlichen Schlaf erblicken konnte. Sie konnte trotzdem nicht mehr einschlafen.
Der nächste Nachmittag war wieder ein kühler Herbstnachmittag. Der Himmel war grau.
Auf der langen asphaltierten Straße war der Bub. Er wirkte immer noch wie ein normaler Junge, der auf der Straße seine Spielchen trieb, den Wolken beim vorüberziehen zusah und auch das ein oder andere aufgewehte Laubblatt sanft knisternd durch seine Fingerspitzen gleiten ließ. Es wurde bereits gegen Abend und der kleine Mann spielte schon seit einiger Zeit alleine auf der Straße , so entschloss sich Maria, sich aus ihrem Haus zu entfernen um den Buben abzuholen. Sie schritt aus der Haustür des recht schäbigen Wohnblocks heraus, schritt über die zugemüllte Einfahrt zur Straße nach außen, und wurde bleich im Gesicht. Ihre roten Lippen kamen dadurch zum Vorschein und ihre Gestalt war wunderschön, als sie umfiel. Vor ihr war der Tod in der Gestalt eines jungen Burschen.