- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Aus anderer Sicht (nochmal etwas geändert eingestellt)
Aus einer anderen Sicht geänderte Version
Als ich vor zwei Tagen diese Begegnung hatte, von der ich später erzählen werde, dachte ich noch: ‚Daraus mache ich eine Geschichte.‘
Heute, gerade mal achtundvierzig Stunden später hatte ich ein zweites, ähnliches Erlebnis. Nun ist es mir einfach ein Bedürfnis, zu erzählen.
Ich habe einen Laden, der jene Dinge zum Kauf anbietet, die man als Schnick-Schnack oder auch als Luxusgüter bezeichnet. Dinge, die man nicht wirklich braucht, die einem aber den Alltag erleichtern oder einfach das Zuhause verschönern. Edelstahlschalen, Weindecanter und schöne Gläser, eben Gegenstände solider Haushalte. So kommt es für mich auch täglich zu Begegnungen mit Menschen unterschiedlichster Art. Das liebe ich an meinem Job. Da gibt es die Eiligen, die Wählerischen, die Schnippigen, die Bescheidenen, die Neugierigen, die ewig Unzufriedenen, die, die sich nicht entscheiden können, oder Kunden, die ich besser nicht aus den Augen lasse. Mein Alltag im Umgang mit Menschen.
Manchmal aber, zuletzt vor zwei Tagen, kommt es zu Begegnungen, die mir länger haften bleiben, die mich innerlich berühren und die, so meine ich, eine Botschaft enthalten.
Ich saß hinter meiner Theke, von wo aus ich auf die gläserne Eingangstür schauen kann. Ich bemerkte, wie sich ein Mann tief geduckt dem Eingang näherte und scheu suchend in das Ladeninnere blickte. Ich konnte ihn auf die Distanz von etwa acht Metern ganz gut sehen und versuchte ihn wegen seiner ungewöhnlichen Körperhaltung einzuordnen. Er war schätzungsweise fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt und von gepflegter Erscheinung. In seiner rechten Hand hielt er ein Puzzlespiel. Der Mann stand noch eine kleine Weile in einer Art Deckungsstellung an der Glastür und spähte hinein, bevor er vorsichtig und zaghaft die Türe aufschob, sie wieder schloss, um sie erneut langsam zu öffnen. Ich machte mir schon beim ersten Anblick des Mannes Gedanken und spulte vor meinem inneren Auge einige mögliche Situationen ab: Er schaut einfach mal, ob ein Hereinkommen für ihn lohnen könnte, dazu wirkte er allerdings zu ängstlich. Er sucht Jemanden, den er bei mir vermutet, aber wozu duckt er sich dann? Oder er sieht nach, ob er allein mit mir im Laden ist, um irgend etwas anzustellen. Ich überprüfte mit einem kurzen Blick, ob das Pfefferspray dort steht, wo es hingehört....
Inzwischen hatte der Mann mit einem halben Fuß den Laden betreten, den Türknauf noch in der Hand und rief sehr laut ins Ladeninnere:„ Habt ihr `nen Hund?“ Ich antwortete verwundert: „ Nein! Habe ich nicht.“, worauf er noch einmal nachhakte:„ Echt? Keinen Hund? Ich habe nämlich große Angst vor Hunden!“ Die Lautstärke seiner Worte, seine Mimik, der Tonfall, und das, was er sagte, ließen mich spüren, dass dieser Mensch in keine meiner sorgsam angelegten Schubladen paßt. Dieses auffällige Gebärden vor dem Betreten des Ladens, das Puzzlespiel in der Hand, diese unkontrolliert wirkende Stimme bei der Frage nach einem Hund ergab ein eigenes Bild. Ich erhob mich von meinem Hocker und versicherte ihm: „Kommen Sie ruhig herein, hier ist kein Hund. Ganz sicher nicht.“ Beruhigt richtete er sich zu voller, stattlicher Größe auf und kam mit unbeholfenen, steifen Schritten in meine Richtung, sein Puzzlespiel fest in der Hand. Auf dem Weg zur Theke griff er in seine Jackentasche und zog umständlich die zur Faust geschlossenen Hand wieder heraus. Ich ließ ihn nicht aus den Augen und war noch auf der Hut wie immer, wenn mir etwas befremdlich vorkommt. Als er auf meiner Höhe war, öffnete er seine Hand und streckte sie mir entgegen. Ich schaute auf ein neues, blankes Fünf-Centstück, das unter den Scheinwerfern des Ladens blitzte. Der Mann sah sich suchend um, während er mir noch immer die geöffnete Hand entgegenstreckte und fragte übertrieben laut: „ Habt ihr denn auch so ein Sparschwein, wo ich das hier reintun kann?“ Ich wunderte mich sehr doch mein Gefühl sagte mir, dass ich selbst nichts zu befürchten hatte und zeigte ihm die Kaffeekasse. Mit einer großer Geste und zufriedener Miene steckte er die Münze in das Sparschwein, freute sich mit glucksenden Lauten über das Geräusch des fallenden Geldstücks und ging wieder Richtung Ausgang. Er hinterließ mich verdutzt. Ich wünschte ihm noch einen schönen Tag und er antwortete: „Ich dir auch.“ Sprach’s und schloss die Türe hinter sich.
Ich schaute ihm nach, ließ mich auf meinen Hocker fallen und war tief berührt.
Ich dachte an diesem Tag noch mehrfach an diese Begegnung, doch wahrscheinlich hätte ich sie alsbald vergessen, wenn mir heute nicht Ähnliches passiert wäre:
Ich kam etwas später, als gewöhnlich aus dem Laden und lief in Gedanken versunken nach Hause. Es regnete in Strömen und ich hatte es deshalb sehr eilig. Mein Weg führt mich durch einen kleinen Park, der gegenüber der katholischen Kirche liegt. Vom Parkeingang aus kann man auf das etwa fünfzig Meter weit entfernte Hauptportal der Kirche mit ihrem Glockenturm und der großen Turmuhr sehen. Von weitem sah ich heute am Parkeingang ein älteres Paar stehen. Eine Frau von kleiner, draller Statur und ein großer, stattlicher Mann standen eng aneinander geschmiegt unter einem Regenschirm und schauten wie gebannt auf den Kirchturm. Sie schienen auf Etwas oder Jemanden zu warten. Als ich näher gekommen war, traf mein Blick den der Frau. Sie schien mir beunruhigt, wirkte nervös. Der Mann schaute weiterhin angestrengt auf den Kirchturm, so dass ich selbst versucht war, nachzusehen, was es dort Besonderes gäbe. In diesem Moment, es war genau neunzehn Uhr, begann das Abendläuten mit den ersten drei Glockenschlägen. Da stieß dieser Mann, ein gutaussehender, gepflegter Herr von etwa fünfzig Jahren einen erregten Laut aus und begann von einem auf das andere Bein zu treten. Ich war inzwischen auf der Höhe des Paares angekommen, als er mich am Ärmel meiner Jacke packte und an sich zog. Mit der anderen Hand zeigte er, wild gestikulierend, auf den Glockenturm. Verwirrt blieb ich stehen und schaute suchend in die angezeigte Richtung, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken. Zum zweiten Mal ertönten nun die drei Glockenschläge vor dem Abendläuten. Der Mann rupfte noch aufgeregter an mir, während die Frau versuchte, mich von ihm zu lösen und in gebrochenem deutsch zu mir sagte: „ Er krank.“ Ich verstand und sagte zu beiden: „ Ah! Die Glocken. Ja, die sind sehr schön.“ Sie erklärte mit spanischem Akzent: „ Er jeden Abend hierher kommen, immer sieben Uhr Glocken hören, weißt du.“ Ich war gerührt und sagte etwas unbeholfen zu ihm: „Die Glocken, sie läuten gleich ganz viel. Das ist schön.“ Ich nickte ihm freundlich zu. Als dann das dritte Mal die Glocke ihre drei Schläge zum Abendläuten hören ließ, war seine Aufregung kaum zu bremsen und er versuchte sich mir, mit allem was er hatte, mitzuteilen:
„Bongole, bongole, bongole!“, rief er immer wieder, zupfte sich am Ohr und sprang, wie ein Kind, von einem Bein auf das andere. Ich zeigte ihm sieben Finger meiner Hände, meinte die Uhrzeit und tippte an mein Ohr, und er strahlte mich an. Wir waren dabei, zu kommunizieren. Die Frau, der die Situation sichtlich unangenehm war, lächelte erleichtert, als ich wiederholt sagte, wie schön das Läuten sei. Mit Einsetzen des großen Abendläutens entfernte ich mich von dem Paar. Nach einigen Schritten drehte ich mich noch einmal um. Sie standen noch immer dort und lauschten den Glocken und ich setzte nachdenklich meinen Heimweg fort.