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Aus dem harten Leben einer Leberzelle

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06.10.2012
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Aus dem harten Leben einer Leberzelle

Die Arbeit nimmt heute einfach kein Ende. Ingo trinkt schon sein sechstes Bier. Wäre ich doch bloß eine Stammzelle geblieben. Die Ausdifferenzierung bringt nichts als Ärger. Vielleicht sollte ich mich noch ein letztes Mal verdoppeln und dann in die wohlverdiente Apoptose gehen?
Nein, ich darf jetzt nicht nur an mich denken, Ingo braucht mich. Ich fahre also meine Lipopolysaccharide als Übertragungsleitung aus und pikse einem jungen Klon von mir in die Membran. Dann funke ich ihn wie gewöhnlich auf elektrischer Schwingungsebene an.

„Hey, Klon Nr. 7! Wie steht‘s um deine Alkoholdehydrogenasen?“

Seine Antwort ertönt prompt: „Weitgehend ausgelastet. Ich hoffe, der Ingo übertreibt nicht wieder so, bin doch tatsächlich schon wieder in den Überstunden.“

Klon Nr. 7 hat anscheinend mein gespaltenes Verhältnis zur Arbeit geerbt. Eigentlich logisch, da wir exakt dasselbe Genom besitzen. Und seine Beschwerdemonologe klingen ganz genauso wie meine.

„Diese einseitige Fließbandtätigkeit ist doch zum Aus-der-Membran-Fahren. Ich komme zu nichts anderem mehr, als den Sprit zu zerlegen, den unser Ingo ungehemmt tankt! Eigentlich wollte ich heute ein paar nette Fettsäuren und Proteine synthetisieren, vielleicht sogar an der ein oder anderen Gallensäure tüfteln. Aber da ist wohl nichts zu machen. “

Ich seufze tief, denn ich weiß genau, was mein hochgeschätzter Klon und Kollege meint. Eigentlich dürften wir uns das nicht bieten lassen.

„Vielleicht sollten wir uns mit den anderen zusammentun und uns an das ZNS wenden!“

Klon Nr. 7 ist sofort Feuer und Flamme: „Jepp, Top-Idee! Das zentrale Nervensystem wird schon wissen, was zu tun ist.“

Eifrig fahren wir beide sofort sämtliche Lipopolysaccharide, die wir aufbringen können, in alle Richtungen aus. Ich funke umgehend eine gut durchdachte Nachricht auf dem schnellsten Weg zur zuständigen Einheit:

„Nachricht an ZNS: Leber überlastet, orale Aufnahme von Spirituosen umgehend stoppen!“

Die Botschaft verbreitet sich mit rasanter Geschwindigkeit, sobald sie die ersten Nervenzellen erreicht hat. Eins muss man den glitschigen Kollegen lassen: Sie sind flinke Impulsweiterleiter. In freudvoller Erwartung empfangen Klon Nr. 7 und ich die vielversprechende Antwort der Hirnneuronen.

Doch die Freude währt nicht lange, als wir rasch den Sinn - oder besser Unsinn - der Nachricht entschlüsseln:

„Hey Jungs, bleibt doch mal geschmeidig. Macht euch locker! Uns geht’s Gold hier oben! Die Endorphine flashen total. Chillt doch einfach mal ein bisschen. Den Müll rausbringen könnt ihr auch morgen noch. Entschuldigt uns, haben gerade einstimmig entschieden, Ingo auf dem Tisch tanzen zu lassen und sich anschließend auszuziehen, natürlich bevor er selbst es weiß, hehehe.“

Ich bin schockiert von der Dienstauffassung dieser halbstarken Signalzecken. Dass die sich von ein paar Pseudobotenstoffen so schnell benebeln lassen, gibt mir zu denken. Tja, dann muss meine bescheidene Vernunft wohl für uns alle reichen. Ich werde die Giftstoffe für Ingo abbauen, und wenn es die ganze Nacht dauert.
Und einen genugtuenden Lichtblick gibt es: Morgen werden wir den Neuronen als Erstes ein paar unserer lästigen Stoffwechselabbauprodukte per Blutpost nach oben schicken.

Klon Nr. 7 meint im typischen Einvernehmen mit mir:
„Du brauchst die Jungs da oben wirklich nicht zu beneiden. Der Sturz von Wolke Sieben direkt in die Kloschüssel ist doch auch nicht gerade erstrebenswert.“

 

Hallo Lumina!

Interessanter Text. Aber ich bin mir nicht sicher, wo da die Geschichte steckt. Vielleicht beschreibt er ja die Wichtigkeit der einzelnen Zelle im körperlichen Verband auf der einen Seite und ihre Machtlosigkeit gegenüber des ZNS auf der anderen. Das könnte man dann durchaus mit unserer Gesellschaft vergleichen. Die meisten arbeiten bis zum Umfallen, die anderen haben Vergnügen. Den Arbeitern bleibt am Ende nur Häme. Oder so ähnlich.

Einiges find ich ganz lustig.

Wäre ich doch bloß eine Stammzelle geblieben.
Für immer Kind, ja, das wäre es doch.
in die wohlverdiente Apoptose gehen?
Wer denkt da nicht hin und wieder drüber nach?

Ich fahre also meine Lipopolysaccharide als Übertragungsleitung aus
Hast du hier einwenig geschummelt?
Diese einseitige Fließbandtätigkeit ist doch zum Aus-der-Membran-Fahren.
Mein Spruch des Tages! :lol:
Klon Nr. 7 hat anscheinend mein gespaltenes Verhältnis zur Arbeit geerbt.
Schön subtil.

Ich bin schockiert von der Dienstauffassung dieser halbstarken Signalzecken
Hehe! Find ich gut! Hier treffen umgangssprachliche Generationen aufeinander!
Und einen genugtuenden Lichtblick gibt es: Morgen werden wir den Neuronen als Erstes ein paar unserer lästigen Stoffwechselabbauprodukte per Blutpost nach oben schicken.
Sehr schön. Leberzellen als randalierende Negentropen.

Ansonsten finde ich die Geschichte sehr nüchtern erzählt. Das Konzept wird ein wenig kunstlos abgearbeitet. Mir fehlt es stellenweise an Authentizität und das Ambiente ist völlig vernachlässigt.
Immerhin, literarische Grenzüberschreitung kann man dem gewählten Motiv nicht absprechen.

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix, vielen Dank für deine offene, positive und schonungslose Kritik und Meinung!:)

Du hast Recht, viel Ambiente gibt es nicht, aber da Leberzellen keine Augen und Ohren haben, haben sie auch nicht viel anderes zu tun, als ihren deprimierten Gedanken nachzuhängen oder ein wenig zu kommunizieren. Ok, ein Gehirn haben sie auch nicht, aber ein paar niedere Präferenzen werden auch bei ihnen ausgebildet sein.

Ich muss auch gestehen, dass ich das Konzept nicht stundenlang ausgearbeitet habe. Es war eine kurze Idee, eine Inspiration, der ich gefolgt bin und einfach schnell niedrgeschrieben habe. Es sollte eine Art abstraktes Szenario mit typischen Stereotypen unserer Gesellschaft in ungewöhnlicher Umgebung und Situation sein. Anscheinend ist das auch größtenteils bei dir angekommen, darüber bin ich erfreut. :D

Lieben Gruß,
Lumina

 

Hallo Lumina,

die Idee, aus der Sicht einer Leberzelle zu schreiben, finde ich grundweg gut,
die Umsetzung dieser Idee allerdings nicht so sehr.

Wenn sich die Beschreibungen, die ja überwiegend erfolgen, nicht in reinster Sachlichkeit erschöpfen würden, könnte das eine sehr witzige Geschichte sein.
Gib deiner Leberzelle Charakter. Wenn du schon mit ihr in die Welt der Phantasie eintauchst, kannst du ihr auch ein emotionales Gesicht geben.

Vielleicht würde es schon reichen, wenn du der Art, wie sich die Leberzelle äussert, etwas Pfiffiges gibst. Sie könnte z.B. einen Sprachfehler oder -tick haben oder, was ich aber eher platt fände, einen Dialekt. Sie könnte verliebt sein oder irgendein Körperteilchen hassen, rührselig nah am Wasser hängen oder zu den militanten Verfechtern irgendeiner politischen Gruppierung gehören und sie könnte trotzdem all die Dinge berichten, die sie berichtet, aber eben völlig eingefärbt durch ihre charakterlichen Eigenschaften.

Im Moment wirkt deine Geschichte auf mich, obwohl ja viel passiert, dennoch unlebendig. Leider.

Lieben Gruß

lakita

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Lumina,

ich musste ein paar mal schmunzeln und auch lachen, was definitiv für deine Geschichte spricht. Die Länge ist gut, der Sprachstil abgeklärt. Die Resignation der Leberzelle kommt gut rüber. Der Dialog mit den Neuronen fand ich besonders lustig. Das die Geschichte keinen Tiefgang hat, stört mich hier kein bisschen, ist ja auch Humor.

Grüsse,
Tiscar

 

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