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Augensterne
Das flackernde Kerzenlicht wirft geisterhafte Schatten in den Raum. Sie liegt da, auf dem Rücken, und neben ihr liegt er, auf den Ellenbogen gestützt. Sie schauen sich an, wortlos, glücklich, träumend; dann sagt er plötzlich:
„Deine Augen – das sind die Sterne am Himmel, sie leuchten in der Dunkelheit, sie sehen alles und sie sind geheimnisvoll.“
„Ach du“, meint sie, „was du dir schon wieder ausdenkst ...“
„Aber gewiss“, erwidert er, „ich sage nur, was ich sehe. Und damit du es weißt, diese Sterne, die hole ich herunter vom Himmel. Ich werde sie einstecken und immer, wenn du fort bist und ich Sehnsucht habe nach dir, dann nehme ich sie aus der Tasche und kann in deine Augen sehen!“
„Was werden die Menschen auf der Erde sagen, wenn die Sterne nicht mehr am Himmel stehen?“, fragt sie nachdenklich. „Bestimmt werden sie traurig sein und sie vermissen, der Himmel ist dann nicht mehr der Himmel.“
Er blickt sie an und überlegt. So gesehen stimmt das, und sein Plan war wohl recht egoistisch. Er freut sich über sie, weil sie nicht nur an sich oder sie beide denkt. Schließlich findet er einen Ausweg.
„Du hast Recht“, sagt er leise zu ihr, „die Sterne sollen am Himmel bleiben. Und deine Augen, die wie die Sterne sind, sie sollen sich einbrennen in mein Herz, dass ich sie nie vergessen kann. Ich schaue dann in mich hinein, wenn ich Sehnsucht nach deinen Augen habe.“
Das findet sie gut, sie legt ihre Hand in seinen Nacken, zieht seinen Kopf herunter zu ihrem Gesicht. Er küsst ihre Augen, die salzig schmecken, und ihren Mund, der lauter dumme Sachen flüstert ...
Die Kerze flackert stärker, die Flamme bäumt sich auf und verlischt – und es leuchten noch zwei Augensterne in der Dunkelheit.