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Aus Liebe

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06.01.2003
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Aus Liebe

Er saß mir gegenüber, blaß und vergrämt, mit tiefen Schatten unter den Augen und einem Lächeln, das unglaublich tapfer war. So tapfer, dass es mich zutiefst rührte. Vor zwei Tagen war er heimgekehrt und seitdem lächelte er nur noch auf diese Weise.
Sein dunkles Haar schimmerte weich im schwachen Licht der Stehlampe, die neben seinem Sessel stand. Er wirkte müde und ausgelaugt wie nie zuvor, der Kopf leicht gesenkt, den Blick auf seine Hände gerichtet, die im Schoß ineinander gefaltet lagen. Kein Wunder, nach diesem erbitterten Krieg, den wir uns geliefert hatten und aus dem ich eindeutig als Siegerin hervorgegangen war.

Wir saßen schweigend da, als gäbe es nichts mehr zu sagen, nach all den Worten
die in den letzten Wochen zwischen uns gefallen waren. Nachdenklich betrachtete ich sein vertrautes und liebgewonnenes Gesicht. Jede winzige Falte, jede Pore, jede Unebenheit, jeder Makel in diesem eckigen, kantigen Männergesicht war unauslöschlich in mir verankert. Die Art wie er lachte oder sich bewegte, seine Mimik, der Klang seiner Stimme, das Strahlen seiner braunen Augen – all das konnte ich vor meinem geistigen Auge abrufen, als wäre er gegenwärtig, auch wenn er es nicht war.
Unfassbar, wie sehr ich ihn liebte und wie schmerzhaft sich das anfühlen konnte.

Die andere Frau hatte mich sehr getroffen.
Das unser Leben wegen ihr aus den Fugen geriet, ebenfalls. Und ich hatte nichts unversucht gelassen, um ihn wieder zurückzubekommen. Den Kummer der Kinder, meinen eigenen Schmerz, seinen Undank, seinen Verrat – alles hatte ich ihm als Ballast der Schuld auf den Rücken geladen, bis er in die Knie ging. Nach der Ohnmacht war die Wut eingekehrt und anschließend der Schmerz, den ich mit Alkohol zu betäuben versuchte, aber in Wahrheit nur verdrängte. Die Trauer hatte mich zerrissen und die Angst ihn zu verlieren fast zerstört, doch nichts von allem dem war so schrecklich, wie der glanzlose Blick seiner braunen Augen.
Dafür hatte ich nicht so hart gekämpft, dafür nicht.

Das Leuchten seiner Augen war mir immer das Kostbarste. Ein Leuchten, das mich schon bei unserer ersten Begegnung faszinierte. Es war so voller Lebensfreude, Wärme und Heiterkeit. Schwor ich nicht vor vielen Jahren alles zu tun, um ihm dieses Strahlen zu erhalten?

Wortlos stand ich auf, um zum Fenster zu gehen. Ich starrte in die Dunkelheit, lehnte meine Stirn gegen das kühle Glas. Erinnerungen stürmten auf mich ein: der erste Kuss, Zeit der Verliebten, die erste gemeinsame Wohnung, die Heirat, die Kinder.....Tausend Momente des Glücks, alle von seinen glücklich strahlenden Augen begleitet.
Augen, die wie wärmender Sonnenschein auf mich schauten oder tröstend auf mir ruhten, wenn sich scheinbar die ganze Welt gegen mich verschworen hatte. Soviel Kraft, soviel Mut, Hoffnung und Liebe in einem Zwinkern, in einem lächelnden Blick. Immer an meiner Seite und immer für mich da. Immer nur das Beste von sich gegeben und nur so wenig dafür verlangt. In all den Jahren der ehrlichste Freund, das größte Glück, der liebste Kamerad.
Stumm hatte ich in solchen Momenten meinen Schwur feierlich wiederholt, romantisch und sentimental, für mich ganz allein. Doch das es mir einmal so schwer fallen würde mein Versprechen einzulösen, davon hatte ich nie etwas geahnt.

„Woran denkst du?“ fragte er mit leiser Stimme, direkt an meinem Ohr. Unbemerkt war er zu mir herangetreten. Sacht schlang er seine Arme von hinten um mich und schmiegte seine Wange weich an meiner. Sein Geruch war so vertraut wie das sanfte Kratzen seiner Bartstoppeln. Es war grausam sich vorzustellen, dass er mich nie wieder so halten würde, wenn ich ihn heute gehen ließ. Ich lehnte mich vorsichtig gegen ihn und schaute auf das Fensterglas, das unsere Gestalten widerspiegelte und preisgab, was ich so gern verleugnet hätte.

Er war wieder nach Hause gekommen und ich wußte sicher, dass er nicht mehr gehen würde, nachdem er zurückgekehrt war. Aber genauso sicher wußte ich auch, dass wir das Leuchten verloren hatten, weil er es bei ihr zurückließ. Ich ahnte, wie sehr er sie vermißte und wie sehr er sich quälte. Das er unter seiner Entscheidung, allein von Vernunft getragen, litt und doch tapfer versuchte es vor mir zu verbergen. Er liebte mich noch immer, wenn auch anders als früher.

Wenn ich ihn liebte, dann mußte ich ihn fortschicken. Ihn diesmal ohne Wut, ohne Drohungen, ohne Vorwürfe und Schuldzuweisungen gehen lassen. Das begriff ich jetzt.
Du hast die Größe, redete ich mir zu, du hast die Kraft und die Größe, um das für ihn zu tun. Und wenn nur aus Dank für die guten Jahre, die nur gut waren, weil es ihn gab. Es ist vorbei, laß ihn gehen, halte ihn nicht fest, damit seine Augen wieder Leuchten können. Du hast es geschworen.

„Warum schickst du mich fort?“ fragte er fassungslos, während ich seinen Schrank ausräumte, fast liebevoll seine Kleidung in Taschen packte und versuchte so tapfer zu sein, wie er in den letzten zwei Tagen.
„Das erzähle ich dir ein anderes Mal,“ entgegnete ich.
Unmöglich jetzt mit ihm darüber zu reden. Der Kummer schnürte mir die Kehle zu, alles in mir war traurig. Edelmut verlangte Stärke, die ich langsam schwinden fühlte.

Beeile dich und gehe schnell, ich werde immer winziger, immer kleiner und ängstlicher. In ein paar Minuten habe ich vielleicht schon nicht mehr den Mut so selbstlos zu sein - auch Helden kennen Furcht.

Er würde nie mehr nach der Arbeit zu mir nach Hause kommen, nie mehr fluchend durch die Wohnung rennen und Dinge suchen, die er selbst verlegt hatte. Nie mehr zu mir ins Bett krabbeln, mich nie mehr halten, schützen, trösten, lieben, riechen, schmecken. Es tat so weh und doch lächelte ich leicht, als wir zusammen draußen vor der Tür standen.
„Kannst du mir doch nicht verzeihen?“
„Ich habe dir verziehen.“
„Warum schickst du mich dann fort?“
„Man kann nichts mit Gewalt festhalten.“
„Ich bin freiwillig heimgekommen,“ sagte er leise und ich nickte, streichelte ihm zärtlich über die Wange. Es würde einsam sein ohne ihn.
„Fahr jetzt.“
„Willst du das wirklich?“
„Ja.“
Die Autotür schnappte leise zu und der Motor sprang schnurrend an, als er den Zündschlüssel drehte. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Mauer, schob beide Hände in die Taschen meiner Jeans und sah ihm nach. Die Rücklichter strahlten hell in der Nacht, flammten stärker auf, als er am Ende der Straße bremste und rechts abbog. Damit war er meinem Blick entschwunden.

In einer halben Stunde würde er bei ihr schellen, oder die Wohnungstür aufschließen. Spätestens in einer halben Stunde würden seine Augen wieder Leuchten, trotz des Trennungsschmerzes von uns.
Das es so sein würde, tröstete mich ein wenig.
Ich wischte die Tränen aus meinem Gesicht und ging zurück ins Haus.
Alles, alles Gute mein Freund.

 

Mah, die geht unter die Haut, ehrlich ...

Ich wünsch dir von Herzen, dass es nicht Betroffenheit ist, die dich diese unglaublich schöne, unglaublich starke, unglaublich traurige und unglaublich tröstliche Geschichte hat schreiben lassen.

 

Hallo Mayo

Da kann ich mich Strider erst mal nur anschließen. Eine Geschichte die unter die Haut geht.
Wahre Liebe ist daran zu erkennen, einem Menschen die Freiheit zu lassen die er braucht um glücklich zu sein. Notfalls sogar, ihn gehen zu lassen.

Zwei Dinge sind mir sofort aufgefallen:

Augen, die wie wärmender Sonnenschein auf mich schauten oder tröstend auf mich ruhten
tröstend auf mir ruhten .... müßte es, denke ich, heißen.

Er würde nie mehr nach Arbeit zu mir nach Hause kommen
nach der Arbeit.

Es gibt noch ein paar wenige Sätze, die du stilistisch bestimmt besser/anders formulieren könntest.
Aber die Geschichte ist auch so sehr schön zu lesen. ;)

Gruß
LoC

 

Hey Mayo,
berührende Geschichte. ich glaube du hast damit etwas geschafft, woran viel vor dir Verzweifelt sind: Zu beschreiben was Liebe bedeutet.

Selten einen so guten ersten Beitrag gelesen. Ein absolut gelungener Einstand würde ich mal sagen.

Ein wenig würde ich, glaube ich, am Stilistischen auch noch rummäkeln, wenn ich ihn auseinander nehmen würde. Werde ich aber nicht tun, weil mir dann die Stimmung verloren gehen würde. Ich hoffe du verzeihst mir das :shy:?

Großes Lob nochmal.
Liebe Grüße
Roman

P.s.: Normalerweise ist Romantik nicht so meine Rubrik, aber da ich gerade in so einer Stimmung bin hat deine Geschichte den Nerv ganz gut getroffen. Wenn auch ein wenig anders ;)!

 

Hallo,

vielen, vielen Dank für Eure netten Worte. Ich habe wie auf glühenden Kohlen gesessen und bin vor Spannung und Nervosität fast geplatzt. Zum ersten Mal hatte ich den Mut, meine Geschicht jemandem zu zeigen. Puh....jetzt geht es besser und ich bin sooooooo froh.

@Strider
Deine Antwort hat mich wahnsinnig gefreut. Du bist der Erste, der je etwas von mir gelesen hat und ich war einfach nur glücklich, als ich heute morgen deine Worte las.

@Lady of Camster
Vielen Dank auch Dir und Deinen wachsamen Augen. Sobbald ich herausgefunden habe, wie ich wieder an meinen Text komme, werde ich mich sofort an die Arbeit machen.

@Prodi
Das mit dem Stilistischen stimmt absolut. Bevor ich die Geschichte gestern Nacht einstellte, habe ich noch stundenlang an ihr gebastelt, aber jedesmal, wenn ich etwas umformulierte, hatte ich das Gefühl, ihr geht etwas verloren. Vielleicht finde ich irgendwann den richtigen Zugang - Anregungen wären da vielleicht sehr hilfreich :)
Übrigens, wenn Deine Stimmung positiv romantisch ist, dann hoffe ich, dass sie Dir noch recht lange erhalten bleibt

 

Hallo Mayo...

Jeder, der diese Situation kennt, wird wohl wissen, wie schwer es faellt... aber auch, dass es die einzige richtige Entscheidung ist (das sollte man erkennen).
Eine schoene Geschichte, wie sie das Leben spielt...

Dany

 

Hey Mayo,

kann mich da meinen Vorrednern nur anschliessen: eine Geschichte die unter die Haut geht.
Der letzte Absatz hat mir persönlich nicht so gut gefallen, aber das ist sicher Geschmacksache.

Weiter so, gruß joy

 

ohne sie wäre er ein mann wie jeder andere. was gibt er ihr (zurück)?

 

Hallo Joy, Sunshine und Caecil,

Danke für Eure Beiträge.

Der letzte Absatz hält noch einmal fest, dass sie ihn wirklich ohne Groll gehen läßt - war mir inhaltlich wichtig.

Du hast sicher recht, Sunshine, man "sollte es erkennen", aber wenn ich mich so umschaue, dann scheint es (leider) eher nicht so zu sein.

@Caecil

Bin mir gar nicht sicher, ob ich deine Frage richtig verstanden habe. Er ist sowieso ein Mann wie jeder andere - er stellt nichts Besonderes dar.
Und es geht nicht um geben oder nehmen.

Es darum einen Menschen, den man sehr mag, gehen zu lassen wenn er gehen will, ohne ihm Steine in den Weg zu legen. Auch wenn`s weh tut.

Liebe Grüße
Mayo

 

@caecil

Das ist genau das, was mir an der Geschichte so gut gefällt. Liebe fragt nicht nach der Gegenleistung. Sie lehrt uns, das Revanchismus keine angemessene Haltung ist, sich den Herausforderungen eines gelungenen Lebens zu stellen.

 

Hallo mayo,

Deine Geschichte: berührend, authentisch, warmherzig, voller Liebe. Fast "wie selbst erlebt", glaubhafte Figuren. Vieles sehr nachvollziehbar.

Am Stil könntest du tatsächlich noch arbeiten. Ein bißchen verwässerst du mit Überflüssigem und Füllwörtern deinen sonst guten Stil.

Beispiel

Er saß mir direkt gegenüber, ganz blaß und vergrämt, mit tiefen Schatten unter den Augen und einem Lächeln, das unglaublich tapfer war. So tapfer, dass es mich zutiefst rührte. Vor zwei Tagen war er heimgekehrt und seitdem lächelte er nur noch auf diese Weise.
Sein dunkles Haar schimmerte weich im schwachen Licht der Stehlampe die neben
dem Sessel stand, in dem er Platz genommen hatte. Den Kopf leicht gesenkt, den Blick auf seine Hände gerichtet, die im Schoß ineinander gefaltet lagen, wirkte er so müde und ausgelaugt, wie nie zuvor. Kein Wunder, nach diesem erbitterten Krieg den wir uns geliefert hatten und aus dem ich eindeutig als Siegerin hervorgegangen war.

>Er saß mir direkt gegenüber, ganz blaß und vergrämt,
> "direkt" ist unwichtig, "ganz" ein verzichtbares Füllwort.

>in dem er Platz genommen hatte.
> der Leser ahnt schon, dass er sitzt. Würde den Nachklapp deshalb streichen.

Er saß mir gegenüber, blaß und vergrämt, mit tiefen Schatten unter den Augen und einem Lächeln, das unglaublich tapfer war. So tapfer, dass es mich zutiefst rührte. Vor zwei Tagen war er heimgekehrt und seitdem lächelte er nur noch auf diese Weise.
Sein dunkles Haar schimmerte weich im schwachen Licht der Stehlampe, die neben seinem Sessel stand. Er wirkte müde und ausgelaugt wie nie zuvor, der Kopf leicht gesenkt, den Blick auf seine Hände gerichtet, die im Schoß ineinander gefaltet lagen. Kein Wunder, nach diesem erbitterten Krieg, den wir uns geliefert hatten und aus dem ich eindeutig als Siegerin hervorgegangen war.

LG Petra

 

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