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Aus Angst dich zu verlieren...

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18.04.2016
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Aus Angst dich zu verlieren...

Früher dachte ich immer mein Leben wäre langweilig. Es gab so viele Momente, in denen ich einfach unzufrieden war, und überfordert war. Jung geheiratet, früh Eltern geworden, schnell ein Haus gekauft und dabei in immense Schulden gestürzt. Doch wir schaffen das, haben wir uns immer gesagt. Matthias und ich, wir haben uns auf dem College kennengelernt. Wir waren jung verliebt, unternehmenslustig und das obwohl ich anfangs überhaupt nicht begeistert von ihm war. Er setzte sich neben mich nur weil meine Freundin Vivianne an diesem Tag krank war. Ohne zu fragen. Was für eine Frechheit, dachte ich damals. Ich kann mich noch an den Augenblick erinnern, als er nicht wusste auf welcher Seite der Vortragende gerade war. Er versuchte heimlich unter meine Hand zu schauen, um die Seite zu erkennen. Natürlich hatte ich das bemerkt und mich extra so weit darüber gelehnt, dass er es auch mit Sicherheit nicht erkennen konnte.

„Bist du immer so gemein?“, hörte ich ihn fragen. Ich musste grinsen. „Nur bei unhöflichen Menschen.“ Er grinste. „Seite 82. Das nächste Mal pass lieber auf, oder sehe ich wie eine Nachhilfelehrerin aus?“ „ Aye,aye Boss.“, erwiderte er. Wenn ich heute daran denke, frage ich mich wirklich was er damals an mir gefunden hatte. Ich war wirklich ein Biest. Ich habe es genossen von New Mexico weggezogen zu sein, und mir in England alleine ein Leben aufbauen zu können. Auf Jungs, auf die hatte ich mal gar keine Lust. Ich hatte eigentlich überhaupt kein Interesse an Freunden, außer mein lieben Freundin Vivianne, mit der ich auch mein Zimmer teilte. Ich zeigte den Menschen auch offen, wie ich bin. Ich war nicht hier um Freundschaft zu schließen, sondern ich war hier um Innenarchitektin zu werden. Innerarchitektur, ja die hat mich immer schon begeistert. Als ich klein war, habe ich bei Besuchen mit meinen Eltern immer Vasen und sonstige Dekorationen umgestellt, und so getan als hätte ich einen Auftrag. Ich wusste immer schon was ich will, und das sollte ich auch bekommen. Hier in England, weit weg von Freunden und Familie. Ich kannte in England niemanden, und wollte auch nicht viele kennenlernen. In New Mexico war ich nie ein Einzelgänger, im Gegenteil. Ich hatte total viele Freundinnen und Freunde. Als ich einige Monate bevor ich nach England kam herausgefunden hatte, dass mein Freund sich mit meiner damaligen besten Freundin vergnügt hat, ist mir schnell der Kragen geplatzt und ich wollte einfach nur weg.
„Ich bin Matthias. Matthias Keller.“ Ich verdrehte die Augen und verließ den Vorlesungsraum. Doch mein Matty lies nicht locker. Er folgte mir bis in den Pausenhof. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte ich ihn genervt. „Klar. Für den Anfang könntest du mir deinen Namen verraten. Und zum Zweiten. Nein, du siehst nicht wie eine Nachhilfelehrerin aus, aber deine Mitschriften und deine Aufmerksamkeit an allem was Herr Batsay gesagt hat, lassen daraus schließen, dass du sehr gut bist. Ich könnte etwas Hilfe gebrauchen. Mathe war nie mein Ding“ „Zum Ersten. Für dich heiße ich „Geht dich nichts an“. Zum Zweiten. Zweiter Stock links, Nachhilfe-Board. Ich bin mir sicher zu wirst fündig.“ Ich drehte mich um, und ließ ihn stehen. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass er nochmals mit mir ein Wort wechselt. Nicht nach meinen harten, und unfreundlichen Worten. Doch auch Matthias wusste immer schon was er will. Deshalb setzte er sich in der darauffolgenden Woche wieder neben mich. Diesmal nicht auf Viviannes Platz, sondern auf Toms, mit dem er den Platz getauscht hatte, nur um bei mir zu sein. „Hey Namenlos. Sieht so aus als wären wir Sitznachbarn.“ „Bist du ein Stalker oder sowas?“ „Nein, ich liebe nur deinen amerikanischen Akzent, Clarissa.“ Mist, ich hatte mein Heft mit Namensbeschriftung wohl nicht aufgemacht, und er konnte meinen Namen lesen. „Okay, du bist ein Stalker. Können wir bitte so tun als ob wir uns nicht kennen würden, und du normal wärst? Danke.“ Vivianne schob mir einen Zettel ins Heft. „OMG. Er ist total heiß! Verkupple mich und du hast drei Wünsche frei.“ Ich dachte mir, es wäre eine gute Idee. So würde mir Vivianne nicht mehr mit ihrer Traummannsuche auf die Nerven gehen, und dieser Kerl würde endlich Ruhe geben. Vivianne war mir damals eine sehr große Stütze, sie war so zu sagen meine einzige Freundin. Obwohl wir grundauf verschieden waren, haben wir uns trotzdem sehr gut verstanden. Vielleicht sogar genau deswegen. Da ich mir sicher war, die beiden verkuppeln zu können, änderte ich die Bedingungen. „Drei Wünsche frei, und dein Bett“. „Ach komm schon, du weißt ich kann beim Fenster nicht schlafen“. „Deine Wahl.“ „Okay, na gut. Für zwei Monate!“ „1 Jahr“ „ein halbes“ „Abgemacht.“ Siegessicher drehte ich mich zu meinem Stalker. „Hey Matthew…“ „Matthias“ „Na gut, Matthias. Wie kannst du so einen blöden Namen haben?“ „Meine Eltern sind Deutsche, und danke für das Kompliment.“ „War nicht so gemeint. Also Matthias. Wir gehen heute Bowlen. Bist du dabei?“ „Wir..?“ „Vivianne, ich und Tom. Der Typ dem du wahrscheinlich Geld für deinen Platz gegeben hast.“ „Woher weißt du das?“ „Weil er alles für Geld macht.“ Wir mussten beide lachen. Matthias berührte meine Hand. „Hey! Das ist kein Date!“ Schnell nahm er seine Hand wieder zurück. Wir redeten noch einige Minuten und machten uns einen Treffpunkt aus.

Als ich etwas später in unser Gescheinschaftszimmer komme, war Vivi schon total aufgekratzt. Ihre sonst so langen, glatten, braunen Haare hatte sie zu einem streng sitzenden Pferdeschwanz gebunden. Ihre schmale Taille und auch sonst so perfekten Körper hatte sie mit einem Leopardenklein und einer braunen Strumpfhose betont. "Welche Schuhe?", fragte sie mich eindringlich. "Für was? Für den Zoo?" Ja, manchmal war ich wirklich gemein. Aber so war ich, und bin ich heute noch. Wer mich kennt, weiß, dass es nicht böse gemeint ist. "Findest du es so overdressed?" "Yep", sage ich kurz und verschwinde ins Bad. Meine langen, blonden Haare kämme ich durch, und lasse sie locker über meine Schulter fallen. Ich ziehe meine Jeans von gestern an, und meinen Sweater, den mir meine Mama mal gekauft hat. In New Mexico war ich immer ein sehr stilbewusster und modeinteressierter Mensch, aber irgendwie habe ich hier in England andere Prioritäten. Ich kleide mich sehr sportlich.
Nachdem sich Vivi gefühlte hundert mal umgezogen hatte, hatte sie dann doch wieder ihr Leopardenklein an, und wir konnten endlich das Zimmer verlassen.

Pünktlich um sieben holte uns Matthias vor unserem Wohnblock ab. An seiner Seite ein Freund von ihm, der mir von Anfang an noch unsympathischer war als Matthias. Ich gab Vivivanne ein Zeichen sich etwas mit Toby, Matthias´Freund zu unterhalten, damit ich Matthias auf Vivi vorbereiten kann. Damit ich gute Chancen hatte, ließ ich Matthias reden. Er erzählte mir von seiner Familie in Cork, seinem verstorbenen Vater, seinen drei Geschwistern. Seiner Schulzeit, in der er nie Freunde hatte, und ausgegrenzt wurde. Er erzählte mir, dass sich seine erste Freundin Daisy das Leben genommen hatte, und das er endlich wieder bereit für etwas neues sei. Eigentlich wäre dies der Moment gewesen ihm Vivianne schmackhaft zu machen, aber irgendwie fühlte ich plötzlich wie wunderbar offen dieser Mensch mit seinen Problemen umzugehen schien. Er erzählte mir alles als wäre ich seine beste Freundin. Wieso hatte er so ein Vertrauen in mich? Irgendwann fragte ich ihn natürlich warum er so offen zu mir war. „Weil du mich an jemanden erinnerst, der mir ganz wichtig war.“ Natürlich wollte er, dass ich ihm auch einiges erzähle und für einige Minuten vergaß ich komplett meine Mission für den Abend.

Als wir bei der Bowling Bahn angekommen waren, fingen wir auch direkt zu spielen an. Da ich kurz mit Vivi für kleine Mädchen war, bestellte uns Matthias in der Zwischenzeit zwei Cola. „Ich wusste nicht ob ihr Alkohol trinkt.“ „Passt schon! Matty.. ähm Matthias“ „Schon okay, du kannst mich gerne Matty nennen. Matthias ist echt schwer auszusprechen.“ Die Stimmung war etwas getrübt, da sprang Vivi auf und bestellte uns allen zwei Tequila. „Ich passe, Vivi.“ „Ich auch.“, sagte Matthias. So blieb also Vivi und Tobias, da Tom immer noch nicht da war. Ziemlich angeheitert begann Vivi das Spiel einzuleiten, und uns allen Kosenamen zuzuteilen. Die ganze Zeit konnte ich beobachten wie Matty mich ansah. Seine strahlend blauen Augen, sein gut gebauter Körper, seine brauen Haare. Das erste Mal sah ich ihn bewusst an, und musste zugeben, dass er ein wirklich heißer Kerl war.
Einige Stunden später setzen wir uns noch ins „Le-bleu“, eine Bar. Da ich wusste, dass sich Vivi in ihn verschaut hatte, begann ich das Gespräch. „Weißt du Matty, Vivi…“ „Ja sie hat offensichtlich Spaß.“ „Ehe ich mich umdrehen konnte, sah ich meine Bettnachbarin mit Tobias knutschen. „Ja, den hat sie wohl.“ „Soll ich dich nach Hause bringen?“, fragte mich Matty sehr vorbildlich. „Gern. Wir können ja einen kleinen Umweg machen, und etwas spazieren. Ich brauche etwas Luft“.

Wir spazierten durch London und redeten sehr viel. Wir lachten, wir kamen uns sehr nahe. Nein, nicht so nah wie ihr jetzt denkt. Ich hatte das Gefühl, dass er mich wirklich ernst nahm. Er war nicht wie die anderen. Am Vormittag noch gehasst, und jetzt so vertraut, nie hätte ich dies für möglich gehalten. Ich hoffte nur, dass Vivi auch ihren Spaß hatte und nicht böse war.

In den folgenden Wochen wurden Matty und ich ein Paar. Nein nicht irgendeines, wir wurden das Traumpaar schlechthin. Wir teilten unser Leben, unser Zimmer und unsere Lust an Abendteuer. Wir verbrachten fast jede Minute gemeinsam. Oh ja, wir gingen sogar gemeinsam duschen. Ich und Vivi, wir blieben trotzdem eng befreundet, und sie und Tobias wurden auch ein Paar. Leider nur für eine kurze Zeit, da Vivi ihn dann mit Tom betrogen hatte. Eine schlimme Zeit für uns alle, da wir alle sehr gut befreundet waren. Matty und ich wir hatten unseren ersten Streit etwa 3 Jahre nachdem wir unsere Beziehung angefangen hatten. Nichts, so dachte ich damals, könnte uns jemals trennen.

Als ich 22 war wurde ich unerwartet schwanger. Es war die erste große Entscheidung, die wir als Paar treffen mussten. Auch damals hatten wir einen sehr großen Streit, so dass ich damals nach New Mexico zurückwollte. Kurz bevor ich in den Flieger stieg stand er da, mit 99 Rosen und Tränen in den Augen.

Lange Rede, kurzer Sinn, unsere Tochter Emily erblickte 9 Monate später die Welt, und veränderte unser Leben Hals über Kopf. Eine Hochzeit und ein gekauftes Haus später, erblickte auch unser Sohn Jeremy unsere Welt. Mittlerweile waren wir mitten im Leben angekommen, beide 27 und führten ein eigentlich tolles Leben. Eigentlich, denn oft holte mich der Alltag ein. Ich fühlte mich oft von Matty alleine gelassen. Er hat viel gearbeitet. Wir stritten uns sehr viel. In den letzten Wochen wurde unsere Beziehung immer wieder auf den Kopf gestellt, sodass es uns immer schwerer fiel wieder zu einander zu finden.

Emily und Jeremy sind zwei sehr aufgeweckte, und fordernde Kinder. Emily, hat genau wie ich, blonde Haare, und grüne Augen. Mein kleiner Sonnenschein Jeremy ist ganz wie sein Papa, braunhaarig, sehr selbstbewusst und hat eisblaue Augen. Da ich zwar sehr gerne Hausfrau bin, aber trozdem mehr Zeit für mich brauche, haben wir uns darauf geeinigt unser zwei Engeln zur Tagesstätte zu bringen, damit ich endlich wieder zu mir selbst finde. Ich kann mich erinnern, es war mein erster Tag alleine zuhause, ich sah mich in unseren Spiegel im Badezimmer. Meine einst wunderschönen, langen und blonden Haare waren schulterbreit geschnitten, da ich keine Zeit mehr hatte sie zu pflegen. Mein einst so flacher und perfekter Körper war jetzt ausgelaugt, hängend. Ich litt sehr darunter. Ich sah mich Hass, und empfang nur Hass. Unser Haus, es war zwar schön eingerichtet, aber was nutzte mir diese Einrichtung, wenn ich nicht wusste, ob wir das Geld für die Autoreparatur aufbringen können? Heulend fand ich mich auf unserem Badezimmer Teppich wieder, als ich beschloss, dass damit genug ist. Dieses Selbstmitleid ich hatte es satt, ich wollte wieder schön für meinen Mann sein. Ich änderte mich schlagartig und konnte meine innerliche Schönheit wieder zum Leben erwecken. Ich hatte mir in unserem zuhause ein Zimmer ganz für mich eingerichtet. Die Wände hatte ich violett gestrichen, in meiner Lieblingsfarbe. Dazu hatte ich weiße Vorhänge gekauft und mir einen schönen dazu passenden Schreibtisch bestellt. Ich begann mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, und mich endlich selbst wieder zu finden. Meine Beziehung zu Matty wurde wieder wunderschön, bis uns eines Tages ein harter Schicksalsschlag einholte.

Mattys Arbeitskollege Joshua rief mich an, und erzählte mir etwas von Krankenhaus und Matty. Die Worte prallten an mir ab, als wären es nur die neusten Nachrichten im Radio. Das einzige was ich in Erinnerung behielt war, dass ich in Krankenhaus sollte. Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich redete mir ein, es würde nichts schlimmes sein, als würde es nur ein kleiner Unfall gewesen sein. Matty war Architekt, er war oft auf Baustellen unterwegs, es hätte ihm ja dort etwas passieren können. „Bestimmt ist es nur eine Routineuntersuchung“, redete ich mir ein. Ich versuchte Matty anzurufen, doch er ging nicht ran. Matty ging immer an sein Telefon. Selbst wenn er in Besprechung war, da er wusste ich rufe nur in Notfällen an. Langsam wurde ich sehr unruhig, ich packte ihm noch einige Dinge zusammen, seine Zahnbürste und bequeme Sachen, ich wusste ja wie er Krankenhäuser hasst. Ich nahm ihm sein Handyladegerät mit, sein IPad und ein Hochzeitsbild von uns. Wenn ich heute daran denke, verstehe ich nicht wieso ich noch daran dachte seine Sachen zu packen ehe ich ins Krankenhaus fuhr. Mit einem kleinen Reisekoffer stieg ich also ins Auto und fuhr Richtung Krankenhaus. Schon sehr unruhig rief Joshua nochmals an. „Clarissa, beeil dich bitte.“ Okay, nun war ich wirklich beunruhigt. Als ich ankam standen Joshua, ein Psychologe und zwei Ärzte vor mir. Die nächsten Minuten vergingen wie in Trance, ich kann mich an jede Sekunde erinnern, und doch kommt es mir wie ein Film vor. „Mrs. Keller.“,sagte eine junge Ärztin, „ es tut uns sehr leid, aber ihr Mann hat eine Gehirnblutung gehabt, Er wird derzeit operiert, wir versuchen Hirnflüssigkeit abzusaugen und die Blutung zu stoppen.“ Mein Gesicht wird bleich, meine Stimme zittert. „Wann wird er aufwachen?“, frage ich weinerlich. „Wir tun alles was wir können, Mrs. Keller.“ Ich setze mich vor die Tür, auf der „Operationsraum – Betreten verboten“ steht. Ich habe Angst, ich hab große Angst. Unser Leben lasse ich revue passieren, alle Erinnerungen, die wir einst hatten. Ich habe Angst meine große Liebe Matty zu verlieren. Plötzlich erinnere ich mich an meine beiden Kinder, sie sollen doch ihren Papa haben. Ich kann Matty nicht verlieren, das steht nicht zur Debatte!

Ich versuche unsere Tagesmutter zu erreichen, damit ich sicher gehen kann, dass es meinen beiden Kindern gut geht. In diesen Momenten verstehe ich was Matty und ich haben. Wir haben eine Familie, wir haben ein gemeinsames, manchmal verkorkstes Leben. Aber wir haben uns. Wir lieben uns. Ich möchte meinen Jugendstalker nicht verlieren, so abgebrüht dies auch klingen mag. Als ich die Nummer von Mary-Louise wählen möchte, unserer Tagesmutter, geht plötzlich das Licht am Gang aus. Ich bekomme Angst. Ich drehe mich um und möchte jemanden holen, ehe das Licht wieder angeht und Joshua auf mich zukommt. „Clarissa, alles in Ordnung?“, höre ich Joshua sagen. „Klar. Alles wunderbar. “, sagte ich mit unglaubwürdiger und verzweifelter Stimme. „Hör zu. Meine Frau kann Jeremy und Emily holen. Damit sie im Fall des Falles hier sind. Damit sie..“ „Damit sie was, Joshua? Damit sie sich verabschieden? Ist es das was du sagen willst? Er wird nicht sterben verdammt nochmal, er ist doch mein Matty. Ich kann das nicht, Josh. Nicht hier, nicht jetzt. Nie!“, ich breche zusammen und finde mich in Joshuas Armen wieder. Ich verliere die Kontrolle über meinen Körper, über meine Angst. Noch nie habe ich so empfunden. Für jede Sekunde, in der ich mir vorstelle, dass Matty nicht zurückkommt, weine ich 10 Minuten bitterlich.

„Weißt du, was das schlimmste ist, Josh? Das schlimmste ist, dass wir uns gestritten haben. Ich habe ihm vorgeworfen, dass er so lange arbeiten würde. Ich habe natürlich gestresst, so wie ich immer Stress gemacht habe. Vielleicht bin ich Schuld, dass er Stress aufgebaut hatte, und..“ „Du bist nicht schuld“, unterbricht mich Joshua, „Weißt du was mir Matt zuletzt gesagt hat? Dass ich seiner wunderschöner Frau sagen soll, dass er sie liebt.“ Langsam versuche ich mich zu beruhigen, ehe einige Ärzte den OP-Bereich verlassen. Aufgewühlt renne ich zu ihnen und frage nach meinem Mann. Aussagen wie „Wir tun alles“ oder „Wir können noch nichts sagen“ beunruhigen mich immer mehr.

Mittlerweile sind drei Stunden vergangen. Der Sekundenzeiger der Tür im Angehörigenraum hört sich für mich für das Ticken einer Zeitbombe an. Einer Zeitbombe, die jeder Zeit explodieren kann, und mein Leben zerstören kann. Jede Sekunde fühlt sich wie eine Ewigkeit an, jede Minute dauert noch ewiger. Ich versuche mich abzulenken, mir nicht vorzustellen, was mit Matty gerade passiert. Ich habe Angst, so sehr, dass ich es kaum beschreiben kann.
Joshua und ich sitzen schweigend neben einander, wir bewegen uns nicht, und wechseln auch kein Wort aus. Keiner weiß mehr was er sagen soll. Joshua ist Mattys bester Freund geworden, sie unternehmen alles gemeinsam. Sie teilen nicht nur ihren Job, sondern auch ihre liebe zu Sport und Fitness. Immer kaufen sie sich diese schrecklichen Proteinmischgetränke und prallen mit ihren Muskeln um die Welt. Natürlich nur aus Spaß, nicht aus Ernst. Beide sind verantwortungsvolle Familienväter, wunderbare Ehemänner. Sie verstehen sich blind, und manchmal da denkt man fast sie wären 17. Und ich denke Joshua gibt meinem Mann ein Stück Kindheit zurück, die er nie wirklich hatte. Wenn ich Joshua in die Augen sehe, ist es so als würde er meine Gedanken aussprechen. Die Verzweiflung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Immer wieder weine ich, immer wieder beruhige ich mich wieder. Später stößt Marielle, Joshs Ehefrau, zu uns. Sie versorgt uns mit Kaffee, hat uns sogar etwas gebacken. Immer wieder versucht sie mit mir zu reden, mich zu beruhigen. Irgendwann verliere ich mich in meinen Gedanken und verfalle in alte Gedanken, in die Vergangenheit.

Als wir unser Haus gekauft haben war unsere kleine Emily erst 3 Monate alt. Wir waren glücklich, ja. Und furchtbar müde. Ich dachte die langen Partynächte würden mich eines Tages auf das Geschreie eines Babys vorbereiten, aber meine Maus Emily hatte mich eines Besseren belehrt. Ich denke jede Mama, jedes Alters, weiß wovon ich spreche. Trotz allem war sie mein kleiner Engel, und aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken.
Josh und seine Frau Marielle zogen ins Nachbarhaus ein, und wurden selbst gerade erst mit der frohen Botschaft überrascht Eltern zu werden. Da auch sie noch sehr jung waren, und Erfahrung sammeln wollten, boten sie uns an oft auf unsere Emily zu schauen um etwas zu üben. So schenkten sie mir uns Matty oft Zweisamkeit, die wir sonst nie gehabt hätten. Wir machten total verrückte Sachen. Selbst in meinen dunkelsten Minuten muss ich grinsen, wenn ich an diese Erinnerungen denke. Einmal da wollten wir zum Fluss. Wir hatten uns einige Cocktails in Einwegflaschen gemischt (ja, sehr romantisch) und uns an den Rand des Stegs gesetzt. Als wir uns kennenlernten wurde hier oft Party gefeiert, deshalb gab es uns oft das Gefühl wieder jung zu sein. Natürlich haben sich unsere Gespräche geändert, es ging nicht mehr um Alkohol und Unternehmungen, sondern um Windeln und Steuern, aber im Grunde hatten wir eine tolle Zeit miteinander. Eines Nachts, als Emily bei Marielle und Josh war, stieß mich Matty einfach ins Wasser. Nachts bei Minusgraden schwammen wir in diesem eiskalten Fluss. Es war so ein tolles Erlebnis, es war so verrückt. Wir haben so viel gelacht und uns leider danach eine Grippe eingefangen, aber allein dieser Erinnerung wegen war es dies wert. Ich werde diese unbeschwerten Moment nie vergessen.

Matty und ich haben uns im Laufe der Zeit sehr verändert. Wir wurden, so wie unsere Eltern es sagen, zu früh erwachsen. Wir hatten sehr früh verdammt viel Verantwortung zu tragen, und wurden langweilig. Trotzdem hat es mein Matty immer wieder geschafft mich zu überraschen, und mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Erst vor einigen Tagen da hat er mir als Entschuldigung einfach einen Gutschein zum Fallschirmspringen spendiert. Leider sind wir noch nicht dazu gekommen diesen einzulösen.

Meine Gedanken werden von einer Ärztestimme unterbrochen. „Herr Keller befindet sich im Aufwachraum. Die OP ist den Umständen entsprechend gut verlaufen, er befindet sich trotzdem in einem kritischen Zustand.“ Endlich. Danke! Ein Stückchen Hoffnung.

Nach weiteren Stunden darf ich endlich sein Krankenzimmer betreten. Es ist kühl eingerichtet. Ein großes Fenster am Ende des Raumes erinnert daran, dass es kein Gefängnis ist. Mattys Bett liegt in der Mitte des Zimmers, um ihn herum sind etliche Kabeln und Überwachungsmonitore platziert. Unter ihnen liegt mein wunderschöner Mann. Die Augen verschlossen, die Atmung sehr flach. Sein Kopf wurde mit einem Verband umwickelt. An den Wänden sehe ich Zeichnungen, viele positive Sprüche und das Ärzteteam. Die Wände sind grün gestrichen, und alles ist steril. Wenn Matty jetzt wach sein würde, würde er bei seiner Angst vor Krankenhäusern bestimmt in Ohnmacht fallen.
Ein kleiner Sessel befindet sich neben seinem Bett. Ich setze mich und beginne ihn zu streicheln. Meine Hände berühren seinen Körper, als würden sie es zum Letzen mal dürfen. „Ich liebe dich. Es tut mir so leid. Bitte, verlass uns nicht, mein Schatz. Wir brauchen dich doch!“
Als würde Gott meine Stimme hören, bewegt mein Matty seine Hand. Es ist keine schnelle Bewegung, eher ein Zucken. Für mich ein Zeichen, dass er mich hört. Ich beginne mit ihm zu reden, ihm vorzusingen. Bis mich die Schwester bittet zu gehen. Ich tue alles, schwöre ich mir. Ich bringe ihn zurück, koste es was es wolle.

Ich würde gerne hier übernachten, muss aber natürlich an meine beiden Kinder denke. Als ich bei Mary ankomme, um sie abzuholen, schlafen sie bereits. Ich wecke die beiden, und wir fahren nach hause.
Zuhause alleine in unserem Schlafzimmer fühle ich noch tieferen Schmerz als zuvor. Ich drehe mich um und stelle mir vor er wäre hier. Dann wieder stelle ich mir vor er würde einfach später nach Hause kommen, ich rede mir alles Mögliche ein, nur um keine negativen Gedanken an mich heranzulassen.

Ich bekomme in dieser Nacht Alpträume, als ich wach werde stehen meine beiden Kinder vor mir. So beginnen Horrorfilme, denke ich mir. "Was ist los Kinder? Es ist spät, geht bitte wieder ins Bett." Ich merke, dass ich keine Kontrolle mehr über meine Tränen habe. Doch ich muss sie zurückhalten, sie sollen nicht erfahren was wirklich los ist. "Mama du hast geschrien", macht mich Emily aufmerksam. Mein Atem stockt. Habe ich das? Ich war doch munter, dachte ich. "Tut mir leid Schätzchen. Mama hatte eine Alptraum." Ich stehe auf, und begleite meine beiden in ihre Schlafzimmer. Völlig verzweifelt gehe ich in die Küche, und sehe in den Kühlschrank. Ja, es gibt diese Menschen, die in stressigen Zeiten abnehmen und keinen Appetit haben, und dann gibt es mich. Wenn ich Stress habe könnte ich die ganze Zeit nur mehr essen. Als ich den Kühlschrank öffne, fällt mir ein Marmeladenglas auf die Füße. "Mist. Das kann doch nicht wahr sein jetzt.", schimpfe ich mit mir selbst. Es war Mattys Marmeladenglas, seine Lieblingsmarmelade. Wieder breche ich in Tränen aus.

„Mama, Mama! Papa ist aufgewacht!“ Als Emily in der Nacht in unser Schlafzimmer gerannt kommt, bin ich verwirrt. Für eine Sekunde dachte ich, alles wäre ein Traum gewesen. „Schatz, Papa ist heute nicht zuhause.“ „Ja, und er ist jetzt munter.“ Ich verstehe die Sätze meiner Tochter nicht. In der nächsten Sekunde läutet mein Telefon. Ich sehe sie an, und bekomme richtig Angst. „Mrs. Keller. Entschuldigen Sie für die späte Störung. Ihr Mann, Matthias Keller, er ist aufgewacht und befindet sich außer Lebensgefahr. Ab morgen früh sollte er wieder ansprechbar sein.“ Als ich das Gespräch beende fühle ich mich als würde mir der Mount Everest von den Schultern fallen.
Nachdem ich heute meinen Kindern versprochen habe sie ins Krankenhaus mitzunehmen, kommen wir sehr zeitig an. Eine Krankenschwester bringt uns in sein Zimmer, da er auf die Normalstation verlegt wurde. In den dunkeln Sekunden vor dem Aufwachraum und zuhause habe ich mich gefragt, wie ich reagieren würde, wenn ich ihn gesund wieder sehen würde. Würde ich ihn küssen? Würde ich ihn umarmen? Würde ich ihm nur die Hand geben? Doch alles was ich jetzt tun kann, ist zu weinen. Eine Krankenschwester passt derweil auf unsere Kinder auf, damit ich einige Minuten mit Matt alleine habe. Alles was ich tun kann, ist weinen. Worauf auch Matty weint.

Wortlos lege ich mich in sein Bett und möchte ihn nie wieder los lassen. Ich habe eines gelernt. In den emotionalsten Momenten, da muss man nicht reden. Man kann auch nicht lügen. In den emotionalsten Momenten zeigt man sein wahres Gesicht. Das heißt nicht, dass Matty und ich ab jetzt ein Traumleben führen werden, dass wir nicht streiten werden. Das bedeutet nur, wir werden jeden Moment als Familie nutzen, den wir haben. Wir werden jede Sekunden genießen, die wir hier auf diesem wunderschönen Planeten, verbringen dürfen. Bis dass der Tod uns eines Tages, hoffentlich erst in hundert Jahren, voneinander trennen wird. Manchmal muss man den Abgrund sehen, um wieder bergauf gehen zu können.
Manchmal denken wir unser Leben ist nicht besonders, und ist selbstverständlich. Bis uns eines Tages jemand eines Besseres belehrt.

 

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