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Aus dem Herzen eines Messies
Besuch hatte ich schon seit Jahren keinen mehr. Nicht dass ich mich schämen würde, nein, ich habe vielmehr eine unheimliche Leidenschaft für das Sammeln von Kostbarkeiten entwickelt, da ist nun mal kein Platz für Besuch. Man muss Prioritäten setzen.
Ich öffne die Tür zu meinem ehemaligen Schlafzimmer, welches mittlerweile meiner Leidenschaft weichen musste. Die weiße Holztür, deren Lack schon an einigen Stellen abgeblättert ist, geht gerade weit genug auf, dass ich einen Blick auf meine Schätze werfen kann. Nachrichten aus aller Herren Länder stapeln sich schier von alleine, berühmte Persönlichkeiten lachen mich von den Hochglanzmagazinen an und hunderte Groschenromane liegen über den Boden verstreut.
Jeder Gang durch meine Schatzkammer gleicht einer Odyssee. Nie wissend welche Überraschung hinter der nächsten Ecke auf mich lauert, wate ich durch die Schneisen meiner Goldmine. Mit dem Geruch feuchter Wände in der Nase, schlängle ich mich durch alte Zeiten und eine wohlig warme Erinnerung überkommt mich beim Anblick der unzähligen Dosen, Schachteln und Kartons, die ich in den letzten Jahrezehnten gerettet habe. Sie sind mir alle ans Herz gewachsen und wo wären sie denn heute ohne mich? Vergessen in der unnachgiebigen Vergänglichkeit unserer Welt, zerdrückt, zerpresst und verbrannt, auf irgendeiner Mülldeponie.
Ich klettere auf den Dachboden, schiebe einen mannshohen Turm aus Blumentöpfen beiseite und ziehe den Geruch von modrigen Holz in meine Nase. Auf der Dachluke hat sich eine gelbliche Schicht aus Witterung und Dreck gebildet und der Griff ist so verrostet, dass es mir schwer fällt die Luke einen Spalt zu öffnen. Mein Blick fällt auf meinen Garten, meine Welt, meine heile Welt. Herbstnebel legt sich über die vielen Gartenstühle, ein Rabe krächzt sein Leid und Regen tropft mir auf die Nase. Ich zähle die Vogelhäuschen die an der alten Birke hängen, welche im Zentrum des Gartens steht. 14 Stück. Neben meiner Passion für Dinge, hege ich auch eine tiefe Zuneigung für Tiere, denn sie sind reine Geschöpfe, schweigende Kenner der Natur.
Ein Gefühl des Hungers überkommt mich beim Anblick dieser friedlichen Kulisse und ich beschließe etwas zu essen.
Ich begebe mich nach unten in meine Kochnische, welche sich direkt neben der Essnische und gegenüber der Waschnische befindet. Umzäunt von Unmengen noch verpacktem Geschirr, strecke ich mich nach vorn, um die Bratpfanne auf den Herd zu stellen, welche mir Monika einst zu Weihnachten schenkte.
Ich werfe ein paar Minutensteaks aus dem Supermarkt in die Pfanne und rüttele mit ausgestrecktem Arm lieblos an der Pfanne. Ich werde nostalgisch.
Ich erinnere mich an die Kinder, die früher hier im Dorf gewohnt haben.
Sehe wie sie Schlitten fahren und sich in den tiefen Schnee fallen lassen, um Figuren darin zu hinterlassen, die wie Engel aussehen sollen. Für mich sahen sie immer gruselig aus. Mit spielen durfte ich nie. Sie nannten mich “Abfall-Herbert” oder “Müll-Stinker” Und jagten mich teilweise stundenlang durch die Straßen. Nein, mit Menschen konnte ich noch nie etwas anfangen. Außer mit Monika. Sie wohnte im Nachbardorf und kam mich oft besuchen. Früher. Dann tranken wir Kamillentee und sprachen über die Menschen im Fernseher. Ich glaube wir waren verliebt.
Doch als sich die Dinge im Haus vermehrten, stellte sie mich vor die Entscheidung: sie oder die Dinge. Danach habe ich sie nie wieder gesehen.
Mit ausgebreiteten Armen, lasse mich in einen Haufen Plastiktüten fallen und bewege sie auf und ab in der Hoffnung, einen Engel entstehen zu lassen. Es riecht nach verbrannten Fleisch. Ich richte mich auf , wische mir die Tränen mit dem Ärmel meines Hemdes weg und schaue auf den Müll-Engel. Man muss eben Prioritäten setzen.