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Augenblicke
Kindergarten. Das ist sein erster Gedanke. Dizius denkt darüber nach, wie er in der Spielecke des Kindergartens mit dem Bagger spielte. Das ist jetzt 21 Jahre her. Er war ein fröhliches Kind und spielte gern, besonders mit Spielzeugbaggern. Das nächste, woran er sich erinnern kann, ist seine Einschulung. Ihm fehlten die vordersten Schneidezähne, fast die letzten Milchzähne, die ihm ausgefallen waren. Seine Schultüte war fast größer als er selbst und mit reichlich Süßkram und Spielzeug gefüllt. Dizius überkommt ein rasches, wohliges Gefühl.
Seine nächste Erinnerung ist ein Nachmittag, an dem er mit seinen Freunden spielte und Eis aß. Dizius weiß nicht, warum gerade dieser Tag ihm so im Gedächtnis geblieben ist. Es war Sommer und sehr warm. Schließlich sieht er sich im Zelt sitzen. Das muss so 1988 gewesen sein, im Zeltlager in einem kleinen Ort in der Nähe von München. Abends gab es immer ein Lagerfeuer und Stockbrot. Dizius liebte das.
Sein nächster Gedanke führte ihn zu Tessa, seiner ersten Freundin. 13 war er. Er stellte sich fürchterlich ungeschickt in ihrer Nähe an und stotterte ständig. Trotzdem wurde sie später seine Freundin. Allerdings nur für 2 Wochen. Daran verschwendet Dizius jetzt jedoch keinen Gedanken.
Mit 14 war er das erste mal betrunken. Seine besten Freunde Solflih und Dnief trugen ihn nach Hause. Im nachhinein ist es ein schönes Erlebnis gewesen. Der Ärger, den er von seinen Eltern damals bekam, ist jetzt sekundär. Im Augenblick zählen für Dizius nur die schönen Momente.
Mit 15 ging es dann bergab. Die schönen Momente blieben aus. Nur ein großes Loch. Das ist alles, was Dizius behalten hat. In dieser Zeit starb nämlich sein geliebter Vater und er begann mit Drogen herumzuexperimentieren.
Mit 19 ging alles wieder bergauf. Er erinnerte sich an den ersten Abend mit seinen Freunden Solflih und Dnief, die er in seiner Drogenzeit sehr vernachlässigt hatte.
Ein schöner Abend war das.
Dann kam SIE. Sie hieß Ruoma. Sie war bildschön. Sie war sein Lebensinhalt. Sie war seine neue Droge. Er tat alles für sie.
Er sieht ihr Gesicht aus allen Perspektiven und in allen Lebenslagen. Alles! Wirklich alles hätte er ihr geschenkt, geklaut, geraubt, gezogen. Sie war sein Ein und Alles.
Hier reißt sein Gedächtnisfaden ab.
Wir befinden uns im Jetzt und Dizius, 24 Jahre schlägt auf der Wasseroberfläche auf, welche aus einer Höhe von 20 Metern hart wie Beton ist. Für Dizius gibt es keine Chance, sein Körper zerschmettert.
An der Stelle, an der seine Gedanken abreißen, ist natürlich noch nicht Schluss. Dizius ließ bewusst seine letzte Erinnerung aus: Der Tag, an dem er Ruoma, seine angebliche große Liebe und Dnief, seinen angeblich besten Freund zusammen im Bett überraschte.
Solflih wusste von dem Verhältnis der Beiden. Er wusste jedoch nicht, ob er Dizius nun alles erzählen sollte oder ob er Dnief schützen sollte.
Für Dizius hatte das Leben keinen Sinn mehr und so erlebte er beim Sprung von der Brücke alle Augenblicke seines Lebens, die schön waren, in Bruchteilen von Sekunden noch mal.