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Aus Liebe
Er saß mir gegenüber, blaß und vergrämt, mit tiefen Schatten unter den Augen und einem Lächeln, das unglaublich tapfer war. So tapfer, dass es mich zutiefst rührte. Vor zwei Tagen war er heimgekehrt und seitdem lächelte er nur noch auf diese Weise.
Sein dunkles Haar schimmerte weich im schwachen Licht der Stehlampe, die neben seinem Sessel stand. Er wirkte müde und ausgelaugt wie nie zuvor, der Kopf leicht gesenkt, den Blick auf seine Hände gerichtet, die im Schoß ineinander gefaltet lagen. Kein Wunder, nach diesem erbitterten Krieg, den wir uns geliefert hatten und aus dem ich eindeutig als Siegerin hervorgegangen war.
Wir saßen schweigend da, als gäbe es nichts mehr zu sagen, nach all den Worten
die in den letzten Wochen zwischen uns gefallen waren. Nachdenklich betrachtete ich sein vertrautes und liebgewonnenes Gesicht. Jede winzige Falte, jede Pore, jede Unebenheit, jeder Makel in diesem eckigen, kantigen Männergesicht war unauslöschlich in mir verankert. Die Art wie er lachte oder sich bewegte, seine Mimik, der Klang seiner Stimme, das Strahlen seiner braunen Augen – all das konnte ich vor meinem geistigen Auge abrufen, als wäre er gegenwärtig, auch wenn er es nicht war.
Unfassbar, wie sehr ich ihn liebte und wie schmerzhaft sich das anfühlen konnte.
Die andere Frau hatte mich sehr getroffen.
Das unser Leben wegen ihr aus den Fugen geriet, ebenfalls. Und ich hatte nichts unversucht gelassen, um ihn wieder zurückzubekommen. Den Kummer der Kinder, meinen eigenen Schmerz, seinen Undank, seinen Verrat – alles hatte ich ihm als Ballast der Schuld auf den Rücken geladen, bis er in die Knie ging. Nach der Ohnmacht war die Wut eingekehrt und anschließend der Schmerz, den ich mit Alkohol zu betäuben versuchte, aber in Wahrheit nur verdrängte. Die Trauer hatte mich zerrissen und die Angst ihn zu verlieren fast zerstört, doch nichts von allem dem war so schrecklich, wie der glanzlose Blick seiner braunen Augen.
Dafür hatte ich nicht so hart gekämpft, dafür nicht.
Das Leuchten seiner Augen war mir immer das Kostbarste. Ein Leuchten, das mich schon bei unserer ersten Begegnung faszinierte. Es war so voller Lebensfreude, Wärme und Heiterkeit. Schwor ich nicht vor vielen Jahren alles zu tun, um ihm dieses Strahlen zu erhalten?
Wortlos stand ich auf, um zum Fenster zu gehen. Ich starrte in die Dunkelheit, lehnte meine Stirn gegen das kühle Glas. Erinnerungen stürmten auf mich ein: der erste Kuss, Zeit der Verliebten, die erste gemeinsame Wohnung, die Heirat, die Kinder.....Tausend Momente des Glücks, alle von seinen glücklich strahlenden Augen begleitet.
Augen, die wie wärmender Sonnenschein auf mich schauten oder tröstend auf mir ruhten, wenn sich scheinbar die ganze Welt gegen mich verschworen hatte. Soviel Kraft, soviel Mut, Hoffnung und Liebe in einem Zwinkern, in einem lächelnden Blick. Immer an meiner Seite und immer für mich da. Immer nur das Beste von sich gegeben und nur so wenig dafür verlangt. In all den Jahren der ehrlichste Freund, das größte Glück, der liebste Kamerad.
Stumm hatte ich in solchen Momenten meinen Schwur feierlich wiederholt, romantisch und sentimental, für mich ganz allein. Doch das es mir einmal so schwer fallen würde mein Versprechen einzulösen, davon hatte ich nie etwas geahnt.
„Woran denkst du?“ fragte er mit leiser Stimme, direkt an meinem Ohr. Unbemerkt war er zu mir herangetreten. Sacht schlang er seine Arme von hinten um mich und schmiegte seine Wange weich an meiner. Sein Geruch war so vertraut wie das sanfte Kratzen seiner Bartstoppeln. Es war grausam sich vorzustellen, dass er mich nie wieder so halten würde, wenn ich ihn heute gehen ließ. Ich lehnte mich vorsichtig gegen ihn und schaute auf das Fensterglas, das unsere Gestalten widerspiegelte und preisgab, was ich so gern verleugnet hätte.
Er war wieder nach Hause gekommen und ich wußte sicher, dass er nicht mehr gehen würde, nachdem er zurückgekehrt war. Aber genauso sicher wußte ich auch, dass wir das Leuchten verloren hatten, weil er es bei ihr zurückließ. Ich ahnte, wie sehr er sie vermißte und wie sehr er sich quälte. Das er unter seiner Entscheidung, allein von Vernunft getragen, litt und doch tapfer versuchte es vor mir zu verbergen. Er liebte mich noch immer, wenn auch anders als früher.
Wenn ich ihn liebte, dann mußte ich ihn fortschicken. Ihn diesmal ohne Wut, ohne Drohungen, ohne Vorwürfe und Schuldzuweisungen gehen lassen. Das begriff ich jetzt.
Du hast die Größe, redete ich mir zu, du hast die Kraft und die Größe, um das für ihn zu tun. Und wenn nur aus Dank für die guten Jahre, die nur gut waren, weil es ihn gab. Es ist vorbei, laß ihn gehen, halte ihn nicht fest, damit seine Augen wieder Leuchten können. Du hast es geschworen.
„Warum schickst du mich fort?“ fragte er fassungslos, während ich seinen Schrank ausräumte, fast liebevoll seine Kleidung in Taschen packte und versuchte so tapfer zu sein, wie er in den letzten zwei Tagen.
„Das erzähle ich dir ein anderes Mal,“ entgegnete ich.
Unmöglich jetzt mit ihm darüber zu reden. Der Kummer schnürte mir die Kehle zu, alles in mir war traurig. Edelmut verlangte Stärke, die ich langsam schwinden fühlte.
Beeile dich und gehe schnell, ich werde immer winziger, immer kleiner und ängstlicher. In ein paar Minuten habe ich vielleicht schon nicht mehr den Mut so selbstlos zu sein - auch Helden kennen Furcht.
Er würde nie mehr nach der Arbeit zu mir nach Hause kommen, nie mehr fluchend durch die Wohnung rennen und Dinge suchen, die er selbst verlegt hatte. Nie mehr zu mir ins Bett krabbeln, mich nie mehr halten, schützen, trösten, lieben, riechen, schmecken. Es tat so weh und doch lächelte ich leicht, als wir zusammen draußen vor der Tür standen.
„Kannst du mir doch nicht verzeihen?“
„Ich habe dir verziehen.“
„Warum schickst du mich dann fort?“
„Man kann nichts mit Gewalt festhalten.“
„Ich bin freiwillig heimgekommen,“ sagte er leise und ich nickte, streichelte ihm zärtlich über die Wange. Es würde einsam sein ohne ihn.
„Fahr jetzt.“
„Willst du das wirklich?“
„Ja.“
Die Autotür schnappte leise zu und der Motor sprang schnurrend an, als er den Zündschlüssel drehte. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Mauer, schob beide Hände in die Taschen meiner Jeans und sah ihm nach. Die Rücklichter strahlten hell in der Nacht, flammten stärker auf, als er am Ende der Straße bremste und rechts abbog. Damit war er meinem Blick entschwunden.
In einer halben Stunde würde er bei ihr schellen, oder die Wohnungstür aufschließen. Spätestens in einer halben Stunde würden seine Augen wieder Leuchten, trotz des Trennungsschmerzes von uns.
Das es so sein würde, tröstete mich ein wenig.
Ich wischte die Tränen aus meinem Gesicht und ging zurück ins Haus.
Alles, alles Gute mein Freund.