Aus Großvaters Tagebuch!
Aus Großvaters Tagebuch !
Liebes Tagesbuch! Gestern habe ich zwei Stunden in einer Banknote gelesen.
Warum soll man immer Bücher und Zeitungen nehmen? Das bekommt man auf die Dauer über. Aber so eine Banknote ist sehr interessant und regt an. Besonders nach dem Essen.
Ich saß in meinem Schaukelstuhl und zog einen Fünfzigmarkschein aus der Tasche. Wie ich zu so viel Geld kam, weiß ich nicht mehr, aber immerhin, ich hatte ihn. Er war schon etwas schmutzig und ich sicher nicht sein erster Besitzer. Trotzdem konnte man noch deutlich einiges erkennen.
So las ich unter anderem, dass, wer diese Banknote nachmacht oder verfälscht, mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft wird. Dies wollte mir gleich nicht in den Sinn. Der Satz hat schon vor zehn Jahren auf den Banknoten gestanden. Da aber inzwischen alles um das hundertfache gestiegen ist, müsste es eigentlich heißen: wird mit Zuchthaus nicht unter zweihundert Jahren bestraft.
Das wäre doch eine angemessene Strafe in der heutigen kurzlebigen Zeit.
Ich habe einen Onkel im Reichstag. Den werde ich beauftragen, einen dementsprechenden Antrag zu stellen.
Wenn ich zu bestimmen hätte, wüsste ich ganz andere Strafen für Banknotenfälscher. Ich würde draufdrucken lassen: Wer diese Banknote nachmacht, wird gezwungen, den schmutzigsten Schein im ganzen Lande so lange zu waschen, bis er schneeweiß geworden ist. Oder er würde mit diesem Schein in einen Ballon gesetzt, der ganz bestimmt nach Amerika fliegt. Dort könnte er dann sehen, wie weit er mit einem falschen deutschen Fünfzigmarkschein kommt.
Nachdem ich mir die Rückseite lange genug betrachtet hatte, drehte ich den Schein um. Oben drüber stand groß und breit: Reichsbanknote.
Dieses Wort allein kostete mich zwanzig Minuten.
Hatte ich nun eine Banknote vom Reich oder eine Note von der Reichsbank? Das war immerhin zu überlegen und gewiss nicht dasselbe. Da ich mir jedoch heute noch nicht klar darüber bin, nehme ich zu meinen Gunsten an, dass die Reichsbank eine Note auf der Bank des Reiches für Banknoten, also eine Reichsbanknote hat drucken lassen. Schließlich ist das ja Sache der Reichsbank oder der Banknote.
In der Mitte der Note jedoch, dicht unter einem ovalen Kranz, stand ein Satz, der mich ungemein interessierte.
Fünfzig Mark zahlt die Reichsbankhauptkasse dem Einlieferer gegen diese Note.
Die Wortstellung allein gefiel mir schon. Man stelle sich vor, jemand sagt: Zehn Mark zahlte ich heute für diese Zigarre! Ich werde mir diesen Satzbau angewöhnen.
Immerhin interessierte es mich, zu erfahren, was ich auf der Reichsbankhauptkasse gegen meinen Schein bekommen werde.
Ich schälte mich aus meinen Schaukelstuhl und machte mich auf den Weg.
„Scheck einlösen?“
fragte der Kassierer.
„Nein“, sagte ich, „ich möchte fünfzig Mark haben“.
Dabei warf ich meinen Fünfzigmarkschein auf die schwarze Marmorplatte.
„Sie möchten Wechselgeld?“
fragte er wieder.
„Nein, ich möchte fünfzig Mark. Hier auf dem Schein steht: fünfzig Mark zahlt die Reichsbankhauptkasse gegen diesen Schein dem Einlieferer. Ich bin der Einlieferer bitte zahlen Sie.“
Der Kassierer sah mich ängstlich an. Es gibt heute so viele Verrückte. Man kann nie wissen. Er lächelt mich freundlich an, als habe er alles verstanden, und schob mir fünf Zehnmarkscheine durch das Glasfenster.
Im großen Vorsaal setzte ich mich zwischen den vielen Säulen auf eine Bank und betrachtete meine Scheine. Es waren fünf vollkommen gleiche Papiere, und auf jedem stand: Zehn Mark zahlt die Reichsbankhauptkasse gegen diesen Schein dem Einlieferer.
Um den Ausdruck ´paradox` nicht gebrauchen zu müssen, fand ich die Sache merkwürdig.
Für meine fünfzig Mark hatte ich fünf Scheine bekommen, auf denen mir versichert wurde, dass ich für jeden zehn Mark bekommen würde.
Um zwölf Uhr wurde der Kassier abgelöst. Ich ging wieder an den Schalter.
„Scheck einlösen?“
„Nein,“ sagte ich, „ich möchte fünf mal zehn Mark haben,“
und schob meine Scheine durch das Glasfenster.
Dieser Kassierer sagte überhaupt nichts.
Er nahm mein ganzes Geld und legte mir statt dessen einen Fünfzigmarkschein auf den Tresen. Unbesehen schob ich ihn in die Tasche. Ich wusste schon , was darauf stand: Fünfzig Mark zahlt die Reichshauptkasse.......
So leid es mir tut, muss ich zur Schande der Reichsbank feststellen, dass sie noch nicht mal fünfzig Mark besitzt. Sonst hätte sie mir doch sicher so viel gegeben.
Das Einlösen habe ich aufgegeben. Dafür habe ich jetzt eine andere sehr schöne Beschäftigung.
Seit neun Stunden liege ich in meinem Schaukelstuhl und entziffere die zwölf Unterschriften des Reichsbankdirektoriums.
Einen Namen habe ich schon.
Er heißt Stifter oder Siffler oder Hippert, vielleicht Schittler oder Klisser, möglich auch Millert oder Plister. Aber ein i ist auf jeden Fall drin, das habe ich schon heraus.
Und ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ich alle zwölf Namen und noch vieles Andere auf meiner schönen Banknote entdecken werde.